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Archiv "Praxisorientierte Fortbildung mit Fallseminaren: Eine Konzeption der Akademie für ärztliche Fortbildung Niedersachsen" (21.04.1977)

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Medizin hinter Gittern THEMEN DER ZEIT

nicht mehr zu den ärztlichen Tabus zu gehören. Es gibt ein lateini- sches Sprichwort, wonach der Ver- lust der Vernunft der wahre Herold der Zerstörung ist.

Heute ist es in der Bundesrepublik üblich, „verbrecherfreundliche" Be- kenntnisse abzulegen und die Justiz und ihre Organe anzuklagen und zu beschimpfen. Im nachrevo- lutionären Rußland wurden schon einmal Begriff und Idee der Strafe geächtet. Das Sanktionsrecht sollte damals eine kodifizierte Kriminolo- gie sein. Man ersetzte das Strafsy- stem durch ein Aggregat von päd- agogischen und medizinischen Maßregeln. Dieses kriminologische Experiment scheiterte, und schon unter Stalin begann die schrittwei- se Rückkehr zum altbewährten Sy- stem. Er spürte, wie die Uferlosig- keit der medizinisch und pädago- gisch bessernden Maßnahmen und die Schrankenlosigkeit des mate- riellen Deliktbegriffs auf den stum- men Widerstand der Bevölkerung stießen. Ohne deren Mitwirkung ist aber das schärfste Sanktionsrecht stumpf. Unter Berufung auf das Rechtsempfinden des Volkes wur- de deshalb wieder eine „Dosie- rung" der Sanktionen nach der Schwere der Tat und der seeli- schen Beziehung des Täters zu ihr, also der Schuld, eingeführt. Im Jahr 1958 erfolgte dann in aller Form die Rehabilitation von Begriff und Idee der Strafe, und die vergelten- de und sühnende Qualität wurden ihr wieder zugesprochen. Während die UdSSR einen Rückgang der Kriminalität melden kann, rollt in den westlichen Demokratien die Verbrechenslawine, und die Ver- brecher werden immer dreister und brutaler. Zeichnet sich das Ende aller sozialtherapeutischen Ver- sprechungen bereits ab? Je stump- fer jedenfalls Sozialutopisten und Politiker das Schwert der Ge- rechtigkeit machen, desto schärfer werden die Messer der Verbrecher.

Anschrift des Verfassers:

Medizinaldirektor Dr. med. Günter Last Äußere Passauer Straße 90 8440 Straubing

Praxisorientierte Fortbildung mit Fallseminaren

Eine Konzeption der Akademie

für ärztliche Fortbildung Niedersachsen

Jürgen Dahmer

Die Akademie für ärztliche Fortbildung Niedersachsen hat ein Fortbil- dungskonzept erarbeitet, das auf örtlicher Ebene praxis- und patien- tenbezogen die niedergelassenen und die Krankenhausärzte zu ge- meinsamer Fortbildungsarbeit zusammenführt.

In einem Kurzreferat erhielten die Teilnehmer folgende Vorabinforma- tion:

• gemeinsame Erfahrungen von

Generelle Zielvorstellung niedergelassenen Ärzten und Kran-

kenhäusern unmittelbar für die Fort- In der praxisorientierten Fortbildung bildung zu nutzen und dabei die mit Fallseminaren soll der niederge- Kooperation zwischen einweisen- lassene Arzt in der Nähe seines Wir- den Ärzten und Krankenhäusern zu kungsortes Gelegenheit finden, sich

fördern, laufend in Zusammenarbeit mit den

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junge Kollegen, die zunächst in umliegenden Kliniken und Kollegen der Klinik tätig sind, frühzeitig in in Fragen aktiv selbst fortzubilden, Kontakt mit den Problemen der Pra- die aus seinem unmittelbaren Tätig- xis zu bringen, die in der Regel spä- keitsfeld stammen. Die Themen sind ter ihr Betätigungsfeld sein wird. so zu wählen, daß sie zur Lösung

1. Verfahren

zur Konzeptbildung

Der Vorsitzende der Akademie für ärztliche Fortbildung Niedersach- sen, Professor Stender, gab die An- regung, die ärztliche Fortbildung stärker auf die Erfordernisse der Praxis auszurichten und gleichzeitig die Kooperation zwischen Kranken- häusern und niedergelassenen Ärz- ten zu pflegen und zu systemati- sieren.

Die praxisorientierte Fortbildung mit Fallseminaren ist als Ergänzung, nicht als Ersatz bisheriger Fortbil- dungsbemühungen aufzufassen. Mit dieser Fortbildungsform wird ange- strebt,

• die niedergelassenen Ärzte durch die praxisbezogene Thematik zur Teilnahme zu motivieren,

• die einzelnen Teilnehmer selbst zu aktiven Beiträgen zu veranlassen,

In zwei Planungsseminaren der Aka- demie, die ihre Aufgabe in der Koor- dination von Meinungen zu dieser neuen Form ärztlicher Fortbildung sieht, entwickelten wir gemeinsam mit 53 Krankenhausärzten und nie- dergelassenen Ärzten ein Konzept für die praxisorientierte Fortbildung mit Fallseminaren. Dieses Konzept, das inzwischen noch ein schriftli- ches Revisionsverfahren durchlau- fen hat, liegt nun den Fortbildungs- beauftragten der Akademie und den niedergelassenen Ärzten der Ärzte- kammer Niedersachsen als Empfeh- lung zur praktischen Erprobung vor.

II. Gemeinsame Vorbereitung in den Planungsseminaren

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Spektrum der Woche

Aufsätze ·Notizen

Praxisorientierte Fortbildung

praktisch-ärztlicher Probleme bei- tragen und damit den Teilnehmern unmittelbar nützen.

Für die Durchführung der Fallvor- stellungen scheint die Seminarform in kleinen Gruppen angemessen, bei der alle in bewußter Abweichung von der bisherigen, mehr rezeptiven Informationsaufnahme aktiv an der

Aufstellung 1

Modell für die Rollenvertei- lung bei der praxisorientier- ten Fortbildung mit Fallsemi- naren

Über die Vorgeschichte ein- schließlich eventueller psy- chologischer und sozio-öko- nomischer Probleme, soweit sie in der Praxis Bedeutung gewinnen, bis zur Einweisung berichtet der Hausarzt;

den Befund von der Aufnahme bis zum jetzigen Zustand, Ziel der Behandlung und diagno- stische Maßnahmen schildert der Stationsarzt;

der Krankenhausarztmit spezi- ellen Erfahrungen erläutert zum Beispiel spezielle Ge- sichtspunkte der diagnosti- schen Abklärung und derdiffe- rential-diagnostischen Über- legungen;

der Abteilungsleiter oder lei- tende Arzt koordiniert Vorbe- reitung und Durchführung des Fallseminars und moderiert während des Seminars die ge- wonnenen Informationen. Er erarbeitet gemeinsam mit der Gruppe in Vorschlag, Diskus- sion und Gegenvorschlag die geeigneten therapeutischen Maßnahmen, die Patientenbe- ratung und Gesichtspunkte zur kritischen Beurteilung der Patientenbatrau ung.

Abschließend diskutiert die Gruppe die Betreuungskette bis zur Rehabilitation, gege- benenfalls unter Einbezie- hung medizinischer Hilfsbe- rufe.

Schilderung des Falles und der schrittweisen Lösung der ärztlichen Probleme in Form arbeitsteiliger Teamarbeit mitwirken.

Als Modell für die Rollenverteilung bei den geplanten Fallseminaren diente ein stationärer Patient mit da- kompensierter Herzinsuffizienz (Aufstellung 1 ). Fachspezifische Va- riationen bei der Rollenverteilung sollen damit nicht ausgeschlossen werden.

Die Teilnehmer an dem Planungsse- minar in kleinen Gruppen (4 bis 6 Personen) bearbeiteten folgende Themen, die durch eine Stichwort- sammlung zur Anregung der Diskus- sion ergänzt waren (siehe Aufstel- lung 2)

ln der anschließenden Plenarsitzung trugen die Gruppenleiter die Diskus- sionsergebnisse der einzelnen Gruppen vor, und das Plenum hatte Gelegenheit, die Gruppenmeinun- gen, die sich deutlich gebildet hat- ten, erneut zu diskutieren.

Der Auswertung lagen die schriftli- chen Notizen der einzelnen Teilneh- mer, die Gruppenprotokolle und die Plenardiskussion sowie die drei Mo- nate später erbetenen schriftlichen Revisionsvorschläge zugrunde.

II. Ergebnisse des Planungsse- minars der Akademie Hannover

1. Zur generellen Zielvorstellung für die praxisorientierte Fortbildung mit Fallseminaren

Aktive Beteiligung und praxisrelevante Fragestellungen

Fallseminare mit praxisorientierter Problematik sollen dazu dienen, das gelegentliche Vorstellen "klinischer Bonbons" zu überwinden. ln den Fallseminaren sollen die Teilnehmer routinemäßig die Alltagsproblematik niedergelassener Ärzte aus der Sicht der Praxis und der Klinik behandeln.

Im Gegensatz zu Ein-Mann-Patien- ten-Demonstrationen und zu klini-

1094 Heft 16 vom 21. April1977

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Aufstellung 2

Fragestellungen für die Pla- nungsgruppen

~ Welche Ziele sollen im Rahmen der praktischen ärzt- lichen Fortbildung mit Fallse- minaren erreicht werden?

~ Wer soll in den Fallsemina- ren welchen Stoff behandeln?

~ Welche Formen der Grup- penarbeit und welche Grup- pengröße sind für die prakti- schen Fallseminare ange- messen?

~ ln welchen Räumen und zu

welchen Zeiten sollten die Fallseminare durchgeführt werden?

~ Welche technischen Fort- bildungshilfen halten Sie für geeignet?

~ Welche Erfolgskontrollen sollen für die Fallseminare verwendet werden?

~ Wie können niedergelas-

sene Ärzte zu gemeinsamer praktischer Fortbildung mit Fallseminaren motiviert werden?

sehen Visiten sollen sich einweisen- de Ärzte an der Vorstellung selbst beteiligen, um zwanglos aus der Rolle passiver Informationsempfän- ger herauszukommen und eigene Beiträge zu dieser Fortbildung auf Gegenseitigkeit beizusteuern. Die Aktivierung aller Beteiligten soll zu einem gegenseitigen Voneinander- Lernen führen, wobei zunächst jeder den Anteil der Patientenvorstellung übernimmt, der ihm bei der Betreu- ung ohnehin obliegt.

Praxisrelevante Fälle werden ge- meinsam mit niedergelassenen Ärz- ten in der Klinik ausgewählt und auch in Zusammenarbeit mit dem einweisenden Arzt vorgestellt und diskutiert. Das Zusammenwirken der einweisenden und der behandeln- den Ärzte kann gegebenenfalls durch eingeladene Spezialisten er-

gänzt werden. C>

(3)

Thematik und Gruppenbildung kön- nen sich sowohl an allgemeinmedi- zinischen Fragen als auch an Pro- blemen beliebiger Fachrichtungen orientieren. Allerdings soll nicht eine wissenschaftliche Fachsyste- matik den Ablauf der Fallseminare bestimmen.

Die methodische Leitlinie bilden I> die Patientenuntersuchung und differentialdiagnostische Erwä- gungen,

I> die Planung und Durchführung diagnostischer Maßnahmen, I> die Therapie und der Ablauf der Gesamtbetreuung des Patienten so- wie der Erfolg der getroffenen Maß- nahmen.

Die angestrebte Vorstellung von All- tagspatienten soll sich an Fragestel- lungen der unmittelbar anwendba- ren praktischen Medizin orientieren.

Aufstellung 3

Themenbelspiele für die Ver- tiefung der Fallseminare

~ Notfallbehandlung durch jeden Arzt

~ ·Effektive Zusammenarbeit

bei süchtigen Patienten

~ Wirtschaftliche Diagnostik am Beispiel eines "Arztwechs- lers"

~ Ökonomische Maßstäbe für die Therapie

~ Die Bedeutung von Arzt- briefen für die Einweisung und die Fortsetzung der am- bulanten Behandlung

~ Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern bei größeren Verkehrsunfällen oder Epide- mien

~ Psychologische Führung von adipösen Patienten

~ Rauchende Patienten mit Lungenkrankheiten

~ Diätetische Beratung von Diabetikern

Damit würde die bisherige, überwie- gend fächerorientierte Fortbildung durch den Bereich erweitert, den der Arzt für seine tägliche Arbeit drin- gend braucht. Darüber hinaus kann die am realen Patienten angeschnit- tene Problematik auch in verallge- meinernder Form sowohl zur Repe- tition von Basiswissen als auch zur Vertiefung des Themas benutzt wer- den. Allerdings sollten Spezialisten, die im Rahmen der Fallseminare zu Wort kommen, den Sachverstand ei- ner fachlich gemischten Zuhörer- schaft berücksichtigen. Beispiele für Themen, die an Hand eines konkre- ten Patienten vertieft werden könn- ten, bietet Aufstellung 3.

ln den Fallseminaren soll bei der Vorstellung häufiger Erkrankungen auch der neuaste Stand diagnosti- scher Maßnahmen und therapeuti- scher Möglichkeiten erörtert wer- den, allerdings zugeschnitten auf die Brauchbarkeit für die Praxis und die Aufnahmekapazität der Teilneh- mer. Die Darstellung theoretisch- wissenschaftlicher Zusammenhän- ge sollte sich im Rahmen der Fallse- minare ebenfalls am Bedarf prakti- zierender Ärzte orientieren.

Die Diskussion über die Gesamtbe- treuung des Patienten wird mit der Darstellung der Möglichkeiten des einzelnen auch die Grenzen der be- teiligten Gruppen deutlich machen und Voraussetzungen für eine ver- trauensvolle Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe schaffen, bei der man sich ärztlich und menschlich näherkommt So sollen die Fallsemi- nare gezielt dazu benutzt werden, gemeinsam auch an "Problempa- tienten" zu lernen, Schwierigkeiten zur Diskussion zu stellen und damit alle Seminarteilnehmer zu gemein- samen Lösungen anzuregen.

Diese Form der Vorstellung böte eine Möglichkeit, unter Kollegen das eigene Tun kritisch zu überdenken, zum Beispiel Art und Dauer der Be- handlung, Zeitpunkt der Überwei- sung, Kontrolle des Behandlungser- folges usw. Das gemeinsame kriti- sche Aufarbeiten eines Falles sollte nicht "von oben nach unten", son- dern ausschließlich als Sachkritik durch alle und zum Nutzen aller er-

Praxisorientierte Fortbildung

folgen und bewußt jeden Akzent ver- meiden, der die Motivation des ein- zelnen stören könnte.

Durch die gemeinsame Sicht der Praxis und der Klinik für den Patien- ten soll der Fehler vermieden wer- den, bei der Vorstellung nur ein Pro- blem, wie zum Beispiel "den Unfall"

oder "den Diabetes" eines Patien- ten, zu diskutieren, sondern bewußt den Patienten in seiner Gesamtpro- blematik einschließlich der psycho- logischen und sozio-ökonomischen Aspekte aufzuarbeiten. Das ist ein realisierbarer Ansatz zu der lange angestrebten, aber selten erreichten Ganzheitsmedizin, in der auch psy- chosomatische Aspekte, Fragen der Vorsorge, der Früherkennung und der Nachsorge zur Geltung kom- men. Diese weiterführende und doch unmittelbar auf die Praxis be- zogene Fortbildungsthematik soll auch weniger fortbildungsfreudige Kollegen ansprechen und zur Teil- nahme motivieren.

2. Rollenverteilung in den Fallseminaren

ln der Regel sollte der Patient in den Fallseminaren während der Schilde- rung von Anamnese und Befund an- wesend sein. Nach vorliegenden Er- fahrungen stellen die Kollegen gern weitere Fragen zur Anamnese und zu den Befunden und untersuchen auch gerne nach. Fächer wie die Gy- näkologie müßten dabei gesondert gehandhabt werden.

Der niedergelassene Arzt soll hier Gelegenheit haben, über die sonst übliche Form der Anamnese hinaus die Gesamtproblematik des Patien- ten vorzustellen. Das gibt ihm die Möglichkeit, sein oft über Jahre zu- rückreichendes Wissen über den Gesundheitszustand und die allge- meinen Lebensbedingungen in die Gesamtbeurteilung des Patienten einfließen zu lassen. Hier findet der einweisende Arzt auch Gelegenheit, seine Probleme bei der vorstationä- ren Diagnostik zu schildern und ge- gebenenfalls die Einweisungsindi- kation zu diskutieren.

Mit Hilfe der niedergelassenen Ärzte könnte zum Beispiel auch retro-

(4)

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Praxisorientierte Fortbildung

spektiv an bestimmten Patienten aufgezeigt werden, welche Frühver- änderungen diagnostisch als Leit- symptome auftreten, und die The- menkreise "Früherkennung" und

"Vorsorgeuntersuchungen" kämen

im Rahmen der Fallseminare zur Geltung. Darüber hinaus kann der niedergelassene Arzt zu der Rehabi- litation des Patienten und der nach der Entlassung vorgesehenen oder schon durchgeführten ambulan- ten Langzeitbehandlung Stellung nehmen.

Stationsärzte berichten beispiels- weise über den derzeitigen Befund einschließlich der technisch-dia- gnostischen Werte. Damit bieten ih- nen die Fallseminare neben den Kontakten mit der Praxis, die meist ihr Berufsfeld werden wird, auch in- haltliche Weiterbildung und eine di- daktische Schulung. Sie sollen ge- meinsam mit niedergelassenen Kol- legen Patientenprobleme lösen und sich mit ihrem Beitrag an diesen Fortbildungsveranstaltungen betei- ligen.

Krankenhausärzte mit speziellen Er- fahrungen schildern zum Beispiel spezielle klinische Verfahren für die diagnostische Abklärung. Dabei sollte der Aspekt des apparativen Aufwandes bzw. der Eignung klini- scher Verfahren auch für die Praxis berücksichtigt werden. Ein dankba- res Feld für diese Ärzte bei der Pa- tientenvorstellung wäre die ab- schließende Verallgemeinerung des Falles in einem Kurzreferat, auch an Hand aktueller Zeitschritten Iiteratur.

Maßstab für derartige Beiträge sollte die Verständlichkeit der Darstellung und die praktische Brauchbarkeit für die Teilnehmer an den Fallsemi- naren sein.

Der leitende Arzt oder der Moderator erläutert bzw. koordiniert die Mei- nung zu diagnostischen Schlußfol- gerungen und laufenden oder vor- gesehenen therapeutischen Maß- nahmen. Er ergänzt und faßt die vor- liegenden Untersuchungsergebnis- se in einer "klinischen Synopsis"

zusammen und trägt aus seinem Er- fahrungsschatz zum vorgestellten Fall bei.

Die Gruppe diskutiert dann Ablauf und Ergebnisse der Betreuungsket- te durch die beteiligten Ärzte und medizinischen Hilfsberufe, soweit diese bei der Patientenbetreuung mitgewirkt haben. Sie sollten bei den Fallseminaren anwesend sein, in Kurzreferaten Stellung nehmen und befragt werden können.

Die gemeinsame Darstellung des Falles und das gemeinsame Erarbei- ten von Behandlungsplänen durch Kliniker und Praktiker wird

~ dem Erfahrungsaustausch im Sinne einer Fortbildung auf Gegen- seitigkeit dienen,

~ zum besseren gegenseitigen Verständnis von Klinik und Praxis und

~ zur Verbesserung der Patienten- betreuung beitragen.

3. Formen der Gruppenarbeit und Gruppengröße

Drei Grundformen der Gruppenar- beit müssen für die Fallseminare un- terschieden werden, weil sie unter- schiedliche Techniken der Gruppen- arbeit erforderlich machen:

Das Fallseminar verläuft im Sinne einer lnformationsgruppe, wenn die Teilnehmer ihren Anteil an der Ge- samtbetreuung des Patienten vor- stellen sich damit gegenseitig infor- mieren.

Problemlösungsgruppen beschäfti- . gen sich zum Beispiel mit ungeklär- ten diagnostischen oder therapeuti- schen Fragen. Sie setzen die voran- gegangene Information der Grup- penmitglieder voraus. Als Arbeits- beispiel für eine Problemlösungs- gruppe gilt die exemplarische Erar- beitung eines Falles in Form der problemorientierten Patientenbe- treuung und Dokumentation nach Weed*).

Entscheidungsgruppen stimmen ihre Entscheidungen nach erhalte- ner Information und Lösung der diagnostischen bzw. therapeuti- schen Probleme ab bzw. unterstüt- zen die einzelnen Mitglieder bei ih- ren Entscheidungen, ohne sie dabei einzuengen.

Zur Bildung der Gruppen und zur Sicherung der Kontinuität der prak-

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

tischen Fallseminare soll die Gleich- berechtigung aller Mitglieder der Gruppe, die mit wechselndem Vor- sitz arbeitet, beitragen. Ein Fortbil- dungsbeauftragter oder ein leiten- der Krankenhausarzt könnte die or- ganisatorischen Vorbereitungen für das Zusammenfinden der Gruppen übernehmen und mindestens bis zur Konsolidierung die Rolle des Dis- kussionsleiters oder Moderators übernehmen.

Wegen der angestrebten aktiven Rolle, die jedes Gruppenmitglied bei den Fallseminaren spielen soll, muß die Gruppe zunächst auf "Familien- größe" (5 bis 10 Kollegen) be- schränkt bleiben, so daß man sich gegenseitig kennen- und vertrauen lernt. Erst wenn diese "Kernmann- schaft'' eingespielt ist, kann bei Be- darf und mit Zustimmung aller Grup- penmitglieder die Gruppe vergrößert werden. Die Aufteilung größerer Gruppen in einen Rundtisch-Kreis weniger Berichterstatter, die von Sitzung zu Sitzung wechseln, und ein Plenum von Zuhörern, die in die Diskussion der Teilthemen einbezo- gen werden, kann dazu beitragen, auch bei Großgruppen die Idee der aktiven Teilnahme zu verwirklichen.

Eine andere Möglichkeit, bei der praxisorientierten Fortbildung mit größeren Teilnehmerzahlen zu erar- beiten, ist die wechselnde Zuord- nung von Gruppen niedergelassener Ärzte zu den verschiedene!) Abtei- lungen eines Krankenhauses.

Zu den Gruppensitzungen sollten nach Bedarf und Beteiligung an der Patientenbetreuung medizinische Hilfsberufe, Krankengymnasten, Be- schäftigungstheraReuten, Sozialar- beiter, Stationsschwestern usw. ein- geladen werden. Zu bestimmten Themen könnten auch Vertreter von Behörden und Versicherungen, Mit- arbeiter aus der Erziehungsbera- tung, der Psychotherapie, dem Ar- beitsamt oder Apotheker Beiträge leisten, die unmittelbaren Bezug zum vorgestellten Fall haben. (>

') Weed, L.: Medical Records, Medical Educa- tion, and Patient Gare. Gleveland, The Press of Gase Western Reserve University, 1969.

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4. Ort und Zelt für die Fallseminare Die praktischen Fallseminare kön- nen im 4- bis 6-Wochen-Turnus stattfinden. Für Krankenhausärzte und niedergelassenen Ärzte der Um- gebung bietet sich ein Raum im Krankenhaus für die Durchführung an. Bei niedergelassenen Ärzten sollten Fallseminare aus Gründen der Belastung nur ausnahmsweise stattfinden, wenn sich das Thema zum Beispiel auf Patienten in der ambulanten Betreuung bzw. in der Rehabilitationsphase beschränkt.

ln jedem Fall muß neben der Er- reichbarkeit im Notfall und der Nähe zum Wirkungsort der Gewöhnungs- taktor berücksichtigt werden, der bei gleichbleibenden Seminarzeiten, zum Beispiel jeder erste Mittwoch im Monat, eine Rolle spielt. Für eine strikte zeitliche Begrenzung der Se- minardauer auf zwei Stunden sowie das Einhalten festgelegter Redezei- ten sollte sich jeder Teilnehmer mit- verantwortlich fühlen.

5. Empfehlung technischer Fortbildungshilfen

Der Schwerpunkt der Fortbildung in Fallseminaren liegt bei der gemein- samen Vorstellung mit verteilten Rollen und der Diskussion. Einfa- ches schriftliches Material kann diese Arbeit unterstützen.

ln jedem Fall sollen Probleme, die im Fallseminar gemeinsam besprochen werden, mit der Einladung genannt werden, damit sich die Teilnehmer auf die Themen einstellen können.

Eine schriftliche Zusammenfassung, etwa in Form eines ausführlichen Arztbriefes, der allen Gruppenmit- gliedern vom jeweiligen Moderator möglichst unmittelbar nach der Sit- zung zugesandt wird, dient der Wie- derholung und Festigung des Be- sprochenen.

Anregen kann die Demonstration von Instrumenten oder Apparaten, soweit sie unmittelbar zum Thema gehören (zum Beispiel Hüftgelenk- prothesen, Rektoskope usw.).

Für besondere Fälle im Rahmen der

"allgemeinen Fortbildung für jeden Arzt" kann die Akademie Filmvor-

führgeräte, Diaprojektoren usw., ge- gebenenfalls auch Mediensammlun- gen zu Fragen der Unfallversorgung, der Notfallmedizin, die Erstbehand- lung des Herzinfarktes oder massi- ver Blutungen erarbeiten und zur Verfügung stellen.

6. Erfolgskontrollen für die prakti- schen Fallseminare

Die Grundidee der Fallseminare, die kollegiale gegenseitige Fortbildung anhand praktischer Fälle, schließt eine Öffentlichkeit oder gar Fremd- kontrollen aus. Fragenkataloge zum vorgetragenen Stoff, die während oder am Schluß der Seminare von den Teilnehmern gemeinsam ent- wickelt und beantwortet werden, dienen der Zusammenfassung und Wiederholung und steigern die Lernwirksamkeit der Seminare. Mit derartigen Erfolgskontrollen wird ein didaktisches Ziel verfolgt:

~ die Teilnehmer sollen ihren Lernerfolg erleben und sich damit selbst motivieren.

~ Erfolgskontrollen sollen aber auch allen Beteiligten Rückmeldung über das Gelingen der praktischen Fallseminare geben und damit un- mittelbar zur Optimierung der eige- nen Arbeit beitragen.

111. Aufgaben der Akademie bei der praxisorientierten Fortbil- dung mit Fallseminaren

Für die Akademie ergibt sich aus diesem Konzept die Aufgabe, die neue Fortbildungsform durch orga- nisatorische Hilfen zu unterstützen.

Im Rahmen der didaktischen Be- treuung der Seminare beteiligt sich die Akademie nach Bedarf

~ an der Ableitung detaillierter Lernziele aus der generellen Zielvor- stellung,

~ an der Auswahl der Themen für die Fallseminare durch Vorschläge, die den niedergelassenen Ärzten den Zugang erleichtern,

~ an der Entwicklung praktisch- methodischer Modelle für die Anlei- tung der Teilnehmer, zum Beispiel durch schriftliches Material für die

Praxisorientierte Fortbildung

Vorbereitung der Patientenvorstel-·

lung, durch Muster für die Protokoll- führung, für zusammenfassende Arztbriefe usw.,

~ an der Literaturbeschaffung für eventuelle aktuelle Kurzreferate und methodische Hilfen für die Vortra- genden,

~ an der Vermittlung von geeigne- ten Methoden zur Gruppenarbeit mit dem Ziel, den Seminarteilnehmern die Zusammenarbeit zu erleichtern und etwaige Zurückhaltungen ge- genüber einer Fortbildung auf Ge- genseitigkeit zu überwinden,

~ an der Entwicklung und Samm- lung von Erfolgskontrollen,

~ an der Einladung von Speziali- sten zu bestimmten Teilthemen usw.,

~ durch Zurverfügungstellen von Vorführgeräten (Hardware), gege- benenfalls auch durch Medien- sammlung (Software) zu Themen der "allgemeinen Fortbildung für je- den Arzt", soweit sie in den Fallse- minaren behandelt werden,

~ durch die Veranstaltung von Koordinationsseminaren zum Erfah- rungsaustausch der Fortbildungs- beauftragten und der einzelnen Gruppen über die Durchführung der praktischen Fortbildung mit Fallse- minaren.

Wir danken allen Teilnehmern an dem Planungsseminar für ihre auf- geschlossene und produktive Be- reitschaft, an der Entwicklung dieser Konzeption für die praxisorientierte Fortbildung mit Fallseminaren mit- zuarbeiten. ln gemeinsamer An- strengung wurden neue Wege ge- sucht und gefunden, um tradierte Formen wissenschaftlicher ärztli- cher Fortbildung mit unmittelbar praxisbezogenen Fragestellungen zu bereichern und unter dem Schlagwort "Aktive Fortbildung auf Gegenseitigkeit" die vertrauensvolle Kooperation zwischen Krankenhäu- sern und niedergelassenen Ärzten zu fördern.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Dr. Jürgen Dahmer Arbeitsgruppe Didaktik der Medizin Medizinische Hochschule Hannover Postfach 610 180, 3000 Hannover 61

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