• Keine Ergebnisse gefunden

Aus den Interviews geht deutlich hervor, dass die Artist*innen das Ausüben der Zirkusakrobatik als eine persönliche Bereicherung in ihren Leben ansehen und sich diese nach der subjektiven Wahrnehmung positiv auf das körperliche, individuelle und soziale Wohlbefinden ausgewirkt hat, wodurch die Gesundheit positiv beeinflusst wird. Da es sich um

82 eine qualitative Forschung handelte, stehen diese nicht repräsentativ für andere Projekte.

Dennoch lassen sich zwischen den erforschten Zirkusprojekten gewisse Parallelen bezüglich der positiven Effekte ziehen, die im folgenden Teil genauer dargestellt werden sollen.

Die positiven Effekte auf das körperliche Wohlbefinden beziehen sich nach den Angaben der Artist*innen hauptsächlich auf den Kraftaufbau und die Verbesserung der körperlichen Qualitäten. So spielt für einige das ausgeprägte Körpergefühl, für andere die angeeignete Eleganz und wieder für andere die Tiefensensibilität eine wichtige Rolle. Besonders auffallende Verbesserungen auf der körperlichen Ebene sind bei einigen Artist*innen zu vermerken, die enorme Fortschritte bezüglich ihrer Gesundheit durch die Zirkusakrobatik gemacht haben. Diese äußern sich bei einer Artistin in der Dekompression ihrer Wirbelsäule, wodurch sich die körperlichen Schmerzen reduzierten und sie Schmerzmittel absetzen konnte.

Eine andere Artistin gibt an, dass ihr Körper seit der Akrobatik robuster geworden sei und sie mehr unternehmen könne. Des Weiteren beschreibt ein Artist, dass er durch die Zirkusakrobatik seinen Körper besser wahrnehmen könne. Dementsprechend zeigen sich den Meinungen der Teilnehmer*innen zufolge ganz deutliche Verbesserungen der körperlichen Qualitäten, was sich wiederum positiv auf die Gesundheit auswirkt.

Auf der persönlichen Ebene sind die Faktoren Emotionen, Identität, persönliche Fähigkeiten und das Selbstwertgefühl bei den Befragten von Bedeutung. Beim Umgang mit den eigenen Gefühlen stellt der Zirkus für viele eine Möglichkeit dar, Mut aufzubauen und die persönlichen Grenzen zu erweitern. Es zeigt sich die Tendenz, dass der Zirkus als Ventil für negative Emotionen wahrgenommen wird und er somit positiv auf die emotionale Ausgeglichenheit der Artist*innen einwirkt. Ebenso half die Zirkusakrobatik einer Artistin bei der Überwindung einer emotionalen Verstimmung, unter der sie aufgrund ihrer Lebenssituation ohne erfüllender Tätigkeit litt. Auffallend ist, dass für viele Artist*innen der Zirkus zu einem Teil ihrer Identität wurde, da die Identifizierung mit dem Begriff Profi für viele Befragte von Relevanz ist.

Gleichzeitig stellt der Zirkus einen wichtigen Bestandteil im Erwachsenwerden dar, was einem Artisten verhalf einen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Diese Gesichtspunkte zeigen, dass die Befragten der Ansicht sind, dass sich das psychische Wohlbefinden durch den Zirkus gesteigert hat, was ebenfalls von einer Schulleitung bestätig wurde.

Alle Befragten wurden sich durch die Tätigkeit im Zirkus ihrer Fähigkeiten bewusst und sahen in diesen einen Nutzen für sich auf persönlicher Ebene. Demnach stellen die Fähigkeiten Ressourcen für die betroffenen Personen dar, die sie in ihrer Lebensgestaltung nutzen können. Dazu zählen die zirzensischen und die pädagogische Fähigkeiten, um andere Menschen zu unterrichten. Bei einer Befragten verbesserte sich das körperliche Wohlbefinden in solch einem Ausmaß, dass sie verlorene Fähigkeiten wieder erlangte, die sie zuvor wegen ihrer durch einen Unfall verursachten Behinderung verloren hatte. Solche Fähigkeiten können die Betroffenen als Ressource benutzen, um eine Tätigkeit auszuüben, mit Menschen in

83 Kontakt zu treten oder gewisse Dinge selbstständig zu erledigen, was laut WHO ebenfalls ein wichtiger Bestandteil des psychischen Wohlbefindens ausmacht.

Eng mit den Fähigkeiten verknüpft ist die Steigerung des Selbstwertgefühls der Artist*innen, was sich unter anderem in Form von Stolz äußert und durch die positive Publikumsreaktion weiter gestärkt wird. Wichtig ist, dass sich einige Befragte wieder als handelndes Subjekt wahrnehmen. An diesen Punkten wird deutlich, wie sich die Zirkusakrobatik positiv auf die psychische Ebene auswirkt, als Ventil für negative Emotionen dient und ein positives Weltbild bei den Artist*innen schafft.

Auf das soziale Wohlbefinden wirkt sich die Zirkusakrobatik ebenso positiv aus wie auf das körperliche oder psychische, was sich in einer beruflichen Perspektive, einem besseren Zugang, einer Steigerung der sozialen Interaktion und dem damit verbundenen Ausbau des Netzwerkes äußert. Da der Ausbau des Netzwerkes auch mit einer Zunahme der Immunität korreliert, lässt dies den Schluss zu, dass sich der Zirkus positiv auf die Gesundheit auswirkt.

Der Zirkus stellt für einige den Hauptberuf, für andere den Nebenberuf und wieder für andere ein Hobby dar. Besonders für Menschen mit Behinderungen, die von einer Segregation innerhalb des Arbeitsmarktes betroffen sind, kann der Zirkus eine Alternative zum Arbeitsmarkt bieten. Dabei geht es einerseits um eine sinnstiftende Tätigkeit, für die die Befragten Bestätigung und Anerkennung erfahren. Andererseits ist der finanzielle Aspekt von Bedeutung, der jedoch eher von den Leitungen aufgegriffen wurde als von den Befragten selbst. Allerdings ist dieser besonders für Menschen mit Beeinträchtigungen relevant, da sie stärker von Armut betroffen sind. Für einige Befragten war vor allem die soziale Verantwortung wichtig, die sie mit ihrer Trainertätigkeit gegenüber der Gesellschaft übernahmen.

Berufliche Tätigkeiten wirken sich in den meisten Fällen positiv auf die Größe des Netzwerkes aus. Ebenso stellt der Zirkus einen Schnittpunkt sozialer Interaktionen dar. Dazu zählt die Teamarbeit als bereichernde Erfahrung, wodurch soziale Kompetenzen gestärkt werden. Viele der Befragten sehen im Zirkus und den Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen eine emotionale Stütze, die sie in schwierigen Situationen mental aufbauen. Während einige beschreiben, dass sie viele Freunde durch den Zirkus gewonnen haben, betrachten andere den Zirkus als eine Art zweite Familie. Viele äußern, dass sie mit den Bekanntschaften vom Zirkus ihre Freizeit verbringen und gemeinsame Unternehmungen tätigen. Eine Artistin verreist regelmäßig mit den Zirkusbekanntschaften.

In den Interviews kristallisiert sich der Aspekt heraus, dass für einige Artist*innen der Zirkus als Sprachrohr dient, um mit der Gesellschaft in Kontakt bzw. in einen Dialog zu treten.

Dadurch haben die Artist*innen die Möglichkeit sich mitzuteilen. Einige nutzen diese Chance, um gegen Stigmatisierungen vorzugehen. Ihr Ziel ist es, Behinderung nicht in einem Defizitkontext darzustellen, sondern die Fähigkeiten und Möglichkeiten der betroffenen

84 Personen hervorzuheben, um somit das gesellschaftliche Bild von Behinderung zu beeinflussen. Der Aspekt des Zugangs und der Barrierefreiheit wird nur von einer Artistin aufgegriffen und kritisch hinterfragt. Diese Gesichtspunkte zeigen deutlich, dass sich der Zirkus nach Ansicht der Artist*innen positiv auf das soziale Wohlbefinden der Personen auswirkt. Wichtige Punkte, die einen starken Einfluss auf die Gesundheit und das persönliche Wohlbefinden haben wie eine berufliche Tätigkeit oder soziale Kontakte, können durch den Zirkus gestärkt werden. Somit lässt sich bestätigen, dass die Artist*innen eine positive Auswirkung von Zirkusakrobatik auf ihre Gesundheit nach einem biopsychosozialen Verständnis wahrnehmen.

Die Leitungen der Zirkusschulen sehen ähnliche Aspekte als relevant an, betrachten diese jedoch eher aus einer gesamtgesellschaftlichen als einer individuellen Perspektive. Die Gesichtspunkte, die für die Leitungen einen hohen Stellenwert haben, sind der Umgang mit Emotionen, das Stärken des Selbstbewusstseins, berufliche Perspektiven, der Umgang mit Stigmatisierungen und der Zugang zu den Zirkusprojekten.

Auch die Leitungen teilen die Meinung, dass sich bei vielen Teilnehmer*innen eine emotionale Ausgeglichenheit bemerkbar macht. Dabei legen sie im Vergleich zu den Artist*innen mehr Wert auf die Bewältigung von Ängsten und dem Gewährleisten eines sicheren Trainingsrahmens, was auf die Verantwortung und Haftbarkeit der Schulen zurückgeführt werden kann. Eine Leitung bemerkt ebenfalls am Beispiel einer Schülerin, wie sich das Auftreten positiv auf das Selbstwertgefühl auswirkt. Für die Schulen sind die erworbenen Fähigkeiten der Teilnehmer*innen von besonderer Bedeutung, weil sie bis zu einem gewissen Grad die Früchte ihrer Arbeit darstellen. Zu dem liegt der Fokus darauf, dass diese Fähigkeiten den Teilnehmer*innen dabei behilflich sein können, ihre beruflichen Fähigkeiten auszubauen.

Die Leitungen verorten diesen Aspekt eher in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext, wobei der Fokus auf der Schaffung weiterer Arbeitsplätze liegt. Dabei rückt eine Leitung den finanziellen Aspekt in den Fokus, der von den befragten Artist*innen eher vernachlässigt wurde. Während sich von den Befragten nur einige zum Umgang mit Stigmatisierungen äußern, stellt dieses Thema einen wichtigen Gesichtspunkt für die Leitungen dar. Dabei geht es vor allem darum die binäre Sichtweise auf Behinderungen aufzubrechen. Hinsichtlich des Zugangs lässt sich bei den Schulen eine kritischere Tendenz verzeichnen als bei den befragten Personen, was mit großer Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen ist, dass bei den Befragten der Zugang bereits geglückt ist. Diese Problematik findet bei den Leitungen jedoch viel mehr Berücksichtigung, da sie in ihrer Ansichtsweise stärker die gesamtgesellschaftliche Situation berücksichtigen. Eine Leitung verweist auf die Problematik, dass die Teilnehmer*innen dieser Projekte über einen gewissen Ressourcenpool verfügen müssen, damit sie das Programm überhaupt wahrnehmen können. Die Personen, die viel

85 stärker von gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind, verfügen oft nicht über die Möglichkeiten, an solchen Programmen teilzunehmen.

Die Erhebung hat weiter gezeigt, dass die Zirkuspädagogik gegen Benachteiligung aufgrund der Lebenslage von Menschen mit Behinderungen nach dem subjektiven Empfinden der betroffenen Personen entgegenwirken kann. So lässt sich aufgrund der Aussagen annehmen, dass sich die Netzwerke der betroffenen Personen vergrößert haben. Ebenfalls beschrieben die Befragten, dass sie sich neue Fähigkeiten aneignen konnten, die ihnen neue berufliche Perspektiven eröffnen. Die Beispiele zeugen davon, wie der Zirkus als eine Art Ausbildung und Beschäftigung für die Personen dienen kann. Des Weiteren erlebten einige der Befragten den Zirkus als Möglichkeiten gegen Stigmatisierungen vorzugehen. Der finanzielle Aspekt wurde eher außer Acht gelassen, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass eher besser situierte Personen die Möglichkeit haben, an Zirkusprojekten teilzunehmen. Durch das Engagement einzelner Individuen konnte sich der Zugang zu den Zirkusprojekten verbessern, allerdings könnten durch Initiativen und Veränderungen auf der Meso- und Makroebene weitreichende Verbesserungen der Situation geschaffen werden.