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3. Zirkus und Zirkuspädagogik

3.3. Positive Auswirkungen

3.3.4. Therapeutische Wirkung

Wie bereits erwähnt, kann der Zirkus einen erheblichen Beitrag zur Integration von Randgruppen beitragen und bei Kindern und Jugendlichen der Orientierungslosigkeit entgegenwirken. Die unterschiedlichen Disziplinen wiesen bei Kindern und Jugendlichen verschiedene therapeutische Effekte auf. Während die Akrobatik zur psychischen Stabilisierung und Verbesserung der Wahrnehmung beitrug, lassen sich durch die Clownerie psychische Blockaden und Ängste abbauen. Besonders bei geistig behinderten Jugendlichen und Erwachsenen stiegen das Selbstbewusstsein und die Freude am sozialen Lernen beachtlich durch die Darstellung in der Clownerie. Die Jonglage hilft bei Selbstwertproblemen, Ängstlichkeit und steigert die Konzentrationsfähigkeit. Ebenso ließen sich Verbesserungen bezüglich körperlicher Handicaps nachweisen. (vgl. Kiphard 1997: 17)

Wie bereits in dem Kapitel 2.5. dargelegt, hat die Lebenslage erheblichen Einfluss sowohl auf die soziale als auch die gesundheitliche Verfassung und ist somit bei der Krankheitsgenesung zu berücksichtigen. Dementsprechend befasst sich die Klinische Sozialarbeit mit der Aufgabe

„ein kooperationsfähiges Konzept sozialer Mitbehandlung und entsprechender Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepte zu entwickeln“ (Pauls, Lammel 2017: 7), woraus sich unter anderem

39 die Sozialtherapie entwickelt hat. Diese hat es sich um Ziel gemacht mit psychosozialen Interventionen gegen gesundheitliche Belastungen, die aufgrund von sozialer Benachteiligung oder der Lebenslage ausgelöst wurde, anzugehen. Dabei wird am sozialen Umfeld angesetzt und versucht die Soziale Unterstützung zu stärken, was sich wiederum auf die körperliche und psychische Verfassung auswirkt. Besonders durch den Perspektivenumschwung von Integration zu Inklusion, wodurch von einem defizitären Blickwinkel Abstand genommen wurde und die Partizipation von Menschen mit Behinderung in den Vordergrund rückte, entstanden neue Perspektiven aber auch Anforderungen für die sozialen Professionen. Nach diesem Ansatz sollen die Autonomie und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen gestärkt und am sozialen Umfeld angesetzt werden. (vgl. Pauls, Lammel 2017: 7f) Folglich decken sich die Ziele, die die Sozialtherapie verfolgt, mit den positiven Auswirkungen, die durch die Zirkusakrobatik auf körperlicher, psychischer, sozialer und therapeutischer Ebene erzeugt werden. Aufgrund dieser Ergebnisse zeigt es sich als sinnvoll, das Potential des Zirkus auch bei andern Formen der Beeinträchtigungen auszuloten.

3.3.5. Zusammenfassung

Mit den positiven Auswirkungen des Zirkus auf das Wohlbefinden hat man sich bereits auf internationaler Ebene beschäftigt. Beim Messen des Wohlbefindens schenkte die Forschung der körperlichen, psychologischen und sozialen Ebene Beachtung. Dabei eignet sich die Zirkusakrobatik für die verschiedensten Zielgruppen, die sich über alle Altersgruppen und unterschiedlichste Grundverfassungen erstrecken. Demnach konnte gezeigt werden, dass die Zirkuspädagogik bei sozialen Missständen erfolgreich ansetzen kann. Durch den Zirkus werden soziale Netzwerke ausgebaut und den negativen Auswirkungen sozialer Benachteiligung kann entgegengewirkt werden. (vgl. Lidman, Kinnunen 2013: 50) Allerdings zeigt die deutschsprachige Forschung noch Lücken hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung der Teilnehmer*innen auf, weswegen diese Arbeit an ebendiesem Punkt ansetzt.

II Empirischer Teil

Der empirische Teil setzt sich aus dem Forschungsdesign und der Darstellung der Ergebnisse zusammen. Das Kapitel Forschungsdesign besteht aus den Unterkapiteln Datenerhebung und Datenauswertung. Die Darstellung der Ergebnisse gliedert sich in drei Blöcke. Der erste Block gibt die subjektive Wahrnehmung der befragten Artist*innen wieder, während der 2. Block die Sichtweise der pädagogischen Leitungen veranschaulicht und der 3. Block Ergänzungen durch die teilnehmende Beobachtung behandelt. In der Zusammenfassung im Schluss werden die Ergebnisse bei der Beantwortung der Forschungsfragen zusammengeführt.

40 1. Forschungsdesign und Forschungsfragen

Aufgrund der von dem Soziologen Peter Atteslander betonten Notwendigkeit, den Forschungsgegenstand während des Explorierens des Feldes einzugrenzen, rückte die subjektive Wahrnehmung der Zirkusartist*innen und Trainer*innen mit Beeinträchtigungen in den Forschungsmittelpunkt dieser Arbeit (vgl. Atteslander 2008: 1ff). Somit wurde die Zielgruppe festgelegt. Weitere Eingrenzungskriterien im Hinblick auf die befragten Personen, die ausgewählten Zirkusschulen oder Performance-Gruppen wurden nicht definiert. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Partizipationsbereitschaft eher mäßig ausfiel bzw. das Aufbauen einer tiefen Vertrauensbasis, um die Rücklaufrate zu erhöhen, den Rahmen der Masterarbeit sprengen würde. Erschwerend kommt hinzu, dass der Thematik auf wissenschaftlicher Ebene bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, sodass sich noch kein Forschungsdesign etablieren konnte und einige Schulen skeptisch auf das Unterfangen reagierten. Um dennoch ausreichend Datenmaterial, das von einem gewissen Facettenreichtum zeugt, zu generieren, wurde der Fokus weder auf eine bestimmte Behinderung gerichtet, noch zwischen geistiger und körperlicher Behinderung unterschieden.

Folglich setzte sich die Gruppe der Befragten nach ihrer Teilnahmebereitschaft bzw. jener der pädagogischen Leitungen zusammen, worauf später noch genauer eingegangen wird.

Im Laufe des Forschungsprozesses entwickelten sich folgende Forschungsfragen. Ziel der Arbeit ist es, die positiven Auswirkungen von Zirkus- und Luftakrobatik für Trainer*innen, Teilnehmer*innen und Artist*innen mit einer Beeinträchtigung zu erheben. Dabei liegt der Fokus auf der subjektiven Wahrnehmung der betroffenen Personen, sodass untersucht wird, inwieweit sich der Zirkus nach der subjektiven Wahrnehmung von Artist*innen mit Beeinträchtigungen auf ihre Gesundheit nach einem biopsychosozialen Verständnis auswirkt.

Im Rahmen dieser Masterarbeit wird das biopsychosoziale Modell aufgebrochen und die Ebenen des biopsychosozialen Modells getrennt untersucht. Da sich laut WHO Gesundheit sowohl aus dem physischen als auch dem geistigen und sozialen Wohlbefinden konstatiert, kristallisierten sich folgende Unterfragen heraus, um die Forschungsfrage zu beantworten (vgl.

WHO 2014: 1). Um die körperlichen Verbesserungen zu erheben, wurde erforscht, welche Auswirkungen die Artist*innen auf das körperliche Wohlbefinden wahrnehmen. Auf der psychischen Ebene wurde untersucht, in welchen Hinsichten sich das individuelle Wohlbefinden durch den Zirkus steigern konnte. Die sozialen Faktoren standen im Mittelpunkt der Unterfrage, inwieweit sich das soziale Wohlbefinden durch die zirzensischen Tätigkeiten verbessert. Da Gesundheit nach einem biopsychosozialen Ansatz in einer engen Wechselbeziehung zur Lebenslage steht, wird in einem weiteren Schritt untersucht, bei welchen Aspekten der Lebenslage, die bei Menschen mit Behinderungen relevante Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft aufweisen, es der Zirkus- und Luftakrobatik nach subjektiver Wahrnehmung der betroffenen Personen gelingt, zu Verbesserungen beizutragen.

41 In dem darauffolgenden Block soll die subjektive Sicht mit der Wahrnehmung der pädagogischen Leitungen der betroffenen Schulen verglichen werden, um genauer zu untersuchen, inwieweit sich diese Sichtweisen decken, ergänzen oder unterscheiden.

Anschließend werden diese Ansichten durch die Daten ergänzt, die bei der teilnehmenden Beobachtung generiert wurden. Dadurch soll die Frage beantwortet werden, inwieweit sich diese persönlichen Ansichten durch die teilnehmende Beobachtung bestätigen bzw. ergänzen lassen. Die vorliegende Masterarbeit verfolgt folgende Intention. Durch das Darlegen positiver Auswirkungen des Zirkus auf körperlicher, individueller und sozialer Ebene ließe sich die Relevanz zirkuspädagogischer Projekte nachweisen und würde somit neue Aspekte in den wissenschaftlichen Diskurs über die Zirkusakrobatik in Verknüpfung mit theoretischen Ansätzen der Sozialen Arbeit einbringen sowie einen neuen Raum für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Inklusion und Methoden in der Klinischen Sozialarbeit schaffen.

Wie bereits unter Kapitel 3.3. ausgeführt wurde, kam es in den letzten 20 Jahren vermehrt zu einer Beschäftigung mit der Zirkusakrobatik auf wissenschaftlicher Ebene, sodass erste positive Auswirkungen auf körperlicher, persönlicher und sozialer Ebene bei Kindern und Jugendlichen nachgewiesen werden konnten. Erwachsene oder Menschen mit Behinderungen finden hingegen nur wenig Berücksichtigung. (vgl. Kiphard 1997: 17; Ballreich, Grabowiecki 1997: 27ff) Dementsprechend eignet sich ein explorativer Vorgang, um sich dem Feld und der Forschungsfrage zu nähern. Da der Zugang zum Feld mit der Bereitschaft der pädagogischen Leitungen steht und fällt, lässt sich vorab nur schwer ein Bild der Zusammensetzung der Gruppe der jeweiligen Vereine skizzieren, um dementsprechend das Forschungsdesign an diese anzupassen. Folglich benötigt es die Unterstützung der jeweiligen Leitungen, um einen positiven Einstieg ins Feld zu gewährleisten und die Methoden in Bezug auf die Zielgruppe zu optimieren. Qualitative Forschung ist von einer Flexibilität bezüglich der Methoden geprägt, da diese innerhalb des Forschungsverlaufs angepasst werden können.

Somit verläuft qualitative Forschung oft prozesshaft ab. Dabei wird einer möglichen Auswirkung der Forschung auf das Forschungsfeld Rechnung getragen. Diesbezüglich eignet sich der qualitative Ansatz mit den Methoden der Befragung und der teilnehmenden Beobachtung, um ein erstes Bild vom Feld anhand einiger Beispiele zu skizzieren.

Tiefgehender kann die Thematik im Rahmen dieser Masterarbeit nicht erforscht werden.

1.1. Datenerhebung

Um den Entstehungskontext der vorliegenden Daten darzulegen, muss vorerst auf die Rahmenbedingungen, die das Forschungsunterfangen bestimmt haben, eingegangen werden. Dafür erfolgt zuerst eine Darstellung der verschiedenen inklusiven Zirkusprojekte und Vereine, die kontaktiert wurden, um einen besseren Überblick über das Feld zu gewinnen.

42 Anschließend werden im nächsten Unterkapitel die zwei Hauptmethoden dargelegt, die sich vor allem aus verschiedenen Interviewformen und der teilnehmenden Beobachtung zusammensetzen. Die während des Forschungsprozess getätigten Anpassungen werden ebenfalls beleuchtet, sowie später in der Diskussion wieder aufgegriffen und kritisch hinterfragt. Das letzte Unterkapitel des Forschungsdesgins beschreibt die Datenauswertung nach Ulrike Froschauer und Manfred Lueger.

1.1.1. Zirkusprojekte und Vereine

Um einen besseren Überblick über die inklusiven Zirkusprojekte bzw. über die Zirkusvereine, die mit Erwachsenen oder Kindern mit einer Beeinträchtigung arbeiten, zu erlangen, werden diese im folgenden Teil kurz vorgestellt.

Die in Bahia Blanca, Argentinien lokalisierte Luftakrobatikschule Pitu Blazquez bietet seit Jahren Kurse in den Disziplinen in Aerial Silk, Hoop, Rope und Trapez für Menschen ohne Beeinträchtigungen an. Aufgrund der Nachfrage einer Person im Rollstuhl, mit der Bitte an Blazquez, er möge ihm das Fliegen beibringen, begann er seine Schule vor fünf Jahren für Menschen mit Behinderungen zu öffnen. Die Nachfrage stieg an, sodass die integrativen Kurse ein fixer Bestandteil im Stundenplan wurden. Durch eine explorative und kreative Herangehensweise gelang es Blazquez eine inklusive Performance-Gruppe auf die Beine zu stellen, die in verschiedenen Theatern und Fernsehshows in Argentinien auftrat. Die Performance-Gruppe besteht aus sieben Artist*innen, die verschiedene Beeinträchtigungen aufweisen. (vgl. Blazquez, WhatsApp vom 19.8.2018)

Der auf Vertikaltuch spezialisierte Verein Aerial Silk Vienna (ASV) wurde 2012 von Sophie Pfaffstaller gegründet und gilt als erste Vertikaltuchschule Österreichs. 2016 begann der Verein mit den ersten Sozialprojekten wie den Kursen für Frauen mit Fluchthintergrund und Personen mit einer Sehstörung. Seit Herbst 2017 bietet ASV 6-wöchige Kurse für Menschen mit Trisomie 21 an, die von der Sportunion gefördert werden. 2019 fand bereits der vierte Durchlauf dieses Kurses statt. Die Kurse stellten den persönlichen Einstieg der Autorin ins Feld dar. (vgl. Aerial Silk Vienna 2018)

Die im Jahre 2008 gegründete Zirkusschule Tortellini, die ihren Sitz im Schweizer Luzern hat, bietet ein breites Angebot aus Luft- und Bodenakrobatik, Jonglage, Clownerie und Äquilibristik an. Die Zielgruppe erstreckt sich über alle Altersgruppen und versucht, sowohl Menschen mit als auch ohne Behinderungen anzusprechen. Der Verein Tortellini setzt sich aus der Zirkusschule, die verschiedene Angebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene anbietet, und dem Jugendzirkus, die gemeinsam mit Jugendlichen Zirkusaufführungen entwickeln, zusammen. Es gibt keine separaten Kurse für Teilnehmer*innen mit oder ohne

43 Beeinträchtigungen. Stattdessen wird der Trainerschlüssel etwas erhöht. (vgl. Zirkusschule Tortellini 2019a; Zirkusschule Tortellini 2019b; Verling, E-Mail vom 10.1.2019 )

Der gemeinnützige Verein TPZAK Köln besteht aus dem Theaterpädagogischen Zentrum (TPZ) und dem Zirkus- und Artistikzentrum (ZAK). Ihre Tätigkeitsbereiche umfassen die Theater- sowie die Zirkuspädagogik. Das Theaterpädagogische Zentrum wurde 1981 gegründet. Seit der Eröffnung des ZAKs im Jahre 2001 können die angehenden Artist*innen auf einem 8000m² großem Zirkusgelände trainieren, das über „zwei Trainingsräume, drei Zirkuszelte, Werkstätten für Requisitenbau, Übernachtungswagen und mehrere historische Zirkuswagen“ (TPZAK 2019) verfügt. Nutzer*innen des Angebots sind über 300 Personen aus allen Altersstufen pro Woche. Dabei wird ein inklusiver Ansatz verfolgt. Der Erwachsenenbereich setzt sich aus verschiedenen Angeboten aus Fortbildungen, Workshops, Kursen, Trainingsmöglichkeiten und Theaterprojekten zusammen. Das Angebot für Kinder erstreckt sich von Workshops und Kursen, über Ferienprogrammen bis hin zu Zirkus- und Theaterprojekten. Als Besonderheit können Kinder und Jugendliche dort auch ihre Geburtstage feiern. (vgl. TPZAK 2019)

Vor 35 Jahren gründete Suzie Bianchi in São Paulo, Brasilien ihre Tanzschule Cia Circodança, die sich in den nächsten zehn Jahren zu einer Zirkustanzschule entwickelte. Dabei liegt der Fokus auf der Verbindung von Tanz und Zirkus. Allerdings werden beide Disziplinen neben Yoga, Musiktherapie und Pilates auch getrennt voneinander angeboten. Bereits von Anfang an bestand die Nachfrage nach Tanzunterricht für Menschen mit Beeinträchtigungen. 2011 bildete sich eine Performance-Gruppe, in der sechs Personen mit Beeinträchtigungen mitwirken. (vgl. Companhia Circodança 2019)

Der Circus Sonnenstich wurde 1997 von Michael Pigl-Andrees und Anna-Katharina Andrees gegründet und läuft seit 2011 unter dem Dachverein Zentrum für bewegte Kunst e.V. (ZBK).

Dieser Verein umfasst die Abteilungen Circus Sonnenstich, das Zentrum für bewegte Kunst, in.Zirque und den ZBK-Circus Sonnenstich. Dabei verfolgt der Verein das Ziel, Menschen mit Behinderungen auf ganzheitlicher Ebene in den Bereichen Kunst, Kultur und Bewegungskünste zu fördern. Beim Circus Sonnenstich sind 50 Artist*innen und 11 Trainer*innen involviert, die regelmäßig neue Shows erarbeiten und jährlich eine inklusive Gala durchführen. Bei diesen Shows werden Acts von inklusiven Tandems präsentiert, die gemeinsam von den Artist*innen und Gastartist*innen entworfen werden. Des Weiteren bietet der Verein Weiterbildungsprogramme an, bei denen die Artist*innen mit Beeinträchtigungen ebenfalls unterrichten. (vgl. ZBK 2019a)

Aim to Fly UK entstand 2014 als Initiative von Mel Stevens. Hierbei handelt es sich um ein inklusives Zirkusprojekt, das einerseits Zirkuskurse anbietet und andererseits über eine Performance-Gruppe verfügt (vgl. Aim to Fly 2014).

44 Diese Projekte wurden während der Exploration des Feldes schriftlich kontaktiert. Einige erteilten Informationen per E-Mail oder WhatsApp und schickten Infomaterial. Die Auswertungsmethode betreffend akzeptierten einige das Forschungsdesign und andere äußerten Veränderungsvorschläge, um das passende Instrument für die Zielgruppe zu gewährleisten. Andere hingegen verwiesen auf Fehler in der Vorgangsweise, die eine Umsetzung der Befragung verhinderten.

1.1.2. Leitfadeninterviews

Beim Interview handelt es sich um die meist benutzte Methode in der Sozialforschung, wobei es sich durch eine „künstliche, asymmetrische Interaktion unter Fremden mit der stillschweigenden Vereinbarung, dass keine dauerhafte Beziehung eingegangen wird“

(Dieckmann 2007: 439) auszeichnet. Demnach zeichnet es sich durch seinen Gesprächscharakter und die Zielsetzung der Datengenerierung aus. Diese lassen sich in persönliche, telefonische und schriftliche Befragungen untergliedern, welche im Rahmen dieser Datenerhebung alle angewandt wurden. Die acht geführten Interviews setzen sich aus vier schriftlichen, einem persönlichen, einem Skype-, einem WhatsApp-Telefon-Interview und einem Chat-Interview zusammen. Auch wenn die schriftliche Befragung ihren Ruf als Notlösung längst ablegen konnte, wurde sie in dieser Erhebung teilweise als solche angewandt, da es sich aufgrund der geographischen Distanz und der damit einhergehenden Zeitverschiebung als schwierig erwies, Termine mit den Interviewpartner*innen auszumachen.

Abgesehen davon ließ sich die Wahl dieser Methode auf die Intention zurückführen, dass den angeschriebenen Personen die Möglichkeit geboten werden sollte, mit der Unterstützung eines Familienmitgliedes oder einer Betreuer*in die Fragen schriftlich zu beantworten.

Die Befragungstypen können nach ihrem Strukturierungsgrad eingeordnet werden, wobei sie in einem Spektrum von „‘vollständig strukturiert‘ auf der einen und ‚unstrukturiert, offen‘ auf der andern Seite“ (ebd.: 437) einzuordnen sind. Während bei den vollständig strukturierten Interviews sogar die Antwortkategorien im Vorhinein festgelegt werden, sind die offenen Befragungen durch nur sehr wenige Vorgaben bezüglich der Fragen gekennzeichnet. Je nach angewandter Interviewform wiesen die Interviews im Rahmen dieser Masterarbeit einen unterschiedlichen Strukturierungsgrad auf. Die per E-Mail verschickten Interviewleitfäden zeichneten sich als teilweise strukturiert aus, was darin begründet lag, dass bei dieser Form ein Nachfragen kaum möglich ist, weswegen versucht wurde, vorab viele Punkte zu berücksichtigen. Dementsprechend wurden mögliche Aspekte, die interessante Daten zu einem Phänomen zum Vorschein bringen könnten, gleich mitabgefragt. Während in einem persönlichen Interview nachgefragt werden kann, wenn wichtige Aspekte unerwähnt bleiben, müssen diese bei einem schriftlichen Leitfaden vorher abgedeckt werden. Deswegen wurden

45 sieben Frageblöcke entworfen, die sich aus den Bereichen Informationen über die Person, Informationen über die Ausübung der Zirkusakrobatik, das persönliche Erleben der Zirkusakrobatik im Allgemeinen, sowie jeweils ein Block zu den Auswirkungen auf körperlicher, individueller und sozialer Ebene und einem abschließenden Block zu Vorführungen zusammensetzten. Jeder Frageblock stand somit für eine relevante Frage, die durch bis zu sieben Unterfragen ergänzt wurde. Der pädagogische Leiter einer Schule formulierte den Leitfaden um, damit dieser für die Zielgruppe leichter verständlich sein würde. Allerdings hatten einige Fragen durch die Umformulierung einen leichten Suggestivcharakter angenommen, was darauf zurückzuführen ist, dass er versucht hat, die Thematiken für die Befragten durch Beispiele greifbarer zu machen. Insgesamt wurden vier Leitfäden mit Unterstützung einer Bezugsperson beantwortet, was teilweise aus dem E-Mail-Verkehr ersichtlich und teilweise auf dem Leitfaden vermerkt wurde. Aufgrund des Umfangs lehnten einige Schulen eine Weitersendung an die Teilnehmer*innen ab. Diese Kritik wurde in der Überarbeitung berücksichtigt, so dass die Blöcke aufgebrochen und insgesamt 15 Fragen beibehalten wurden. Auch diese Version stieß erneut auf Kritik, da einige der Formulierungen von einer Schule als stigmatisierend empfunden wurden, weswegen es nicht zu einer Weiterleitung an die Teilnehmer*innen kam.

Während des E-Mail-Verkehrs bzw. beim persönlichen Kennenlernen im Laufe der teilnehmenden Beobachtung erklärten sich drei Artist*innen für ein Interview bereit. Diese wurden per Skype, WhatsApp und Facebook auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch durchgeführt und zeichneten sich als offener und weniger strukturiert aus. Während sich einige Fragen mit denen aus dem Leitfaden deckten, konnte bei diesen Interviews auch auf andere Aspekte eingegangen werden, die die Interviewten als relevant erachteten. Da eine der befragten Artist*innen ebenfalls eine Zirkusschule leitet, wurden in diesem Interview auch Thematiken angesprochen, die die Schulorganisation betreffen. Zusätzlich wurde noch ein persönliches Paarinterview mit einer pädagogischen Leitung und einem Trainer geführt.

In den Interviews verlief der Trend bei relevanten Aspekten zu einer weichen Gesprächsführung, wodurch „der Interviewer durch zustimmende Reaktionen Hemmungen abbauen, das Gespräch unterstützen und weitere Antworten ermuntern“ (Dieckmann 2007:

440) möchte. Das ist darauf zurückzuführen, dass viele Gesprächspartner*innen das Hauptaugenmerk nicht auf ihr subjektives Wohlbefinden legten, sondern schnell auf gesamtgesellschaftliche Thematiken, die oft in Zusammenhang mit dem Phänomen Behinderung stehen, zu sprechen kamen. Die Gespräche wurden teilweise aufgenommen und transkribiert, teilweise wurden Gedächtnisprotokolle angefertigt. Da für die gewählte Auswertungsmethode der Themenanalyse nach Froschauer und Lueger kein exaktes Transkribieren notwendig ist, wurden Mundart und Sprechpausen nicht transkribiert (vgl.

Froschauer, Lueger 2003: 159f).

46 Jan Kruse et al verweist darauf, dass Interviews, die auf Fremdsprachen abgehalten werden, einer kritischen Reflexion unterzogen werden sollten, da es einerseits zu sprachlichen Hindernissen, sowie kulturellen Missverständnissen kommen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass das Phänomen Behinderung oft tabuisiert oder stigmatisiert wird, was eine passende Wortwahl und das Ansprechen gewisser Thematiken vor allem in einer Fremdsprache verkompliziert. Dementsprechend findet eine Annäherung an diese Aspekte innerhalb der Gespräche sehr vorsichtig statt. (vgl. Kruse et al 2012:9ff)

Das durch die Interviews erhobene Material wurde durch sechs weitere Interviews3 ergänzt, die vom pädagogischen Leiter des Zentrums für bewegte Kunst e.V. bereitgestellt wurden, der diese mit Artist*innen und Zirkuspädagog*innen mit Beeinträchtigungen geführt hat. Die Interviews sollen in der 2. Ausgabe des In.Zirque-Magazins des ZBK voraussichtlich Ende 2019 erscheinen.

1.1.3. Teilnehmende Beobachtung

Bei der teilnehmenden Beobachtung handelt es sich um eine sozialwissenschaftliche Methode, die dazu dient, soziale Wirklichkeit durch Beobachtung zu erfassen und diese für die Wissenschaft zu verarbeiten. Da die Beobachtung das Handeln der forschenden Person voraussetzt, muss dieser Prozess stets kritisch reflektiert werden. (vgl. Atteslander 2008: 66) Im Rahmen dieser Forschung wurde eine qualitative, teilnehmende Beobachtung bei der Zirkusschule Cia Circodança von Suzie Bianchi in São Paulo, Brasilien während eines zweiwöchigen Aufenthalts im August 2019 durchgeführt. Bei dieser für die Ethnologie typischen Methode werden Handlungen, Geschehnisse, Reaktionen, Aussagen und Attribute

Bei der teilnehmenden Beobachtung handelt es sich um eine sozialwissenschaftliche Methode, die dazu dient, soziale Wirklichkeit durch Beobachtung zu erfassen und diese für die Wissenschaft zu verarbeiten. Da die Beobachtung das Handeln der forschenden Person voraussetzt, muss dieser Prozess stets kritisch reflektiert werden. (vgl. Atteslander 2008: 66) Im Rahmen dieser Forschung wurde eine qualitative, teilnehmende Beobachtung bei der Zirkusschule Cia Circodança von Suzie Bianchi in São Paulo, Brasilien während eines zweiwöchigen Aufenthalts im August 2019 durchgeführt. Bei dieser für die Ethnologie typischen Methode werden Handlungen, Geschehnisse, Reaktionen, Aussagen und Attribute