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2. Darstellung der Ergebnisse

2.3. Eindrücke nach der teilnehmenden Beobachtung

Die angesprochenen Punkte der Teilnehmer*innen und der Leitungen lassen sich mit den persönlichen Eindrücken durch die teilnehmende Beobachtung ergänzen. Da wegen der kurzen Aufenthaltsdauer nur eine geringe Datenmenge erhoben werden konnte, findet an dieser Stelle eine knappe Darstellung statt, bei der nur einige Aspekte behandelt werden.

2.3.1. Umgang mit Angst

Wie bereits unter Punkt 2.2.1. aufgegriffen wurde, stellt der Umgang mit Angst einen wichtigen Gesichtspunkt in der Zirkusarbeit sowohl bei Menschen mit also auch ohne Behinderung dar.

Besonders nach einer Verletzung erweist sich das Schaffen einer sicheren Trainingsatmosphäre als schwierig. Nach dem Knochenbruch eines Artisten, der

79 Osteogenesis hat, mussten sowohl der Trainer als auch der Artist einen Weg finden, den Vorfall zu verarbeiten. Im Interview mit der Leitung und dem Trainer kristallisiert sich heraus, dass beiden Zeit gegeben wurde, um sich von dem Vorfall zu erholen. In den gemeinsamen Proben und den Auftritten zeigt sich, dass der Artist nur noch an Tanznummern teilnimmt und sich von den Zirkusaktivitäten und der Luft- und Bodenakrobatik, die er vor dem Unfall noch ausgeübt hatte, distanziert. Das zeigte sich vor allem bei der gemeinsamen Probe mit einer Gastchoreographin. Bei dieser Probe wurde eine bereits entworfene Choreographie der pädagogischen Leitung für eine Produktion, die im März 2020 stattfinden sollte, überarbeitet.

Obwohl sich der Artist nach dem Unfall bewusst dazu entschlossen hat, sich von der Akrobatik zu distanzieren, enthielt die Tanzroutine auch einige akrobatische Tricks, die sich hauptsächlich aus zwei Hebefiguren mit der Person, die zuvor den Knochenbruch erlitt, zusammensetzten. Diese wurden jedoch von zwei anderen Artisten ausgeführt und nicht mit dem Trainer, bei dem der Unfall passiert ist. Auch wenn sich beide vom Unfall erholen mussten, wurde dennoch von allen Seiten sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Betroffenen fortgesetzt wurde. Demensprechend wiesen einige Sequenzen in der Choreographie eine Interaktion zwischen ihnen auf. Auch der Rollstuhl des Artisten wurde als Gegenstand eingebaut, auf dem der Trainer Kunststücke ausübte. Auffallend war, dass der Trainer bei den tänzerischen Elementen sehr viel Strenge an den Tag legte, was das Timing und die Ausführung betraf. Während der Proben legte die Choreographin sehr viel Wert darauf, dass die Hebefiguren sehr langsam und in genauer Absprache mit dem Artisten durchgeführt wurden, um zu gewährleisten, dass alle Beteiligten seine Grenzen respektieren. Als die zwei anderen Artisten verschiedene Hebefiguren ausprobierten, distanzierte sich der Trainer, mit dem der Unfall passiert ist, indem er etwas abseits stand. Nach dem Ausprobieren verschiedener Varianten wurde mit dem Artisten Rücksprache gehalten, welche Figuren sich für ihn sicher anfühlen und welche nicht. Trotz der bewussten Kommunikation schien er in manchen Positionen etwas angespannt zu sein. An diesem Beispiel wird deutlich, dass bei gewissen Beeinträchtigungen wie z.B. Osteogenesis das Unfallrisiko höher ist. Dennoch ist die gesamte Schule bemüht, diese Umstände in ihrer Arbeit zu berücksichtigen und alternative Ansätze und Möglichkeiten in der gemeinsamen Zusammenarbeit zu finden. Dabei werden die Grenzen jeder Person respektiert und ein empathischer Umgang mit Angstgefühlen, die durch die Unfallerfahrung entstanden sind, gepflegt. Dadurch wird den Personen Raum gegeben, sich und ihre Grenzen zu respektieren und über diese in ihrem Tempo hinauszuwachsen.

2.3.2. Zirkus als professionelle Tätigkeit und als Netzwerk

Die Proben und Aufführungen beinhalten für viele Artist*innen eine wichtige sinnstiftende Aufgabe im Leben, unabhängig davon, ob sie diese haupt-, nebenberuflich oder als Hobby

80 ausüben. Gleichzeitig stellen diese Tätigkeiten eine wichtige Konstante im Leben dar, die Struktur und Halt geben kann, und viele Möglichkeiten und Chancen beinhaltet.

Die Teilnehmer*innen der Performance-Gruppen üben alle über einen gewissen Zeitraum tänzerische und zirzensische Tätigkeiten aus. Diese sind mit regelmäßigen Proben, aufwendigen Produktionen und verschiedenen Auftritten verbunden. Somit stellt die Tätigkeit eine Struktur im Leben der Betroffenen dar. Während des Forschungsaufenthalts fielen regelmäßig Proben, Termine und Aufführungen an, die die Teilnehmer*innen in verschiedenen Konstellationen wahrnahmen. Zu den Aufgaben zählten neben den bereits erwähnten Terminen auch Pressetermine, bei denen unter anderem nach Sponsoren für die Schule gesucht wurde.

Durch die Tätigkeit ergeben sich für die Artist*innen besondere Chancen und Möglichkeiten.

Dazu zählt die Teilnahme an verschiedenen Events, bei denen Nummern und Acts, die Ausschnitte der gesamten Produktion darstellen, präsentiert werden. Dadurch erhalten sie Optionen und Möglichkeiten, durch die sich verschiedene Zusammenarbeiten ergeben können. Eine große Kooperation mit anderen inklusiven Zirkus- und Tanzschulen fand in einem berühmten Theater statt. Die Artist*innen hatten die Chance auf einer der berühmtesten Bühnen des Landes zu stehen und das Theater backstage kennenzulernen. Ein Artist erzählte, dass es für viele Theaterschauspieler eine große Ehre sei auf der Bühne des besagten Theaters zu stehen.

In der Zusammenarbeit mit den anderen Schulen kam es zu einem zwischenmenschlichen sowie professionellen Austausch. Die Mitarbeiter*innen der Schulen besprachen mögliche Kooperationen für die Zukunft. Eine Schule führte zum Beispiel einen innovativen Aerial Act mit einem überdimensionalen Kleiderbügel auf. Im Verlaufe der Zusammenarbeit konnten die Artist*innen das unbekannte Zirkusgerät ausprobieren und sich gegenseitig beraten. Nach dem Forschungsaufenthalt kam es zu weiteren gemeinsamen Auftritten mit unterschiedlichen Konstellationen. Dementsprechend haben die Möglichkeiten gemeinsam bei Events und Performances aufzutreten eine Auswirkung auf das Netzwerk der betroffenen Personen.

Dieser Aspekt wird beim nächsten Unterpunkt beleuchtet.

Durch die gemeinsame Zusammenarbeit entstand zwischen den Artist*innen der Performance-Gruppe nicht nur eine professionelle, sondern auch eine freundschaftliche Beziehung. Abgesehen von den vielen Events, bei denen sie gemeinsam auftreten, unternehmen sie auch Ausflüge in ihrer Freizeit. So erzählten sie während der Fahrt ins Theater und den Proben vor Ort, wie sie bereits viele Dinge gemeinsam unternommen haben.

Eine andere Artistin geht mit der Leitung der Schule regelmäßig ins Museum.

81 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zirkus für viele Artist*innen entweder eine berufliche oder eine sinnstiftende Tätigkeit darstellt, die sich positiv auf das professionelle und private Netzwerk auswirkt.

2.3.3. Umgang mit dem Thema Behinderung

Sowohl den Artist*innen als auch der Leitung ist es ein Anliegen, ein Statement zur Thematik Behinderung zu setzen, um damit gegen Stigmatisierungen vorzugehen. Dafür werden in den verschiedenen Acts die Rollstühle, aber auch Krücken bewusst eingesetzt, um auf die Thematik aufmerksam zu machen. So war es auch der Fall, bei der oben erwähnten Aufführung mit den anderen Schulen. Eine inklusive Tanzgruppe setzte dementsprechend bewusst Krücken, Rollstühle und sogar die Räder der Rollstühle in ihrer Aufführung ein. Diese Gegenstände wurden von allen Tänzer*innen unabhängig davon, ob sie eine Behinderung aufwiesen oder nicht, verwendet, um gewisse Bilder zu kreieren. Gleichzeitig galten diese Gegenstände als Unterlage für Kunststücke. Bei einer Nummer aus dem Bereich der Luftakrobatik wurde der Rollstuhl an Seile befestigt und in die Luft gezogen, sodass ein Artist und eine Artistin an dem schwebenden Rollstuhl ihre Kunststücke vorführten.

III Schluss

Da die Zirkusakrobatik in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Popularität gewann, begann sich auch die deutschsprachige Forschung mit der Thematik unter Berücksichtigung verschiedener Schwerpunkte auseinanderzusetzen. Dabei stellten Kinder und Jugendliche den Hauptgegenstand des Interesses dar. Am Rande wurde auch auf die Bedeutung der Luftakrobatik für Erwachsene im Allgemeinen sowie für von Marginalisierung betroffene Personen oder Menschen mit Beeinträchtigungen eingegangen. Dabei wurde die subjektive Wahrnehmung kaum in den Fokus genommen. Dementsprechend zeichnet sich im deutschsprachigen Raum eine Forschungslücke bezüglich der subjektiven Wahrnehmung ab.

Ziel der Arbeit war es, einen Beitrag zu leisten und die Wahrnehmung der betroffenen Personen zu erforschen. Diese wurden anschließend durch die Ansichten der Leitung und durch die teilnehmende Beobachtung ergänzt. Im folgenden Teil werden die Ergebnisse zusammengefasst dargestellt.