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Zirkus als Ort, um soziale Verantwortung zu übernehmen

2. Darstellung der Ergebnisse

2.1. Positive Auswirkungen nach subjektiver Wahrnehmung

2.1.6. Zirkus als Ort, um soziale Verantwortung zu übernehmen

Ein wichtiger Aspekt, der mit der beruflichen Tätigkeit verknüpft ist und der sich für einige als relevant erweist, ist es, soziale Verantwortung zu übernehmen. Die Schilderungen eines

61 Jugendtrainers zeigen, welchen Stellenwert die Arbeit mit Kindern für ihn hat. Für ihn ist es einerseits relevant, die richtigen pädagogischen Methoden anzuwenden, um Kinder angemessen und sicher in der Zirkuswelt zu begleiten und andererseits möchte er einen positiven Einfluss bei seinen Schüler*innen hinterlassen, sie aufmuntern und zum Lachen zu bringen.

„Trainer sein. Das ist am Wichtigsten. Ich lerne umgehen mit Kids und Junior. Das sind viele Artisten. Ich helfe. Diabolo, Kugel, Akrobatik. Ich begleite die Kinder. Dass kein Unfall passiert.

Die Kinder sind sicher. Ich versuche das. Ich werde besser. Ich mache auch Spaß. Dass sie nicht traurig sind. Ja. Lachen ist gut.” (ZBK 2019b: 2)

Dieses Zitat verdeutlicht den persönlichen Stellenwert, den eine berufliche Tätigkeit mit sich bringt.

Eine Tätigkeit kann auch einen wichtigen Teil des Lebenssinns darstellen. Das Koordinieren eines Teams sah eine andere Befragte als besonders wichtig an. Diese Tätigkeit steht wie das Zitat erkennen lässt in engen Zusammenhang mit ihrem Selbstwertgefühl. (vgl. I 5)

„Now I work, I look after a team. So my whole esteem is raised from being a victim of existence to being a productive part of society that is responsible for other members in society. It is really important for anybody to have a purpose.” (I 5: 131-134)

In dieser Stelle spiegelt sich ihre erlebte Transformation, die durch die Zirkusaktivitäten ausgelöst worden ist, wider. Die positiven Effekte der Zirkustätigkeiten wirken sich so sehr auf die soziale Ebene aus, dass sie sich erneut als sozialer Akteur in der Gesellschaft wahrnimmt.

Ihre Zeit vor der Zirkusarbeit beschreibt sie als bloßes Existieren mit sehr passiven Attributen.

Diesen Aspekt greift sie auf, als die Rede von der individuellen Ebene war. Dementsprechend stellt die Arbeit einen hohen persönlichen Stellenwert für sie dar.

Während für die meisten, wie bereits unter 2.1.5. erwähnt, der Zirkus vor allem auf persönlicher Ebene eine besondere Tätigkeit beinhaltet, erwähnen einige auch die Wichtigkeit, dass soziale Verantwortung übernommen wird. Abgesehen davon äußern sich viele Teilnehmer*innen positiv über die Zusammenarbeit im Team und die Erweiterung des sozialen Netzwerkes, was in den nächsten zwei Punkten beleuchtet wird.

62 2.1.7. Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung

Die Zirkusarbeit ist geprägt von sozialer Interaktion, um gemeinsam Performances zu erarbeiten. Dafür ist gegenseitige Unterstützung und Vertrauen notwendig. Teamarbeit und Zusammenhalt sind somit Voraussetzungen für das erfolgreiche Entwickeln, Aufführen und Gelingen einer gemeinsamen Vorstellung. Demnach ist der Zirkus ein wichtiger Ort, an dem sowohl soziale Kompetenzen als auch soziale Ressourcen gestärkt werden. Die Interviews zeigten, dass sich genau diese Punkte für die Befragten als sehr relevant erweisen.

Die Zusammenarbeit ist in vielen Interviews ein rekurrierendes Element, weswegen dies auf eine hohe Relevanz für die Befragten schließen lässt. Besonders für einen Artisten, der sehr stark im Zirkus involviert ist, hat die Zusammenarbeit einen sehr hohen Stellenwert. „Ich habe einen tollen Partner. […] Ich lerne mit ihm viele neue Tricks. […] Ich gebe ihm mein Herz.

Zusammen ist es wunderbar.“ (ZBK 2019b: 6) Dieses Zitat verdeutlicht mehrere wichtige Aspekte, die in einer Zusammenarbeit liegen. Zum einen ist es das gegenseitige Unterstützen bzw. die gegenseitige Bereicherung, durch das Weitergeben von Tricks und Fähigkeiten, was sich wiederum positiv auf der persönlichen Ebene auswirkt. Zum anderen entstehen eine zwischenmenschliche Bindung und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Team, welches sich neben den Artist*innen aus vielen weiteren Mitgliedern zusammensetzt.

Die durch den Zirkus gewonnenen Kontakte und Beziehungen stellen eine persönliche soziale Ressource dar, was sich insofern darin äußert, dass die Freund*innen und Trainer*innen im Zirkus in schwierigen Situationen als Unterstützung dienen.

Besonders in einem Interview wird der Aspekt der sozialen Unterstützung mehrmals im Gespräch aufgegriffen. So beschreibt diese Artistin, dass die Trainer*innen eine besondere Bedeutung in ihrem Leben haben und ihr Unterstützung bieten. Des Weiteren legt sie dar, wie das Zirkusteam sie immer wieder in Momenten der Schwäche oder Frustration aufbaut und tröstet. Da sie gemeinsam mit ihrer Schwester im Zirkus tätig ist, gilt auch sie als Anlaufperson.

In diesen zwischenmenschlichen Beziehungen liegt dementsprechend eine sehr kraftspendende Ressource, was sich auch darin zeigt, dass sie auf die Frage, was ihr an der Teamarbeit gefalle, mit „Alle geben mir Kraft.“ (I 1: 140) antwortet.

Eine andere Artistin legt den Fokus auf die Hilfsbereitschaft. Für sie ist es besonders schön, die Erfahrung im Zirkus aus beiden Perspektiven zu machen. Einerseits erfährt sie in ihrer Ausbildung als Zirkustrainerin Unterstützung und Hilfe beim Aneignen von pädagogischen Methoden und andererseits hilft sie selbst beim Unterrichten von Kindern und Jugendlichen.

Dieser Aspekt wurde von ihr mehrmals im Gespräch aufgegriffen. (vgl. ZBK 2019b)

Die Relevanz der Trainer*innen zeigt sich vor allem bei einer Artistin, die bereits auf die Unterstützung der Trainer*innen zu sprechen kommt, bevor danach gefragt wurde. Demnach stellt die Unterstützung dieser eine wichtige Ressource für sie dar. „Ja, beim Zirkus, Trainer

63 helfen.“ (I 2: 26-27) Auch auf die Frage, was ihr im Zirkus gefalle, erwähnt sie, dass ihr die Gruppe stets beistünde. „Gruppe ist immer da und hilft mir.“ (I 2: 49) Demnach sieht sie im Zirkus eine große persönliche Unterstützung.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Interviews zeigen, dass die Befragten im Zirkus ihre sozialen Kompetenzen stärken und Unterstützung erfahren, was sich einerseits positiv auf das Wohlergehen auswirkt und andererseits oft mit dem Ausbau des sozialen Netzwerkes einhergehen kann, worauf im nächsten Unterkapitel eingegangen wird.

2.1.8. Netzwerke und Freizeit

Die soziale Interaktion während der Proben und der Aufführungen stärkt die sozialen Netzwerke, wodurch neue Freundschaften geknüpft und gemeinsame Erfahrungen gemacht werden. Mit ihren Kolleg*innen verbringen die Artist*innen auch ihre Freizeit.

Durch die Zusammenarbeit entstehen viele Freundschaften, die von gemeinsamen Interessen zeugen. Diese Freundschaften sind unterschiedlich stark ausgeprägt und reichen teilweise über die Zirkusaktivitäten hinaus. Einige Artist*innen erzählen in den Interviews, wie sie mit ihren Zirkusfreund*innen ihre Freizeit verbringen und gemeinsam an Festen teilnehmen oder andere Freizeitaktivitäten wie Bowling, Kino oder Disko wahrnehmen. Für einige hat der Zirkus den Stellenwert einer zweiten Familie. „Circus ist wie eine große Familie, ich habe eigentlich nur eine kleine“ (I 3: 177). Auch eine andere Interviewte sieht in dem Zirkusteam eine zweite Familie. „Wir sind eine Zirkusfamilie“ (I 4: 39). Die wichtigen sozialen Beziehungen, die durch den Zirkus entstehen, sind auch für eine andere Artistin von Bedeutung. Sie betont, dass sie durch den Zirkus viele Freund*innen dazugewonnen hat. Zum einen verbringt sie während der Arbeit viel Zeit mit ihren Kolleg*innen, die vom gemeinsamen Proben und Auftritten geprägt ist. Zum anderen unternehmen sie auch viel in ihrer Freizeit. So erzählt sie, wie sie oft bei ihrer Kollegin übernachtet und sie die ganze Nacht mit gemeinsamen Gesprächen verbringen. Eine ihrer Tanzgruppen unternimmt auch regelmäßig Reisen innerhalb des Landes, wodurch sie viele neue Erfahrungen sammeln kann. Dieser Aspekt gefällt ihr besonders an ihrer Arbeit in der Tanzschule. Mit ihrer Zirkusgruppe ist sie letztes Jahr nach Spanien gereist, um dort an einem Zirkusaustausch teilzunehmen. Die Gruppe ist mit der pädagogischen Leitung und teilweise den Eltern den Zirkusartist*innen nach Madrid geflogen, um dort eine Aufführung zu präsentieren und Workshops abzuhalten. Anschließend haben sie gemeinsam eine Woche Urlaub in Valencia gemacht, sind einkaufen gegangen, haben die spanische Küche erkundet und sich am Strand erholt. Diese Erfahrung hat sie sehr stark geprägt. (vgl. I 6)

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„Ja das war lustig. Wir sind die ganze Nacht aufgeblieben und haben Zettel geschrieben und unter den Türen durchgeschoben. Und was noch? Ja viel gegessen haben wir und die Shows gesehen, wo wir auch die Workshops gehalten haben. Und Flamenco gelernt.“ (I 6: 60-62)

Die Reise stellt für die Artistin sowohl beruflich als auch persönlich eine große Bereicherung dar.

Darüber hinaus dient der Zirkus als Raum für kreative Prozesse und gemeinsames Ausprobieren. Da eine Befragte die Erfahrung machen musste, dass es in ihrem Umfeld keine Möglichkeit für Menschen mit Behinderungen gab, Zirkusdisziplinen in einer Gruppe zu lernen, beschloss sie sich einen eigenen Raum zu schaffen, in dem sie ihre Freund*innen einlud, um gemeinsam zu trainieren. Natürlich musste sie dafür bereits im Vorhinein über gewisse Ressourcen wie den Trainingsraum verfügen, aber dadurch gelang es ihr, eine Gruppe aufzubauen, mit der sie ihren Traum von einer inklusiven Zirkusgruppe verwirklichen konnte.

„So I had friends, who are blind, who are deaf, friends with no arms, friends with no legs. So, every type of disability was in one room and we just developed on how to make it accessible.

Because everybody is different, but every dream is one the same freedom.” (I 5: 26-29)

Gemeinsam konnten sie sich austauschen und trainieren und somit eine Community bilden, die sich gegenseitig aufbauen und unterstützen kann (vgl. I 5).

Bei den Befragten zeigt sich die Tendenz, dass sich das Zirkusleben positiv auf das Netzwerk und somit auf die Freizeit auswirkt, was sich darin äußert, dass sie gemeinsam mit den Kolleg*innen etwas unternehmen. Für eine Trainerin war das gemeinsame Verreisen eine positive Erfahrung und eine wichtige Form sozialer Interaktion. Aufgrund des positiven Zusammenhangs zwischen der Größe des Netzwerkes und der sinkenden Anfälligkeit für Krankheiten, besteht die Annahme, dass sich auch bei den Befragten die sozialen Kontakte als gesundheitsfördernd erweisen.

2.1.9. Zirkus als Kommunikationsform

Die Zirkuspädagogik vereint wie bereits erwähnt viele pädagogische Ansätze, zu denen auch die Kunstpädagogik zählt. Dementsprechend dient der Zirkus als Kunst und kann als Sprachrohr bzw. als eine Form der Kommunikation genutzt werden, um sich mitzuteilen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Auch die Artist*innen nehmen diese Möglichkeiten für sich wahr und möchten sich und ihre Botschaften präsentieren, die je nach Person variieren.

65 Besonders für eine Interviewte hat es einen sehr hohen Stellenwert, mit ihrer Kunst zum Publikum zu sprechen und ihr Können zu präsentieren. Das Auftreten erlebt sie als besonders schöne Erfahrung, nach der es ihr immer sehr gut geht, was sie mit der Geste „beide Daumen hoch“ (I 1: 151-152) untermauert, was ihre Mutter, mit der sie den Leitfaden ausgefüllt hat, schriftlich hervorhebt. Diese Ansicht wird von einem anderen Artisten, der seinem Publikum mehrere Botschaften vermitteln möchte, geteilt. Ein Aspekt, der ihm am Herzen liegt, ist, seinen Zuschauer*innen das Zirkusleben und sein Können näher zu bringen. Dazu gehört auch sein Act, bei dem er nach eigenen Angaben sehr viel Perfektionismus an den Tag legt.

Folglich ist es ihm sehr wichtig, dass alles gut gelingt. Besonders hat ihn ein Auftritt vor dem schwedischen Königspaar geprägt. „Von der Bühne habe ich der Königin einen Luftkuss geschickt. Sie hat mir gesagt: Ich war sehr gerührt und habe geweint. Hat die Königin gesagt.“

(ZBK 2019b: 6) Durch seine Performance gelang es ihm, die Königin emotional zu erreichen und somit über seine Kunst mit ihr in eine Beziehung zu treten. Dementsprechend hat es für ihn eine besondere Bedeutung, Emotionen beim Publikum auszulösen. Auch anderen Artist*innen ist es wichtig, ihre Zuschauer*innen zu berühren, darunter besonders Personen aus ihrem Umfeld. So erzählt eine Zirkusperformerin, dass sie sich darüber freut, ihre Kunst mit ihren Freund*innen und ihrer Familie aber auch mit anderen Menschen zu teilen. Mit ihrer Arbeit ist sie sehr glücklich und sie steckt sehr viel Liebe in ihre Kunst. Dabei möchte sie auf der Bühne in eine Verbindung mit anderen Personen treten und diese mit ihrer Performance berühren. Das äußere sich im Applaus der Personen, über den sie sich wiederum freut. Sie erzählt, dass ihre Eltern nach den Aufführungen immer sehr emotional und gerührt von ihrer Performance sind. (vgl. I 6)

Der Fokus auf der Kunst als Kommunikationsform scheint bei einer anderen Artistin der relevanteste Aspekt zu sein, da sie auf diesen während des Interviews immer wieder zurückkommt. Sie bezeichnet sich selbst als große Liebhaberin verschiedener Kunstformen.

Kunst hat für sie die Funktion einer Sprache, mit der sie sich mitteilen und andere Menschen berühren kann. Dabei freut sie sich, wenn sie fremde Menschen erreichen und in ihnen Emotionen auslösen kann.

„Ich habe das eher von Personen gehört, die ich nicht kenne. Sie sind dann immer sehr emotional. Einige umarmen mich, andere beglückwünschen mich. Das ist sehr schön. Ich finde, dass das das besondere an der Kunst ist. Wie eine Sprache. Manche sagen mir, dass sie gerade eine schwierige Zeit durchleben und dass sie nach meinem Auftritt anders über die Dinge nachdenken.“ (I 7: 104-108)

66 Für sie stellt die Kunst ein Hilfsmittel dar, um mit gewissen Emotionen besser umzugehen, sich selbst zu bilden, die Menschen einander näher zu bringen und um Sensibilität zu wecken.

Auf der anderen Seite erkennt sie in der Kunst auch das Potential der Kritik, wobei die Kunst dazu dient, Menschen zum Nachdenken anzuregen. In solchen Fällen kann Kunst auch eine aufwühlende Wirkung haben.

„Sie hilft uns, ja. Die Kunst bildet, sich macht uns menschlich […], und sie macht uns sensibler.

Manchmal auch kritischer. Manchmal ist die Kunst auch ungemütlich. Aber sie macht uns auch glücklicher. Das ist die Wahrheit.“ (I 7: 123-125)

Folglich ist es für sie wichtig, unterschiedliche Emotionen bei Menschen auszulösen, um verschiedene Botschaften zu vermitteln. Besonders freut sie sich über Reaktionen seitens des Publikums. Dieser Punkt stellt in dem Interview das dominierende Thema dar, über das sie sehr ausführlich spricht, während sie bei anderen Fragen eher knapp antwortet. Folglich hatte dieser Aspekt für die Befragte den höchsten Stellenwert. (vgl. I 7)

Diese Beispiele zeigen, welche Bedeutung es für Menschen haben kann, sich künstlerisch auszudrücken und andere Menschen damit zu berühren. So gesehen stellt die Zirkuskunst eine Möglichkeit für die Artist*innen dar, andere Menschen auf emotionaler Ebene zu erreichen, und sich selbst, die eigenen Emotionen und Botschaften zu präsentieren. Für viele war es ein wichtiges Anliegen zu zeigen, dass Menschen mit Behinderung ebenfalls Zirkusperformer*in sein können, um so gegen Stigmatisierungen gegen Menschen mit Beeinträchtigung, die meistens Behinderung mit Defiziten, Unselbstständigkeit und Problemen assoziieren, vorzugehen. Auf diesen Punkt wird im nächsten Unterkapitel getrennt eingegangen.

2.1.10. Zirkus gegen Stigmatisierungen

In dem Unterkapitel 2.5.6. wurde bereits dargestellt, welchen Stigmatisierungen Menschen mit Behinderungen in der heutigen Gesellschaften nach wie vor ausgesetzt sind. So ist es nicht verwunderlich, dass das Thema von einigen Artist*innen aufgegriffen wurde. Wie bereits im Punkt 2.1.8. erwähnt stellt der Zirkus ein Kommunikationsmedium dar. Einige der befragten Artist*innen sehen in den Aufführungen ihre Chance, gegen Stigmatisierung vorzugehen, sodass Behinderung nicht nur im defizitären Kontext betrachtet wird, sondern die Individuen mit ihren Fähigkeiten und Talenten als solche wahrgenommen werden.

67 Eine Befragte spricht in dem Interview die Problematik der Binarität zwischen Behinderung und Nicht-Behinderung an, wonach nur eine gewisse Abweichung von einer Standardnorm als akzeptabel gilt, während eine zu große Abweichung als Behinderung kategorisiert wird.

”So the disability is just something. In some countries the disability can be the sexuality, in another country the disability can be the colour. If we start to look at disability, actually, everybody is disabled. And when we see everyone the same, it’s easier to say, I treat you all with all the respect I want. It’s so simple.” (I 5: 82-85)

Demnach spricht sie sich dagegen aus, dass gewisse geistige und körperliche Defizite als entscheidendes Merkmal herangezogen werden, um eine Person einer Kategorie zuzuordnen.

Dabei scheint das soziale Modell durch, nach dem Behinderung gesellschaftlich konstruiert wird. Ebenfalls wird im sozialen Ansatz die Benachteiligung durch Behinderung, mit denen aufgrund des Geschlechtes, der Sexualität oder der Hautfarbe verglichen. Im Zitat zeigt sie deutlich die Parallele auf, die darin liegt, dass Menschen aufgrund gewisser Attribute gesellschaftlich ausgegrenzt oder benachteiligt werden. Dabei verweist sie darauf, dass jeder Mensch Defizite und die entsprechenden Bewältigungsstrategien entwickelt hat. Einige Defizite sind gesellschaftlich akzeptiert, andere wiederum nicht. Ein Grund für diese Denkweise sieht sie in der Segregation von Menschen mit Behinderungen, die lange Zeit den Umgang mit dieser Gruppe geprägt hat. So verweist sie darauf, dass viele Menschen mit Beeinträchtigungen einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und untermauert diese Aussage mit der Bezugnahme auf eine Studie über die geringe Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung. Die Lösung, um diese Stigmatisierung zu durchbrechen, sieht sie darin, dass Menschen mit Behinderung mehr ins Blickfeld gerückt werden müssen.

„So the only way things can change is with more disabled persons being seen. First time, you think, oh my Gosh, that’s a disabled person, and the second time you think, oh it’s no big deal, I saw another disabled person in a show and then it becomes normal. This is all we have to do. Not to hide it and keep on encouraging it.” (I 5: 92-96)

Dementsprechend hält sie es für sehr wichtig, an der Mikroebene anzusetzen. Dabei geht es ihr vor allem darum, Menschen mit Beeinträchtigungen in Kursen und Aufführungen zu integrieren, um die Mentalität der Menschen zu ändern. Wenn die Mehrheitsgesellschaft erst einmal wahrgenommen und akzeptiert hat, dass Menschen mit Beeinträchtigungen an Aufführungen und Sportkursen teilnehmen können, kann sich laut ihr langsam die Sichtweise

68 auf die Thematik ändern, sodass es zur Norm wird, dass Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und nicht weiter von Exklusion betroffen sind. Die Stigmatisierungen, die mit einer Behinderung einhergehen, hat die befragte Person am eigenen Leib erfahren, auch wenn diese nicht immer auf böse Absichten oder Ignoranz zurückzuführen sind, sondern teilweise darauf, dass viele Personen aufgrund der Segregation dieser Gruppe keinen Kontakt zu Menschen mit Beeinträchtigungen haben und somit den Umgang mit ihnen nicht gewohnt sind. So erzählt die Interviewte von Ereignissen bei den Proben, wo sie auf ihre Krücken angesprochen wurde. Dabei wurde davon ausgegangen, dass sie an einer Verletzung litt und deswegen die Krücken als Hilfsmittel für die Proben herangezogen hat. Wenn sie den Personen jedoch erwiderte, dass sie eine Behinderung habe und deswegen die Krücken benötige, löste dieser Kommentar oft Betretenheit oder Scham bei ihrem Gegenüber aus. In solchen Situationen versucht sie die Person immer zu beruhigen.

Sie erklärt, dass sie es als sehr wichtig empfindet, über das Thema Behinderung zu sprechen.

Auf diese Art und Weise kann ein besseres Bewusstsein geschaffen werden. In ihrer Zirkusumgebung wird sie dementsprechend selten als „behindert“ wahrgenommen. Außerhalb der Zirkuswelt verhält es sich damit allerdings oft umgekehrt. Wenn sie im privaten Bereich nach ihrer beruflichen Tätigkeit gefragt wird, halten viele Personen ihre Antwort, dass sie als Zirkusartistin arbeite, wegen ihrer Behinderung für einen Scherz. Sie erzählt, wie die Personen regelmäßig mit Lachen auf die Antwort reagieren und sie fragen, was ihr tatsächlicher Beruf sei. Solche Reaktionen stellen ein gutes Beispiel für die erlebte Stigmatisierung von Menschen

Auf diese Art und Weise kann ein besseres Bewusstsein geschaffen werden. In ihrer Zirkusumgebung wird sie dementsprechend selten als „behindert“ wahrgenommen. Außerhalb der Zirkuswelt verhält es sich damit allerdings oft umgekehrt. Wenn sie im privaten Bereich nach ihrer beruflichen Tätigkeit gefragt wird, halten viele Personen ihre Antwort, dass sie als Zirkusartistin arbeite, wegen ihrer Behinderung für einen Scherz. Sie erzählt, wie die Personen regelmäßig mit Lachen auf die Antwort reagieren und sie fragen, was ihr tatsächlicher Beruf sei. Solche Reaktionen stellen ein gutes Beispiel für die erlebte Stigmatisierung von Menschen