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Stärkung des Körpers und der körperlichen Qualitäten

2. Darstellung der Ergebnisse

2.1. Positive Auswirkungen nach subjektiver Wahrnehmung

2.1.1. Stärkung des Körpers und der körperlichen Qualitäten

Viele Befragte erwähnen eine positive Auswirkung der zirzensischen Bewegungsformen auf die körperliche Grundverfassung, die sich im Kraftaufbau, einer verbesserten Kondition und im Abbau körperlicher Beschwerden erkennbar machen. So hat das Thema der Verbesserung der körperlichen Fitness mit speziellem Fokus auf den Aspekt Kraft für eine Interviewte eine große Bedeutung, was sie mit den Aussagen „[r]ichtig viel Kraft“ (I 2: 78) und „[s]tark bei Akrobatik“ (I 2: 73-74) untermauert. Insgesamt kommt sie auf das Kraftthema während des Interviews vier Mal zu sprechen, obwohl sich die Fragen nicht gezielt auf das Thema richten.

Auch ein anderer Artist bestätigt, dass er durch die Luftakrobatik an Kraft dazugewonnen hat, was er ebenfalls am Muskelaufbau bemerkt. „Ich habe schon Muskeln. Durch mein Training.

Auch Fitness. Ich will mehr Kraft-Training machen für Luftakrobatik.“ (ZBK 2019b: 5) Die unterschiedlichen Disziplinen dienen ihm als Motivation, um weiter an sich und seinem Körper zu arbeiten und diesen durch gezieltes Krafttraining zu stärken. Eine andere Zirkusartistin

51 verweist ebenfalls auf den Kraftaspekt, legt jedoch besonders viel Wert auf die Körperbeherrschung. Dabei stellt sie fest, dass sie an Stabilität dazugewonnen hat. Diese Verbesserungen sind für sie auf die Akrobatik in der Luft und am Boden zurückzuführen, wobei sie erwähnt, dass die Kraft bei der Luftakrobatik besonders wichtig sei, um sich überhaupt in der Luft halten zu können. (vgl. I 4)

Vor allem bei einer Gesprächspartnerin treten die positiven Effekte bezüglich der Stärkung des Körpers besonders hervor. Aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigung hatte sie zuvor keinen Sport betrieben und dementsprechend zugenommen. Da sie bei der Luftakrobatik ihr eigenes Körpergewicht halten muss, konnte sie auf diese Weise schnell Kraft und Muskelmasse aufbauen. Gleichzeitig erlebt sie durch die Luftakrobatik eine Dekompression der Wirbelsäule, wodurch sich ihre Körperhaltung enorm verbessert. Durch das Ausüben der Luftakrobatik ist sie weniger auf ihren Rollstuhl angewiesen, was sich wiederum auf das Ausführen der Alltagsroutine und der täglichen Pflichten positiv auswirkt. Während sie vor Beginn ihrer zirzensischen Tätigkeit eine Assistenz zur Erledigung der Alltagsroutine benötigte, z.B. bei der Körperhygiene und den Einkäufen, kann sie nun viele Erledigungen alleine bewältigen. Zusätzlich führt die regelmäßige Dekompression der Wirbelsäule zu einem Rückgang der täglichen Schmerzen, sodass sie ihre Schmerzmittel absetzen konnte, was sich wiederum enorm auf das alltägliche Wohlbefinden auswirkt. Dementsprechend spielt bei ihr die Stärkung des Körpers vor allem in Hinsicht auf den Rückgang der Schmerzen eine wichtige Rolle.

„All I wanted was to not have the pain. So the first time I was pain-free for two or three hours.

But now I am pain-free for one or two days. So now when I train every day or hang every day, I’m pain-free every day. So when you are pain-free, you can smile, you can talk, you can do things and achieve things. When you’re in pain, you’re confused, you’re distressed. You are struggling to comprehend your environment. Everything is uphill. The comparison…well, it’s a transformation, it cannot be compared.” (I 5: 148-153)

Das Zitat verdeutlicht die enorme Verbesserung der Lebensqualität aufgrund des Rückgangs der täglich erlebten Schmerzen und dem Absetzen der Medikamente, die sich durch die Nebenwirkungen ebenfalls negativ auf den Organismus auswirkten. Ebenso erkennt man am Zitat, wie sie die ständigen Schmerzen im Leben zurückgehalten haben. Wie relevant dieser Aspekt für sie ist, wird daran deutlich, dass sie diesen bereits zu Beginn des Interviews aufgreift, ohne nach den körperlichen Auswirkungen gefragt zu werden. Die angesprochene Transformation lässt sich in ihrer Wortwahl erneut wiederfinden. So beschreibt sie ihre Lebensführung vor der Luftakrobatik nicht als Leben, sondern nur als Existieren. Durch ihre

52 Wortwahl zeichnet sich ein enormer Kontrast zwischen der Zeit vor und während der Zirkusakrobatik in ihrem Leben ab. (vgl. I 5)

Auch bei einer anderen Artistin lässt sich die Relevanz der körperlichen Stärkung, die in einem besseren körperlichen Wohlbefinden resultiert, erkennen. Sie stellt fest, dass ihr Körper durch das Training robuster und widerstandsfähiger geworden ist. Durch die Kräftigung wird sie seltener krank und ist weniger erschöpft. Dementsprechend kann sie einen höheren Energielevel bei sich verzeichnen, was sich darin äußert, dass sie mehr unternimmt.

„Heutzutage gehe ich öfters aus als früher. Ich habe mehr Kraft und Enthusiasmus. Ich bin glücklicher.“ (I 7: 268-269) Das gesteigerte körperliche Wohlbefinden hat ebenfalls eine Auswirkung auf die soziale und die psychische Ebene, weil sie mehr unternimmt und sich dabei glücklicher fühlt. Diesen Punkt spricht sie nicht direkt an, sondern sie erwähnt es erst bei der Frage danach, woraus sich schließen lässt, dass diese Aspekte weniger Bedeutung für sie haben (vgl. I 7).

Einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt stellt die Körpererfahrung dar, die mit dem Wahrnehmen der eigenen Grenzen verbunden ist. Das wird an der Aussage einer Interviewten auf die Frage, was sie im Zirkus gelernt habe, deutlich, die lautet „[Der] Körper muss auch ausruhen“. (I 1: 76-77) Die Aussage dieser Interviewten wird getätigt, ohne dass nach der Wahrnehmung der eigenen Grenzen gefragt wurde. Somit lässt sich annehmen, dass diese Erfahrung einen hohen Stellenwert für sie hat. Des Weiteren verbesserte sich die Bewegungsqualität, was sich in einer gesteigerten Tiefensensibilität, einer höheren Eleganz im Bewegungsablauf und einer verbesserten Flexibilität äußert. (vgl. I 1)

Die Tiefensensibilität stellt wie bereits erwähnt eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von akrobatischen Tricks dar und ist ein wichtiger Bestandteil eines guten Gleichgewichtssinns. So erwähnt ein Artist, dass er seine Akrobatikpartnerin aufgrund seiner Kraft sicher heben und tragen kann, was wiederum auf sein gutes Körpergefühl zurückzuführen ist. Gleichzeitig konnte er seinen Gleichgewichtssinn durch das Training in der Äquilibristik und Akrobatik enorm stärken, wie das folgende Zitat verdeutlicht.

„Ich habe ein sehr gutes Gefühl für Gleichgewicht. Das ist gut bei Rolabola und Akrobatik. Ich bin auch sehr gut geworden mit Diabolo. Gute Technik mit viel Tricks. Und Hüftschwung. Es ist wichtig, die Tricks mit Bewegung zu spielen.“ (ZBK 2019b: 6)

Zusätzlich bemerkt er, dass seine Bewegungsqualität an Eleganz gewonnen hat und sein Körper ebenfalls kraftvoller geworden ist. Bei dieser Person steht nicht so sehr der Kraftaspekt oder die Wahrnehmung der körperlichen Grenzen im Vordergrund, sondern die Verbesserung

53 des Körpergefühls, wozu er die einzelnen Elemente Körperbeherrschung, Gleichgewichtssinn, Kraft und Eleganz zählt. (vgl. ZBK 2019b)

Eine weitere Befragte bemerkt, dass sie ihre Beweglichkeit verbessern und ihre körperliche Fitness ausbauen konnte. Dabei wirkt sich das Training insofern positiv aus, als dass sie weniger Schmerzen während ihrer Periode hat. Demnach findet sich hier eine Parallele zu jener Artistin, die durch die Akrobatik einen Rückgang der Schmerzen erlebt hat. Auch hier wird der Punkt von selbst aufgegriffen, ohne dass nach dem Erleben von Schmerzen gefragt wurde, was auf eine gewisse Wichtigkeit hindeutet. (vgl. I 1)

Ein Artist bemerkt, dass sich vor allem seine Konzentrationsfähigkeit gesteigert hat, wodurch er sich mit mehr Aufmerksamkeit seinen Aufgaben widmen kann. „Ich habe viel gelernt: Viel Ruhe und Geduld. Mit meinem Körper war ich früher viel mehr abgelenkt. Ich schaue nach hier, ich schaue nach da. Ich bin viel besser mit Konzentration jetzt.“ (ZBK 2019b: 5) Einer anderen Artistin fällt auf, dass durch die Zirkustätigkeit ihr logisches Denkvermögen geschult und ausgebaut wurde. „Aber man braucht auch logisches Denken. Das habe ich mit meinem Körper gelernt.“ (ZBK 2019b: 3)

Abschließend lässt sich sagen, dass viele Artist*innen ähnliche positive Effekte der Akrobatik auf ihr körperliches Wohlbefinden wahrnehmen, wobei sie jedoch individuelle Schwerpunkte setzen. Für einige ist es die Kraft, für andere die Flexibilität und für wieder andere ist es das Körpergefühl, das im Vordergrund steht. Besonders auffallend sind die positiven Effekte, die durch die Dekompression bei einer Artistin erzielt wurden, die zu einer enormen Verbesserung ihrer Mobilität führte. Dieses Ausmaß der Steigerung der körperlichen Gesundheit stellt jedoch eine Ausnahme unter den Befragten dar.