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Wort. Höffe knüpfte an Giordanos Darstellung der Tradition der Regio-nalisierung und Kontextualisierung an und fragte, ob diese Tradition nicht eine Grenze an der Herausbildung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gefunden habe. Und falls dies zutreffe, ob man den Handlungsspielraum dieser Gerichte nicht einschränken sollte, oder ob man ihnen neue inter-pretatorische Richtlinien, die von einer flächendeckenden vereinheit­

lichenden Rechtsauslegung abweichen, geben sollte.

Kurt W. Rothschild wies darauf hin, dass es nicht nur vertikale Vertei­

lungskonflikte gebe, wie beim Subsidiaritätsprinzip, wo es um die Ver­

teilung von Kompetenzen gehe, sondern auch horizontale Verteilungs­

konflikte, z.B. zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Er richtete an Giordano die Frage, ob hier nicht Verhaltensmuster, ähnlich den in seinem Vortrag beschriebenen, nachgewiesen werden könnten.

Thomas Fleiner wies ergänzend zum Referat von Giordano darauf hin, dass neben dem Problem der territorialen Gliederung auch dasjenige der personalen Gliederung - wie z.B. die sprachliche Gliederung in Bel­

gien, religiöse Gemeinschaften im mittleren Osten oder das Kastenwesen in Indien - bestehen würde. Zur heutigen Situation in Italien stellte er die Frage, ob nicht auch die römisch-katholische Kirche für die schwache Stellung des Staates mitverantwortlich sei.

Zur Aussage Giordanos, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht universal sei, stellte Peter Häberle die Frage, welche Grundprinzipien aus der Sicht der Ethnologie - ähnlich wie in der Rechtswissenschaft Vertrag und Menschenwürde - als universal zu bezeichnen seien. Zu Otfried Höffes Frage bemerkte er, dass unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessen die Striktheit der VerwaJtungsgerichtsbarkeir teilweise auflockern würden, dass aber in Deutschland der Spielraum in der Tat immer stärker einge­

schränkt werde. Im weiteren versuchte Peter Häberle zu definieren, auf

welche Elemente des Subsidiaritätsprinzips man sich aufgrund der bishe­

rigen interdisziplinären Diskussion einigen könnte, nämlich auf die Of­

fenheit und Dynamik des Prinzips, auf das Vorhandensein eines Oben-unten-Problems und eines damit verbundenen Kompetenzverteilungs­

problems, und darauf, dass man sich nicht auf das Wort Subsidiarität fixieren dürfe.

Günther Lottes richtete an Giordano eine Frage zum Phänomen der Einkapselung: ob dieses lediglich ein typisches Strukturmerkmal von un­

terworfenen Gesellschaften sei, oder ob es ein generelles gesellschaft­

liches Phänomen sei, und weiter, ob soziale Strukturen wie das Klientel­

system durch einen Erobererstaat gestärkt würden oder sich bei Nicht­

vorhandensein eines Erobererstaates im Zuge der gesellschaftlichen Ent­

wicklung auflösen würden.

Volker Press stellte die Frage, ob der zivilisatorische Fortschritt, die Komplizierung der Produktionsprozesse verbunden mit der oft schwie­

rigen Kommunikation zu mehr Subsidiarität zwinge. Zu Peter Häberles Ausführungen warf er die Frage auf, ob unser Rechtsdenken nicht teil­

weise blind für andersartiges Denken sei.

Kurt W. Rothschild brachte zum Referat von Geser die Frage vor, ob man nicht deutlicher zwischen Dezentralisierung und Subsidiarität un­

terscheiden müsste. Es sei nämlich entscheidend, welche Ebene die Kompetenz hätte zu entscheiden, ob eine Tätigkeit weiterhin auf der tie­

feren Ebene geregelt werden soll.

Ralph Kellenberger sprach die Thematik Subsidiarität und Kulturför­

derung an. Erstens würde der Staat oft infolge finanzieller Probleme seine Kulturförderung wieder verringern und dabei das Subsidiaritäts-prinzip als Argumentationshilfe heranziehen. Zweitens bestehe zwischen der Kulturförderung im kleinen privaten Rahmen und der staatlichen Kulturförderung ein qualitativer Unterschied.

Alois Riklin warf zum Referat von Hans Geser ein, dass seine Be­

trachtungen lediglich das Problem der Delegation von oben nach unten umfasst hätten. Dies sei problematisch, der Bürger würde damit zum Untertan degradiert. Die Partizipation von unten nach oben würde so gänzlich ausser acht gelassen. Riklin konnte sich Gesers Postulat, dem seiner Meinung nach auch Jaques Delors anhängt (siehe dessen Rede vom 21. März 1991), nämlich zuerst zu zentralisieren, um danach wieder gewisse Kompetenzen abgeben zu können, nicht anschliessen. Mit einem solchen Subsidiaritatsverständnis wäre es möglich, auch in der römisch­

katholischen Kirche, wo gnadenhalber bestimmte Freiräume von oben nach unten offen gehalten werden, ja sogar in totalitären Staaten, Subsi-diaritätselemente zu finden.

Thomas Hafen fragte, wie man das Beispiel Frankreichs mit der These Gesers, dass die gesellschaftliche Entwicklung bei zunehmender Kom­

plexität durch relativ stärkere Dezentralisierung geprägt sei, vereinbaren könne, hätte sich doch Frankreich vom absolutistischen Zentralstaat zu einem modernen demokratischen, aber dennoch zentralistischen Staats­

gebilde entwickelt. Als zweites warf er die Frage auf, ob man nicht im Anschluss an die Referate von Giordano und Geser den Begriff der Sub­

sidiarität als Prinzip, das von oben nach unten wirke, den Föderalismus hingegen als Prinzip, das von unten nach oben wirke, bezeichnen könnte.

Otfried Höffe forderte wie schon Alois Riklin, in die Subsidiaritäts-diskussion auch die Delegation von unten nach oben einzubeziehen. Ein Korrektiv zu einer zentralistischen Deutung des Prinzips stellt seiner Meinung nach das Prinzip der Volkssouveränität dar. Die von Geser be­

schriebene teleologische Rechtsauslegung des Europäischen Gerichts­

hofs, wonach bei Kompetenzstreitigkeiten prinzipiell immer zugunsten der "Stärkung der Gemeinschaft" entschieden werde, bezeichnete Höffe unter dem Gesichtspunkt der Legitimation von unten als regelrechte Kompetenzanmassung.

Dazu bemerkte Peter Häberle, seit der Aufstellung der vier klassischen Auslegungsmethoden durch Savigny (der historischen, systematischen, grammatikalischen und teleologischen) im Jahre 1840 sei deren Zusam­

menspiel bis heute nicht vollends geklärt. Die Richter würden aber in ih­

ren jeweiligen konkreten Entscheiden das Zusammenspiel ordnen. Bis zu Maastricht sei es, laut Häberle, eine spezifische Aufgabe des EG-Gerichts­

hofes gewesen - so habe es zumindest dieser selbst ausgelegt als "Mo­

tor der Integration" zu wirken. Häberle stellte dann die Frage, ob der Ge­

richtshof, sofern das Subsidiaritätsprinzip justitiabel sei, seine Ausle­

gungspolitik nach der Verankerung dieses Prinzips nicht ändern müsste.

Thomas Bruha teilte die Kritik Höffes am Ausmass der teleologischen Interpretation des EG-Gerichtshofs, bejahte aber grundsätzlich dessen Kompetenz dazu. Der Gerichtshof sei dazu verpflichtet, die Verträge so zu verstehen, dass sie die Integration fördern. Seine Rechtsprechung sei als akzeptiert zu betrachten, hätten doch die Parlamente mehrmals Gele­

genheit gehabt, über Änderungen der Verträge, welche die dynamische

Rechtsprechung des Gerichtshofes notifiziert hätten, abzustimmen. Er teilte hingegen die Meinung seiner Vorredner, dass der EG-Gerichtshof nach Maastricht sowohl die Integration fördern, als auch im Sinne der Subsidiarität wirken müsse.

Günther Lottes richtete an Geser eine methodologische Frage. Er fand es problematisch, Erkenntnisse aus der Betriebssoziologie auf die Staatssoziologie zu übertragen; ein Betrieb würde durch das Kapital zu­

sammengehalten, ein Staat aber durch die (nationale) Identität, das Recht oder den gemeinsamen Zugriff auf die erhobenen Steuermittel.

Zum Beitrag von Kurt W. Rothschild wies Hubert Büchel darauf hin, dass die ökonomische Theorie des Föderalismus sich doch gerade mit der Kompetenzverteilungsfrage befasse, also damit, wer entscheiden könne, wer die Spielregeln definiere und auslege und worüber man ent­

scheide. Im weiteren bemerkte er, dass heute Aufgabenteilung und Steu­

erhoheit oft getrennt seien, dies sei ein Punkt, den die Ökonomen in der Diskussion über die Subsidiarität noch genauer beleuchten könnten.

Schliesslich warf er die Frage auf, ob nicht die Grösse von Gebietseinhei­

ten unter Effizienzgesichtspunkten entscheidend für das Ausmass der Kompetenzzuweisung sein könnte.

Hans Christoph Binswanger stellte an Kurt W. Rothschild die Frage, ob sich aus seiner Subsidiaritätsdefinition - nach welcher der Staat subsi­

diär zum Markt eingreifen solle - auch Regeln für die Kompetenzvertei­

lung in Hierarchien ableiten lassen würden. So seien in den "Gesetzen"

von Plato die einzelnen Stadtstaaten autark und der Markt zwischen ih­

nen sei subsidiär.

Martin Löwenstein vertrat die Meinung, Ökonomen müssten bei der Suche nach ihrer fachspezifischen Subsidiaritätsdefinition bei Friedrich August von Hayek nachblättern, bei dem Subsidiarität bedeute, dass der Staat lediglich dort, wo die spontane Ordnung gefährdet sei, eingreifen und diese Ordnung wieder ins Gleichgewicht bringen solle.

Christian Giordano beantwortete in seinem Schlussreferat die Frage von Kurt W. Rothschild positiv, mit seinem "Modell" der Vermittlung würden sich auch andere Phänomene abseits der Subsidiaritätsproblema-tik, wie interfamiliäre Konflikte in schwach verstaatlichten Gesellschaf­

ten oder intertribale Konflikte, analysieren lassen. Auch bei personalen Gemeinschaften, wie sie Thomas Fleiner angesprochen habe, seien sol­

che Mechanismen der Vermittlung feststellbar. In Indien würden perso­

nale und territoriale Gliederungen mit dem Kastenwesen und den Dorf­

gemeinschaften ineinander übergehen. Zur Rolle der Kirche in der italie­

nischen Gesellschaft meinte er, dass das Klientelwesen in Italien sicher früher entstanden sei als die Kirche, die Kirche also nicht dessen Ursache sein könne; eher sei die Kirche durch das Klientelwesen.beeinflusst wor­

den. Man könne aber sagen, dass die Kirche an der Perpetuiening des Klientelwesens mitwirke. Zur Frage von Peter Haberle wies er auf die Schrift "A Scientific Theory of Culture" von Bronislaw Malinowski hin, dem es aber nicht in befriedigender Weise gelungen sei, universelle Grundbedürfnisse nachzuweisen. Nach diesem hätte sich die Ethnologie nicht mehr mit dieser Frage abgegeben; die Ethnologie könne lediglich versuchen, kulturgeprägte. Bedürfnisse zu definieren., Günther -Lottes gab er zur Antwort, dass solche Einkapselungsmodelle zwar vorerst nur auf Indien, danach aber auch auf komplexe Gesellschaften angewandt worden seien. Einkapselung liesse sich eigentlich in jeder komplexen Ge­

sellschaft finden.' Das Klientelwesen bezeichnete Giordario als .Wider­

standstrategie; ohne Einwirkung des Staates hätte es wahrscheinlich nicht überlebt, sondern es hätten sich modernere gesellschaftliche Hand­

lungsformen entwickelt. Zu Volker Press meinte er, es sei tatsächlich problematisch, dass das Klientelwesen von einem legalistischen Stand­

punkt aus als negativ beurteilt würde, denn damit lasse es sich juristisch gar nie fassen. So müsse momentan in Italien der Korruptionsskandal mit politischen und nicht mit juristischen Mitteln gelöst werden.

Hans Geser betonte in seinem Schlussreferat nochmals, dass er das Subsidiaritatsprinzip als eine Handlungsregel betrachte. Sie setze voraus, dass eine Instanz vorhanden sei, die in der Lage sei, dieses Prinzip zu verfolgen, oder auch anders zu handeln. Letztlich verdanke man doch dieses Prinzip dem Entstehen des absolutistischen Staates. Subsidiarität sei kein Gnadenakt, setze aber Kompetenz-Kompetenz beim Zentrum voraus, dies auch in der Schweiz. Zentralistische Strukturen hätten in Be­

zug auf Reformen von oben einen grundsätzlichen Vorteil. Man sei hier nicht vom Zufall abhängig, sondern könne intentionale Entscheide fäl­

len. So ortet Geser auch bei der römisch-katholischen Kirche ein viel grösseres evolutionäres Potential als bei reformierten Kirchen, denn ihr sei es möglich, vom Zentrum aus Reformen zu initialisieren. Föderalis­

mus sieht Geser eher als Kompetenzdelegation von unten nach oben, und deshalb sei er auch - wie die Probleme der GUS-Staaten zeigen wür­

den - oft mit Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung belastet. Be­

züglich der internationalen Ordnung war Geser zuversichtlich, dass die

sonst eher auf sich selbst bezogenen Staaten in Zukunft teilweise Kom­

petenzen an internationale Organisationen abgeben würden, und dass dann das Subsidiaritätsprinzip auch auf dieser Ebene relevant werden könnte. Zum zentralistischen Frankreich stellte er die Frage, ob hinter dieser zentralistischen Fassade nicht unter Umständen auch andersartige Strukturen zu finden seien.

Kurt W. Rothschild konnte zur Frage von Hans Christoph ßinswan-ger keine Korrelation zwischen der Frage Markt - Staat und der Frage der Kompetenzverteilung oben - unten erkennen. In der Ökonomie werde nur mit Effizienzüberlegungen gearbeitet, werde eigentlich nicht über Prinzipien gestritten. Zu Löwenstein meinte er, Ökonomen würden sich ganz einfach nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip beschäftigen. Was Hayek v. a . in seinen späteren Jahren betrieben habe, sei keine Ökono­

mie, sondern Sozialphilosophie. Von Ökonomen werde er aber natürlich oft ideologisch zur Legitimierung der Marktwirtschaft herangezogen.

III. Geschichte,

Verfassungslehre