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Alois Riklin, die mutmasslichen Positionen der für die Tagung nicht mehr rechtzeitig eingetroffenen schriftlichen Diskussionsbeiträge von Gerhard Goeters und Thomas O. Hüglin einzubringen. Im folgenden wird, um die Abwesenheit von Goeters und Hüglin auszugleichen, das Votum Alois Riklins teilweise im Wortlaut wiedergegeben:

"Die gängige Rückführung des Subsidiaritätsgedankens auf die katho­

lische Soziallehre greift zu kurz, da sie sich wortklauberisch an den Ter­

minus und nicht an den Sinn klammert. Sinngemäss findet sich die Sub­

sidiarität, wenn nicht schon bei Aristoteles, Thomas von Aquin und Dante', so doch bestimmt in der reformierten Föderaltheorie im 16.

Jahrhundert, in der grossen Summe der Politik von Johannes Althusius im frühen 17. Jahrhunden und in der Föderalismustheorie von Ludol-phus Hugo in der Mitte des 17. Jahrhunderts.

In der reformierten Föderaltheorie stellte sich das Subsidiaritätspro-blem, sobald das Verhältnis zwischen übergeordneten Synoden und Basis­

gemeinden zu lösen war. Im Gegensatz zum wachsenden Zentralismus der römisch-katholischen Kirche betonte das calvinistische Kirchenrecht die Autonomie der Gemeinde. In den Beschlüssen der Synode von Emden (1571) findet sich eine der frühesten Quellen des Subsidiaritätsprinzips:

«Keine Gemeinde darf über die anderen Gemeinden das Primat oder die Herrschaft an sich reissen ...

Provinzial- und Generalsynoden soll m an nicht Fragen vorlegen, die schon fr üher behandelt und auf Gemeindeebene [?] entschieden worden sind,... und zwar soll nur das aufgeschrieben werden, was in den Sitzun­

1 Zu Aristoteles siehe das Referat Hoffe, zu Thomas und Dante siehe Oswald von Nell-Breuning: Baugesetze der Gesellschaft, Solidarität und Subsidiarität, Freiburg i. Br. 1990, S . 8 7 f.

gen der Konsistorien und der Classicalversammlungen nicht entschieden werden konnte oder was alle Gemeinden der Provinz angeht.»2

Althusius war in hohem Masse vom Calvinismus geprägt. Er hatte u.a.

in der Calvin-Stadt Genf studiert, amtete anschliessend als Rektor der Hohen Schule von Herford, einer Hochburg der calvinistischen Föderal­

theologie, und wurde schliesslich Stadtsyndikus von Emden, dem calvi­

nistischen <Genf des Nordens». In seinen «Politica methodice digesta»

(1603) betont Althusius vor allem den negativen Subsidiaritatsbegriff (im Sinne von Höffe), indem er den Stufenbau der "Consociationen" von der privat-natürlichen Familie über die intermediären privat-bürgerlichen Berufs- und Standesgenossenschaften sowie öffentlichen Gemeinschaf­

ten der Stadtgemeinden, Landgemeinden und Provinzen bis hinauf zum Reichsverband und der Völkergemeinschaft systematisiert. Zu Recht gilt Althusius als «Vater des Föderalismus». Die Idee, wonach der Grossstaat der inneren Korruption zu verfallen, der Kleinstaat mangels äusserer Macht unterzugehen droht, die föderative Republik indessen beiden Ge­

fahren vorzubeugen vermag, diese Idee hat Montesquieu3 von Althusius4

übernommen. Obwohl föderative Phänomene schon im biblischen Israel zur Zeit der Richter (12./11. Jahrhundert), im Aitonischen Bund Mittel­

griechenlands (4. Jahrhundert v. Chr.) und im Achäischen Bund auf dem Peloponnes (3. Jahrhundert v. Chr.) vorkamen, waren die politischen Denker der Antike und des Mittelalters in den Paradigmen der kleinräu-migen Polis und des zentralistischen Römischen Reiches gefangen. Bis zu Althusius fehlte ein den antiken Vordenkern kongenialer Geist, der die verschiedenen Erscheinungsformen von Bündnissen, Staatenbünden und Bundesstaaten entdeckt, verglichen und in eine Theorie der Staaten­

verbindungen gefasst hat. Althusius bewahrte die Idee der Polis, aber in­

tegrierte sie in den grösseren Verbund des weiträumigen Territorialstaa­

tes. Und er bewahrte zugleich die Idee des Reiches, aber dachte und ge­

staltete sie nicht von einem Zentrum aus und von der Spitze her, sondern dezentral von unten nach oben. Föderalismus und Subsidiarität prägen das politische System des Althusius. Der Föderalismus entfaltet sich in

2 Luyckx, Marc: Histoire philosophique du concept de subsidiarite. Commission des Com-munautes europecnnes: Cellule de prospective. 13. Februar 1992, S. 1 u nd 7.

3 Montesquieu: De l'esprit des lois. Genf, 1748, IX/I

4 Althusius, Johannes: Politica methodice digesta. 3. Aufl. Herford, 1616, IX/9-12 (S. 171 ff.)

der Selbst- und Mitbestimmung aller Consociationen. Die Subsidiarität kommt darin zum Ausdruck, dass die kleinere Gemeinschaft an die grös­

sere nur soviel abgibt, als zur Zweckerfüllung notwendig ist. Träger der Souveränität ist das Volk, Volk verstanden nicht als Summe von Indivi­

duen, sondern als consociativ gegliederter Gesamtkörper.

Griffiger noch als'bei Althusius kommt der Subsidiaritätsgedanke in der Bundesstaatstheorie von Ludolphus Hugo (1661) zum 1 Ausdruck, und zwar in zweifachem Sinne: Einerseits sollen die Gliedstaaten nur so­

viel Kompetenzen an das Reich abgeben, als die gestellten Aufgaben ihre Kräfte übersteigen oder von ihnen weniger gut erfüllt werden können.

Anderseits dürfen die Gliedstaaten tätig werden, wenn es das Reich ver­

säumt, seine Befugnisse auszuschöpfen:

« . . . u n d d a ss a u s s e r d e m j e n e A n g e l e g e n h e i t e n a u f g r u n d v e r e i n t e r Macht und Beratung erledigt werden, welche die:Kräfte der einzelnen Stände übersteigen oder aber in den einzelnen Provinzen nicht gleich gut wie auf der Reichsstufe bewältigt werden können ...

Was nämlich vom Reich vernachlässigt wird, ist von den Ständen allein gemäss ihrem Gutdünken und Vermögen zu erledigen.»s

Aus heutiger Sicht erscheint das vielschichtige, vielfältige, flexible, modern ausgedrückt: kybernetische Modell-des Föderalismus von Althusius viel gehaltvoller als die Verkürzung, Verengung,- Erstarrung und Kanonisierung des zwei- oder dreistöckigen Bundesstaates. Das amerikanische, deutsche und schweizerische Bundesstaatsverständnis verhält sich zum Föderalismus des Althusius wie ein geschlossenes zu einem offenen System, fernab juristischer Spitzfindigkeiten und Haar­

spaltereien. Es könnte auch für die undogmatische Weiterentwicklung der- Europäischen Gemeinschaft nach Maastricht fruchtbar gemacht werden."

In seinem Votum zum Referat Höffe verwies Hans Christoph Bins-wanger auf Plato, der in den Gesetzen von kleinen, teil-autarken "Poleis"

ausgegangen sei. Subsidiär zu diesen Poleis habe der hellenische Markt eine Rolle gespielt, da die einzelne Polis nicht vollkommen autark gewe­

sen sei. Dieser Markt sei durch das hellenische Gold- und Silbergeld

5 Hugo, Ludolphus: De statu regionum Germaniae. Helmstedt, 1661 (zitiert nach der Aus­

gabe Giesen, 1689), 11/14 (S. 44), 11/15 (S. 46).

reguliert worden, während in den einzelnen Poleis nur Blechgeld im Um­

lauf war. Interessant sei ein Vergleich mit der EG, in der in den nationa­

len Instanzen dank deren teilweiser Autarkie eher noch die republikani­

sche Tugend zur Geltung komme, während sie in der vom liberalen Prin­

zip dominierten EG mindestens vorläufig verloren zu gehen drohe.

Für Thomas Fleiner implizierte das Subsidiaritätsprinzip eine Ver­

drängung der Demokratie, da Kompetenzen nicht mehr nach demokra­

tischen Regeln verteilt würden. Zur "Civil society" gehöre ganz wesent­

lich die Akzeptanz der Spielregeln. Wenn eine Mutter einen Kuchen un­

ter zwei Mädchen verteilen wolle, so müsse sie davon ausgehen, dass die Kinder den Kuchen nicht selbständig gerecht verteilen könnten. Wenn sie aber sage, die Anna zerschneidet den Kuchen und die Beatrice wählt zuerst aus, so sei die Gerechtigkeit eher gesichert. Die zentrale Rolle des Verfahrens dürfe deshalb nicht unterschätzt werden. Für die Subsidiari­

tät als Prinzip der Aufgabenverteilung gebe es in diesem Prozess keinen Platz, denn ausschlaggebend sei, wer entscheide, wieviel Macht verteilt werde und wer die Macht ausübe. Er war überzeugt, dass eine demokra­

tische Ordnung, in der die "rules of the game" respektiert würden, von alleine im Sinne des Subsidiaritätsprinzips gestaltet werde.

Peter Häberle stellte die Frage nach den verbindenden Zwischenglie­

dern zwischen den Erkenntnissen der Philosophie und dem positiven Staatsrecht, welche den Juristen bei der Auslegung des Subsidiaritätsbe-griffs von Maastricht nützlich sein könnten. Weiter vermutete er, dass der Begriff der Volkssouveränität und der durch die Tradition von Hobbes geprägte, unglückliche Begriff der Staatssouveränität verfassungstheore­

tisch nach und nach zu verabschieden seien. Staatenrecht habe vom kul­

turanthropologischen Begriff der Menschenwürde auszugehen. Die Bemerkung Höffes, Volkssouveränität und Menschenrechte seien gleich ursprünglich, sei deshalb mit einem leichten Fragezeichen zu versehen.

Günther Lottes stellte die Frage nach der Kompetenz als Bestandteil des Subsidiaritätsprinzips. Das Subsidiaritätsprinzip sei ja k ein einfaches Verteilungsschema von Zuständigkeiten, sondern es kopple die Zustän­

digkeiten an die Kompetenz, sie auch wahrnehmen zu können. Kompe­

tenz heisse unter anderem Leistungsfähigkeit, klammere aber dadurch Leistungsbereitschaft, aber auch Leistungsverweigerung aus. Kompetenz impliziere darüber hinaus Ungleichheit. Er frage sich nach deren Folgen für die subsidiäre Verantwortung der höheren gesellschaftlichen Einhei­

ten und stellte die Vermutung einer durchschnittlichen Kompetenz, zum

Beispiel als Orientierungsrahmen für Hilfeleistungen, zur Diskussion.

Schliesslich warf Lottes die Fragen auf, ob das Subsidiaritätsprinzip als kompetenzvermutendes Verfassungsprinzip anzusehen sei oder ob es eine reale Kompetenzpriifung beinhalte und was Kompetenz im Hin­

blick auf Partizipationsmöglichkeiten des einzelnen Bürgers bedeute.

Christian Giordano verwies auf die Beispiele von aussereuropäischen Hochkulturen, die alle nur dank zentralistischen Strukturen möglich ge­

wesen seien. Daran lasse sich die Frage anschliessen, ob nicht die Subsi-diaritätsidee ein Produkt der Kulturleistung von Zentralisierungsbestre­

bungen sei.

Rocco Buttiglione erinnerte an die thomistisch geprägte Anthropolo­

gie der Enzyklika "Quadragesimo anno" in der der Mensch immer Sub­

stanz und Relation zugleich sei. Wenn wir vom Menschen sprächen, so meinten wir also immer zugleich Individuum und Gesellschaft und die Bestimmung des Menschen für die Gesellschaft. Dies sei eine wichtige Grenze zwischen der Idee der Subsidiarität und den meisten Formen des Liberalismus.

Alois Rildin stellte zum Referat Buttiglione die Frage, ob die Beob­

achtung richtig sei, dass die römisch-katholische Kirche die Subsidiarität für Staat und Gesellschaft empfehle, die Anwendung dieses Prinzips auf die Kirchenverfassung aber in zunehmendem Mass verweigere.

Als Beispiel zu der von Rocco Buttiglione gemachten Verbindung von Subsidiarität und Solidarität verwies Peter Häberle auf die spanische Verfassung von 1978, die im Zusammenhang mit den Regionen sowohl von "Solidarität" als auch von "Autonomie" spreche.

Otfried Höffe warf die Frage auf nach der Solidaritätsverbindlichkeit.

Solidarisch sei derjenige, der sich schon mit einem andern zusammen in einer gemeinsamen Aufgabe vorfinde. Hier sehe er zwei Bedingungen für solidarisches Handeln: Das "zusammen" müsse erstens vorgegeben und zweitens wohldefiniert sein. In der heutigen Verwendung der Soli­

darität von der katholischen Soziallehre bis zu Habermas würden mo­

mentan beide Bedingungen fehlen. Heute müsse eine Situation erst als eine solidarische anerkannt werden und die Solidarität sage dann immer noch nicht genau, wer wofür und gegenüber wem zuständig sei. Höffe fasste seine Überlegungen in der Vermutung zusammen, dass überall dort, wo die strengen Bedingungen der Gerechtigkeit nicht eingelöst werden könnten, nach dem normativen Potential der Solidarität gegrif­

fen werde.

Hans Geser deckte einen Widerspruch zwischen den Referaten von Rocco Buttiglione und Otfried Höffe auf. Habe Buttiglione eher für die Stärkung der intermediären Gruppen plädiert, so sei Höffe eher von einer Allianz zwischen dem Individuum und der Zentralgewalt auf Ko­

sten dieser intermediären Gruppen ausgegangen. Als Beispiel führte Geser die Menschenrechte ins Feld, die, verbunden mit einer Schwä­

chung der Nationen, zunehmend zu einer internationalen Angelegenheit würden. Geser schloss seine Überlegungen mit der Beobachtung, dass das Subsidiaritätsprinzip keine eindeutigen Anweisungen mehr gebe, so­

bald es mehr als zwei Ebenen gebe und deshalb zusätzliche Spezifika­

tionen zur Kompetenzzuweisung notwendig würden. Damit verbunden sei ein Bekenntnis zu Liberalismus mit seiner Betonung des Individuums als Träger subjektiver Rechte oder zu einem irgendwie gearteten Konser­

vativismus und einer damit verbunden stärkeren Gewichtung von Fami­

lien, Sippen, Ethnien oder anderen überindividuellen Akteuren. Für die­

sen Entscheid biete das Subsidiaritätsprinzip keine Hilfe mehr.

Christian Giordano fragte zum Referat von Rocco Buttiglione, ob seine vorgeschlagene Lösung der Revitalisierung von alten Solidarge­

meinschaften nicht auf dem Trugschluss der Annahme einer historischen Reversibilität im Sinne von "small is beautyful" beruhe.

Kurt W. Rothschild betonte die Tatsache, dass der Sozialstaat als kul­

turelle Errungenschaft oder soziale Notwendigkeit seit hundert Jahren allgemein akzeptiert sei und sich die Frage nach ihm nicht mehr grund­

sätzlich stelle. Er sehe auch nicht, inwieweit das vage Subsidiaritätsprin­

zip als fiskalische Methode zur Eindämmung des Sozialstaates beitragen könnte. Diese Aufgaben würden besser durch das fiskalwirtschaftliche Sparsamkeitsprinzip gelöst. Bei der Frage der Solidarität sei prinzipiell einzuwenden, dass die Auslagerung von Staatstätigkeiten auf Freiwillige nicht einfach herstellbar oder erzwingbar sei. Die auch nicht immer idea­

len Familien von gestern seien heute schlichtwegs gar nicht mehr vor­

handen und es müsse auch beachtet werden, dass soziale Leistungen des Staates vielfach erst durch den Beitrag der berufstätigen Frauen ermög­

licht worden seien.

Otfried Höffe überlegte sich im Zusammenhang mit dem Referat Münkler, weshalb Bürgertugend im Vergleich mit Institutionen ein flüchtiges Moment sein müsse. Zumindest für Aristoteles und die Niko-machische Ethik habe dies noch nicht gegolten. Er frage sich, ob es wirk­

lich so sei, dass die Tugend als politische Instanz verstanden selbst de­

struktiv sei, oder ob andere Prozesse noch eine Rolle spielten. Zum Bei­

spiel, dass im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit aus La­

stern Interessen geworden seien. So sei beispielsweise aus dem Laster der Habgier plötzlich ein lobenswerter Geschäftssinn geworden. In goti­

schen Kathedralen würden wir die sieben Laster heute nur noch ideenge­

schichtlich betrachten, nicht mehr aber als Teil unseres Lebenshorizon­

tes. Die Diagnose sollte in dieser Hinsicht erweitert werden, denn eine Restituierung dieses Wissens sei schon im Hinblick auf unsere ökologi­

sche Verantwortung zu befürworten. Weiter fragte sich Höffe, weshalb im liberalen Modell Subsidiarität nicht zum Beispiel im Modell der ge­

stuften Staatlichkeit integriert werden könne. Er knüpfte daran die Frage, ob Bürgertugend nur als Partizipationswille zu interpretieren sei und es nicht eher um einen umfassenderen Begriff wie jenen des Ge­

meinwohlwillens gehe. Zum Schluss gab Höffe noch zu bedenken, dass dem Modell der Zivilgesellschaft und Bürgertugend das Bewusstsein für die Konfliktträchtigkeit menschlichen Zusammenlebens fehle und dass darauf nicht mit einem Kooperationsmodell zu antworten sei, sondern

mit einem Modell, das auf der Idee des Rechtsschutzes basiere.

An Herfried Münkler richtete Peter Häberle die Frage, ob der Begriff der Zivilgesellschaft jenem der "Civil society" entspreche. Er begrüsste im weiteren die Entwicklung einer scheinbar altmodischen Tugendlehre und verwies auf Erziehungsziele in Drittweltstaatenverfassungen und in (süd)deutschen Länderverfassungen. Zum Schluss betonte Häberle die Notwendigkeit der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, die durch die Grundrechte mitgarantiert werde, weil man sonst rasch bei to­

talitären Staatsmodellen lande. Grundrechtsgarantien seien in diesem Sinne eine Art private Schutzzonen.

In seinem Schlussvotum führte Otfried Höffe zum Votum von Alois Riklin aus, dass auch er Althusius für eine ganz wichtige Figur halte.

Seine Aussage, dass die Bedeutung von Althusius nicht überschätzt wer­

den sollte, beziehe sich bloss auf die politische Wirkungsgeschichte und die Tatsache, dass auch das grosse Werk von Gierke kaum über den Kreis der Ideengeschichte hinaus bekannt geworden sei. Zum von Binswanger erwähnten panhellenischen Goldgeld fügte Höffe als weiteres Beispiel panhellenischer Institutionen die olympischen Spiele hinzu. Bezug neh­

mend auf den von Fleiner gemachten Demokratievorbehalt erinnerte Höffe daran, dass der Wert der Subsidiarität einerseits darin liege, Kom-petenzerschleichungen im Rahmen des positiven Rechts aufzudecken,

und anderseits, bei der Rechtsetzung, ein Wort zugunsten der unteren Instanzen einzulegen. Daran knüpfte Höffe an, der Wert der politischen Philosophie für die Juristen liege gerade darin, deren Problembewusst-sein zu erweitern. Zum Votum von Häberle meinte Höffe, das Prinzip der Menschenwürde liege sowohl der Demokratie wie auch den Men­

schenrechten zugrunde. Es werde in der deutschen Tradition als Verfas­

sungsprinzip jedoch überschätzt. Dieses schöne, aber vage Prinzip werde überall dort eingesetzt, wo man mit wohldefinierten Menschenrechten nicht mehr weiterkomme. Zum von Günther Lottes aufgeworfenen Pro­

blemkreis rund um die Kompetenz und zur Kompetenzvermutung zu­

gunsten des Individuums präzisierte Höffe, dies sei für ihn nicht unter dem Aspekt der Kompetenzvermutung und damit der Leistungsfähig­

keit zu behandeln. Da die Leistung zugunsten dieses Individuums er­

bracht werden sollte, sei dieses für ihn als letzten Referenzpunkt zu be­

trachten. Abschliessend meinte er zur von Buttiglione gemachten Kritik der individualistischen Interpretation des "homo singularis", diese sei vielleicht ein terminologisches Problem und "persona" als Begriff an­

spruchsvoller und präziser, "homo singularis" sei nun aber einmal Leit­

begriff der "Quadragesimo anno".

Rocco Buttiglione meinte in seinem Schlussvotum, er verstehe die Einwände von Thomas Fleiner, da der ordnungspolitische Begriff der Subsidiarität erstmals als juristischer Begriff gebraucht werde. Subsidia­

rität sollte als Prinzip verstanden werden, das den kleineren Gemein­

schaften einen gewissen Vorzug gebe, das heisst, dass im Sinne von "in dubio pro reo" der bürgernäheren Instanz der Vorzug gewährt werden sollte. Gegen die Gerechtigkeitsparabel mit den zwei Mädchen wandte er ein, dass die Verteilung des Kuchens mit Hilfe der Subsidiarität nicht zu lösen sei. Subsidiarität wäre aber dann angesprochen, wenn das Mädchen über die Farbe seines Kleides entscheiden müsste und sich die Mutter in diesen Entscheid einmischen würde. Zu den Voten von Hans Geser und Christian Giordano meinte er, es sei offensichtlich, dass der Sozialstaat im bisherigen Rahmen nicht aufrechterhalten werden könne. Es stelle sich die Frage nach der Sorgepflicht der Kinder für ihre Eltern. Falls diese Frage positiv beantwortet werde, könne als Nebeneffekt eine Ver­

stärkung der Bindungen zwischen Eltern und Kindern erwartet werden.

Buttiglione ergänzte diese Ausführungen mit der Bemerkung, dass die Befreiung des Individuums nicht immer in einem direkten Zusammen­

hang mit der Vergrösserung der Macht des Staates gesehen werden

könne. Der Einzelne sei das Ergebnis eines Prozesses, und er werde zu einem schwachen Menschen, wenn er von seinen Konstitutionsbedin­

gungen abgeschnitten werde. Zur von Alois Riklin gemachten Beobach­

tung hielt Rocco Buttiglione fest, die Anwendung des Subsidiaritätsprin-zips in der Kirche werde selbstverständlich verweigert, da die Kirche als übernatürliche Gesellschaft anzusehen sei und deshalb einem ganz ande­

ren Bereich angehöre. Die von Otfried Höffe aufgeworfene Frage nach der Legitimationsbasis der Solidarität beantwortete Buttiglione mit drei Stichworten. Phänomenologisch betrachtet sei der Mensch zugleich Sub­

jekt und Gemeinschaft und er habe deshalb die Pflicht, anderen Men­

schen zu helfen. Die Zuständigkeit dazu werde durch das Subsidiaritäts-prinzip geregelt. Empirisch betrachtet sei der Mensch zweitens zu Mit­

leid im Sinne Humes fähig. Die Fähigkeit der Sympathie gehöre offen­

sichtlich zu den Eigenschaften des Menschen. Der Mensch dürfe drittens nie in eine Situation gebracht werden, in der ihm kein Ausweg mehr bleibe und ihm als Alternative nur noch der Krieg offen bleibe. Zur Stel­

lungnahme von Kurt W. Rothschild hielt Buttiglione fest, dass er seine Aussage, dass in Zukunft vermehrt die Kinder Verantwortung und Un­

terstützungspflichten für ihre Eltern übernehmen müssten, nicht als mo­

ralische Handlungsanweisung verstehe, sondern als politische Notwen­

digkeit zur Lösung unserer sozialstaatlichen Probleme.

Herfried Münkler leitete sein Schlussvotum mit einer Bemerkung zur Position von Rocco Buttiglione ein. Er gab zu bedenken, dass beispiels­

weise in Frankfun rund 60 Prozent der Haushalte Single-Haushalte seien und das Problem der Hilfspflicht schon deshalb kaum mit per Pos­

sessivpronomen geäusserten Forderungen gelöst werden könne. Zum spieltheoretischen Beispiel von Thomas Fleiner warf Münkler die Ge­

genfrage auf, was geschehe, wenn die Mutter weggedacht werde. Dies sei erst dann möglich, wenn die von ihm geäusserte Forderung einer Erzie­

genfrage auf, was geschehe, wenn die Mutter weggedacht werde. Dies sei erst dann möglich, wenn die von ihm geäusserte Forderung einer Erzie­