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Zusammenfassung: Christliche Überlieferung im Werk von Stefan Andres

3. CHRISTLICH ORIENTIERTES SCHREIBEN

3.13. Zusammenfassung: Christliche Überlieferung im Werk von Stefan Andres

3.13. Zusammenfassung: Christliche Überlieferung im Werk von Stefan Andres

Ziel, eine wunderbare Einwirkung der göttlichen Gnade 63. Die transzendentalen Be-gründungen, obwohl sie auch aus antikem Denken ableitbar wären, werden in ihrer christlichen Verankerung dargestellt.

Häufig begegnet das Motiv von Hingabe und Opfer. Hier lag offensichtlich ein zentrales Interesse des Dichters, der als, man darf wohl sagen, "religiöse" Urgefühle des Menschen neben der Liebe und der Anbetung den Opfermut nennt 64. Dieser bestimmt immer wieder das Handeln und Leiden von Andres' Figuren. In den an christlicher Tradition orientierten Werken begegnet das Motiv als Einsatz des Lebens für einen Auftrag, für einen anderen Menschen. Dafür wird Jesus Christus als Vorbild angeführt. Sein Tod ist Ergebung in Gottes Willen, wie auch das Vorbild aller Opfer bei Noah im Akzeptieren des göttlichen Willens besteht. Der Kreuzestod fungiert darüber hinaus als Anklage menschlicher Grausamkeiten, die Vorstellung vom Sühnopfer jedoch wird allenfalls gelegentlich angedeutet. Für seine Versöhnungstheologie greift Andres, wohl vom katholischen Meßopfer ausgehend, auf vorchristliche Opferinstitutionen zurück: In einem Akt des Einverständnisses wird das Leben der Gottheit zurückgegeben, um die ursprüngliche Einheit wieder zu erreichen.

Durch gegenseitige Hingabe des einander Verwandten entsteht eine Opfer- und Mahl-gemeinschaft, in die Gott mit einbezogen ist 65.

Die Wandlungen in Andres' christlich bestimmten Werken können als Horizont-veränderungen verstanden werden. Da ist nach den Legenden in den frühen Werken von einer Ablehnung alles "Süßlichen" die Rede, von einem Ekel gegenüber der ge-predigten Übernatur, von der Sehnsucht nach einer welthaltigen Frömmigkeit. Kritik wird an einer Religion geübt, die den Menschen nicht zu seiner Freiheit kommen läßt, die ihn unmündig gängelt und in seine Vorurteile verstrickt. Der Theologie wird lebensferner Dogmatismus, den Theologen Heuchelei vorgeworfen. Theologie und

63 Stefan Andres: Daran glaube ich,in: Eine Einführung in sein Werk, München 1962, S.44-6O. "Das einzige Wunder, das Gott wirkt, ist dies: daß er unsere harten, eigensüchtigen Herzen zu Taten der Liebe und der Versöhnung bewegt"(S.46).

64 Über die "ernste Sache" der Freude, in: Eine Einführung in sein Werk, München 1962, S.63.

65 Die Gemeinschaftsform des "Speiseopfers", bei W. Robertson Smith: Die Religion der Semiten, Freiburg 1899. Wenn in "Der Knabe im Brunnen" Menschenseelen zu Mehl gemahlen, dann zu Brot gebacken und schließlich von Gott gegessen werden (München 1961, S.15), klingen ähnliche

Vorstellungen an. Vielleicht haben hier auch Bilder aus zisterziensischer Tradition eingewirkt, die die eucharistische Mühle darstellen: Aus dem Mehl der Evangelien entsteht Christus, der in der

Eucharistie zur Speise wird. In der von Andres säkularisierten Form heißt es dann: "Jedes Mahl (ist) Opfer, in welchem ein Geschöpf dem anderen als Speise dargeboten wird", Über die "ernste" Sache der Freude, S.71.

Kirche schließlich gehen ein Bündnis ein mit der "politischen Theologie", die sich selbst absolut setzt und in der Gestalt autoritärer Systeme die Individuen vernichtet, wobei sie im Bereich der Rituale und Herrschaftsentfaltung als Erbin des Katholizismus auftritt.

Die Gültigkeit und Verbindlichkeit des Christentums wird zudem durch die Kenntnis anderer Religionen in Frage gestellt, deren Mythen und Bräuchen Bedeutung zuerkannt wird. Auch die christlichen Glaubensinhalte wurden von einem menschli-chen Erzähler aufgezeichnet und können Mythen genannt werden.

Andererseits wird die affektive Bindung gerade an diese Mythen betont, an Liturgisches, an Rituale, eine Bindung, die oft in frühste Kindheit zurückreicht. Der Bereich des Ästhetischen ist zu nennen, der mit christlichen Traditionen verbunden ist und den Wahrnehmungsgewohnheiten Stoff und Form bietet, während er den Lebens-zusammenhängen Halt verleiht.

Die Betonung des Ästhetischen bahnt den Weg zur Kunst, die ganz deutlich bei Andres religiöse Implikationen enthält. Die Kunst wird als Nachhall des Schöpferwortes gedeutet, als Wiederherstellung der göttlichen Ordnung, als ihre Spiegelung. Das gilt gerade auch dann, wenn der Künstler als sensibles Organ seiner Zeit besonders empfindlich für ihre Spannungen und Konflikte ist. Aber sein Engage-ment, sein eigentlicher Auftrag wird immer jene Spiegelung sein. So rückt der Künstler in die Nähe des Geistlichen, wie es Andres' Werke zeigen: Der Mönch wird zum Maler, der Musiker gilt seiner Umwelt als Priester, der Rundfunkreporter sieht sich in der Nähe der Evangelisten, der Prophet Jona schließlich erinnert in seinem Dienst am Wort an den Dichter.

Alle kritischen Reflexionen leugnen nicht die Bedeutung der Bibel. Vielmehr zeigen die hier untersuchten Werke eine zunehmende Annäherung. Da können bibli-sche Symbole oder der Bibel nachempfundene Texte die Handlung auslösen, oder sie befördern eine bestimmte Deutung. Ein Geschehen kann mit biblischen Texten gespie-gelt werden, ein Dialog entsteht zwischen den als vergleichbar verstandenen Situationen. In dieser Anwendung und Übertragung kann durchaus exegetische Arbeit gesehen werden, die auch an einzelnen Stellen im philologischen Bereich sichtbar wird. Zur Exegese kommt ein freier Umgang mit den Texten, ein Um- und Weiterer-zählen, das bereits in den Legenden beginnt und in der "Biblischen Geschichte" seine umfangreichste Form annimmt, allerdings hier überwiegend auf Übertragung und An-wendung verzichtet.

Leiten sich Funktion von Dichtung und Dichter aus religiösen Zusammenhängen ab, so gilt dieses auch für die literarischen Formen. Ein Element ist die genannte

Verwendung der Bibel, die sich auf Sprachgestalt und Form auswirkt. Ein weiteres sind Legende und mythische Erzählung, die in bestimmter Weise von menschheitlich bedeutsamen Ereignissen berichten. Die inhaltliche Anforderung der Spiegelung von Ordnung und Schönheit prägt sich in traditionell gebundenen literarischen Formen aus.

Die Schlüsse neigen zu Abrundungen oder verweisen auf eine Sinnhaftigkeit, Symbol für Andres' in der Apokatastasis gegebene Hoffnung.

In vielen Werken haben Träume eine wichtige Funktion. Oftmals werden sie als Einwirkungsorte einer religiösen, zumindest unbegreiflichen und im Wachen nicht bewußten Macht dargestellt. Die hier auftauchenden Bilder und Symbole dienen auch dazu, Handlungen und Situationen zu deuten oder anzuregen. Dem Traum verwandt ist der Zustand des Menschen, in dem er in mystischer Weise der göttlichen Nähe inne wird.

Alle hier untersuchten Werke haben eine Nähe zu Verkündigung oder zumindestens Auslegung und Erklärung. Im "Reporter Gottes" und im Jona-Roman ist dies die maßgebliche Intention, während die Legenden und "Die Biblische Geschichte"

zur religiösen Erziehung beitragen wollen. Aber auch die Novellen wollen etwas ver-ständlich machen, als Brief oder Bericht an eine bestimmte Person gerichtet, oder die Handlung besteht selbst in einem Klärungsprozeß. In allen Fällen ist ein transzendenter Bezugspunkt gemeint. Daraus ergibt sich, daß die Personen oftmals nicht mehr in den Konfliktsituationen stehen, sondern "vor ihnen", daß sie eher in ihrem "Bewußtsein"

bedrängt werden als in ihrem "Dasein", da sie Antwort geben müssen auf das, was ihnen begegnet 66.

Diese Dominanz des Bewußtseins drückt sich im Vorherrschen von wörtlicher Rede aus, von inneren Monologen, erlebter Rede und erinnerndem Erzählen. Bei der Personengestaltung ist zu beobachten, daß weniger einmalige Individualitäten in ihrer geschichtlichen Konkretheit dargestellt werden als vielmehr beispielhafte Typen in wiederkehrenden Konstellationen. Gestalten verschiedener Werke ähneln einander, sind nicht unbedingt an ihren Ort gebunden.

Andres' am Christentum orientierte Werke beziehen sich auf unterschiedliche Traditionszusammenhänge. Hinzu kommen Ausweitungen auf andere Bereiche, antike Elemente zeichnen sich ab. Immer bestehen die Themen aus menschlichen Konflikten, in der Vergangenheit sowie der unmittelbaren politischen Gegenwart. Entscheidender

66 Otto Mann: Stefan Andres, in: Christliche Dichter im 20. Jahrhundert, Bern, München 1968 2.Auflage, S.410-420, S.413.

Bezugspunkt ist ein Absolutum, dem gegenüber sich menschlicher Wert und menschliche Würde im Gesamttext einer sinnhaltigen Schöpfung konstituieren.