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Synesios' Weg zum Christentum

4. ORIENTIERUNG AN DER ANTIKE

6.3. Synesios' Weg zum Christentum

Entscheidend für den Weg des Synesios sind die drei genannten Frauen: Mutter, Schwester sowie die Erzählerin Prisca. Der Mutter kommt besondere Bedeutung zu;

sie bildet den Bezugspunkt und Rahmen, so daß der Studienfreund des Synesios, Herkulanius, der ihn auf seinem Weg bis hin ins Bischofsamt geleitet hat, sagen kann, Synesios "werde doch noch den Weg seiner frommen Mutter finden" (S.56). Obwohl Synesios die Mythengläubigkeit dieser Frauen zunächst kritisiert, so ist doch hier die Grundlage gelegt, die sich vor allem in einer prinzipiellen Achtung des christlichen Glaubens ausdrückt.

Ein anderer Rahmen für den Weg des Synesios liegt in der Verflechtung und dem Ablauf der Ereignisse, der Dimension von Schicksal und Geschichte also, die mit dem griechischen Ausdruck "Heimarmene" benannt wird. Darin drückt sich aus, daß der

Ablauf der Ereignisse nicht als vom Zufall diktiert angesehen wird, vielmehr zeichnet sich die Vorstellung einer Notwendigkeit ab, die hin und wieder auch als Gottes Wille gedeutet werden kann. Im Rahmen einer solchen Notwendigkeit der Geschichte hat Priscas Vater, ein römischer Heide, seine Tochter dem Zukünftigen, dem Christentum zugewandt. Als eine stringente Notwendigkeit wird auch der Weg des Synesios darge-stellt, in dem auch scheinbare Umwege und Fermaten, etwa der Aufenthalt in Kyrene, letztlich dem Ziel dienen. Auch die Träume, die das Geschehen deuten oder sogar steuern, zeigen, daß es sich hier nicht nur um ein Kompositionsprinzip handelt, sondern um eine grundsätzliche Deutung von Geschehen und Geschichte.

Das heißt aber nicht, die Ereignisse passiv ablaufen zu lassen; vielmehr wird gerade an diesem Punkt das Christliche ins Spiel gebracht, das als wesentlich mit dem Historischen verbunden angesehen wird. Als Philosoph lebt Synesios in Distanz zur Welt; christliche Existenz wird im Gegensatz dazu als aktive Parteinahme verstanden, um dem Lauf der Dinge entgegenzutreten. Dadurch werde "Gottes Werk in der Welt"

betrieben (S.56). Der Weg des Synesios besteht gerade darin, daß er sich aktiv ein-mischt in die Ereignisse. Dazu bringt ihn das Gefühl, das Mitleid mit leidenden Menschen seiner Umgebung, "die sein Leben ausmachen" (S.218). In dieser Betonung der Verbundenheit der Menschen darf man wohl eben die Liebe sehen, die die Mutter des Synesios ihm als Christin vorgelebt hat.

Die Spannung zwischen dem Netz der Notwendigkeit und dem Handeln des einzelnen sieht der Christ Synesios aufgelöst in dem Glauben an den Logos. Dieser ermutigt den Menschen zur Freiheit, da auch der Logos in die Welt des Notwendigen eingetaucht sei und Mensch und Welt erlöst habe (S.321), letztlich wiederum durch die Liebe.

Die sich einmischende Parteinahme geschieht bei Synesios zunächst durch die Übernahme der Gesandtschaft nach Konstantinopel, die auch durch das Zusammensein mit dem Freund Johannes Chrysostomos als Annäherung an das Christentum verstanden wird. Es folgt die Übernahme des Bischofsamts. Die Auseinandersetzung mit den gegnerischen Mächten erfordert unterschiedliche Handlungsformen, die in drei Höhepunkten zusammengefaßt sind: die Fußwaschung, der Bann, der Krankenbesuch.

Die Fußwaschung im Anschluß an das Johannesevangelium bedeutet die Erniedrigung auch vor dem Gegner als Zeichen umfassender Versöhnung, das jedoch nicht ange-nommen wird. Der Bann des Gegners wird als ein letztes Mittel verstanden, das die Positionen klärt. Er ist nicht ein Mittel des Kampfes, des Hasses, sondern er dient dazu, daß die Unterscheidung zwischen gut und böse möglich bleibt. Überdies ist er eine Ausdrucksform der Gegnerschaft, die andere mögliche Formen bindet und

ausschließt. Die dritte Handlung schließlich führt in den Tod: Die Bitte um einen Krankenbesuch, der Synesios entspricht, erweist sich als tötende Falle.

Daß der christlich verstandene Dienst des Synesios zum Tod hinlenkt, wird im Laufe des Romangeschehens vielfach angedeutet. Schon nach dem ersten Schritt, der Gesandtschaft, steht das Wiedersehen des Ehepaars im Zeichen des Todes, wobei die Erzählerin dem Tod auch die Möglichkeit zubilligt, Erfüllung zu sein (S.146). Synesios setzt ihr das keineswegs ablehnende, sondern einschränkende "noch nicht" (S.146) entgegen. Der nächste Hinweis ist in der Prophezeiung gegeben, Synesios werde im April des Jahres 407 sterben. Es ist das Datum der Übernahme des Bischofsamtes, das Synesios nach der konfliktreichen Begegnung mit Andronikos am Domportal als

"Anfang eines Sterbens" (S. 320) bezeichnet, womit das weitere Geschehen bereits charakterisiert ist. Dieser Weg wird zudem durch ein Bibelwort beleuchtet, das mehr-fach zitiert wird: ..."daß keiner eine größere Liebe habe als jener, der sein Leben für seine Brüder hingebe" (S.229).

Damit wird der Weg als Nachfolge Christi bis in den Tod gedeutet, bestimmt durch den Willen Gottes. Gott erfahren sei im Grunde ein Hinsterben zu ihm (S.382).

Und so empfindet auch Synesios selbst trotz der Sorge um seine Familie, um die Kirche, um sein Volk den Tod als etwas, wonach er sich sehnt (S.468). Symbolisiert wird das Objekt der Sehnsucht durch eine Rose, auf die im Spiel die Käfer gesetzt wurden, nachdem sie ihre Aufgabe, schädliche Kräfte von den Bäumen fernzuhalten, erfüllt haben.

Daß Priscas Wunsch, Synesios im Christentum zu verankern, kein Weg war, ihn zu schützen oder sich seiner zu versichern, wird ihr selbst schließlich klar (S.484).

Christlicher Glaube zielt auf eine Dimension, die in diesem Leben nicht vereinnahmt werden kann.

Wird der Weg des Synesios in das Christentum so mit seinem Entschluß zu han-deln gleichgesetzt, so ist zu fragen, welche Wandlungen in seinen philosophischen und religiösen Überzeugungen diesen Prozeß begleiten und stützen. Dabei zeigt sich generell, daß die Wandlung nicht als eine Bekehrung, etwa durch Offenbarung, geschieht, vielmehr ist eine langsame Annäherung an Christliches zu beobachten, wobei es schwer fällt, Unterscheidungen zwischen dem noch Heidnischen und dem bereits Christlichen zu treffen.

Dieses hatte sich bereits bei den Mythen gezeigt, die gleichermaßen heidnische und christliche religiöse Erfahrung ausdrücken konnten. Die Gleichsetzung von Artemis und Maria, der zugrundeliegt, daß Gott sowohl Vater wie auch Mutter, männ-lich wie weibmänn-lich genannt werden kann (S.82), setzt sich darin fort, daß der Bischof

Synesios die beginnende Marienverehrung positiv beurteilt. Maria als

"Gottesgebärerin" (S.329) - anders als bei den Mönchen ist damit auch ihre Mensch-lichkeit gemeint, die die generelle Achtung des Weiblichen mit einschließt.

Fließende Übergänge gibt es auch bei den Vorstellungen zur Trinität. Unmittelbar nach der Gesandtschaft erwähnt Synesios "die Freude des ewigen, in sich ruhenden Vaters", "die strömende Weisheit des Logos" und "die alles durchdringende Liebe des Dritten" (S.153). Der Bischof schließlich gebraucht die Formel vom Vater, Sohn und dem Heiligen Geist (S.317).

Trinität und Christologie sind die zentralen Themen theologischer Reflexion. Bei der Auseinandersetzung mit den Arianern und den Eunomianern bekennt sich Synesios zum Monotheismus, die Wesensgleichheit des Logos mit dem Vater führt ihn zur Ver-ehrung des Christus. Obwohl sich der Bischof Synesios im theologischen Streit auf Grund seiner Vergangenheit unsicher fühlt, lehnt er ihn nicht ab, sondern hofft, daß der Geist der Wahrheit sich durchsetzen werde. Und die Kirche kann seiner Meinung nach nicht in Irrtümern befangen bleiben, "weil sie Christus hat und durch ihn ein Pfeil der Sehnsucht geworden ist, der unaufhörlich durch die Aeonen der Aeonen in das Geheimnis Gottes zielt. Auf dieses Ziel kommt es an, auf die Richtung" (S.400).

Bewegung also statt dogmatischer Erstarrung, und dazu der Vorbehalt, daß das Ziel ein Geheimnis ist. Das relativiert alle menschlichen Überlegungen, verpflichtet aber zum verantwortlichen Nachdenken und Bekennen. Das steht auch am Anfang vom Bischofsamt, wo Synesios klar macht, an welchen Auffassungen er festhalten, bzw.

welche er nicht teilen wird: "daß die Seele später entstanden sei als der Leib", daß die Welt ganz zu Grunde gehe, die Auferstehung des Fleisches (S.299). Auch als Bischof wird er sich zur Apokatastasis des Origines (S.326) bekennen, trotz aller damit einge-handelten Gegnerschaft.

Theologische Auffassungen haben zu tun mit dem Glauben. Prisca ist es, die die prinzipielle Wandelbarkeit des Glaubens formuliert, veränderlich wie das Licht des Tages (S. 297). Für Synesios liegt das Hauptproblem in der Christologie, ob der Logos wirklich Fleisch geworden sei. Zur menschlichen Existenz gehöre doch auch die Sünde, die geschlechtliche Liebe, Krankheit (S.248). Für die Philosophie sei dieses Eingehen des Logos in einen Menschen nicht zu akzeptieren. Aber es gibt auch die Unzufriedenheit des Denkens über die Abstraktheit der Welt, und eben so real und wirksam wie das Denken sei das Sehnen und Wünschen. Und größere Gewißheit und Sicherheit sei nicht zu erlangen als die, die im Wünschen liege, "daß der heilige Logos in seine Schöpfung eingegangen ist; daß er, um den Vater anzubeten und sich im Opfer vor ihm zu vernichten, Mensch geworden ist" (S.327). Dieser Wunsch werde

eingegeben vom ewigen Eros, eine Vorstellung also, in der Liebe sich artikuliert und konzentriert. Das ist der Weg, auf den auch der handelnde Synesios verwiesen worden war.

Aber es bleiben die Zweifel. Zwar vermag das Amt Sicherheit zu geben, auch gibt es Gemeinschaft der Glaubenden, die sich selbst trägt (S.340). Doch ist zum Beispiel auch die Freude so schwer zu verwirklichen, die doch ein Zeichen ist der Wirksamkeit des Heiligen Geistes (S.384). Die Zweifel gelten der Richtigkeit der Ent-scheidung für das Bischofsamt, den eigenen Fähigkeiten, schließlich dem Christentum selbst, das "eine Herausforderung für unsere Natur und unser Denken sei" (S.460), wobei die meisten Menschen im Widerspruch dazu handeln und leben.

Es ist keine triumphierende Bekehrungsgeschichte, die Prisca erzählt. Sie schil-dert eine Nachfolge Christi in bedrängter Zeit, in deren Mittelpunkt das Sich-Einlassen auf die Welt steht, im Zeichen des Liebesgebotes. Darin öffnet sich eine transzendie-rende Dimension: im Leben eines Menschen, "der aus dem älteren Licht in ein neues weitergeschritten war und auch hier sich nicht ganz beschienen fühlte, sondern von fernerem Licht träumte" (S.10).