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Das Drama "Gottes Utopia"

4. ORIENTIERUNG AN DER ANTIKE

5.3. Das Drama "Gottes Utopia"

seine ästhetische Haltung kontrastiert mit dem Mord, der sie befleckt. Bleiben hier die Gegensätze bestehen, so lebt die Novelle vom paradoxen Tausch der Werte: Als Held und Harlekin erscheint Paco seinem Gegner, das Messer, womit der Gefangene für-sorglich bedacht wird, soll zur Mordwaffe werden. Damianos letzter Liebeserweis be-steht in einer Ohrfeige. Als das Kloster Ort der Freiheit war, wurde sie nicht gefunden, als es zum Gefangenenlager wird, erscheint sie. Der exkommunizierte Mönch erteilt die Beichte, deren Wirksamkeit gültig scheint trotz der Vorbehalte und Verhaltensweisen der Beteiligten. Der brutale Schuß in den Rücken schließlich wird wie ein sanftes Fallen empfunden, das ein weicher Abgrund auffängt (S.189).

Diese Umwertungen und Paradoxien haben schon Gerhard Storz 34 an die Para-beln des Neuen Testaments erinnert, an die dort vielfach zu beobachtende Dialektik.

Ob man von einer spezifisch christlichen Erzählweise sprechen kann, ist allerdings fraglich, da es auch in antiker Tradition diese dialektischen Umstürze gibt.

Eine Festlegung auf einen Bereich ist für die Novelle insgesamt nicht angemes-sen, auch sie lebt vom Zusammenwirken beider Traditionen.

ein düsteres drängendes Geschehen. Es ist auf drei Räume beschränkt: die Kloster-zelle, die Bibliothek, schließlich im letzten Akt die Servierküche, aus der heraus die Exekution der Gefangenen vorgenommen wird. Abgesehen von dem Ausblick auf den Brunnen im ersten Akt spielt die Außenwelt nur als Bereich des Krieges und des Schreckens eine Rolle. Der Szenenwechsel vollzieht sich oft durch Beleuchtungsüber-gänge, so daß die Konstanz der Räume aufgelöst wird.

Transparent werden die Räume auch für das Auftreten Gestorbener. Es sind dies einmal die von Pedro ermordeten Nonnen, ähnlich als mahnendes Symbol ein Mönchschor. Für Paco treten als Gestorbene Padre Juliano und Padre Damiano auf, die seinen Entscheidungsprozeß begleiten. Was in der Novelle breit dargestellte und facettenreiche Erinnerung war, wird hier Begegnung mit Toten. Sie wird schärfer profiliert auf Eindeutigkeit hin und theologischen Gehalt. Die Nonnen waren in Pedros Träumen lachende Weiber, die ihn zum Selbstmord drängen, hier singen sie im Chor das Requiem und verkündigen ewiges Gedenken seiner Verbrechen. Und Padre Juliano predigt seine Deutung christlichen Verhaltens, sich unter dem Zeichen des Kreuzes herauszuhalten aus den Parteiungen des Krieges, während Damiano die Erinnerung an Utopia mit dem Verweis auf Gottes Utopia und die Mahnung zur Liebe verbindet.

Hatte die Novelle den Lebensweg eines Menschen in dem letzten ihm aufgetragenen Konflikt konzentriert und zum Abschluß gebracht, so dominiert in dem Drama die Begegnung der beiden Männer. Trotz seiner Zweifel, seiner kritischen Hal-tung ist Paco bereit, Pedro die Beichte abzunehmen. Dabei hätte er gegenüber der No-vellenhandlung durch ein ihm zugespieltes Maschinengewehr eine zusätzliche Chance, die Gegner zu töten und die Mitgefangenen zu befreien. Aber er sieht Pedros Leiden an seinen Gewissenqualen, die Leiden eines gläubigen Menschen und läßt sich schließlich überzeugen, daß Beichte und Absolution zu helfen vermögen, nicht nur psychologisch, sondern auch religiös-theologisch als Handlung der Versöhnung.

Pedro ist gegenüber der Novelle deutlich verändert. Konnte er dort mit seiner ab-gründigen Bosheit als Symbol interpretiert werden, so ist er hier als Gegner und Part-ner Pacos weitaus mehr Person. Auch seine GegPart-nerschaft gegen die Falanghisten ist etwas mehr akzentuiert, sie scheint in seiner antiklerikalen Einstellung begründet.

Andres' schon in der Novelle beobachtete mangelnde Bereitschaft, die historisch-politischen Zusammenhänge zu reflektieren, - welche Überlegungen mochten hier bei den Zuschauern der fünfziger Jahre ausgelöst worden sein? Dabei bezieht sich Pedros zentraler Konflikt im Drama durchaus auf ein politisch-gesellschaftliches Problem, das gegenüber der Novelle mehr in den Mittelpunkt rückt: Pedro hat seine Grausamkeiten immer in der Struktur des Befehlens und Gehorchens ausgeübt, er hat das Leben eines

Automaten geführt. Andres verdeutlicht dieses Motiv auch in der Sprechweise Pedros, die in Anlehnung an preußische Herrscherallüren auf die Personalpronomina verzich-tet. So redet er allerdings nicht mit Paco, hier in seiner Bedrängtheit und Angst ist er Mensch.

Das Automatenhandeln verspielt die Freiheit und Entscheidungsfähigkeit des Menschen, aber der Gehorsam ist Gesetz oder sogar "Stimme des Schicksals" (S.66), wogegen eine Auflehnung nicht möglich ist. So wird es als unausweichlich angesehen, daß Pedro die Gefangenen hinrichtet, obwohl er durch Beichte und Absolution Erleichterung, ja sogar den Frieden gefunden hat und eine Wandlung seines Verhaltens als möglich angesehen wird. Paco versteht seine Verpflichtung, Pedro zu töten, eben-falls als Automatenhandeln, von dem er durch Einwirkung eines anderen, des Engels (S.64), befreit wurde. Wer trägt die Schuld an diesen Zwängen? "Ja, der Befehl!...All diese Befehle...(den Arm plötzlich aufreckend) Wehe den Befehlenden! Wehe ihnen, weil sie aus Menschen Automaten machen, aus Soldaten Mörder! Es soll ihnen nicht verziehen werden, bis jedes Opfer, das sie durch ihre Befehle schlachten liessen, auf ihrem lebendigen Leibe liegend verfault ist - damit sie erfahren, wie viel ein einziger toter Mensch wiegt" (S.67). Und Pedro wird diesen Fluch am Ende wiederholen und ihn gegen sich selbst und seine Helfer aussprechen.

Wo ist ein Ausweg möglich aus dieser Struktur? Der Schluß des Dramas gibt eine düstere Antwort: Der Sergeant, der als zynische Kontrastfigur im Vollziehen von Be-fehlen völlige Befriedigung findet, will das Maschinengewehr auf die Gefangenen richten. Ein Wachsoldat, der mit Paco gebetet hat, auch jetzt das Gebet des zur Hin-richtung Bereiten mitspricht, übernimmt auf Befehl Pedros die Aufgabe: Die Schüsse des Gewehrs werden von seinen Schreien begleitet, Schreie, die in einem wiederholten

"Amen" bestehen. Dieser überzogene bizarre Schluß will wohl nicht so verstanden sein, daß die Religion die Politik bestätigt, eher wohl als Anklingen einer Dimension, in der sich Menschenleben anders konstituiert.

Realisiert sich hier "Gottes Utopia"? Padre Damiano formuliert die aus der Novelle bekannten Gedanken, daß Gott diese Welt und die Menschen liebt in ihrer Abgründigkeit und Schwäche, daß der Weg zu ihm über das Wahrnehmen der eigenen Verlorenheit führt. Paco, nachdem er vom Handeln befreit ist, fügt ergänzend hinzu, daß alle Versuche, auf der Erde Glück, Gerechtigkeit und Frieden zu realisieren, zwar aus einer Gottessehnsucht stammen, aber zum Scheitern verurteilt sind. Gott "tritt ein in unsere Armut, in unseren Hunger, unsere Verzweiflung. Aber wir müssen sterben, um es ganz zu begreifen - ganz zu erfahren - dass wir Gottes sind - Gottes Utopia!"

(S.73) Wieder ist der Tod der Weg zu einer neuen Erkenntnis, einem neuen Sein, das Leben hier wird als "Reinigungsort" bezeichnet, vergleichbar dem "Fegefeuer" (S.67).

Die antiken Elemente treten im Drama zurück. Und statt der individuellen Ent-wicklung, einem "Utopia" im Werden, steht hier einer vom Befehlen und Gehorchen bestimmten grausamen Menschenwelt "Gottes Utopia" entgegen, das im katholischen Ritus vergegenwärtigt wird, im Leiden, in der Liebe und im Tod. Die Entlarvung der unseligen Struktur des Automatenhandelns, die Entlastung der vielen, die keinen Widerstand leisten konnten, und der Fluch auf die, die die Befehle gaben, darin ist wohl der Beitrag zu sehen, den Andres hier zur Klärung der politischen Situation leistet.

5.3.1. Der Film: "Wir sind Utopia"

Als Beleg für die Ergiebigkeit des Stoffes sei abschließend auf einen Film 36 verwiesen: "Wir sind Utopia". Er wurde 1985 unter der Regie von Dagmar Damek im Auftrag des ZDF im Rahmen der Fernsehspielreihe "Priester" produziert. Grundlage ist die Novelle, deren Bilder der Landschaft, der Stadt, des Klosters nun lebendig werden.

Die Handlung konzentriert sich, ähnlich wie im Drama, auf die Begegnung von Pedro und Paco, in die vorausliegende Ereignisse eingeblendet werden, die für Pacos Haltung zum Mönchsleben bedeutsam sind. Im Kontrast dazu werden Pacos Rettungspläne in farblich abgesetzte szenische Bilder gefaßt.

Hier ist nun die Vielfalt der Vorstellungen noch weiter reduziert, offensichtlich auch theologisch Fragwürdiges und Widersprüchliches weggelassen oder geglättet.

Dem fallen auch alle antiken Motive zum Opfer.

Der Film konzentriert sich auf Pacos Konflikt: Er setzt seine Befreiungsphantasien nicht in Wirklichkeit um, sondern vollzieht Beichte und Absolution, deren Bedeutung hier zentral sind. Die Ermordung Pedros wird ihm durch die Entdeckung des Messers erlassen, aber ob er richtig gehandelt hat, steht durchaus zur Diskussion. Es geht also um einander widerstreitende Pflichten, der Film gehört eher in den Zusammenhang didaktischer Rezeption der Novelle.

36 Braun gibt vier Verfilmungen an, für deren erste Andres selbst das Drehbuch geschrieben hat.

Braun, S.83.

6. "DIE VERSUCHUNG DES SYNESIOS"

Der Plan zu diesem letzten Prosawerk über den griechischen Kirchenvater Synesios von Kyrene, das erst nach dem Tod veröffentlicht wurde 1, findet sich bereits in dem Roman "Der graue Regenbogen" (1959):..."ich werde an dir und Hypatia zei-gen, zu welcher Tiefe und Weitherzigkeit, Schönheit und Unbefangenheit das Christentum einmal fähig war" (S.386). In einem Brief an Kerényi im April 1960 er-wähnt Dorothee Andres die umfangreichen Studien, die für die Gestaltung des Stoffes notwendig seien, bis hin zu einer Reise in die Kyrenaika nach Lybien.

Daß Andres von dieser Gestalt der Kirchengeschichte fasziniert war, ergibt sich aus deren besonderer Position. Denn der neuplatonische Philosoph aus einer alten dorischen Adelsfamilie, der zum christlichen Bischof wird, repräsentiert eine Bezie-hung zwischen Antike und Christentum, in der beide Bereiche Gewicht haben und sich gegenseitig durchdringen.

Im Mittelpunkt des Romans steht Synesios. Erzählt wird in der Ich-Form aus der Perspektive seiner Frau Prisca. Dadurch bleibt Distanz gewahrt; historische Daten und Quellen behalten Geltung. Das Geschehen beginnt mit der Ankunft der Prisca in Alexandria, ihre und des Synesios' Geschichte wird in der Rückschau chronologisch bis zum Untergang des Synesios dargestellt.

Für die Interpretation sollen die gewohnten Leitgesichtspunkte gelten. Es werden also zunächst die antiken, sodann die christlichen Elemente, die den Roman bestim-men, aufgeführt. Anschließend ist der Weg des Synesios zum Amt des christlichen Bischofs zu deuten. Unabhängig von bereits in diesen Teilen notwendigen Hinweisen auf den historischen Synesios soll die Verarbeitung der Quellen in einem weiteren Schritt untersucht und vergleichend dargestellt werden. Daraus wird sich eine zusam-menfassende Deutung ableiten lassen.