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4. ORIENTIERUNG AN DER ANTIKE

5.2. Interpretation

Im Mittelpunkt der Novelle 31 steht die Begegnung des ehemaligen Mönches Paco mit dem jungen Leutnant Pedro, eine Begegnung, die sich zu einer Entscheidung zu-spitzt und in einem düsteren Finale ausklingt. Dieses zentrale Geschehen ist in die Situation des spanischen Bürgerkrieges eingebettet, wobei die konkreten politischen Gegebenheiten nicht reflektiert werden 32. Der Bürgerkrieg repräsentiert eine Welt voller Grausamkeiten, bestimmt durch die militärische Struktur des Befehlens und Ge-horchens. In der Begegnung erfahren beide Männer Probleme ihrer Lebensführung, die unterschiedlich gelöst werden: Pedro erlebt durch die ihm gewährte Beichte Hoffnung auf Gewissenserleichterung. Paco begegnet in Pedro einem Vertreter des Bösen, der einen doppelten Appell an ihn richtet: die Bitte um die Beichte sowie die Aufforderung, durch Tötung des Gegners Hunderte von Menschen zu retten. Indem Paco die Bitte erfüllt, gelingt ihm eine spezifische Sicht des Bösen, das nicht außerhalb des Religiösen, sondern in dieses eingeschlossen ist. Seine Antwort auf den zweiten Appell wird ihm abgenommen.

30 Rainer Poppe: Erläuterungen zu Stefan Andres, Wir sind Utopia, Königs Erläuterungen und Materialien Band 241, Hollfeld 1987.

31 Zitiert wird nach der Ausgabe: Die schönsten Novellen und Erzählungen, Band 2, München, Zürich 1982, S.119-189.

32 Der innerspanische Konflikt fungiere nur "zur Verdeutlichung einer Grenzsituation". Rolf Geißler:

Der Spanische Bürgerkrieg im Spiegel der deutschen Literatur, Report und Reflexionen, in: Literatur für Leser, 3, 1979, S.184-200, S.188.

Die Begegnung mit dem Bösen ist jedoch nicht ein von außen herantretendes Er-eignis, vielmehr ist sie Teil eines Weges, der mit dem Beginn der Novellenhandlung zu seinem Ende geführt wird. Denn die vielfältigen vorausweisenden Motive ergeben sich nicht allein aus der Gattung Novelle, sondern legen die Deutung nahe, daß es sich hier um einen schicksalhaften Weg handelt. Als Beispiel sei Pacos unfreiwilliger Kniefall beim Anblick seines Klosters genannt, der in der fallenden Bewegung des tödlich Ge-troffenen am Schluß seine Entsprechung hat. Leitmotivisch wie schicksalhaft sind auch die Engelsgestalten am Brunnen (S.122), die auf den Engel vorausweisen, der zwi-schen die Männer treten und Paco das Messer entwinden wird. Der Brunnen fungiert als Symbol der Sehnsucht, sich des eigenen Weges zu vergewissern. Das wird Paco durch das nun einsetzende Geschehen zuteil. Weitere Zufälle, etwa, daß Paco in seine alte Zelle gelangt, lehnen sich an die Voraussagen des Padre Damiano an. Er hat ge-wußt, daß Paco im Karmel sterben wird, daß am Schluß etwas von ihm verlangt wird, das nicht er selbst ist, sowie auch sein Satz von der Gnade Gottes Stationen der Hand-lung begleitet und deutet.

Dieser Weg, der offensichtlich als ein geführter verstanden werden soll, ist ge-prägt durch religiöses Suchen und Fragen. Das steht im Zentrum der Novelle. Es ist gebunden an den ehemaligen Mönch als Hauptperson, an das Kloster als Ort des Ge-schehens, es entfaltet sich in Reflexionen, Erinnerungen, erinnerten Gesprächen, Leit-sätzen und Situationsbeschreibungen. Dominierend erscheinen dabei christliche Ele-mente, doch wird eine genauere Untersuchung zeigen können, daß auch antike Elemente von Bedeutung sind.

Das zeigt bereits das im Titel begegnende "Utopia". Damit ist zunächst der Traum gemeint, mit dem sich der Mönch Paco aus seiner angestrengten Gottsuche be-freit. Diese, die auch als Sehnsucht nach Freiheit, nach dem Unbedingten erscheint, hatte Paco ins Kloster geführt, hatte ihn zu besonderer Askese, zu besonderem Eifer veranlaßt, ohne daß er Befriedigung gefunden hätte. Im Gegenentwurf zu diesen Be-mühungen und zu dem eher dunklen abgesonderten Klosterleben schafft er sein Utopia.

Als Vorbild für die erträumte Insel dieses Namens wird in der Literatur durchweg Thomas Morus genannt. Die antiken Elemente legen jedoch darüber hinaus eine Beziehung zu der bei Diodor dargestellten Sonneninsel des Jamblich nahe: Ist dort Helios der oberste Gott, der alle einzelnen religiösen Vorstellungen vereint, so ist es bei Andres der "Allvereiner Dionysos" (S.141). Im Vergleich mit Morus wie auch mit Jamblich wird deutlich, daß für Andres religiöse Fragen im Mittelpunkt stehen. So träumt sich Paco in die Rolle eines Dionysospriesters, der im Kontrast zu den acht

Sünden mittelalterlicher Theologie die acht Seligkeiten verkündigt. Sein Ziel ist es, die

"Seele noch tiefer im Reich des Göttlichen zu verweben" (S.141). Die Arbeit der Men-schen als Fischer, Ackerbauern und Handwerker dient unmittelbar dem Lebenserhalt, ohne daß es das Geld gäbe. Künstler, Gelehrte und wohl auch Priester werden miter-nährt. Nur gerinfügige Vergehen stören den sozialen Frieden, sie werden schnell ge-sühnt, ein Kuß besiegelt die Aussöhnung.

Wichtig ist, daß alle Religionen gleiche Gültigkeit besitzen, daß es keinen dog-matischen Streit zwischen ihnen gibt, vielmehr Christen und Heiden einander im Den-ken, Empfinden und Handeln ähnlich sind. Feste werden gemeinsam gefeiert, wobei nur heidnisch-antike Feste erwähnt werden. Der sechste Januar gilt als Tag des von Dionysos bewirkten Weinwunders; Christen lassen sich in die Mysterienkulte einwei-hen. Der heidnische Polytheismus erscheint als ähnliche Spiegelung des Göttlichen, wie sie für Christen die Dreifaltigkeit darstellt. Es herrscht ein Wetteifern im Gotter-kennen, das für die Heiden eher in der Natur, für die Christen in ihrem Buch, ihren Herzen oder im Geist der Geschichte verankert ist. Das heidnische Denken verlaufe dabei eher horizontal, während das christliche die Vertikale anstrebe. Die Linien kreuzten sich wie die Fäden am Webstuhl. "Das Gotteskleid, das sie auf diese Weise woben, trug das Muster sehnsuchtsvollen Friedens und demütiger Güte" (S.142). Das Bild vom Gotteskleid, das Goethe im "Faust" den Erdgeist gebrauchen läßt (V.509), findet sich in vielen Religionen und eignet sich gut zur Zusammenfassung des Geistes von "Utopia". Erinnert sei zudem an Vorstellungen der Mystik, wo eben dieses Kleid Gottes seine Liebe zu den Menschen ist. Sie wird in "Utopia" durch den Umgang der Menschen miteinander beantwortet und realisiert.

Eine Gegenposition zu Pacos Utopia formuliert der Padre Damiano. Es tauge nicht als Leitbild für menschliches Zusammenleben. Auch "Er", nur hier spricht Damiano von Christus, habe kein Utopia schaffen können. Vielmehr müsse die Existenz von Leiden, Trauer, Verbrechen anerkannt werden, das auch nach dem Willen ihres Schöpfers zu dieser Welt gehöre, wozu dieser sich sogar besonders hinge-zogen fühle. In Pacos Utopia fehle zudem Raum für die menschliche Freiheit, könne es weder Veränderung noch Geschichte geben.

Entscheidend ist der Glaube, der aber nicht an irgendwelchen Versprechungen und Verheißungen für das menschliche Zusammenleben festgemacht werden kann, sondern allein im Inneren des Menschen wirkt und dort seine Wahrheit und Wirksam-keit erweist, indem er Mut macht, Mensch zu sein. Diesen Glauben vergleicht Damiano mit einer Aktie, so daß im Kontrast zu den Verhältnissen in Pacos "Utopia"

die Geldwirtschaft zentrales Symbol wird.

Die religiösen Vorstellungen Damianos zeigen allerdings auch Verbindungen zu

"Utopia". So kennt auch Damiano die Vielfalt der Religionen und mißt ihnen Gültig-keit und Wahrheit zu. Er erzählt z.B. gerne Legenden, die seine Zuhörer für christlich halten, um dann erst ihren oftmals völlig anders gearteten Hintergrund zu enthüllen.

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion sei bedingt durch Tradition und Erbe.

Dieser aus Lessings Ringparabel bekannte Satz wird bei Damiano allerdings nicht durch die Aufforderung ergänzt, die Wahrheit durch entsprechendes Verhalten zu er-weisen, in der Erwartung einer zukünftigen Entscheidung. Dagegen sperrt sich seine Skepsis gegenüber der Natur des Menschen, welcher Religion auch immer er angehö-ren mag.

Wie in "Utopia" gibt es einen Gott, den alle Religionen meinen: Er ist die Liebe.

Hier wird direkt benannt, was auch "Utopia" bestimmte. Darin ist zusammengefaßt die Liebe Gottes zu den Menschen, die Liebe der Menschen zu Gott und zu einander. In ihr konkretisiert und erfüllt sich der Glaube, so daß Damiano in seiner Sprache der Banken sagen kann, daß der letzte Scheck des Buches, das wir mit uns herumtragen, auf die Liebe ausgestellt ist. Damit tritt anders als in "Utopia" wiederum Geschichtliches in den Blick.

Die in der Geschichte gegebene Freiheit des Menschen sowie das Vorhandensein des Bösen lassen den liberalen Damiano an der Beichtpraxis festhalten, ein Aspekt, der für die Handlung der Novelle bestimmend ist. Ohne die Möglichkeit der Beichte käme die Kirche in die Gefahr, den Sünder auszuschließen; die Möglichkeit von Beichte und Lossprechung rechnet mit der menschlichen Verfehlung und läßt dem Sünder einen Platz in der Gemeinschaft. Auch in "Utopia" verzichtete man bei der Bestrafung auf räumliche Aussonderung, und die schließliche Entsühnung besiegelte man durch einen Kuß.

Seine Auffassung von der Freiheit des Menschen sowie seiner Verpflichtung zu handeln faßt Damiano gern in dem Satz zusammen: "Denn alles ist euer". Ihm folgt als zweiter Teil: "Ihr aber seid Gottes" (z.B. S.144). Den Inhalt des zweiten Teiles bestätigt ein anderer von Damiano gebrauchter Satz, der für Pacos Entwicklung leit-motivische Funktion erhält: "Gott ist gnädig". Hier also ist die Spannung wiedergege-ben zwischen dem selbstbestimmten Handeln des Menschen und seiner Bindung an einen gnädigen Gott. Auffallend ist, wie das erste Zitat den biblischen Wortlaut verän-dert (1. Korintherbrief 3,23): Das für Paulus wichtige Zwischenglied Christus ist weg-gelassen, wie denn überhaupt die Theologie des Damiano Christus lediglich an der oben genannten Stelle berücksichtigt.

Damianos Auseinandersetzung mit Pacos "Utopia" gipfelt in dem Satz, der der Novelle ihren Titel gibt: "Wir sind Gottes Utopia, aber eines im Werden!" (S.145) Was meint nun dieser Satz im Zusammenhang mit der Theologie des Damiano? Utopia ist also nicht das selbstverständliche Verwobensein des Menschen mit dem Göttlichen, vielmehr besteht aufgrund der Beschaffenheit der Welt sowie der Menschen die Not-wendigkeit, diese Nähe immer erst in einem geschichtlichen Prozeß zu schaffen. Das geschieht an erster Stelle durch die Liebe im menschlichen Handeln, der allerdings die Gottesliebe und -gnade entgegenkommt, die letztlich alles bestimmt und umgreift.

Diese Auffassung Damianos ist in der Auseinandersetzung mit Pacos "Utopia"

entstanden, wobei Ähnlichkeiten und Beziehungen gewahrt bleiben. Entscheidend ist die realistischere Sicht von Mensch und Welt sowie die geschichtliche Dimension.

Gewahrt bleibt ein universalistischer Ansatz, der auf eine Christologie verzichtet.

Pacos und Damianos Utopia werden während des Geschehens erinnernd verge-genwärtigt. Sie bilden die Grundlagen und Voraussetzungen, die Pacos Weg bestim-men, der durch die zunehmende Übernahme der alten Mönchsrolle charakterisiert ist.

Außerdem müssen die Utopien Entscheidungshilfe leisten angesichts des doppelten Appells, der an Paco ergeht.

Wie ist nun dieser Weg in die Entscheidung hinein gestaltet? Wie kommt Paco dazu, sowohl die Beichte abnehmen zu wollen als auch seinen Gegner zu töten?

Wichtig ist zunächst, daß Paco sich seiner Bindung an die Gefährten und die übrigen Gefangenen inne wird, die schließlich den gemeinsamen Tod erfordert 33. Die Ent-scheidung stößt ihn in eine schwere Krise, die die Leitfrage nach der eigenen Identität und Person stellt. Zu dieser gehörte es trotz des Krieges nicht, einen Gegner aus unmittelbarer Nähe mit dem Messer niederzustoßen.

So steht am Anfang des Prozesses die Trennung von dem bisherigen Leben, das in einer Art von Traum plötzlich als ein äußeres gesehen wird, zu dem es keinen Zu-gang mehr gibt. Paco deutet dieses im Sinn Damianos, daß das "alles ist euer" bereits vorbei ist und sich dem "ihr aber seid Gottes" zu öffnen beginnt. Zusammen mit der Mahnung an den Tod wird tröstend und auf den Schluß vorausdeutend die Gnade Gottes erinnert.

Nach dieser Eröffnung beginnen Pacos Reflexionen, die er zunächst in der Zelle fortsetzt, bis sie im Zusammensein mit Pedro wieder mehr dialogisch werden. Die

33 Diese Verbundenheit scheint mir in erster Linie die von Pedro angebotene individuelle Rettung auszuschließen. Die Bereitschaft zum Tod als Nachfolge Christi zu deuten ist auch von der in der Novelle formulierten Christologie her nicht einleuchtend.

Reflexionen in der Zelle zeigen keinen klar strukturierten Aufbau, es sind suchende und tastende Bewegungen, die versuchen, die Situation zu erhellen. Oftmals stellen Stichworte und Assoziationen die Verbindungen her, während draußen der Krieg herrscht: "ein Anbellen gegen die Finsternis drinnen und draußen?" (S.170).

Der Verlust des alten Selbst bleibt Leitmotiv. Als ein weiterer Schritt wird die Er-fahrung genannt, daß alle umgebenden Phänomene in die eigene Person hineindrängen und diese besetzen und auslöschen. Dunkelheit breitet sich aus, die allerdings als Vor-aussetzung für neues Licht empfunden wird. Das Dunkel weicht plötzlicher Stille, die als Urform erlebt wird, die Anfang und Ende, Leben und Tod in sich birgt. Die Stille wird als das Wort Gottes bezeichnet. Damit ist ein äußerster Punkt genannt, der nun zum Ansatz erneuter Individuation wird. Diese geschieht in Anlehnung an das Johannes-Evangelium, vom Logos ist die Rede, der sich selbst als die Wahrheit be-zeichnet. Individuation entsteht, indem der Mensch zum Gefäß eben dieser Wahrheit wird. Doch Gefäß und Wahrheit müssen zueinander stimmen, so daß möglicherweise schmerzhafte Häutung notwendig ist. Und selbst wenn die Übereinstimmung erreicht ist, so erhebt sich die Frage nach ihrem Inhalt. Besteht er in einem automatenhaften Existieren, so ist noch nichts erreicht. Die richtige Erfüllung ist an einem wesentlichen Wert erkennbar, der nun in die Gedankenbewegung eingefügt wird: an der Freude.

Damit wird ein Element der Novelle zentral, auf das an ihrem Anfang bereits in negierter Form hingewiesen worden war, als von der "unfreudig wirkenden" (S.120) Fassade des Klosters die Rede war.

Selbstwerdung in automatenhafter Übereinstimmung oder in der Erfülltheit durch die Freude sind die beiden Positionen, die Pacos Entscheidung bestimmen. Die Beichte Pedros nimmt er ab, als sei er selbst bereits gestorben, auf eine unpersönliche Weise, aber voller Kraft und Autorität (S.178). Das bedeutet wohl, daß hier nicht der frühere Padre Consalves wirkt, vielmehr ist Paco Gefäß geworden einer Macht, die ihn über-steigt. Das Stichwort automatenhaft wird im Zusammenhang mit der zweiten Entschei-dung genannt. Der geplante Mord Pedros, der durchaus moraltheologischen Maximen entsprochen hätte, wäre ein solches Automatenhandeln gewesen. Aber weder die Liebe, noch auch die Freude hätten die Tat begleitet. Der Engel, der das Messer auf-deckt und Paco am Handeln hindert, führt zurück in die ursprüngliche geschöpfliche Übereinstimmung mit dem Lebensgrund, die sich in der Freude bestätigt. Das ist ein Akt der Gnade.

In der Hochschätzung der Freude weichen Pacos Überlegungen von denen Damianos ab. Sie zeigt sich auch darin, daß Christus als der Heilige, der Lichte und der Frohe bezeichnet werden kann (S.181), der in und an der Freude zu erkennen ist

(S.169). Ein solcher Christus, der weniger an die Evangelien oder Paulus erinnert, scheint eher als Bruder des Dionysos in Pacos Utopia zu gehören, das also hier wieder anklingt. Das Göttliche, das in Utopia gegenwärtig war, kommt wieder im Logos-Christus.

Pacos Utopia hatte das Böse negiert, bzw. nur in sehr harmloser Form zugelas-sen, Damiano hatte ihm als Macht große Bedeutung zuerkannt, in Pedro wird es nun Person. An seiner abgründigen Bosheit, die ihn von Kindheit an prägt, wird kein Zwei-fel gelassen. Aber er ist traurig, getrennt von der Freude, und empfindet in der Begeg-nung mit Paco die Sehnsucht nach Erleichterung seines Gewissens. Gewaltsam will er dieser habhaft werden, seine Haltung wird durch die dunklen Sätze aus dem Matthäusevangelium (11,12) charakterisiert: ..."das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewaltanwendenden reißen es an sich"(S.154, 162). Entscheidend ist, daß Paco durch die Beichte die Zugehörigkeit zum Bereich des Religiösen zuerkannt wird, so wie es den Auffassungen Damianos entspricht. Aber auch Pacos Utopia klingt noch einmal an: im Versöhnungskuß der durch die realen Verhältnisse zutiefst getrennten Männer.

Die Novelle entwickelt den Lebensweg eines suchenden und fragenden Menschen, der in eine verlassene Stufe seiner Vergangenheit zurückgeführt wird und durch einen zugespitzten Konflikt hindurch schließlich zur Ruhe kommt. Begleitet wird dieser Weg durch religiöse Überlegungen: das Allgemeine aus Pacos und Damianos Utopia gerät in die konkrete Situation des doppelten Appells, dessen Auflö-sung wiederum einem allgemeinen Sinnhorizont zustrebt. Für die individuelle Geschichte sowie für die religiöse Reflexion zeichnet sich ein positiver Rahmen ab, der im Vertrauen auf einen gnädigen Gott beruht.

So stimmig diese Lösung ist, so wird sie doch nicht zum Dogma. Denn am Schluß der Novelle steht nicht der Jubel der Verklärung, sondern die konkrete Anfrage nach dem Schicksal der mit hineingerissenen Mithäftlinge. Scham und Schuld melden sich, die auch der Satz nicht aufheben kann von der allgemeinen Gewaltsamkeit aller Menschen, die zusammengekommen sei und sich nun austobe (S.187).

Als Kompositionsprinzip der Novelle fällt die Neigung auf zu Gewaltsamem, zu Kontrasten und Paradoxien. Eine Ausnahme bildet Pacos Utopia mit seinen antiken Elementen, das in hellem freundlichem Licht liegt. Eine düstere Stimmung lastet auf allem, auf der Landschaft, auf der Architektur, auf den Menschen. Eine Gegenbewegung liegt in der manchmal humorvollen Sprache, die die Dissonanzen überspielt; ein Gegenbild liegt auch in den künstlerischen Neigungen eines Julio. Doch sind diese wiederum dem Zwang gegenübergestellt, der Julio ins Kloster gebracht hat,

seine ästhetische Haltung kontrastiert mit dem Mord, der sie befleckt. Bleiben hier die Gegensätze bestehen, so lebt die Novelle vom paradoxen Tausch der Werte: Als Held und Harlekin erscheint Paco seinem Gegner, das Messer, womit der Gefangene für-sorglich bedacht wird, soll zur Mordwaffe werden. Damianos letzter Liebeserweis be-steht in einer Ohrfeige. Als das Kloster Ort der Freiheit war, wurde sie nicht gefunden, als es zum Gefangenenlager wird, erscheint sie. Der exkommunizierte Mönch erteilt die Beichte, deren Wirksamkeit gültig scheint trotz der Vorbehalte und Verhaltensweisen der Beteiligten. Der brutale Schuß in den Rücken schließlich wird wie ein sanftes Fallen empfunden, das ein weicher Abgrund auffängt (S.189).

Diese Umwertungen und Paradoxien haben schon Gerhard Storz 34 an die Para-beln des Neuen Testaments erinnert, an die dort vielfach zu beobachtende Dialektik.

Ob man von einer spezifisch christlichen Erzählweise sprechen kann, ist allerdings fraglich, da es auch in antiker Tradition diese dialektischen Umstürze gibt.

Eine Festlegung auf einen Bereich ist für die Novelle insgesamt nicht angemes-sen, auch sie lebt vom Zusammenwirken beider Traditionen.