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Antike und Heiligenverehrung

4. ORIENTIERUNG AN DER ANTIKE

4.2. Antike und Heiligenverehrung

Ein weiterer Ort für die Antike findet sich in der in verschiedenen Werken gestal-teten Heiligenverehrung. Denn diese wird nicht als ein spezifisch christliches Phänomen gesehen, vielmehr werden die heidnischen antiken Wurzeln betont 7. Als erstes Beispiel soll die Novelle "Das goldene Gitter" dienen, die 1932 in Capri

6 Das goldene Gitter, Novellen und Erzählungen II, München 1964, S.197.

7 Heiligenverehrung hat in monotheistischen Religionen eigentlich keinen Raum, ihre Verankerung in der Volksfrömmigkeit sei aus polytheistischer Tradition zu erklären. Gustav Mensching:

Heiligenverehrung, I. Religionsgeschichtlich, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd.III, Tübingen 1986 3.Aufl., Sp.168-171.

schrieben 8, 1933 veröffentlicht wurde. Zunächst fällt auf, auch in diesem Werk be-gegnet das Reise-Motiv. Denn der Held dieser nach traditionellen Gesetzen gebauten Novelle, der deutsche Student Hermann, ist nach Capri gereist mit der Sehnsucht, sein bisheriges Leben zu verändern, sich zu verwandeln, ähnlich wie die anderen Touristen an diesem einzigartig schön von der Natur gestalteten Ort. Sie alle haben jedoch einse-hen müssen, daß trotz ihrer Annäherungsversuche an die Bevölkerung und deren Le-bensart trennende Grenzen bestehen bleiben, "Gitter", wie sie als Leitmotiv der Novel-le genannt werden. Auch Hermanns Beziehung zu der jungen Bewohnerin von Anacapri, Clara, ist neben der Liebe vom Reise-Motiv geprägt, da er hofft, durch seinen Einfluß die ihr gezogenen Grenzen, die sich in ihrer Denkungsart und dem ihr vorgegebenen Leben zeigen, zu erweitern oder aufzuheben. Er will Clara die selbst er-fahrene Spannung zwischen Heimat und Fremde erfahren lassen, die allerdings bei ihm gerade dazu führt, daß der Ausgangsort als besonders reizvoll erscheint. Damit deutet sich bereits an, daß die mit Clara unternommene Reise zur Kirche des heiligen Agnello, die Hermann geschickt inszeniert, um sich Clara zu nähern, was auch ge-schieht, zugleich das Getrennt-Sein der beiden Menschen bestätigt.

Antike Elemente schüren und lösen den Konflikt. Sie stehen zunächst in Bezie-hung zu der Hauptgestalt Hermann, der als Student der Altphilologie vorgestellt wird und sich durch sein klares Latein auszeichnet, das er als Ministrant während einer Meßfeier erklingen läßt, im Gegensatz zu der abgeschliffenen Artikulationsweise des zelebrierenden Priesters Don Eufemio. Im antiken Symbol erfährt Hermann seine be-ginnende Leidenschaft zu Clara, der bocksgestaltige Pan, so scheint es ihm, bedrohe und verführe ihn, die gegebenen Grenzen zu verletzen. Eine nächste Begegnung der Liebenden geschieht erneut im antiken Umfeld, der Grotte des Tiberius, und wieder dominiert die erotische Faszination, bis bei der vom Gewitter unterbrochenen Messe für den heiligen Agnello die in der Kirche angebundene Ziege den Helden anglotzt und auszulachen scheint: "...das war kalt sprühender, den Menschen aus unerreichbarer Ferne anglotzender Spott, göttlicher Spott" und "schepperndes Gelächter" (S.77).

Damit ist das Pans-Motiv wieder aufgenommen, das nun Zurückweisung bedeutet. Sie führt dazu, daß Hermann die Grenzen seiner Beziehung zu Clara versteht und einhält, daß ihre Bereiche getrennt bleiben.

8 Diese Angabe sowie eine knappe Interpretation, die die antiken Elemente nicht berücksichtigt, bei:

Reinhold Wacker: Stefan Andres: Das goldene Gitter, in: Mitteilungen der

Stefan-Andres-Gesellschaft, Heft V, 1984, S. 46-48. In biographischem Kontext: Braun, S.44f. Die Novelle wird zitiert nach: Das goldene Gitter, Novellen und Erzählungen II, München 1964, S.52-82.

Für diese Trennung steht auch das von Eufemio genannte Beispiel von den Delphinen und den Fischen (S.69), die auf Grund ihrer Uneinigkeit nicht derselben Art und damit demselben Reich angehören können. So lebt auch Clara in einer anderen Welt als Hermann. Sie ist gekennzeichnet durch eine klare Ordnung, begrenzte Wahr-nehmungsweisen innerhalb einer bestimmten Religiösität, vorgegebene Lebenswege, wobei weder Neugier, Ungeduld oder Auflehnung die naive Bindung stören. Während also Hermann durch Pan zurechtgewiesen wird, erfährt Clara in der vom Widerschein der Blitze erleuchteten Kirche des Heiligen durch diesen selbst, daß Ehe und Mutter-schaft im gewohnten gesellMutter-schaftlichen Zusammenhang für sie nahe sind.

Das seltsame Gewitter in der Kirche stellt also den Höhe- und Wendepunkt der Novelle dar, in dem die Konfliktlinien zusammengeführt und geklärt werden. Hermann und Clara werden auf ihr Getrenntsein verwiesen, für die unfruchtbaren Frauen, um derentwillen die Wallfahrt zu dem Heiligen unternommen worden war, ist das von Blitzen gold erleuchtete Gitter ein Zeichen, das baldige Erfüllung des Kinderwunsches durch den Heiligen signalisiert.

So mischen sich im Höhepunkt der Novelle Antikes und Christliches. Der für die Bitte um Fruchtbarkeit von Mensch und Tier gern in Anspruch genommene Heilige Agnello rückt in die Nähe zum bocksgestaltigen Pan, der zur Fruchtbarkeit die Sexualität hinzufügt. Aber auch der Heilige setzt gewaltige Kräfte frei, so daß eine Frau, die sein Bild gestohlen hat, sich weder vor Männerverfolgung noch übermäßiger Fruchtbarkeit schützen kann, bis das gestohlene Bild zurückgebracht und von einem Priester mit einem Gitter umgeben ist (S. 79). Dieses Gitter symbolisiert den Abstand zwischen Mensch und Heiligem, das kein gewaltsames Andringen zuläßt, sondern sich frei mitteilt. Auch Pan lockt und entzieht sich. Die Botschaft wird erkannt, wenn das trennende Gitter golden wird, die Farbe der Sonne, des Blitzes, des Kostbaren und des Heiligen, worin Antike und Christentum zusammen gehen. Die Nähe wird überdies durch die Tiersymbolik angedeutet: Agnello ist der Heilige mit dem Schäfchenbart (S.80), Pan hat die Bocksgestalt und scheint sich in der braunen Ziege mit den gewun-denen Hörnern zu verkörpern, am Anfang der Novelle wird der Widder erwähnt, der Isaaks Opfer ablöst. Überall ist die Nähe zum Tier Hinweis auf eine Verbundenheit, ohne daß der Zusammmenhang mit Macht, im Bereich von Sexualität und Fruchtbar-keit, oder Ohnmacht, in der Funktion des Opfers, genau geklärt werden könnte.

Eine bedeutsame Gestalt, auch für das Verständnis der antiken Elemente in dieser Novelle, ist Don Eufemio, der Geistliche. Er ist besonders an körperlicher Arbeit inter-essiert, er mauert und baut gern, versorgt den Garten. Sein geistiger Horizont ist

ebenso eng wie seine theologische Bildung. Dafür liebt er den Wein sehr, vermeidet auch nicht die Trunkenheit, hat wenig Sinn für Ästhetisches in seinem Amt und seiner Person. Er ist ein geschickter, auf die Wahrung eigener Interessen bedachter Ge-schäftsmann, dabei bezieht er seine Priestertätigkeit mit ein und veranschlagt die Preise für das Messehalten nach sehr subjektiven Maßstäben. Er kennt seine Grenzen, vor allzu großem Eifer schützt ihn zudem eine eigentümliche Schicksalsgläubigkeit, die er als den Willen der Madonna oder der Heiligen bezeichnet. Sein Amt führt er pflicht-gemäß aus, es besteht im Kult der Heiligen und dem Verweis der Menschen auf sie.

Sie sind existent für ihn, weshalb er ihnen das Ihrige zukommen läßt; glaubt er, einen moralischen Tadel von ihnen an seinen Geschäften zu hören, so gibt er zwar nach, aber bessert seine Position sogleich wieder auf wie gegenüber einem gleich starken Rivalen.

Er ist frei von Dogmatismus; daß das Heilige auch im Gewitter zum Menschen spre-chen kann, akzeptiert er ohne weiteres. "Ja, man darf dem Heiligen keine Gewalt an-tun", so formuliert er seine Grundüberzeugung.

Don Eufemio hat in der Novelle die Funktion, die Bindungen und Grenzen der ländlichen Bevölkerung zu repräsentieren, der Welt, in die der Reisende nicht eindrin-gen kann. Aber darüber hinaus wird hier trotz teilweise karikaturistischer Elemente ein Frömmigkeitstyp dargestellt, den Andres selbst in Italien kennengelernt hat und in dem nicht nur er antike Wurzeln erkennt. In seiner späteren Schrift "Italiener"9 äußert er sich reflektierend und beschreibend dazu und nennt Elemente im religiösen Leben der Italiener, die auf die Antike zurückgehen: das Akzeptieren des Menschen mit seinen Listen, Interessen und Schwächen, die Bedeutung der Natur, die Neigung zur Sichtbar-keit und Vergegenständlichung, der Polytheismus in der Verehrung verschiedener in Kompetenzen und Gebiete aufgeteilter Heiliger, mit denen wie mit Lebendigen umge-gangen wird, die abergläubische Scheu vor rituellen Übertretungen, eine gewisse Un-bekümmertheit sowie ein ausgeprägter Fatalitätsglauben. Vieles davon findet sich in der Gestalt des Eufemio.

Die antiken Wurzeln der Heiligenverehrung bestimmen auch ein weiteres Werk:

den Legendenkranz "Vom heiligen Pfäfflein Domenico" (1936). Der Zusammenhang

9 Italiener, Berlin 1943; darin: Kirche und Humanität, S.36-46.

zwischen antiker und christlicher Frömmigkeit wird hier durch einen Mythos verdeut-licht 10, der kurz wiedergegeben werden soll:

Als Luzifer Gottes im Lichtfeuer verborgenes Angesicht schauen wollte, wurde er vom Erzengel Michael und den übrigen Engelsscharen aus dem Himmel verjagt. Es gelang ihm auf der Flucht, himmlischen Hausrat mit sich zu nehmen, der bei seinem Sturz auf die Erde in Scherben zerfiel. Gott ließ diese Scherben auf der Erde vertei-len zur Erinnerung an das himmlische Haus. Eine blieb am Ort von Luzifers Sturz liegen; Menschen, die vom Meer her kamen, bauten daraus ihre Stadt, einen Tempel für ihren Gott Poseidon, schufen daraus auch sein Bild. Die Engel freuten sich so an der Schönheit des von den Menschen Geschaffenen, daß sie Gefahr liefen, sich ganz dem Gott im Bild zu widmen. Da schickte sie Michael alle in einen Stall nach Bethlehem, daß sie im Kind den Gott erblickten. Viele jedoch, die Poseidon gese-hen hatten, weigerten sich, das Kind zu verehren. - Neue Menscgese-hen kamen in die Stadt Poseidonia, zerstörten zunächst die alten Werke, bis es ihnen leid tat und sie aus den Trümmern erneut Tempel errichteten und aus der Skulptur des Gottes Bilder des Kindes schufen, seiner Mutter und der Halbgötter, die unterschiedlichen Lebensbereichen zugeordnet waren. Und sie baten Michael, ihre Bauten und Bilder zu schützen. Der erkannte ihre Sehnsucht, "das Unsichtbare sichtbar und das Un-faßbare faßbar zu machen" und ließ sie gewähren wie "Kinder, die nie erwachsen werden"(S.11). Die Engel drängen sich jedoch seitdem, Schutzgeist für Menschen-kinder auf der Erde zu werden. Einer von ihnen, der sich in Bethlehem nicht ent-schließen konnte, das Kind zu verehren, und sich unter dem Mantel der Mutter ver-barg, bekommt nun zur Bewährung die Aufgabe, ein in Poseidonia am Tage des Domenikus getauftes Kind zu begleiten, aus dem er einen Heiligen zu machen sich vornimmt, einen seltsamen, wie Michael lächelnd vorausahnt.

Der als Einleitung fungierende erfundene Mythos macht also die Antike verant-wortlich für einige Züge der folgenden Erzählung. Gemeint ist vor allem das Bedürf-nis, dem göttlichen Unsichtbaren eine Gestalt zu verleihen, der sich christliche Tradi-tionen angeschlossen haben. So wird in der Erzählung ein Bild entworfen, in dem Christus auf einem Delphin reitend aus dem Meer ans Land kommt, ein Bild, das so-wohl an die Arion-Sage erinnert als auch mit San Costanzo verbunden wird. Mit dem Drängen zur Veranschaulichung verbindet sich die humorvolle Distanz, die diese Er-zählung kennzeichnet und deutlich von ihrem Vorbild, den "Blümlein des heiligen Franziskus von Assisi" unterscheidet. Denn obwohl die Erzählung sich im Aufbau, der Sprache und den Kapitelüberschriften an die "Fioretti" anlehnt, so ist die dort

10 Hans-Peter Ecker sieht in dieser Passage, die ihn an Goethes Vorspiel im Himmel erinnert, "eine zwar aufgeklärte, aber doch liebevoll-tolerant vorgebrachte, poetische Theorie des Marien- und Heiligenkults sowie auch der Legende". Ecker: Legende, S.335f.

begegnende Spiritualität und Weltüberwindung in eine konkrete Weltlichkeit umgebogen, in der von religiösen Elementen in ganz diesseitiger Weise Gebrauch ge-macht wird, um Kritik an menschlichen Schwächen und kirchlicher Bürokratie zu üben, um zu überlisten und überlistet zu werden.

Dabei ist die Hauptgestalt Don Domenico, abgesehen von der Zunahme von eulenspiegelhaften Zügen, durchaus mit Don Eufemio zu vergleichen. Andres weist beiden ein identisches Abenteuer zu, das betrunkene Liegen im Brunnen. Aber über den Charaktereigentümlichkeiten des Don Domenico, zu denen auch eine heimliche Freude an schönen Knaben gehört, liegt ein sanfteres Licht, da sein Leben auf das Mitleid hin ausgerichtet ist, das Mitleid, das er selbst gegenüber anderen Menschen empfindet, dessen er selber bedarf. Und den vorgetäuschten Wundern christlicher Tradition wird ein anderes entgegengehalten, das wohl das Leben selber ist. Daher wird die Erzählung auch nicht zur Legendenparodie; die dargestellte Wirklichkeit gibt nicht unreflektiert Erfahrungen mit dem Heiligen in einem geschlossenen Kontext wieder, sie zeigt gebrochenen und subjektiven Umgang mit den traditionellen Elemen-ten. Doch ruht dieser in einer Atmosphäre der Sinnhaftigkeit und Geborgenheit, wobei die Schwäche des Menschen akzeptiert ist, die ihn in Fehlern, Irrtümern und Illusionen leben läßt. Das ist die gelassene Botschaft des "heiligen" Domenico.

Die Betonung der antiken Elemente in der Heiligenverehrung führt also dazu, in ihr das menschliche Bedürfnis nach Sichtbarwerden des Absoluten zu erkennen. Die Orientierung an Sichtbarkeit und Diesseitigkeit schafft zudem Distanz und legitimiert das freie Spiel.