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4. ORIENTIERUNG AN DER ANTIKE

4.3. Griechische Götter

4.3.1. Demeter und Kore

In antiker Religiösität sind Demeter und Kore eng miteinander verbunden. Der Hinweis auf das Lebensgeheimnis, das sich im Verhältnis dieser beiden Gestalten zu-einander verbirgt, bildet den Schluß der Erzählung "Der gefrorene Dionysos", nach-dem die Hauptgestalt, der Bildhauer Huhl, in der Gestaltung von Mutter und Tochter erneut zu künstlerischem Schaffen zurückgefunden hat.

Die 1942 erschienene Erzählung wurde 1951 unter dem Titel "Die Liebesschau-kel" in überarbeiteter Form erneut veröffentlicht 12. Andres bezeichnet das Werk als Roman. Seine lineare Struktur besteht aus verschiedenen Begegnungen, die die Vorge-schichte vermitteln und schließlich das glückliche Ende herbeiführen, und verweist in seiner Lenkung und Gliederung der Motive eher auf novellistische Tradition.

Dem Schlußbild entsprechend bewegt sich die Handlung in einer an antiken Elementen orientierten Atmosphäre. Der Held, Ulrich Huhl, wird als gefrorener Dionysos bezeichnet, womit seine urtümliche eigenwillige Gestalt und sein Künstler-tum gemeint sind, doch sind Lebens- und Schaffenskraft unter einer gefrorenen Schicht verborgen. Er spricht von Julian Apostata als dem "Getreuen"(S.21) und scheint einer freien Religiösität zuzuneigen, in der aber auch Christliches, etwa durch die Nennung von Glaube, Liebe und Hoffnung als das menschliche Leben lenkenden Kräften, Raum hat. Als "Heidenpriester" bezeichnet sich selbst eine zweite wichtige Person, der un-garische Mythologe Karl 13, der das Leben in den Mittelpunkt seines Weltbildes ge-setzt hat, von den "Wurzelkräften" spricht, "die uns mit dem Ganzen verbinden", und von dem "Sinn, der diese Irdischkeit in uns lockt, mehrt und mit dem Geiste vermählt"

(S.9). Er pflegt den Wechsel der Zeiten, die Symbole von Werden und Vergehen, sorg-fältig zu achten gemäß einer "Liturgie des Lebens" (S.176). Daß auch er die Bergpre-digt zitiert (S.129), sei erwähnt, ebenso daß der Held der Erzählung im schweigenden und allerlei Unbegreifliches erduldenden Joseph eine Parallele zu sich selbst zu sehen vermag.

12 Zitiert wird nach der Ausgabe: München 1970. Den neuen Titel erklärt Andres in einem Brief an Klaus Piper als "Symbol des Hinundherschwebens" der Beziehungen. In: Aquaedukte der Erinnerung, Stefan Andres 1906-1970, S.36.

13 Offensichtlich ist das Vorbild für diese Gestalt Karl Kerényi. Andres hatte vor dieser unmittelbaren Übernahme von Personen und Lebenszusammenhängen in das eigene Werk keine Scheu. Sie wird in der Erzählung selbst als zulässiges Verfahren diskutiert und praktiziert (S.112 f.).

Aus antiker Tradition eher als aus eigener Anschauung scheint das für die Erzählung zentrale Motiv des Mistkäfers zu stammen, zumal es Andres auch in seinem Brief an Karl Kerényi verwendet 14. Der Mistkäfer ist nach Äsop der geborene Feind des Zeusvogels, des Adlers, diese negative Konnotation benutzt Andres in dem Brief zur Charakterisierung des fortschrittsgläubigen Menschen, der seine Kugeln unermüd-lich vor sich herschiebt. In der Erzählung hat das Motiv sowohl für den Fortgang der Handlung als auch für ihre Deutung Gewicht. Denn am Beispiel des Mistkäfers erläu-tert der Gegenspieler und ursprüngliche Freund Huhls, der Philosophie-Professor, der Huhls Geliebte und Lebensgefährtin Kätta von ihm abwenden und mit sich nehmen wird, seine kalt und abstrakt geformte Überzeugung von der notwendigen Initiative des Menschen, der sich nicht der Natur überlassen darf. Der Anblick des Mistkäfers in seiner natürlichen Befangenheit erregt schließlich Huhls Wut gegen seinen einstigen Freund, der in der Liebe nichts anderes als einen Naturakt zu sehen vermag, so daß er tätlich gegen ihn vorgeht und damit die endgültige Trennung verursacht. An einer kleinen Szene, an der wiederum Mistkäfer beteiligt sind, erläutert der Mythologe sein Verhältnis zur Natur:"-nicht eingreifen! Die Götter schauen zu" (S.17). Nachdem die zufällige Begegnung mit Kättas Tochter für alle Beteiligten ganz neue Möglichkeiten öffnet, variiert der Mythologe seinen Satz:"Jawohl, sie schauen zu, aber wie die Sonne:

Sie bewegen uns mit ihrem Blick" (S.98).

Das Schlußbild von Demeter und Kore ist also eingebettet in eine von antiken Elementen bestimmte Atmosphäre. Es deutet zunächst das Verhältnis der beiden Frauen, um die es in der Erzählung geht. Kätta hatte Huhl gemeinsam mit dem Philo-sophieprofessor in ein geordnetes, aber liebloses und ödes Leben verlassen. Huhl ver-lor mit seiner Liebe seine künstlerische Kraft, so wie im Mythos nach Kores Raub keine Frucht mehr wächst und die Erde tot liegt. Beim zufälligen Auftauchen von Kättas Tochter in Città morta verliebt sich Huhl in sie und erlebt das Wiedererwachen seiner schöpferischen Fähigkeiten. Was mit der Mutter genommen wurde, wird durch die Tochter zurückgegeben. Aber da die ursprüngliche Bindung der Mutter galt, die auch im Mythos die Fruchtbarkeit symbolisiert, geht der Weg über die Tochter zur Mutter zurück und schafft eine erneuerte verwandelte Bindung.

Die Verwendung des Mythos gibt auch Antwort auf die in der Erzählung gestellten Fragen nach dem Schicksal, nach dem Verhältnis von Natur und Geist. Denn durch den Verweis auf ein überzeitliches Bild ist das Geschehene leichter zu ertragen,

14 Lieber Freund, lieber Denunziant, S.12.

und die überraschenden Ereignisse verlieren ihre Zufälligkeit, wobei die Menschen die Spuren erkennen müssen, um das, was bei ihnen liegt, deutend und handelnd zu voll-enden. Der Mensch hat es also nicht mit blinden Naturgewalten zu tun, ebeso wenig kann der Intellekt führend sein. Vielmehr geht es um die Verschränkung von Natur und Geist, um Darstellung und damit Begreiflich-Machen von ewigen Mächten. Sie bestehen im Kore-Demeter-Mythos in der Dialektik von Ödnis und Fruchtbarkeit, vom Verlieren und Wiedergewinnen, vom Sterben und vom Leben.

Wie ernst es Andres mit diesen Vorstellungen war, zeigt die im biographischen Teil erwähnte Tatsache, daß das Haus der Familie in Unkel zur Erinnerung an die ver-storbene Tochter den Namen Kore trug. Und in dem Gedichtzyklus auf ihren Tod kehrt der Gedanke mehrfach wieder, daß in den erneuerten Kräften der Natur die Gestorbene weiterlebt, so wie Kores Aufenthalt in der Erde, wohin sie der Granatapfel, das Sym-bol der Fruchtbarkeit, zieht, die Voraussetzung ist für neues Leben.

"Die Toten, die in unseren Herzen ruhen,

Sind mächtig, sind wie Saat in Frühlingsnächten, Wie neue Quellen in verdorrten Schächten

Und sind wie Flügel an den schweren Schuhen."15

Wie unterschiedlich dagegen das Verhältnis zur Antike bei einer Dichterin wie Elisabeth Langgässer ist, läßt sich an den Gestalten von Demeter und Kore zeigen.

Langgässers 1933 veröffentlichte "Kindheitsmythe" trägt in Anlehnung an die lateinische Sagenversion den Titel "Proserpina". Sie schildert, wie ein Kind in den Sog naturmagischer Kräfte gerät, die Zerstörung und Tod freisetzen. Dem Kind Proserpina entspricht die Mutter Ceres, "jene schöne Herrin der Wollust, welche unter vielfachen Namen Gärten pflanzte und den Fluch ummauerte, unter welchem die Menschen seufzen" 16. Das Böse, die "Fürsten in Schlangengestalt", habe Proserpina befruchtet zu ewiger Knechtschaft, aus Golgatha hingegen sei das Kreuz entstanden als Zeichen der Erlösung. Im Gegensatz zu Andres' Auffassung zeichnet sich ein scharfer Dualismus ab zwischen "dem Samen des Lichtes" und dem "Samen der Nacht". Erlösung von den in antiker Mythologie repräsentierten Naturgewalten schenken allein christliche Vor-stellungen: Maria, die den Tod in Leben verwandelt, und der im Licht lebende himmlische Vater, auf den der irdische Vater des Kindes verweist.

15 Gedichte, München 1976, S.50.

16 Elisabeth Langgässer: Proserpina, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1982. Zitate S.22.