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Zur Rolle des Wahrheitsbegriffs

Im Dokument Realismus und Referenz : Arten von Arten (Seite 137-140)

4.1 Realismus als Wahrheitsrealismus

4.1.2 Semantische Motivationen

4.1.2.2 Zur Rolle des Wahrheitsbegriffs

In den Abschnitten zum ›schlagenden Argument‹ hatten wir bereits gesehen, daß einer antirealistischen Wahrheitsauffassung eine bestimmte semantische Auffassung zugrunde lag, und dieser wiederum eine epistemische (zumindest im Falle von Dummett). Wenn man also die antirealistischen Auffassung über ihren Kern charakterisieren will, dann sollte man dazu nicht den Wahrheits-begriff verwenden.

Es stellt sich nun noch die weitergehende Frage, ob Antirealismus doch immerhin hinreichend und notwendig über ein Kriterium definiert werden kann, daß eine bestimmte Wahrheitsauffassung nennt (auch wenn das nicht der Kern der Auffassung ist). Dieselbe Frage stellt sich dann auch für Realis-mus. Auch wenn dies verneint werden sollte, stellt sich noch die letzte Frage, ob Antirealismus zumindest notwendig mit einer bestimmten Wahrheitsauf-fassung einhergeht, so daß er immerhin über diese kritisiert werden könnte (die Wahrheitsauffassung wäre dann nicht hinreichend, aber notwendig für Antirealismus). Dieselbe Frage stellt sich beim Realismus, auch wenn dieser ebenfalls nicht im Kern eine Auffassung von Wahrheit ist, könnte auch Rea-lismus notwendig mit einer Wahrheitsauffassung verbunden sein.75

75 Wenn man die These akzeptiert, daß Realismus eine metaphysische Position ist, dann bietet sich auch folgendes Totschlagargument an: Die metaphysische These besagt etwas über unabhängige Existenz von Gegenständen, d. h. über die Beschaffenheit der Welt. Fragen der Wahrheitstheorie hingegen darüber, wie ein bestimmtes Prädikat (»wahr«) einzusetzen ist, ob es eine Eigenschaft bezeichnet, und wenn ja welche, wie die Eigenschaft der Wahrheit mit Erkennbarkeit

zusammen-Sicherlich kann Antirealismus, so wie er bisher charakterisiert ist, um da-zu passende Elemente kohärent ergänzt werden. So kann eine epistemische, pragmatistische, instrumentalistische oder konventionalistische Auffassung von Wahrheit hinzukommen. Auch kann eine epistemologische Auffassung wie Idealismus, Phänomenalismus, Konstruktivismus oder Empirismus hin-zukommen. Diese Ergänzungen haben aber nur dann eine Bedeutung für die Charakterisierung von Antirealismus wenn sie notwendige Bestandteile einer kohärenten antirealistischen Position sind.

Auch im Wissenschaftsrealismus stellt die Frage, ob dieser eine Wahr-heitsauffassung beinhalten muß, denn in der oben (2.2.3) verwendeten Cha-rakterisierung taucht der Wahrheitsbegriff auf:

1) Die besten Theorien der gegenwärtigen (Natur-)Wissenschaft sind im wesentlichen wahr.

2) Die zentralen Termini dieser Theorien sind echt referentiell

Dieser Auffassung zufolge kann Wissenschaftsrealismus sich nicht auf Exi-stenzrealismus (Feigenblattrealismus) beschränken, sondern muß dem refe-rentiellen Realismus hinzufügen und zudem sagen, daß die referierenden Theorien wahr sind. Insbesondere ist es nicht ausreichend, daß sich wissen-schaftliche Theorien der Wahrheit lediglich annähern, wie Popper gemeint hatte (Popper 1934, bes. 428ff; vgl. Oddie 1986, Niiniluoto 1987, Aronson 1990). Wie u. a. Harré (1986, 38, 65ff) und Newton-Smith (1981, 1989) betont haben, benötigt Wissenschaftsrealismus also die Behauptung, daß wissen-schaftliche Theorien wahr sind. Nun benötigt aber nicht jeder, auch nicht jeder Philosoph, der irgend etwas für wahr halten will, eine Wahrheitstheorie.

Er benötigt bestenfalls eine gewisse Erklärung, was denn mit »wahr« gemeint sein soll. Für die Zwecke des Wissenschaftsrealismus ist eine minimale, an Tarski-Schemata angelehnte, Wahrheitsauffassung ausreichend.

hängt etc. – solche Fragen betreffen nicht die Beschaffenheit der Welt, sondern unser Verhältnis zu ihr. Also ist klar, daß Wahrheitstheorie nichts über Realismus aussagt. Es könnte höchstens der Fall sein, daß ihre Theorien relevante Implikationen für die metaphysische Frage haben. Das aber wäre nur dann möglich, wenn Tatsachen über Wahrheit für metaphysische Tatsachen bestimmend sein könnten – mit anderen Worten, wenn Realismus falsch ist. Das aber kann nicht vorausgesetzt werden und diese Frage selbst ist keine der Wahrheitstheorie.

Das Totschlagargument scheint insofern erfolgreich. Dennoch ist noch Leben in der Diskus-sion von Wahrheit in den Realismusdebatten. Die anfangs verwendete Prämisse der essentiell metaphysischen Natur des Realismus kann natürlich abgelehnt werden und damit wird das Ar-gument hinfällig. Und dennoch gibt es eine wichtige Moral von der Geschichte: Wer Wahrheit diskutieren will muß diese Terminologie ablehnen und steht dann in der Schuld, uns eine Alter-native zu präsentieren, aus der deutlich wird, was hier eigentlich diskutiert wird, zu welcher Frage seine Erörterung einen Beitrag leisten soll. Hier zeigt sich wieder, daß eine Diskussion des Wahr-heitsbegriffes nur für den Antirealismus relevant sein kann.

schaftsrealismus ist nicht über eine Wahrheitstheorie zu charakterisieren oder zu kritisieren.

Ein weiteres Argument gegen die Annahme, daß die Wahrheitsauffassung im Wissenschaftsrealismus zentral sein könnte ist die Beobachtung, daß man eine Theorie für wahr halten kann, ohne an die Existenz der in ihr postulier-ten Entitäpostulier-ten zu glauben. So wird ein Instrumentalist typischerweise wissen-schaftliche Theorien für wahr halten, die Entitäten aber lediglich als für die Theorie nützliche Postulate auffassen. Ein Instrumentalist reinterpretiert die Theorie zwar, hält sie aber für wahr und kann einen nicht-epistemischen Wahrheitsbegriff mit Bivalenz vertreten. Instrumentalismus wäre als nach dem Kriterium der Wahrheitsauffassung ein Realismus, sollte aber so nicht ohne weiteres klassifiziert werden, denn er verneint die zentrale metaphysi-sche Frage nach der Existenz (von unabhängiger Existenz ganz zu schwei-gen). Man kann die Wahrheit ohne die Metaphysik haben (und das ist dann noch kein Realismus), man kann aber nicht die Metaphysik ohne die Wahr-heit haben (das wäre ein Feigenblattrealismus).

Nehmen wir einmal an, jemand ist im vorhergehenden Kapitel skizzier-ten Sinne ein Antirealist. Er wird also der Auffassung sein, daß die in Frage stehenden Arten nominelle sind und, aus welchen Gründen auch immer, von uns abhängig. Da er kein Externalist sein kann, wird er die epistemischen Tests negativ beantworten; d. h. die Bedeutung der betreffenden Sätze, in der die Termini für diese Arten auftauchen, muß prinzipiell erkennbar sein. Muß ihre Wahrheit dann ebenfalls prinzipiell erkennbar sein? Diese Gedanke ist naheliegend, und wie wir gesehen haben, von einigen Antirealisten verfochten worden, er folgt aber nicht ohne weiteres aus der semantischen These. Er folgt, wenn erkennbare Bedeutung heißt, es muß Bedingungen geben, in de-nen die Behauptung des Satzes erkennbar gerechtfertigt ist. Wenn erkennbare Bedeutung heißt, kompositional aus ›erkennbaren Bestandteilen‹ zusammen-gesetzt, folgt er nicht. Ob eine solche Auffassung tatsächlich ausgearbeitet werden kann ist hier unerheblich. (Es reicht, daß sie denkbar ist, und viel-leicht gibt es weitere Möglichkeiten, antirealistische Semantik mit nicht-epistemischen Wahrheitsbegriffen zu verbinden.) Wichtig ist festzuhalten, daß Antirealismus nicht notwendig eine epistemische Wahrheitsauffassung impliziert.76 Umgekehrt gilt allerdings, daß eine Kombination von Realismus

76 Es ist also riskant, antirealistische Auffassungen, die im Kern – es sei noch einmal gesagt – seman-tische Auffassungen sind, über den Wahrheitsbegriff darzustellen, wie es Dummett und auch Put-nam getan haben (PutPut-nam 1975f, 236; 1975g, 1981; kritisch zu Horwich 1990 etc.: PutPut-nam 1991a;

im bisher skizzierten Sinne mit einer epistemischen Wahrheitsauffassung we-nig plausibel erscheint. Wer Realist ist, muß Externalist sein, und wer Exter-nalist ist, wird nicht meinen, die Wahrheit müsse prinzipiell erkennbar sein.

Eine epistemische Wahrheitsauffassung wäre also ein hinreichendes Kri-terium für Antirealismus, aber kein notwendiges. Ablehnung einer epistemi-schen Wahrheitsauffassung ist ein notwendiges Kriterium für Realismus, aber kein hinreichendes. Eine Widerlegung epistemischer Wahrheitsauffassung würde also keine der beiden Optionen widerlegen – allerdings würde sie den Antirealisten zwingen, eine Motivation für einen nicht-epistemischen Wahr-heitsbegriff zu entwickeln (was Putnam z. B. bisher nicht getan hat).

Wie steht es nun mit einer nicht-epistemischen Wahrheitsauffassung?

Nach der angedeuteten Argumentation ist eine nicht-epistemische Wahr-heitsauffassung für Realismus notwendig, aber nicht hinreichend (auch Anti-realisten können eine solche Auffassung vertreten). Wie sich versteht, ist eine nicht-epistemische Wahrheitsauffassung für Antirealismus weder notwendig noch hinreichend.

Wenn diese Argumente zutreffen, ist eine Charakterisierung von Realis-mus und AntirealisRealis-mus über ihren jeweiligen Wahrheitsbegriff nicht bloß wenig ratsam, sondern vielmehr unmöglich. Daraus kann jedoch nicht ge-schlossen werden, daß Erörterungen des Wahrheitsbegriffes in den Realis-musdebatten keinen Platz hätten. Eine Unterstützung eines nicht-substantiellen, insbesondere eines nicht-epistemischen Wahrheitsbegriffes wäre zwar in der Tat ohne Folgen; Argumente für einen epistemischen (oder sonst mit Antirealismus hinreichend verknüpften) Wahrheitsbegriff jedoch wären zugleich Argumente für Antirealismus.

Im Dokument Realismus und Referenz : Arten von Arten (Seite 137-140)