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Das modale Argument: Namen für Arten

2.2 Der frühe Putnam & Kripke: negative Argumente

2.2.4 Analytischer Sinn vs. Entdeckung

2.2.4.3 Das modale Argument: Namen für Arten

Prinzipiell dasselbe Argument haben Putnam und Kripke für Artausdrücke formuliert, genauer für Artausdrücke, die sich auf natürliche Arten beziehen.

According to the view I advocate, then, terms for natural kinds are much closer to proper names than is ordinarily supposed. The old term ›com-mon name‹ is thus quite appropriate for predicates marking our species or natural kinds … (Kripke 1972, 127)

In dem einschlägigen Abschnitt von Kripke (1972, 116–123) werden zunächst am Beispiel des Wortes »Tiger« einige Versuche unternommen, eine essenti-elle Eigenschaft auszumachen, die allen Tigern zukommt, von der man also sagen könnte, wenn etwas ein Tiger ist, dann hat es diese Eigenschaft (z. B.

»vierbeinige gestreifte Raubkatze«). Diese Suche scheitert daran, daß in allen Fällen die theoretische Möglichkeit verbleibt, einen Gegenstand auszuma-chen, dem die Eigenschaft fehlt, den wie aber dennoch einen Tiger nennen würden – etwa ein dreibeiniger Tiger, ein Tiger ohne Streifen. Kripke zufolge kann sich nach einer wissenschaftlichen Entdeckung sogar herausstellen, daß alle Tiger diese Eigenschaft nicht haben, daß kein Tiger sie hat. So könnte sich herausstellen, daß Tiger eigentlich Reptile sind. Außerdem kann sich herausstellen, daß einzelne Gegenstände die postulierten Eigenschaften besit-zen, aber keine Tiger sind. Kurz:

Just as something may have all the properties by which we originally identified tigers and yet not be a tiger, so we might also find out that ti-gers had none of the properties by which we originally identified them.

(Kripke 1972, 121)

Bis hierhin wäre also gezeigt, daß für jede einzelne Eigenschaft gilt, ihre Zu-schreibung zu einem Angehörigen der Art ist nicht analytisch wahr. Schein-bar analytische Sätze, die sich aus Definitionen ergeben, spiegeln immer nur den gegenwärtigen Stand der Erkenntnis, können sich in der Wissenschafts-geschichte als falsch erweisen und können revidiert werden. Das ist der zen-trale Gedanke des modalen Arguments. Was gegenwärtig als ›von derselben Art‹ gilt, kann stets durch zukünftige Forschung als nicht von derselben Art erwiesen werden (Putnam zu H2O und XYZ, 1975f, 225, 233; zu Gold 1975f, 235–238). In den Wissenschaften wird nicht angenommen, daß es einen unre-vidierbaren Kernbereich des Sinnes gibt, sondern auch zentrale Definitionen können unter dem Eindruck empirischer Erkenntnisse verändert werden, wie es mit der Newtonschen ›Definition‹ von »Energie« und der Bemerkung in der Euklidischen Geometrie, daß zwei parallele Geraden sich nicht schneiden passiert ist (Putnam 1962b, 42–50). Wenn man annimmt, daß diese Praxis ge-rechtfertigt ist, wäre der bisher verbliebene Ausweg verschlossen, einen Kernbereich des Sinns auszumachen, der Referenz bestimmt.38

Kripke ist bekanntlich der Ansicht, daß natürliche Arten (und auch die Träger von Eigennamen) bestimmte essentielle Eigenschaften notwendiger-weise besitzen (1972, 113f, 123–133) – so ist Wasser notwendigernotwendiger-weise H2O –, und auch Putnam tendiert gelegentlich zu solchen Bemerkungen (1970, 140f; 1975f, 233). Es ist wichtig festzuhalten, daß auch nach Kripkes Auffas-sung ein Satz, in dem der natürlichen Art (oder einem Exemplar) diese essen-tielle Eigenschaft zugeschrieben wird, nicht analytisch wahr und nicht a prio-ri wahr ist – wenn auch notwendigerweise wahr, wie sich herausgestellt hat.

Diese Trennung von a priori und Notwendigkeit ist ja gerade ein zentraler Punkt in Naming and Necessity.

Das für unsere Zwecke einschlägige Argument sieht, abstrakt gespro-chen, folgendermaßen aus: Es gibt prinzipiell die Möglichkeit daß der Sinn Bedingungen enthält, die hinreichend sind, Bedingungen, die notwendig sind, oder Bedingungen, die sowohl hinreichend als auch notwendig sind.

Für hinreichende Bedingungen müßte gelten, daß jeder Gegenstand, der die Bedingung erfüllt Teil der Referenz ist. Das ist nicht immer der Fall, denn

38 Die »Bestimmung von Referenz« ist nicht das, was Kripke mit »fixing reference« meint, denn dies sind Hilfen, die wir dazu verwenden können, die Referenz festzustellen. Das wäre sind nicht da-mit zu verwechseln, was objektiv Referenz bestimmt (»determines reference«), bei Namen etwa die kausale Verbindung zum Einführungsereignis (1972, 59, 134–139). Putnam hingegen verwen-det für diese objektive Bestimmung den Ausdruck »fixing reference« (etwa 1980e, 71).

es kann sich nach Forschung in der Sache herausstellen, daß die hinreichende Bedingung von Gegenständen erfüllt wird, die nicht in die Referenz hinein gehören (etwa weil sie eine zugrundeliegende essentielle Eigenschaft nicht haben, so hat sich herausgestellt, daß Wale keine Fische sind, manches was Gold zu sein schien keines ist, etc.). (Vgl. den modalen Test (M1) unten.) Eine hinreichende Bedingung läßt sich also nicht formulieren. Dieses Argument bezüglich hinreichender Bedingungen müßte das entscheidende sein, denn die

›Bestimmung‹ von Referenz durch Sinn, die hier widerlegt werden soll, hieße:

Wenn ein Gegenstand die Bedingung erfüllt, dann ist er Teil der Referenz.

Für notwendige Bedingungen müßte gelten, daß jeder Gegenstand, der Teil der Referenz ist, die Bedingung erfüllt. Das ist nicht immer der Fall, denn es gibt stets die Möglichkeit abnormaler Angehöriger der Art (die drei-beinigen Tiger etc.), die Teil der Referenz sind, aber die Bedingung nicht er-füllen. (Vgl. Test (M2) unten.) Eine notwendige Bedingung läßt sich also nicht formulieren.

Schließlich gibt es noch Bedingungen, die sowohl notwendig als auch hinreichend sind; an solche denkt Putnam offenbar, auch wenn er leider kei-nen Philosophen kei-nennt (außer John Locke), der sich explizit mit dieser Auf-fassung hat erwischen lassen:39

Meaning has been identified with a necessary and sufficient condition by philosopher after philosopher. (1975f, 271; vgl. 1970, 140–143; 1980d, 70, 73)

Solche Bedingungen vereinen offenbar die Schwierigkeiten beider Formen. Es gibt also noch weniger Hoffnung als bei bloß hinreichenden oder notwendi-gen Bedingunnotwendi-gen, eine solche definitorische Bedingung zu formulieren und damit die Extension zu erfassen.

Dieses Argument zeigt deutlich, daß jede Bestimmung von Referenz durch im Sinn enthaltene hinreichende oder notwendige Bedingungen erle-digt ist. Dies gilt zumindest bei Ausdrücken für natürliche Arten, denn nur dort ist Kripkes und Putnams Appell an die Intuitionen erfolgreich (»Das wäre immer noch ein Tiger, nicht wahr?»).

Neben einem Kernbereich des Sinns als hinreichende oder notwendige

39 In 1980d, 69f wird noch Russell genannt, was korrekt zu sein scheint, auch wenn keine Stelle zu finden ist, in der Russell explizit diese Auffassung vertreten hätte (und Putnam verzichtet auf Verweise). Auch wenn diese Zuschreibung korrekt sein sollte, wäre das 1975 publizierte obige Zitat doch recht gewagt. Eher scheint es, daß die kritisierte Auffassung eine verbreitete unausge-sprochene Annahme zur Bedeutung genereller Termini war.

Bedingung gibt es noch die Möglichkeit, eine natürliche Art mit einem Bün-del (cluster) von Eigenschaften zu verbinden, von denen die Mehrheit erfüllt sein muß, also absichtlich keine bestimmte Menge von Eigenschaften zu be-nennen. Diese, auch bei Eigennamen vorgeschlagene Auffassung,40 versucht Kripke dadurch zu widerlegen, daß (wie soeben zitiert) auch etwas ein Tiger sein könne, das keine der definitorischen Eigenschaften besitzt. Wenn das zutrifft, dann kann auch der Besitz einer Mehrheit von Eigenschaften keine notwendige oder hinreichende Bedingung für Zugehörigkeit zur Art sein (1972, 121).

Kann eine Bündeltheorie den o. g. Argumenten entkommen? Ein be-stimmtes Bündel von Eigenschaften wäre nichts anderes als eine Konjunktion von Eigenschaften – und für diese Konjunktion würden die o. g. Argumente bezüglich hinreichender und notwendiger Bedingungen zutreffen. Denkbar wäre allerdings etwa die Auffassung, mindestens 50% der im Bündel aufgeli-steten Kriterien müßten erfüllt sein. Voraussetzung wäre zunächst, Kripkes Intuition abzulehnen, daß sich alles, was wir für definitorisch für Tiger ge-halten haben, als falsch herausstellen kann. Genauer, daß sich all’ dieses als falsch herausstellen kann, und sich damit herausstellt, daß Tiger ganz anders sind, als gedacht (und nicht vielmehr, daß es keine Tiger gibt). Es spricht in der Tat manches dagegen, diese Intuition Kripkes zu teilen. Wesentliche Teile des Stereotyps von »Tiger« sind derart, daß wir schwanken, Gegenstände noch als »Tiger« zu bezeichnen, wenn sie all’ diese Eigenschaften nicht ha-ben: Wenn sich herausstellt, daß die bisher für Tiger gehaltenen Gegenstände keine Tiere sondern Maschinen sind, daß sie nicht gestreift sind, keine Beine haben und kein Fleisch fressen, dann würden wohl viele Sprecher meinen, es hätte sich (überraschenderweise) herausgestellt, daß es keine Tiger gibt – und nicht, daß Tiger ganz anders sind, als bisher gedacht. Genauer, je weniger von diesen Eigenschaften gegeben sind, desto weniger sind wir geneigt die neuen Erkenntnisse als Erkenntnisse über Tiger aufzufassen – es scheint hier aber keine klare Grenze zu geben. Ähnlich sind die problematischen Fälle, in de-nen sich herausgestellt hat, daß eine Art eigentlich aus zwei Arten besteht (wie im Fall von Jade). Häufig scheinen hier, auch bei natürlichen Arten menschliche Entscheidungen zwischen verschiedenen möglichen Kategorisie-rungen erforderlich zu sein. Wenn das zutrifft würden hier natürliche Arten

40 »… referring uses of ›Aristotle‹ presuppose the existence of an object of whom a sufficient but so far unspecified number of statements are true.« (Searle 1958, 94. Vgl. Kripke 1972, 64f)

mit begrifflicher Relativität verbunden (s. u. 3.2.1 bzw. 4.1).41

Auch für eine Bündeltheorie mit einer unklaren Verknüpfung der Eigen-schaften, etwa über eine prozentuale Angabe, ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß sie dem modalen Argument zum Opfer fällt – wenn wir in der Erfor-schung der Welt eine essentielle Eigenschaft der Art entdecken, übernimmt diese die Referenzbestimmung und das Eigenschaftsbündel wird nicht über Extension entscheiden (seine Bestimmungen können sich als falsch heraus-stellen). Die Bündeltheorie für natürliche Arten ist keine Option.

Was zeigen also diese Argumente, wenn sie denn zutreffen? Wenn wir uns fragen, was genau die Extension eines Artbegriffes ist, dann lassen wir uns (bei natürlichen Arten) von Erkenntnissen in der Sache leiten. Die Argu-mente zeigen, daß der sprachliche Sinn (oder Putnams Stereotyp) dabei ge-wisse Grenzen setzt, aus denen wir uns nicht entfernen wollen; wir würden es unter Umständen vorziehen, den bisherigen Ausdruck aufzugeben, anstatt ihn radikal zu verändern. Dennoch erlauben wir Erkenntnissen in der Sache die Bestimmung der Extension, erlaube diesen Erkenntnissen, gegen Sinn oder Stereotyp zu entscheiden und evtl. zu zeigen, daß es eine Art nicht gibt.