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Die Prämissen ablehnen: Sinn bestimmt nicht Referenz

2.2 Der frühe Putnam & Kripke: negative Argumente

2.2.1.3 Die Prämissen ablehnen: Sinn bestimmt nicht Referenz

wissenschaftlichen Entdeckung empirisch herausstellen, daß Gegenstände der Art G eine in jenem essentiellen Sinn postulierte Eigenschaft nicht besitzen – denn solche Erkenntnisse hätten sich damit bereits als Ergebnisse entlarvt, die nicht von G handeln. Wenn es sich nicht empirisch als falsch herausstellen kann, daß Gegenstände der Art G jene essentielle Eigenschaft haben, dann stellt sich der Verdacht ein, es sei analytisch wahr, daß sie diese Eigenschaft haben. Ein solcher analytischer essentieller Sinn könnte das Argument aus den Angeln heben, weil er sich nicht verändert (b). Dieser Ausweg wäre also vom Realisten noch zu verschließen. Das geschieht, kurz gesagt, durch die Erwiderung, hier würden die falschen Wahrheiten zu analytischen erklärt – was unten in Abschnitt 2.2.4 illustriert werden wird, sich aber besonders aber bei der Diskussion von Saul Kripkes modalem Argument (2.3) erweist.

Funktion in der logischen Form. Insbesondere sind sie der Auffassung, Ei-gennamen und evtl. indexikalische Ausdrücke hätten gar keinen Fregeschen Sinn, der zur Vermittlung der Referenz dienen könnte. Dementsprechend sollen direkt referentielle Ausdrücke zum Sinn des ganzen Satzes, zu der aus-gedrückten Proposition, nicht ihren Sinn beitragen, sondern vielmehr das Objekt, auf das sie referieren. Die logischen Form einer singulären Propositi-on wäre dann derart, daß an der Stelle des singulären Terminus der Referent vorkommt, nicht der Sinn eines Namens bzw. indexikalischen Ausdrucks: In den Sätzen »Gustav Lauben ist verwundet worden« und »Dr. Lauben ist verwundet worden« sind daher, Frege zufolge, zwei Gedanken (Propositio-nen) ausgedrückt, wenn mit »Gustav Lauben« und »Dr. Lauben« zwei Sinne verbunden werden (Frege 1918, 65f), dem Vertreter der direkten Referenz zufolge drücken diese beiden Sätze dieselbe Proposition aus, wenn nur Gu-stav Lauben mit Dr. Lauben identisch ist, unabhängig vom Sinn der Aus-drücke. Der hier noch zu entwickelnden These des Externalismus zufolge wird die Referenz bestimmter genereller Termini, die nicht syntaktisch son-dern semantisch ausgezeichnet werden, nicht durch Sinn bestimmt, sonson-dern durch die betreffende Art. Damit wird aber nicht gesagt, daß die betreffenden Termini keinen Sinn hätte, ja diese kann seine traditionelle Funktion der »Art des Gegebenseins« der Referenz für die einzelnen Sprecher beibehalten.

Eine semantische Theorie, die auch alle generellen Termini als direkt refe-rentiell auffassen würde ist bisher nicht vorgeschlagen worden und scheint auch kaum vielversprechend. Für jeden generellen Terminus, einschließlich komplexer Beschreibungen, müßte ein abstraktes Objekt als Referenzobjekt postuliert werden, was ontologisch wenig sparsam wäre. Zudem bliebe das Problem, Terminus und Objekt in ›Kontakt‹ zu bringen. Schließlich würde einem so konstruierten generellen Terminus die an der Prädikatsstelle se-mantisch notwendige ›Ungesättigtheit‹ fehlen (vgl. Frege 1892b). Wir können diese Option wohl zunächst vernachlässigen.

Dennoch ist dieser Angriff auf die klassische (Frege zugeschriebene) Doktrin, Referenz sei stets durch Sinn vermittelt, sicherlich eine Inspiration für die hier diskutierten Auffassungen. Insbesondere wäre noch zu klären, ob bestimmte, nun semantisch oder ontologisch ausgezeichnete generelle Terme – bestimmte Begriffe für Arten – direkt referieren, auch wenn sie zweifellos mit einem sprachlichen Sinn verbunden sind.

Für den Fall daß Namen für Arten wie »Elektron« direkt referentiell

sind, würden die verschiedenen o. g. Theorien nicht mehr Gefahr laufen von verschiedenen Gegenständen zu handeln (Referenzstabilität wäre gegeben) denn direkt referentielle Termini sind, der von Kripke (1972, 49) initiierten Orthodoxie zufolge, stets starr bezeichnend, d. h. sie bezeichnen in allen möglichen Welten denselben Gegenstand – also auch zu allen Zeitpunkten in der wirklichen Welt (die ja wiederum mögliche Welten sind).

Eine notwendige Bedingung dafür, daß »Elektron« überhaupt als direkt referentieller Terminus in Frage kommt, wäre daß es nicht der Fall ist, daß sich der Terminus in allen extensionalen Kontexten salva veritate durch eine Beschreibung B ersetzen ließe – läßt er sich so ersetzen, dann handelt es sich nicht um einen direkt referentiellen Ausdruck.23 (Dieser u. a. von Salmon vorgeschlagene Test ist allerdings nur im Bereich kontingenter Gegenstände anwendbar: Ein Paradebeispiel für einen direkt referentiellen Terminus wie die Ziffer »2« läßt sich in allen extensionalen Kontexten salva veritate durch die Beschreibung »die kleinste Primzahl« ersetzen.) Diesen ersten Test be-steht »Elektron«, denn wir sind nicht in der Lage, eine solche Beschreibung anzugeben, von der wir überzeugt wären, daß sie in allen Kontexten den Wahrheitswert unangetastet ließe. Man könnte dies mit Hilfe einer Überle-gung überprüfen, die man den ›modalen Test‹ nennen könnte (vgl. 2.2.5). Von den Sätzen

(1) x ist ein Elektron

(2) x erfüllt Beschreibung B

muß gelten, daß sie für jedes x in jeder möglichen Welt entweder beide falsch oder beide wahr sind; mit anderen Worten:

(3) r(x ist ein Elektron ↔ x erfüllt Beschreibung B)

Nun sind wir aber offen gegenüber Entdeckungen, die eine gegenwärtig von uns formulierbare Beschreibung B von Elektronen als falsch erweisen würden und würden daher (3) nicht zustimmen. Eventuell gibt es de facto eine uns unbekannte, Elektronen essentiell zukommende Eigenschaft, deren Beschrei-bung in B eingesetzt werden könnte, aber das würde nicht hinreichen, um

23 Der Austausch von koextensionalen Ausdrücken in sogenannten ›intensionalen Kontexten‹ wie

»Leo glaubt, daß …« kann auch dann einen Einfluß auf den Wahrheitswert des ganzen Satzes ha-ben, wenn diese koextensionalen Ausdrücke als direkt referentiell aufgefaßt werden können, nicht nur wenn es sich um Beschreibungen handelt (man ersetze etwa den Namen »Dr. Lauben« durch

»Gustav« in »Leo glaubt, daß Dr. Lauben verwundet wurde.«)

»Elektron« als nicht direkt referentiellen Ausdruck zu entlarven. Auch von Vertretern der direkten Referenz wird ja angenommen, daß bestimmte Refe-renten, etwa die von Eigennamen, eine solche Essenz aufweisen, die gerade ihre Identität quer über mögliche Welten garantiert (z. B. genetische Identität bei Kripke 1972, 113). Eine solche Beschreibung aber ginge nicht in die sin-guläre Proposition ein und wird nicht bei der Bestimmung des Referenten verwendet.

Es scheint also nicht ohne weiteres ausgeschlossen, daß auch Namen von Arten semantisch ebenso wie Eigennamen als direkt referentielle Ausdrücke funktionieren. Diese Option würde dem Argument der mangelnden Refe-renzstabilität allerdings nur insofern entgegenstehen, als es Referenzvermitt-lung durch Sinn zwar aufgibt, dies aber auf bestimmte Arten von Ausdrücken beschränkt. Es handelt sich also nicht um ein Gegenargument sondern um eine mögliche Konsequenz, die in dieselbe Richtung geht, wie die von Put-nam selbst vorgeschlagene.

Zunächst jedoch zu Putnams eigenem Lösungsvorschlag, der ebenfalls eine Kritik von Prämisse (a) beinhaltet. Er gibt die Vorstellung, daß Sinn (meaning) Referenz bestimmt, nicht vollständig auf, sondern schlägt zunächst vor, Referenz sei durch Sinn unterbestimmt, und werde noch durch einen anderen Faktor entscheidend beeinflußt: durch die ›Welt‹. Eine zentrale Vor-stellung hierbei ist also:

… the idea that the extension of certain kinds of terms … is not fixed by a set of ›criteria‹ laid down in advance, but is, in part, fixed by the world.

There are objective laws obeyed by multiple sclerosis, by gold by horses, by electricity; and what it is rational to include in these classes will de-pend on what those laws turn out to be. (Putnam 1980e, 71)

Der zu kritisierenden klassischen Auffassung zufolge bestimmt unsere Theo-rie eines Gegenstandes den Sinn des betreffenden Ausdruckes (Ausdrucks-typs). Die Frage nach dem Sinn eines Ausdruckes kann dieser Auffassung zufolge am besten beantwortet werden, indem man die tatsächlich verwen-dete Sprache untersucht. Des weiteren bestimmt sich die Referenz eines Aus-druckes durch seinen Sinn.

Der frühe Putnam hat das »in part« im obigen Zitat gern unter den Tisch fallen lassen und so geredet, als ob die Welt allein die Referenz bestimmte – eine Redeweise die besonders von naturalistisch gesinnten Philosophen gern aufgenommen worden ist und die sich auch mit Kripkes Lehre von der

›star-ren‹ Bezeichnung am besten verträgt – auch wenn Starrheit im Sinne Kripkes eine stärkere Bedingung ist als Stabilität im Sinne Putnams, denn Starrheit fordert Referenzgleichheit in allen möglichen Welten, Stabilität nur in der Entwicklung innerhalb der einen wirklichen Welt.

Im Sinne der hier angedeuteten Vorstellung bieten sich prinzipiell zwei

›realistische‹ Alternativen, die in der positiven Doktrin der realistischen Se-mantik nicht genau auseinander gehalten werden: (1) Den Sinn von »Elek-tron« auf eine noch zu spezifizierende Weise auch durch die Elektronen selbst bestimmen zu lassen, während man an der Bestimmung von Referenz durch Sinn allein festhält. Sinn wäre dann realistisch zu bestimmen. (2) Die Bestimmung von Referenz durch Sinn zu verwerfen und Referenz direkt durch die Elektronen selbst bestimmen zu lassen. Sinn bliebe dann non-realistisch bestimmbar, ohne Bezug auf die tatsächliche Beschaffenheit der Referenzgegenstände. Die zwei Möglichkeiten (1) und (2) haben gemeinsam, daß die Elektronen selbst die Referenz von »Elektron« bestimmen, der Un-terschied ist, ob dies direkt oder vermittelt durch Sinn geschieht. Verschieden ist auch, daß Sinn in Alternative (1) nicht mehr mit etwas identifiziert werden kann, was Sprecher wissen; Sinn kann dort epistemisch unzugänglich sein.

Dies ist mit der traditionellen Funktion von Sinn unvereinbar, die ja gerade darin besteht, verschiedene Arten des Gegebenseins für die Sprecher zu cha-rakterisieren. Alternative (1) trägt also die Bürde, einen neuen Terminus ein-führen zu müssen, der diese Funktion von Sinn übernimmt und zugleich eine neue Auffassung von »Sinn« zu präsentieren. Aus diesen Gründen hat diese Variante bisher keine große Rolle gespielt (Details hierzu unten 2.2.4.2).

2.2.1.4 Den Schluß ablehnen: Referenzinstabilität ist nicht die