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Empirische Argumente: Wie kategorisieren wir de facto?

Im Dokument Realismus und Referenz : Arten von Arten (Seite 102-107)

3.2 Arten, natürliche und nominale

3.2.3 Empirische Argumente: Wie kategorisieren wir de facto?

Dies ist, nebenbei bemerkt, auch dann möglich, wenn es notwendig wahr ist, daß eine Art ihre essentielle Eigenschaft hat, wie Kripke und Putnam glau-ben. Kripke bemerkt ganz zutreffend:

If I say, »Gold might turn out not to be an element«, I speak correctly;

»might« here is epistemic and expresses the fact that the evidence does not justify a priori (Cartesian) certainty that gold is an element. (Kripke 1972, 143, n. 72; vgl. Deutsch 1993, 406ff)

müßte (deskriptivistischer) Antirealismus falsch sein. In der Konzeptfor-schung ist die Frage, wie individuelle Sprecher die Entscheidung fällen, ob ein Gegenstand unter einen Begriff fällt – nicht, ob ein Gegenstand tatsächlich unter einen Begriff fällt (schließlich können sich einzelne und sogar alle Spre-cher hier irren). Diese empirischen Erkenntnisse können aber nicht zeigen, daß Realismus wahr oder falsch ist. Sie zeigen lediglich, daß bestimmte Per-sonen realistische oder antirealistische Intuitionen haben. Ob diese gerecht-fertigt sind, darüber kann psychologische oder wissenschaftshistorische schung nichts herausfinden. Wie oben erwähnt, kann wissenschaftliche For-schung in der Sache (also etwa in der Biologie), realistische bzw. antirealisti-sche Intuitionen unterstützen – und das wären dann Hinweise darauf, daß diese Haltung hier die Richtige ist.

Metatheoretisch gesprochen können die angedeuteten empirischen Er-kenntnisse ohnehin nicht zeigen, daß die hier vorgeschlagene rung von Optionen in den Realismusdebatten falsch ist. Die Charakterisie-rung ist nicht der Behauptung verpflichtet, daß es natürliche Arten gibt. In unserem Zusammenhang ist ein bestimmter Begriff einer natürlichen Art die Konsequenz einer bestimmten philosophischen Position, und seine Definiti-on dient dem Zweck, diese PositiDefiniti-on gegenüber anderen abzugrenzen. Nur soweit sich die Details einer Auffassung von natürlichen Arten und Arten im allgemeinen nicht aus dieser philosophischen Position ergeben – dem Realis-mus – müssen empirische Erkenntnisse zur Ausgestaltung im Sinne einer nachsichtigen Interpretation verwendet werden. Sollte sich herausstellen, daß der so gewonnenen Definition entsprechende natürliche Arten nicht existie-ren, so spricht das nicht gegen die Definition, sondern gegen die philosophi-sche Position aus der sie resultiert.

Insofern haben empirische Argumente keine Bedeutung für die hier zur Debatte stehende Metafrage, wie Positionen im Spektrum Realismus-Antirealismus zu charakterisieren und zu beurteilen sind. Der hier vorge-stellten Antwort auf die Metafrage zufolge, sind empirische Erkenntnisse je-doch von Bedeutung für die Beurteilung einzelner Positionen in bestimmten Realismusdebatten – wie noch zu zeigen sein wird.

3.2.4 »Unabhängige Existenz« und Ontologie von Arten

In der Erklärung von natürlichen Arten und allgemein in Charakterisierun-gen von Realismus kommt häufig die Vorstellung vor, daß diese Arten bzw.

die Welt überhaupt »unabhängig« von uns sei. Dem entsprechend scheint Antirealismus behaupten zu müssen, die Welt sei von uns, unserem Geist, unserer Sprache, unserer Erkenntnis(fähigkeit), unseren Repräsentationen oder was auch immer, »abhängig«. Und das ist prima facie eine merkwürdige (idealistische) These, scheinen doch die Sterne von uns unabhängig zu existie-ren, auch zeitlich vor einer begrifflichen Ordnung zu existieexistie-ren, sie existieren weiter wenn es keine Menschen mehr gibt und hätten existiert, auch wenn es keine Menschen gegeben hätte. Wie könnte also eine solche Behauptung der

›Abhängigkeit‹ gemeint sein, ohne sich sogleich in metaphysisch starken (und dubiosen) Thesen zu verlieren?60

Mir scheint, es gibt im hier vorgeschlagenen Rahmen darauf eine recht einfache Antwort. Wenn jemand sagt, eine Art sei von uns abhängig (also eine nominelle Art), dann meint er kausale Abhängigkeit, er meint, die Existenz der Art wird von uns mitverursacht. Das heißt nicht, all’ die einzelnen Ge-genstände (Sterne oder Haustiere) seien von uns kausal abhängig. Wenn Stern und Haustier nominelle Arten sind, dann haben wir nicht die Sterne (Haus-tiere) gemacht, aber die Art Stern (Haustier), die Zusammenfassung der Ge-genstände unter einem Begriff, haben wir gemacht. Wir haben nicht nur den Begriff erfunden, sondern damit auch die Art erst geschaffen, so die antireali-stische Auffassung.

Bei einer natürlichen Art hingegen existiert die Art bereits, und nachdem wir sie gefunden haben, verwenden wir unseren Begriff lediglich dazu, auf sie zu referieren. »Unabhängig« bedeutet also, daß in der kausalen Geschichte der Art keine menschlichen Handlungen vorkommen. Diese kausale Ge-schichte kann, etwa bei biologischen Spezies, durchaus einen Anfang und ein Ende haben (die Art stirbt aus), auch kann sie beinhalten, daß sich eine auf-spaltet oder mit anderen verschmilzt. Was Unabhängigkeit betrifft sind einige Kandidaten für natürliche Arten allerdings ohnehin eng mit der Existenz von Menschen verbunden, wie etwa die Art »menschliches Herz«. Es wäre falsch zu sagen, daß es auch menschliche Herzen gegeben hätte, wenn es keine Men-schen gegeben hätte (Abhängigkeit von der Existenz von MenMen-schen ist also nur eine hinreichende Bedingung für eine nominelle Art). Dennoch ist diese Art nicht auf die einschlägige Weise kausal von uns abhängig.61 In der

60 Und Putnam betont in den letzten Jahren wiederholt, daß er die Rede von Abhängigkeit (bes. bei Rorty) unverständlich findet, wenn sie etwas anderes als kausale oder logische Abhängigkeit mei-nen soll (Putnam 1994a, 301).

61 Diese »einschlägige Weise« konkret zu formulieren ist recht schwierig, denn eine Formulierung

schreibung dessen, was die menschlichen Herzen zu einer Art macht, kom-men evtl. Menschen vor, aber nicht an der entscheidenden Stelle, nicht als Handelnde. Bei einer nominellen Art wie »Stuhl« oder »Haustier« hingegen haben wir die einzelnen Gegenstände erst zu einer Art zusammengefaßt, die Art existiert nicht unabhängig von menschlichen Handlungen. Das würde noch nicht bedeuten, daß es per Definition keine natürlichen Arten menschli-cher Handlungen geben kann. Deren Existenz, d. h. ihre Entstehung, ihre Zusammenfassung zu einer Art, kann von menschlichen Handlungen unab-hängig sein. Es scheint allerdings problematische Fälle zu geben: So sind von Menschen durch Züchtung oder Gentechnologie in die Welt gebrachte biolo-gische Arten intuitiv ebenso gute (oder schlechte) Kandidaten für natürliche Arten wie andere biologische Arten auch. Dasselbe gilt für einige radioaktive Elemente, wie etwa Plutonium. In diesen Fällen existieren die Exemplare si-cherlich abhängig von menschlichen Handlungen, aber auch die Art als deren Zusammenfassung? Mir scheint, es läßt sich sagen, daß sie unabhängig exi-stiert, wenn einmal die Exemplare in der Welt sind.62 Abhängigkeit der Art von menschlichen Handlungen scheint also ein brauchbares Kriterium zur Unterscheidung nomineller von natürlichen Arten zu sein.

Auch wenn das gelöst sein sollte bleibt die Frage, was eine Art denn ei-gentlich ist; welche Art von Gegenstand ist eine Art? Was ist das, von dem hier gesagt wird, es sei kausal abhängig bzw. unabhängig? Wir brauchen also ein kleines Stück metaphysischer Spekulation, daß die vorherige Rede von

»kausaler Abhängigkeit« plausibel erscheinen läßt. Eine echte Ontologie von Arten wird hier allerdings nicht geboten – und die philosophische Basis für die solche Spekulation scheint auch allzu dünn zu sein. Die klassische Auffas-sung der Extension genereller Termini, und das ist es was wir hier als »Arten«

bezeichnen, ist, daß sie Klassen sind. Eine Klasse wäre ein abstrakter Gegen-stand zweiter Ordnung, der durch seine Elemente vollständig bestimmt ist, d.

h. zwei Klassen sind genau dann identisch, wenn sie dieselben Elemente ent-halten. Gegen die Auffassung von Arten als Klassen sprechen vor allem fol-gende Punkte:

»existiert unabhängig von x« läßt meist Gegenbeispiele zu. .. Ein typisches Kriterien wie «… the world exists independently of our representations of it« (Searle 1995, 153) hat z. B. das Problem, daß unsere Repräsentationen der Welt (z. B. Beschreibungen, Karten, auch die sie enthaltenden Bücher) nicht unabhängig von den Repräsentationen existieren, etc. etc.

62 Erfüllt diese Art aber nicht die hinreichende Bedingung oben, würde man nicht sagen müssen, daß sie nicht existieren würde, wenn es keine Menschen gegeben hätte? Nicht unbedingt, schließlich hätte die Art auch von der Evolution hervorgebracht werden können. Arten bei denen das nicht möglich erscheint, etwa Kunststoffe, wären dann stets nominelle Arten.

(1) Abstrakte Gegenstände haben nach allgemeiner Auffassung (vgl.

Künne 1980) keine kausalen Beziehungen, was eine externalistische Refe-renztheorie mit kausalen Anteilen ausschließen würde; (2) Klassen können nicht entstehen und vergehen, Arten können es; (3) Extensionsgleiche Klas-sen, wie die der Lebewesen mit Herz und der Lebewesen mit Nieren63 sind identisch, intuitiv aber nicht dieselben Arten; (4) Eine Art kann vergangene, zukünftige und mögliche Angehörige/Elemente haben, eine Klasse nur aktu-elle – denn mit anderen Elementen wäre sie eine andere Klasse.

Diese Schwierigkeiten zeigen deutlich, daß Arten nicht als Klassen auf-gefaßt werden sollten. Eine Alternative, die diese Probleme vermeidet, wäre, Arten als mereologische Summen aufzufassen, d. h. als Ganze, die aus Teilen zusammengesetzt sind. Mereologische Summen sind Gegenstände erster Ordnung, die durch ihre Teile nicht vollständig bestimmt sind, d. h. dieselbe mereologische Summe kann einen Austausch ihrer Teile überleben. Summen von konkreten Gegenständen sind selbst konkrete Gegenstände, sie können also in Kausalverhältnisse eintreten, insbesondere könnten sie in einer kausa-len Theorie der Referenz etwas kausal bestimmen. (Die mereologische Sum-me von abstrakten Gegenständen ist selbst ebenfalls abstrakt.) Mereologische Summen können entstehen, indem verschiedene Gegenstände zu einem Gan-zen zusammengefaßt werden – etwa durch menschliche Handlungen oder natürliche Evolution. Ebenso können mereologische Summen vergehen. (Wir nehmen also nicht die radikale Auffassung an, derzufolge ohnehin schon je-der Gegenstand mit jedem anje-deren in einer mereologischen Summe vereinigt ist.) Zwei mereologische Summen mit denselben Teilen sind nicht notwendig identisch. Schließlich können mereologische Summen vergangene, zukünftige und mögliche Teile haben, denn sie sind nicht über ihre Teile individuiert.

Eine mereologische Summe muß Teile haben, analog muß auch eine Art An-gehörige haben. Es bietet sich also an, Arten als mereologische Summen auf-zufassen. Eine natürliche Art wäre dann eine mereologische Summe, deren Entstehung von uns kausal unabhängig ist. Die Teile der Summe wären die individuellen Referenten des Ausdrucks, die Summe die Extension.

63 Striktere Beispiele finden sich im Bereich der abstrakten Gegenstände, etwa »gleichwinkeliges Dreieck» und »gleichseitiges Dreieck».

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