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4.3 Vagheit

4.3.1 Reale Vagheit?

inner-halb des Typs »Begriff für natürliche Art«, ist also nicht der Auffassung, daß es nur einen privilegierten Typ gebe. Innerhalb der natürlichen Arten lassen sich mehrere nicht-identische Beschreibungen formulieren, die gleich ange-messen sind. Moderater Realismus akzeptiert schwache begriffliche Relativi-tät. Wir können begriffliche Relativität in ihren beiden Formen daher als Kriterium zur Unterscheidung der theoretischen Optionen in Realismusde-batten einsetzen – und also auch als Argument, was dafür bzw. dagegen spricht, eine dieser Positionen einzunehmen.

nicht zutrifft, wo es uns freigestellt zu sein scheint, zu sagen, daß sie Haufen sind, oder daß sie keine Haufen sind. Das ist nicht deshalb der Fall, weil wir weitere Informationen über diese Ansammlungen benötigen würden – es kann durchaus sein, daß wir alles über sie wissen, was wir nur wissen wollen, und dennoch den Eindruck haben, daß sie einer Erkundung widerstehen, ob sie wirklich Haufen sind oder nicht. Dies sind Grenzfälle bezüglich des Prä-dikats »Haufen«. Wir haben also die positive Extension, wo das Prädikat zu-trifft (die Haufen), die negative Extension, wo das Prädikat nicht zuzu-trifft (die Nicht-Haufen) und schließlich die Penumbra der Grenzfälle. Ein Grenzfall ist ein Fall, der von normalen Sprechern, die alle notwendige Informationen besitzen, sowohl den Grenzfällen wie der positiven als auch der negativen Extension eines Prädikates zugeordnet werden kann, ohne daß sie damit Un-kenntnis der Semantik des betreffenden Prädikats offenbaren würden. Die Existenz von Grenzfällen soll uns als erste Definition von Vagheit dienen:

(V) Ein Prädikat φ ist vage, dann und nur dann, wenn φ Grenzfälle hat Ein genauerer Blick zeigt jedoch, daß diese Definition eine unnötige Bedin-gung enthält, insofern sie annimmt, das Prädikat »Haufen« sei nur dann vage, wenn es tatsächlich Grenzfälle gibt. Das ist nicht korrekt, denn die kontin-gente Tatsache, daß es gegenwärtig keinen Grenzfall gibt, wäre für die Frage irrelevant, of »Haufen« vage ist. Worauf es ankommt ist, ob es einen solchen Grenzfall geben könnte, in Gegenwart dessen die Vagheit deutlich würde – sie würde dann deutlich werden, nicht etwa in diesem Augenblick produziert.

Unsere Definition muß also wie folgt verändert werden:

(V) Ein Prädikat φ ist vage, dann und nur dann, wenn φ Grenzfälle haben kann

Bei vagen Prädikaten wie »Haufen« sind negative und positive Extension nicht durch eine scharfe Grenze getrennt. Eine kleine Grafik zur Verdeutli-chung der Lage:

Nicht-Haufen

Grenzbereich

Haufen

Anzahl der Körner

Von Nicht-Haufen zu Haufen

Wir müssen nun noch andere Gründe ausschließen, warum ein Prädikat keine scharfe Grenze zieht. Zunächst können einige Verwendungen des Prädikats relativ sein, wie in »Diese Person ist von überdurchschnittlicher Größe«, wo die Extension deshalb undefiniert bleibt, weil nicht spezifiziert worden ist, in Bezug auf welche Population die Person von überdurchschnittlicher Größe sein soll. Wenn die Bedeutung der Äußerung deutlich gemacht wird, wird das verschwinden, was als Vagheit erschienen sein mag. Dasselbe gilt für lexikali-sche Mehrdeutigkeit, wie bei dem Wort »Bank« oder grammatilexikali-sche Mehr-deutigkeit wie in »Hunting lions can be dangerous«, wo entweder von den Löwen oder vom Jagen die Rede sein kann. Diese Unklarheit verschwindet wenn die Bedeutung deutlich gemacht wird. Bei vagen Prädikaten wie

»Haufen« liegen die Dinge anders: Es besteht keine Notwendigkeit, etwas deutlich zu machen, ja es gibt keine Möglichkeit dazu. Es gibt keine Bedeu-tung, die hier unbekannt wäre. Vagheit beruht nicht auf Unwissen. Ich werde zu diesem wichtigen Punkt später zurückkommen.

Um Vagheit besser in den Griff zu bekommen, sehen wir uns das klassi-sche Rätsel an, das mit Vagheit verknüpft ist: die Sorites Paradoxie (so ge-nannt, nach dem Griechischen σορñσ für Haufen). Man stelle sich eine Reihe von Ansammlungen von Sandkörnern vor, von einer Ansammlung mit bloß einem Korn, nennen wir sie A1, bis hin zu einer Ansammlung, die eindeutig einen Haufen ausmacht, sagen wir A 1.000.000 Wir sind uns sicher, daß ein einziges Korn nicht den Unterschied zwischen einem Haufen und einem Nicht-Haufen ausmachen kann, wir stimmen also folgendem Prinzip zu:

(T1) Wenn eine Ansammlung mit n Körnern ein Haufen ist, dann ist auch eine Ansammlung mit n-1 Körnern ein Haufen.

Wenn also unser A 1.000.000 ein Haufen ist, dann ist A 999.999 ebenfalls ein Haufen. Nun können wir aber unser Prinzip wieder anwenden: Wenn

A 999.999 ein Haufen ist, dann muß auch A 999.998 ein Haufen sein, und so fort. Wir kommen schließlich dazu, absurderweise sagen zu müssen, daß A 1 einen Haufen bildet, daß ein Korn einen Haufen bildet. Das ist die Paradoxie (vgl. Sainsbury 1989, Kap. 2).

Argumente derselben Struktur und mit ähnlich inakzeptablen Konse-quenzen können für jedes vage Prädikat gebildet werden. Wir glauben an Prinzipien wie: »Wenn ein Mann mit n Haaren auf dem Kopf kahl ist, dann muß auch ein Mann mit n+1 Haaren auf dem Kopf kahl sein«, oder »Wenn eine Person des Alters n erwachsen ist, dann ist auch eine Person erwachsen, die eine Stunde jünger als n ist«. Nennen wir diese Prinzipien »Toleranzprin-zipien«. Gegeben ein Kontinuum wird es stets einen genügend kleinen Ab-schnitt geben, so daß wir ein Toleranzprinzip unterschreiben würden. Gege-ben ein Toleranzprinzip, ein Objekt in der positiven Extension und ein Ob-jekt in der negativen Extension läßt sich dann die Sorites Paradoxie konstru-ieren. Dies ist der erste Hinweis auf eine Reihe oder ein Kontinuum, das va-gen Prädikaten zugrunde liegt: Es gibt einen allmählichen Übergang von Haufen zu Nicht-Haufen, ebenso wie es einen allmählichen Übergang von einem Mann mit vollem Haar zu einem Kahlkopf, oder von einem Kind zu einem Erwachsenen gibt.

Die Standardreaktion auf den Sorites und Vagheit allgemein ist, das Prä-dikat zu schärfen, eine Grenze zwischen negativer und positiver Extension zu ziehen (Sainsbury 1989, 34–40; Fine 1975). Wenn wir einen Haufen* als min-destens 100.000 Körner enthaltend definieren, dann gibt es eine klare Grenze zwischen negativer und positiver Extension, und unsere Prämisse (P1) oben wird falsch für Haufen*: Ein Korn kann den Unterschied zwischen einem Haufen* und einem Nicht-Haufen* ausmachen. Der Sorites wäre blockiert.

»Haufen« zu schärfen heißt jedoch, seine Bedeutung zu ändern, ein neues Prädikat zu definieren – »Haufen« hatte, anders als »Haufen*«, hatte keine klare Grenze zwischen positiver und negativer Extension. Die Tatsache, daß ein Prädikat und seine geschärfte Variante nicht dieselbe Bedeutung haben wird gern übersehen. Es gibt jedoch eine Verwendung von Schärfung, die als eine Erklärung der Bedeutung vager Ausdrücke dient, nicht zu ihrer Beseiti-gung, nämlich Fines »Supervaluations-Auffassung« (1975). Die Idee ist fol-gende: Ein Prädikat trifft auf einen Gegenstand genau dann zu, wenn es auf den Gegenstand unter allen erlaubten Schärfungen zutrifft. Was aber sind

«erlaubte Schärfungen«? Das läßt sich nicht angeben, denn es gibt keine klare

Grenze zwischen der Penumbra und der positiven bzw. der negativen Exten-sion. Das Prädikat »Grenzfall von »Haufen« ist selbst ein vages Prädikat. Wir halten fest, daß es (1) mehr als eine mögliche Schärfung von »Haufen« gibt, und, daß es (2) vage ist, welche Schärfungen erlaubt sind – auch wenn es na-türlich Schärfungen gibt, die klar erlaubt sind, und Schärfungen, die klar nicht erlaubt sind; ebenso wie es Gegenstände gibt, die klar Haufen sind und Ge-genstände die klar Nicht-Haufen sind.

Es ist wichtig, festzuhalten, daß Schärfungen ohnehin keine ganz einfache Möglichkeit sind, Vagheit loszuwerden. Die Herstellung einer Schärfung ist komplex, und es gibt kein Kriterium, was uns sagen würde, daß eine Schär-fung erfolgreich war, daß alle möglichen Grenzfälle ausgeschlossen wurden.

Wenn man zum Beispiel den Ausdruck »Sandhaufen« schärfen wollte, wäre es nicht ausreichend, bloß eine Zahl festzusetzen, wie wir es oben bei »Hau-fen*« getan haben. Man müßte definieren, was als Korn gelten kann, als Sandkorn, wieviel anderes Material im Haufen erlaubt ist, wann ein Korn als Teil der Ansammlung gilt, welche Form für einen Haufen erforderlich ist, etc.

etc. Wir können nie von vornherein wissen, daß unsere Schärfung erfolgreich ist. Das größte Problem liegt aber in den in der Schärfung verwendeten Aus-drücken. Wir können nicht ausschließen, daß die in der Schärfung oder in Subdefinitionen verwendeten Ausdrücke selbst vage sind – in dem Fall könnte die Möglichkeit von Grenzfällen sich wieder einschleichen und auf das Prädikat ausbreiten, das wir ursprünglich schärfen wollten (ein durch vage Ausdrücke definierter Ausdruck ist nicht notwendigerweise vage, s. u.).

Wir müssen auf eine harte Grundlage nicht-vager Prädikate hoffen, was aber schwer zu rechtfertigen ist, da sich beinahe jedes denkbare Prädikat als vage herausstellt, wie sich unten zeigen wird.

Im Dokument Realismus und Referenz : Arten von Arten (Seite 177-181)