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Ziele des Jugendvollzugs

Gesellschaft erschöpft, sondern durchaus einen reflektierten Umgang mit der ihn umgebenden Gesellschaftsordnung zuläßt.80 Gerade in der sozialtherapeutischen Behandlung geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit der Tat und nicht um eine bloße Anpassung an die Normen der bestehenden Gesellschaft.

Ein Vorteil dieser Auffassung ist, daß sie einerseits intentionales erzieherisches Handeln und dessen Wirkung miteinbezieht und andererseits sämtliche äußere Einflüsse erfaßt.81

In dieser Arbeit wird Erziehung daher als ein Aspekt der Sozialisation aufgefaßt.

Da bei einer Erziehung im Jugendvollzug grundsätzlich zielgerichtetes Verhalten stattfindet, wird im folgenden Erziehung als der Teil der Sozialisation betrachtet, der das gesamte soziale Subsystem planmäßiger, methodischer Sozialisation erfaßt.82

Der Begriff der Sozialisierung wird dem der Sozialisation gleichgestellt.83 Bei der erstrebten „Resozialisierung“ im Strafvollzug handelt es sich um eine Ersatz-Sozialisation, die grundsätzlich keinen anderen Regeln folgt als die primäre Sozialisation in Freiheit.84 Der Begriff der Re-Sozialisierung ist jedoch ein irreführender Begriff, da die Sozialisation des Delinquenten vor der

Inhaftierung kriminogene Züge trug und der Inhaftierte sich zumeist in einem kriminellen Umfeld bewegte, in das er gerade nicht rück-eingegliedert werden soll.85 Somit wird dieser Begriff im folgenden durch die Begriffe „Sozialisierung“

bzw. „Sozialisation“ ersetzt.

Als nächstes wird das Ziel der Erziehung im Jugendstrafrecht erörtert.

4.2 Ziele des Jugendvollzugs

Da in der vorliegenden Arbeit die Effektivität einer sozialtherapeutischen

Behandlung im Jugendvollzug überprüft werden soll, sind in diesem Rahmen nur

79 Adorno 1970, S.112ff.; Hoffmann in: Hierdeis/Hug 1996, S.1378f.; Geulen in: Lenzen 1989, S.1409.

80 Menze in: Speck/Wehle 1970, S.17; Nothacker 1987, S.67.

81 Ebenso Nothacker 1987, S.65f.

82 Auernheimer in: Wulf 1984, S.187; Kamper in Wulf 1984, S.542.

83 Ebenso: Kaiser 1977, S.20; 1972, S.7.

84 Kunz, ZStW 101 (1989), S.77.

85 Welker 1993, S.9, Fn.1; Kaiser 1972, S.6f.; Schüler-Springorum 1969, S.157f.; Eser in Lüderssen/Sack 1977, S.278.

die Ziele des Jugendstrafvollzugs von Belang. Daher wird sich die Verf. im folgenden insbesondere mit dessen Zielen befassen.

Grundsätzlich steht am Anfang der Auseinandersetzung mit möglichen Zielen des Jugendvollzugs die Überlegung, ob es nicht besser sei, Freiheitsstrafen bei

Jugendlichen ganz abzuschaffen. Auf eine Diskussion dieser Problematik wird hier verzichtet, denn unabhängig davon, ob Jugendvollzug an sich notwendig ist, bleibt die Tatsache bestehen, daß es ihn im geltenden Recht gibt und damit über seine Ziele und seine Ausgestaltung nachgedacht werden muß.86

Nach § 91 I JGG soll der Jugendliche dazu erzogen werden, „künftig einen recht-schaffenen und verantwortungsbewußten Lebenswandel zu führen“.

Fraglich ist nun, was ein „rechtschaffener Lebenswandel“ ist. Zu diesem Begriff werden im wesentlichen drei Ansichten vertreten.

Vor allem im älteren Schrifttum wird die Ansicht vertreten, daß das Erziehungsziel des JGG über die bloße Legalbewährung des straffälligen Jugendlichen oder Heranwachsenden hinausgehe.87 Mit dem Wortlaut des Gesetzes und der Intention des Gesetzgebers wird davon ausgegangen, daß zumindest die Grundwerte, die das Zusammenleben der Rechtsgemeinschaft ermöglichen, von dem Jugendlichen anerkannt werden sollen.88

Im Gegensatz dazu ist die heute wohl herrschende Meinung der Ansicht, daß das Erziehungsziel des JGG auf die Legalbewährung zu beschränken sei.89 Der Slogan „Legalität statt Moralität“ zeigt anschaulich den Unterschied zur herkömmlichen Meinung.90 Begründet wird diese Ansicht vor allem mit der Unbestimmtheit des Begriffes „rechtschaffener Lebenswandel“. Dehne man dieses Ziel über die Legalbewährung hinaus aus, bestünde die Gefahr, daß das

86 Ebenso: Busch/Häußling in: Brusten/Häußling/Malinowski 1986, S.315.

87 OLG Koblenz, GA 1978, S.83, 83; Peters 1960, S.17f.; Dallinger/Lackner 1965, § 21 Rn.2;

Brunner 1986, § 21 Rn.6.

88 Dallinger/Lackner 1965, § 21 Rn.2.

89 Eisenberg 1997, § 5 Rn.4; Ostendorf 1994, §§ 91-92 JGG, Rn.11; Ostendorf in: Wassermann 1987, §§ 91-92 JGG, Rn.11; Heinz, JuS 1991, S.899ff.; Dünkel 1990, S.131f., 900; Wolf 1984, S.255.

90 Tenckhoff, JR 1977, S.487; Eser in: Lüderssen/Sack 1977, S.280.

Jugendstrafrecht dazu mißbraucht wird, politische Ziele durchzusetzen.91 In einem freiheitlichen Staat sei es unerheblich, aus welcher Motivation heraus sich der einzelne rechtskonform verhalte. Außerdem sei der Rückzug auf das Ziel der Legalbewährung nötig, weil ansonsten Grundrechtseingriffe legitimiert werden können, die im Erwachsenenvollzug verboten sind. Eine solche

„Schlechterstellung“ verstoße gegen das Verbot der Benachteiligung Jugendlicher und Heranwachsender gegenüber Erwachsenen in vergleichbarer Verfahrenslage.

Außerdem läge bei Minderjährigen ein unzulässiger Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern (Art. 6 Abs.2 GG) vor.92

Von einer weiteren Ansicht wird vertreten, daß zwar das Erziehungsziel auf

„Legalverhalten“ zu beschränken sei, zu diesem Zweck wird jedoch eine positive Beeinflussung der Persönlichkeit des Jugendlichen gefordert.93 Eine rein

äußerliche Anpassung reiche nicht aus, da sonst die Erziehung durch „Dressur“

ersetzt werde. Es sei vielmehr eine Verinnerlichung der für die Legalbewährung unverzichtbaren Werte anzustreben, damit eine längerfristige Stabilisierung erreicht werden kann.94 Der Grundgedanke ist, daß das „Weniger“ bloßen Legalverhaltens oft erst erreicht werden könne, wenn das „Mehr“ einer Sozialisation des Täters erfolgreich angestrebt wird.95

Für den Vollzug der Jugendstrafe ist eindeutig der letzten Ansicht zu folgen, da ein Mensch schwerlich isoliert auf seine Straffälligkeit hin beeinflußt werden kann.96 Viele jugendliche Straftäter sind in sozialer und familiärer Hinsicht schwer belastet und die Entwicklung ihrer Persönlichkeit oft erheblich defizitär.97 Daher ist es unumgänglich, ihnen die Grundlagen des Zusammenlebens in der Gesellschaft zu verdeutlichen und dadurch eine positive Veränderung ihrer

Persönlichkeit zu bewirken, die zur Folge hat, daß der Jugendliche aus autonomen

91 BVerfG 22 (1968), S.180, 219; Tenckhoff, JR 1977, S.487f.; Eisenberg 1997, § 5 Rn.4.

92 Dünkel 1990, S.131f.; Schaffstein/Beulke 1993, S.1.

93 Schlüchter, GA 1988, S.125; Nothacker 1984, S.78ff.

94 Brunner/Dölling 1996, § 21 Rn.6c; Schleusener in: Bundeszusammenschluß für

Straffälligenhilfe 1977, S.13; Ostendorf 1995, Grdl.z. §§ 1-2, Rn.5; Reindl 1991, S.155; Eser in:

Lüderssen/Sack 1977, S.280f.; Schlüchter 1994, S.41f.

95 So Nothacker 1984, S.80, aber auch Beulke in: Rössner 1989, S.71; Schüler-Springorum 1969, S.168.

96 Ebenso: Schlüchter 1994, S.124; Beulke, FS-Meyer 1990, S.681.

97 Genauer hierzu unter Abschnitt A 6.1.1.

und daher dauerhafteren Motiven heraus keine Straftaten mehr bzw. geringere Straftaten begeht.98

5 Kritik am Erziehungsgedanken

In jüngster Zeit verstärken sich die Angriffe auf den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht. Für das Verständnis des Jugendstrafrechts erscheint eine kurze Darstellung dieser Strömungen sinnvoll.99

Neben der bereits oben erläuterten Kritik der Erfolglosigkeit von Behandlungs-maßnahmen100 wurde die Kritik inzwischen grundlegender:

Zum Teil wird eine stärkere Rückanpassung an das tatbezogene Erwachsenen-strafrecht gefordert. Von den Vertretern dieser Ansicht wird der Sinn und Zweck der Sanktion in der Generalprävention gesehen.101

Diese Ansicht mißachtet die besondere Situation des Jugendlichen, der erst an die Erwachsenenwelt herangeführt werden muß und gefährdet alle Fortschritte, die seit v. Liszt eingetreten sind.102 Daher ist sie eindeutig abzulehnen.

Die Abolitionisten fordern die Abschaffung des Strafrechts.103 Sie sind zum einen der Ansicht, daß eine Abschreckung durch Strafvollzug inneffektiv ist, zwischen dieser Form der Generalprävention und späterer Delinquenz also keine beachtens-werten Zusammenhänge bestehen.104 Zum anderen diene der Erziehungsgedanke nur dem Ausbau und der Verfeinerung der strafrechtlichen Kontrolle.105 Das kriminalpolitische Ziel ist Entstaatlichung und Privatisierung der Konfliktlösung.

98 Ebenso: Beulke in: Rössner 1989, S.71f.

99 Ausführliche Darstellungen finden sich z.B. bei Schaffstein/Beulke 1993, S.29ff., Schlüchter 1994, S.24ff.

100 „Nothing works“, vgl. Abschnitt A 3.1.

101 Bohnert, JZ 1983, S.523; Cornils, ZStW 99 (1987), S.873ff.; Bottke 1984, S.5ff.;

Maurach/Gössel/Zipf 1989, § 70 Rn.11.

102 Nicht nur hinsichtlich der Effizienz des Strafrechts, sondern vor allem bezüglich dessen Humanisierung.

Ebenso Schaffstein/Beulke 1993, S.31; Beulke in: Rössner 1989, S.90ff.; Beulke, FS-Meyer 1990, S.686.

103 Deflem, KrimJ 1992, S.82ff.; Scheerer, KrimJ 1984, S.90ff.; Schumann/Berlitz/Guth/Kaulitzki 1987, S.168f.; Voß, ZfJ 76 (1989), S.8ff.

104 Schumann/Berlitz/Guth/Kaulitzki 1987, S.161ff.; Voß, ZfJ 76 (1989), S.9.

Nach dieser Ansicht soll also die Autonomie des Bürgers hinsichtlich der

Regelung ihrer Konflikte wiederhergestellt werden.106 Ein häufiges Argument dieser Meinung ist, daß der einzelne auf diese Weise geringer stigmatisiert ist.107 Durch eine solche Autonomie entsteht jedoch eine große Rechtsunsicherheit und die Gefahr von Selbstjustiz. Zudem ist die von diesen Vertretern angenommene These der geringeren Stigmatisierung sehr zweifelhaft, da jede Form der Sonder-behandlung das gesellschaftliche Image des einzelnen mindert, nicht nur eine Sonderbehandlung des Staates.108 Außerdem mißachten die Abolitionisten den Schutz sozial schwacher Opfer, die eine geringere Durchsetzungskraft besitzen.109 In neuerer Zeit wird kritisiert, daß die jugendstrafrechtliche Sanktionspraxis aufgrund des Vorrangs des Erziehungsziels zur Strafhärte geführt hat.110 So wird mit zahlreichen Untersuchungen belegt, daß Jugendliche und Heranwachsende bei Anwendung des Jugendstrafrechts durch einen „Erziehungszuschlag“ gegenüber Erwachsenen benachteiligt werden. Häufig wird auch von den Vertretern dieser Meinung behauptet, daß der Erziehungsgedanke nur dazu diene, die Vergeltungs-strafe zu bemänteln.111 So werde im Jugendstrafrecht das Verfahren wesentlich seltener als bei Erwachsenen eingestellt (i.d.R. nach §§ 45, 47 JGG, §§ 153, 153b StPO), sei also seltener „folgenlos“. Zudem gebe es einen höheren Anteil statio-närer Sanktionen im Jugendstrafrecht und diese seien deutlich länger als im Erwachsenenstrafrecht.112 Des weiteren trügen Jugendliche ein höheres Risiko, bei vergleichbaren Fällen in Untersuchungshaft zu gelangen als Erwachsene.113 Die Schlechterstellung der Jugendlichen liegt nach dieser Meinung auch im Jugendvollzug vor. So werde Jugendlichen erheblich seltener Urlaub oder

105 Gerken/Schumann 1988, S.4f.; Deflem, KrimJ 1992, S.82ff.; Scheerer, KrimJ 1984; S.90ff.;

Foucault 1995, S.295ff.

106 Scheerer, KrimJ 1984, S.90ff.

107 Voß, ZfJ 76 (1989), S.8ff.

108 Ebenso Kaiser 1989, der den Abolitionismus umfassend kritisiert, S.155ff.

109 Ebenso Schaffstein/Beulke 1993, S.31.

110 Der ursprüngliche Gedanken des JGG 1923: „Erziehen, nicht Strafen“ werde zunehmend in das Gegenteil, nämlich „Erziehung durch Strafe“ verkehrt, Kaiser/Schöch 1994, S.185.

Heinz in: Wolff/Marek 1990, S.35f.; MschrKrim 70 (1987), S.146f.; Pfeiffer, StV 1991, S.363ff., 1989, S.52ff.; Walter in: Wolff/Marek 1990, S.57ff.; Albrecht 1993, S.75f.;

Schlüchter 1994, S.24ff.; Dünkel 1990, S.124ff.

111 Pfeiffer 1989, S.57ff.; Heinz in: Wolff/Marek 1990, S.41.

112 Albrecht 1993, S.75; Heinz, ZStW 104 (1992), S.602ff., in: Wolff/Marek 1990, S.36;

MschrKrim 73 (1990), S.214; Pfeiffer, StV 1991, S.363ff., 1989, S.52ff.; Dünkel 1990, S.125ff.

113 Heinz in: Wolff/Marek 1990, S.36; MschrKrim 73 (1990), S.212; Albrecht 1993, S.75.

Freigang gewährt als erwachsenen Strafgefangenen. Auch von

Disziplinarmaßnahmen sei der Jugendvollzug häufiger betroffen als der Erwachsenenvollzug.114

Kaiser/Schöch115 kritisieren zu recht an der Interpretation zur härteren Sanktio-nierung, daß die Bestrafungs- und Untersuchungshaftquoten116 sich nur auf die Verurteilten als Gesamtheit beziehen, der weitaus höhere Diversionsanteil117 im Jugendstrafrecht jedoch außer Betracht bleibt.118 Dieser Ansicht ist jedoch darin zuzustimmen, daß unter dem Deckmantel der Erziehung keine Benachteiligung Jugendlicher und Heranwachsender stattfinden darf. Gegen eine

„Überpädagogisierung“119 spricht, daß – zumindest die leichte bis mittlere – Jugendkriminalität eine entwicklungsbedingte Auffälligkeit ist, die von nahezu allen Jugendlichen gelegentlich verwirklicht wird, also als „normal“ anzusehen ist (Ubiquitätsthese). Hinzu kommt, daß der Effizienz aller erzieherischen Bemü-hungen Grenzen gesetzt sind.120 Festzuhalten bleibt außerdem, daß sich sämtliche Argumente dieser Meinung nur gegen einen Fehlgebrauch des

Erziehungs-gedankens wenden, nicht jedoch gegen den Erziehungsbegriff selbst.121 Daher ist mit der wohl (zumindest noch) herrschenden Meinung122 an dem Erziehungsgedanken festzuhalten.

114 Albrecht 1993, S.75.

115 1994, S.185.

116 Dazu Heinz, ZStW 104 (1992), S.591ff.; Pfeiffer, StV 1991, S.363ff.

117 Zur Diversion siehe Abschnitt A 6.1.

118 61,4 % im Jugendstrafrecht gegenüber 46,1 % im Erwachsenenstrafrecht, Heinz, ZStW 104 (1992), S.605.

Richtig ist jedoch, daß die festgestellten Unterschiede in der Sanktionspraxis noch weiterer Klärung bedürfen, Ebenso Walter in: Wolff/Marek 1990, S.57f., der mögliche Erklärungen nennt.

119 So: Laubenthal, FS-Spendel 1992, S.806f.; Heinz, MschrKrim 70 (1987), S.146f.; Beulke in:

Rössner 1989, S.87.

120 Ebenso: Schaffstein/Beulke 1993, S.31.

121 Ebenso: Schlüchter, ZRP 1992, S.391; Beulke in: Rössner 1989, S.87; Beulke, FS-Meyer 1990, S.688.

122 BGHSt 15 (1961), S.224, 225; Schaffstein/Beulke 1993, S.31f.; Beulke in: Rössner 1989, S.87;

Schlüchter, ZRP 1992, S.390ff.; Diemer 1995, § 5 Rn.5ff.

6 Erklärungen der Jugendkriminalität