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9.2 Die einzelnen sozialtherapeutischen Einrichtungen

9.2.3 Berlin (Tegel)

In diesem Zusammenhang stehen auch die vielen Alltagsaufgaben, die im Regel-vollzug üblicherweise von den Mitarbeitern der Anstalt wahrgenommen werden, in Bergedorf jedoch von den Inhaftierten ausgeführt werden: Wäsche waschen, Bügeln, Einkaufen, Kochen, Abwaschen, Gartenarbeit, Renovieren und Gestalten der Haft- und Gemeinschaftsräume, Führen eines Kfz, Verwalten eines Kontos, Arbeitsplatzsuche, Besuch von Vereinen u.ä. Außerdem ist ein selbständiges Erle-digen von Behördenangelegenheiten, ein eigenständiges Durchführen der Schul-denregulierung und die Handhabung von Rechtsgeschäften möglich. Zudem dürfen die Insassen Geld in unbeschränkter Höhe sowie Computer besitzen, und es gibt Schließfächer zum Deponieren von Wertgegenständen.298

Besondere Attraktivität erhält die Anstalt durch die Übersichtlichkeit des Hauses und der persönlichen unterstützenden Kontakte und durch die bereits erwähnten Freiräume und Lockerungen.299

9.2.3 Berlin (Tegel)

Die sozialtherapeutische Anstalt Berlin-Tegel wurde am 19.01.1970 eröffnet und verfügt über 160 Behandlungsplätze. Sie liegt innerhalb der Hauptstadt am Rande des Stadtteils Tegel. Sie ist als gesonderter Gebäudekomplex ein Teil der Gesamt-anstalt Tegel. Die sozialtherapeutische Anstalt ist in „Sozialtherapie“

(Langzeitprogramm) und in „soziales Entlassungstraining“ (Kurzzeitprogamm) untergliedert.300 Es gibt jedoch seit längerem Bemühungen, die sozialtherapeu-tische Anstalt zu verselbständigen.301 Grundlage des Konzepts in Berlin-Tegel ist

Hebestreit in: Was ist eigentlich Sozialtherapie?, Akademietagung vom 16. bis 18. Januar 1976, S.10.

298 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt Bergedorf in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.197; 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.187; Sozialtherapeutische Anstalten im Hamburgischen Strafvollzug 1995, S.9.

299 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt Bergedorf in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.197; 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.189; Sozialtherapeutische Anstalten im Hamburgischen Strafvollzug 1995, S.12.

300 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.160;

Uhlitz, ZfStrVo 19 (1970), S.351; 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.128, 130; Lösel/Egg in: Cullen/Jones/Woodward 1997, S.185.

301 Es liegen zwei Konzepte vor, die zur Zeit noch diskutiert werden: Eines zur

"Verselbständigung der Sozialtherapie am Ort" und ein weiteres über eine Neubauplanung auf einem anderen Gelände in Berlin, Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der

die Erkenntnis, daß Kriminalität nicht gesondert behandelbar, sondern als spezi-fischer Verhaltensausdruck zu verstehen ist, der seine Ursache

u. a. in einer früh angesiedelten fehlgeleiteten Sozialisation hat. So liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit aller Bediensteten in dem Kennenlernen der Gefan-genen, den persönlichen Gesprächen, der Beratung und der Betreuungssituation sowie erziehungsbetonter Gruppenarbeit. Ziel ist, die Distanz zwischen Beamten und Inhaftierten zu überwinden.302

Beschäftigt sind in der Anstalt 100 Beamte des AVD, zehn Psychotherapeuten, elf Psychologen (davon einer mit einer halben Stelle), vier Sozialarbeiter, fünf

Verwaltungskräfte, zwölf Vollzugshelfer und 13 Trainer. Die Leiterin der Sozialtherapie ist Diplom-Psychologin, der Gesamtanstaltsleiter Jurist.303 Die Fachmitarbeiter treffen sich einmal wöchentlich zur Fachmitarbeiterkonferenz, mehrfach wöchentlich als Stationsteam, einmal wöchentlich als Stationsaufnah-mekommission und einmal wöchentlich zu Behandlungskonferenzen. 14tägig findet eine Besprechung der Leiterin der Sozialtherapie mit der Insassenvertretung statt. Ferner treffen sich die Gruppenbetreuer und Therapeuten einmal

wöchentlich zu einer Stationsbesprechung und einmal wöchentlich mit den Strafgefangenen zu einer Stationsvollversammlung. Monatlich finden noch Gesamtkonferenzen des Hauses und Gruppenbetreuerkonferenzen statt.304 Die Menge und Art der Konferenzen u.ä.305 in Berlin-Tegel verdeutlicht das Konzept der Anstalt, daß behandlungsorientiertes und pädagogisches Handeln und

Kommunizieren aller erforderlich ist, um den Behandlungsprozeß zu fördern.306 Die Mitarbeiter der Anstalt sind der Ansicht, daß der Einsatz herkömmlicher

5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29.

bis 31. März 1995, S.160.

302 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.161;

Uhlitz, ZfStrVo 19 (1970), S.348; Dünkel, MschrKrim 62 (1979), S.324; Dünkel 1980, S.124ff.

303 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.138, 142; Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im StrafvolIzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.160.

304 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.145.

305 So ist die Interessenvertretung der Insassen in Berlin-Tegel – im Gegensatz zu vielen anderen sozialtherapeutischen Anstalten – ein unverzichtbarer Bestandteil der inhaltlichen Arbeit in der sozialtherapeutischen Anstalt. 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.170.

306 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.161.

klassischer Therapieverfahren bei früh und nachhaltig gestörten Persönlichkeiten nicht ausreicht. Es müssen vielmehr unterschiedliche pädagogische und

psychologische Therapieverfahren angewandt werden, und diese soll der Klient auf unterschiedlich strukturierten Lern- und Erlebnisfeldern erfahren. Im

einzelnen erstrecken sich die Lern- und Erlebnisfelder auf folgende drei Bereiche:

Zum einen auf den Leistungsbereich (Schule, Ausbildung, Arbeitsplatz), zum anderen auf den sozialen Bereich (soziale Beziehungen, Wohngruppe,

Angehörige, Milieu, Freizeit) und als dritten auf den psychischen Bereich (Einzelgespräche und Psychotherapie, themenzentrierte Gruppengespräche und Gruppendynamik, Trainingsgruppen, Klein- und Großgruppen).307 Mittel der sozialtherapeutischen Behandlung sind als Basistherapie das

Informationsgespräch, die Beratung, das soziale Training und das Widerspiegeln von Konflikten im Alltag. Darüber hinaus finden klassische Psychoanalyse statt sowie Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie und Gestalttherapie. Als weitere Techniken kommen beispielsweise das Psychodrama, katathymes Bildererleben, nonverbale Verfahren und gestalttherapeutische Elemente zur Anwendung. Die unterschiedlichen Behandlungsansätze sind nicht aneinandergereiht, sondern aufeinander bezogen und in ein Gesamtkonzept integriert. Das Konzept wird einerseits von der Idee der therapeutischen Gemeinschaft getragen, andererseits von dem Grundverständnis für den einzelnen.308 Die Gruppentherapie findet wöchentlich durch externe Trainer statt, die Einzeltherapie beträgt eine Wochenstunde.309

Als Freizeitgestaltungen werden Sport und Projektgruppen angeboten. Zeitlich begrenzt darf im Gemeinschaftsraum ferngesehen werden. Die Zellen sind von 6.35 bis 23.00 Uhr geöffnet.310

Die Inhaftierten dürfen dreimal die Woche Besuch erhalten. Dieser wird über-wacht. Überdies gibt es Langzeitsprechstunden über mehrere Stunden, bei denen

307 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.162;

4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.157; Dünkel, MschrKrim 62 (1979), S.325f.

308 Sachstandsbericht der sozialtherapeutischen Anstalt in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel in: Sozialtherapie im Strafvollzug, Dokumentation der 5. Überregionalen Tagung der sozialtherapeutischen Einrichtungen im Bundesgebiet vom 29. bis 31. März 1995, S.162, Uhlitz, ZfStrVo 19 (1970), S.351; Dünkel, MschrKrim 62 (1979), S.325.

309 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.157.

310 4.Synopse der sozialtherapeutischen Anstalten in: Egg 1993, S.168.

unbewachte Kontaktmöglichkeiten in zwei separaten Wohnräumen vorliegen.

Leibesvisitationen werden stichprobenartig durchgeführt. Ebenso wie in den meisten anderen sozialtherapeutischen Einrichtungen werden Urlaub, Ausführung und Ausgang abhängig von der therapeutischen Entwicklung gewährt, wobei im Vergleich zum Regelvollzug die häufige Beurlaubung zur Vorbereitung der Entlassung gemäß § 124 StVollzG bis zu sechs Monaten auffällt.311

Die eingehende wie ausgehende Post unterliegt einer Sichtkontrolle, Telefonate sind zweimal wöchentlich erlaubt. Diese können überwacht werden, was im allgemeinen jedoch nicht geschieht. Die Hafträume werden in unterschiedlicher Intensität kontrolliert. Eine Leibesvisitation der Freigänger findet unregelmäßig statt.312

Unterschiede hinsichtlich des Normalvollzugs bestehen zusätzlich darin, daß die Inhaftierten ihre Wäsche selbst waschen dürfen, daß sie Kochgelegenheiten haben, ihre Hafträume weitgehend selbst ausgestalten und die bereits erwähnte Langzeitsprechstunde erhalten können.313