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Einzelne Therapieverfahren in sozialtherapeutischen Einrichtungen

Zum besseren Verständnis ist den einzelnen sozialtherapeutischen Einrichtungen eine kurze Erörterung der vielfach verwendeten Therapiemethoden vorangestellt.

9.1 Einzelne Therapieverfahren in sozialtherapeutischen Einrichtungen

In sozialtherapeutischen Ansätzen wurde anfangs den Konzepten der Individual-therapie viel Bedeutung eingeräumt, da damals in der Therapieforschung ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Grundverständnis vorherrschte. Die Indivi-dualtherapie hatte als Ziel, psychische Störungen, die als

kriminalitätsverursachend bewertet wurden, aufzuarbeiten und zu beseitigen.

Ferner sollte sie die Verhaltensmerkmale fördern und stabilisieren, die für ein Leben ohne Straftaten notwendig sind.235 Mit der Zeit wurde jedoch immer offensichtlicher, daß Sozialtherapie Milieutherapie sein muß, in dem Sinne, daß eine andersartige Umgebung (Milieu) geschaffen wird, in dem die Insassen Verhaltensdefizite abbauen und alternatives Verhalten einüben können. Innerhalb des Gesamtbehandlungsplanes ist heute die Psychotherapie i.e.S., die zumeist sowohl als Einzel- wie auch als Gruppentherapie durchgeführt wird, in allen Anstalten integriert, neben ihr stehen jedoch gleichberechtigt andere Elemente als Lernfelder sozialpraktischer Kompetenzen wie z.B. Wohngruppenaktivitäten, Arbeitstherapie, Teilnahme an der Selbstverwaltung, schulische

Bildungsmaßnahmen, Hafturlaube etc.236

Die nachfolgende Darstellung der in den jeweiligen Anstalten praktizierten Psychotherapie-Formen ist relativ knapp gehalten, weil diese nur einen einzelnen Baustein in dem gesamten Behandlungskonzept darstellen. Außerdem fehlen für den Bereich der Rückfallprophylaxe bei Straffälligen Befunde, welche

Maßnahmen aus welchem Grunde am wirksamsten sind.237 Zwar sind gewisse schulenspezifische, d.h. von der jeweiligen Therapieform abhängige Effekte, durch die allgemeine Psychotherapieforschung nachgewiesen238, die

Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus der allgemeinen Therapieforschung auf

235 Egg, BewHi 40 (1993), S.380; Laubenthal 1995, Rn.445; Einsele 1977, S.398; Lösel/Egg in:

Cullen/Jones/Woodward 1997, S.185; Egg in: Steller/Dahle/Basqué 1994, S.190.

236 Nebe/Heinrich, ZfStrVo 42 (1993), S.277; Arnold, ZStW 106 (1994), S.897;

Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.201; Laubenthal 1995, Rn.445.

237 Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.201; Egg, BewHi 40 (1993), S.380ff.

238 Grawe 1995, S.707ff.

die Behandlung von Straffälligen darf und muß jedoch bezweifelt werden.239 Zudem gilt als gesichert, daß ein großer Teil der Effekte von Psychotherapien nicht schulenspezifisch ist.240 Da also verschiedene therapeutische Interventionen ähnliche Auswirkungen auf den zu Behandelnden zeigen können241, erscheint es gerechtfertigt, die psychotherapeutischen Ansätze im Rahmen dieser Arbeit nur knapp zu skizzieren. Grundsätzlich wäre in diesem Bereich natürlich mehr differentielle psychologische Therapieforschung zu begrüßen.

Als grundlegende Voraussetzung, damit die verschiedenen Therapieformen erfolgreich angewandt werden können, wird in den meisten sozialtherapeutischen Einrichtungen die Gruppendynamik angesehen. Diese besteht aus verschiedenen Elementen wie z.B. der zumeist praktizierte Wohngruppenvollzug, Gruppen-aktivitäten und daneben auch die Gruppentherapiegespräche. Die Dynamik des Geschehens in der Gruppe wird aus verschiedenen Gründen für ausgesprochen wichtig erachtet. An dieser Stelle der Arbeit werden nur einige kurz skizziert, da eine präzisere Darstellung der Vorteile gruppendynamischer Prozesse im Rahmen der einzelnen sozialtherapeutischen Abteilungen und Anstalten möglich ist, weil dort das jeweilige Konzept Beachtung finden konnte. In der Gruppe können soziale Verhaltensweisen erlernt und sofort erprobt werden. Zudem können gemeinsame Problemlösungsansätze unter stark strukturierter Anleitung des Therapeuten erworben werden. Nicht zu unterschätzen sind auch die Effekte, die das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe auf die Identitätsbildung bzw. das Selbstwertgefühl der Insassen hat. Außerdem kann der Gruppendruck dazu führen, daß neue Normen verinnerlicht werden. Der Erfahrungsaustausch

innerhalb einer Gruppe mit gleicher Problematik wird als entlastend erlebt, Kritik und vor allem Ratschläge von „Kameraden“ werden oft leichter akzeptiert als von Autoritätspersonen.242 Nicht zuletzt bietet sich die Durchführung der Therapie in Gruppen an, weil sie bei hoher Effektivität eine kostengünstige Variante darstellt.

239 Quensel in: Wassermann 1990, vor § 123, Rn.4; Kury 1986, S.27.

240 Enke/Czogalik in: Heigl-Evers/Heigl/Ott 1994, S.511ff.; Eisenberg, ZStW 86 (1974), S.1046f.;

Kury 1986, S.27; Grawe 1995, S.713.

241 Enke/Czogalik in: Heigl-Evers/Heigl/Ott 1994, S.515; Phares 1992, S.280ff., Kury 1986, S.30ff.; Eisenberg, ZStW 86 (1974), S.1046.

242 Welker 1993, S.32ff.; Rüger in: Heigl-Evers/Heigl/Evers 1995, S.439ff.; Schneider 1987, S.840; Kaufmann 1977, S.180; Lesch, ZfStrVo 42 (1993), S.145f.

Im folgenden werden drei große Therapieschulen kurz vorgestellt, die in den meisten Anstalten zur Verfügung stehen. Es handelt sich um die Psychoanalyse, die Gesprächspsychotherapie und die Verhaltenstherapie. Für die Arbeit mit Straffälligen kommen jedoch inzwischen quasi nur abgewandelte Verfahren zum Einsatz, da es sich nicht als sinnvoll erwies, Therapieformen, die außerhalb des Strafvollzugs entwickelt und praktiziert wurden, schematisch auf die Klientel der Straffälligen und auf die Situation der Institution Strafvollzugsanstalt

anzuwenden.243 Grundsätzlich werden die Therapieverfahren in den Anstalten meist sowohl in Form der Individualtherapie als auch der Gruppentherapie durchgeführt.

9.1.1 Psychoanalyse

Die klassische Psychoanalyse wurde von Sigmund Freud entwickelt. Tiefen-psychologisch orientierte Verfahren versuchen unter die Oberfläche bewußten Seelenlebens in unterbewußte und unbewußte Teile der Seele „hineinzuleuchten“.

Dabei betrachten sie insbesonders die Beziehung – vor allem die Konflikte – zwischen den Gefühlen und dem Willen. Die Heilung soll durch Aufdeckung der unbewußten Konflikte, die zumeist verdrängte Wünsche und Schuldgefühle des Patienten darstellen, in der Übertragungsbeziehung zum Therapeuten erfolgen.

Die Entwicklung, Durcharbeitung und Auflösung der Übertragungsbeziehung, in der der Patient ungelöste kindliche Konflikte mit seinen Autoritätspersonen – zumeist den Eltern – auf den Therapeuten überträgt, soll eine vollständige

„Rekonstruktion“ der Persönlichkeit ermöglichen. Eine solche sog. „aufdeckende“

Therapie, die eine echte Heilung bewirken soll, ist nach klassisch psychoana-lytischer Auffassung nur in einer mehrjährigen, mehrfach wöchentlich stattfin-denden Psychoanalyse durchzuführen. Therapien mit kürzerer Dauer müssen bestehende Konflikte zum Teil „zudecken“, um erfolgreich zu sein.244

Das klassische Psychoanalyse-Setting, bei dem der Psychotherapeut dem

Patienten den Rücken zuwendet, der auf einer Couch liegt und dabei offen erzählt, was ihm gerade durch den Sinn geht („Freie Assoziation“), gilt bei Straffälligen

243 Ausführlich hierzu: Schmitt 1980, S.147ff., aber auch: Egg, BewHi 40 (1993), S.381; Kury 1986, S.31; Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.201; Hanack in LK 1985, § 65, Rn.15;

Heinz/Korn 1973, S.118.

244 Phares 1992, S.302ff.; Kriz 1991, S.29ff.; Schmitt in: Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe 1977, S.98ff.

aufgrund der verschiedenen Besonderheiten von Anstaltsaufenthalt und

Täterpersönlichkeit als ineffizient. Stattdessen werden in sozialtherapeuttischen Einrichtungen tiefenpsychologische Ansätze verwandt, die eher als

Kurzzeittherapie konzipiert sind, zukunftsorientiert arbeiten, meist auf einige wenige Problemebreichen beschränkt sind und den Therapeuten entgegen der klassischen Abstinenzregel am alltäglichen Leben der Insassen teilhaben lassen.245

9.1.2 Gesprächspsychotherapie/Klientzentrierte Psychotherapie Die Gesprächspsychotherapie, die auch als personzentrierte, nicht-direktive oder klientzentrierte Psychotherapie bezeichnet wird, wurde von Carl Rogers

begründet. Sie hält eine bestimmte Form der therapeutischen Beziehung für notwendige und auch hinreichende Bedingung für Wachstums- und

Entwicklungsprozesse beim Patienten. Therapeut und Patient begegnen sich als Partner. Der Therapeut soll dem Patienten positive Wertschätzung und emotionale Wärme sowie Einfühlungsvermögen entgegenbringen. Diese Verhaltensweisen sollen nicht als Technik angewandt werden, sondern sich mit der inneren Haltung des Therapeuten decken. Er soll sich gleichbleibend freundlich und

verständnisvoll verhalten und sich weitgehend jeglicher Ratschläge oder Deutungen enthalten (daher: nicht-direktiv).246 Der Patient muß für einen erfolgreichen therapeutischen Prozeß vor allem eine vertiefte Selbsterkundung einbringen. Verhaltensveränderungen erfolgen über eine Veränderung des

Selbstkonzepts, die nur aufgrund neuer Erfahrungen entstehen kann. Nach Rogers besitzt jeder Mensch eine „Aktualisierungstendenz“, d.h. eine Tendenz der

Selbstveränderung, durch die eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Umwelt ermöglicht wird. Ungünstige äußere Lebensbedingungen und bereits bestehende psychische Probleme können diese Aktualisierung zum Stillstand bringen.247 Die Gesprächspsychotherapie versucht, diese innerpsychischen Kräfte zu mobilisieren.

In der Sozialtherapie scheint es vor allem die geforderte nicht-direktive Haltung des Therapeuten und die damit verbundene Unstrukturiertheit der Situation zu

245 Eisenberg, NJW 1969, S.1555; Mauch/Mauch 1971, S.43.

246 Rogers in: Corsini 1983, S.471ff.; Grawe 1995, S.118f.; Revenstorf 1993, S.20ff.; Phares 1992, S.327ff.

247 Phares 1992, S.327ff.; Kriz 1991, S.195ff.

sein, die bei den Insassen Kritik, Angst, Unsicherheit und Mißtrauen hervorrufen kann und diese Patienten oft überfordert. Nötig sind für diese Klienten zusätzliche Techniken der Strukturierung und Deutung. Durch das oben beschriebene thera-peutisch gestaltete Gesamtklima, wie es in den sozialtherathera-peutischen Anstalten und Abteilungen herrscht, können negative Effekte des nicht-direktiven

Therapeutenverhaltens aufgefangen werden.248 9.1.3 Verhaltenstherapie

Die Bezeichnung Verhaltenstherapie wurde in den Fünfziger Jahren von B. S.

Skinner in Harvard, J. Wolpe in Johannesburg und H.-J. Eysenck in London relativ unabhängig voneinander eingeführt und verwendet.249 Heutzutage ist es irreführend, von der Verhaltenstherapie zu sprechen, denn noch mehr als andere Therapieformen ist die Verhaltenstherapie aufgrund ihrer Orientierung an der aktuellen empirischen Forschung einer ständigen Veränderung unterworfen.

Hinzu kommt, daß sie aus einer Ansammlung von verschiedenen Techniken besteht, die störungs- und individuumsspezifisch zu einem Behandlungspaket zusammengestellt werden.250 Das grundlegende gemeinsame Merkmal ist ein lerntheoretisches Verständnis für die Entwicklung und Therapie von psychischen Störungen. Außerdem wenden alle verhaltenstherapeutischen Techniken

Erkenntnisse aus der psychologischen Grundlagenforschung an, insbesonders Erkenntnisse aus den Lerntheorien. Des weiteren sehen sie Verhalten als lern- und verlernbar an und konzentrieren sich darauf, was in der Gegenwart – und nicht in der Vergangenheit – das Verhalten steuert. Sie gehen streng rational vor

hinsichtlich Diagnose, Therapiezielbestimmung und Durchführung der

Behandlung und gebrauchen häufig übende Verfahren.251 Elemente eines solchen Therapieplanes sind beispielsweise: Training sozialer Kompetenz (vor allem mit Hilfe von Rollenspielen), therapeutische Hausaufgaben, Problemlösetraining, Modellernen, Selbstkontrolle, Selbstbeobachtung, Selbstverstärkung, Token-Programme252 etc.

248 Steller 1977, S.38f.

249 Kriz 1991, S.119.

250 Revenstorf 1989, S.11ff.; Kriz 1991, S.134ff.

251 Grawe 1995, S.243; Phares 1992, S.359ff.; Revenstorf 1989, S.11ff.

252 Genauer hierzu: Steller 1977, S.23ff.

Die Verhaltenstherapie wird in den meisten sozialtherapeutischen Einrichtungen angewandt, da viele der im Strafvollzug tätigen Fachkräfte davon ausgehen, daß Kriminalität in einem kausalen Zusammenhang mit einem Defizit an sozialen Kompetenzen steht und diese in entsprechenden Erprobungsfeldern erlernbar sind.253 Ein weiterer Vorteil der Verhaltenstherapie für die Sozialtherapie liegt in ihrer relativ kurzen Behandlungsdauer. Bei der Verhaltenstherapie sind oft bereits nach 30 bis 40 Behandlungen Erfolge zu verzeichnen. Außerdem ermöglicht die geringe verbale Interaktion zwischen dem Therapeuten und dem Inhaftierten, daß auch unterdurchschnittlich begabte oder aus niedrigen sozialen Schichten

stammende Strafgefangene behandelt werden können.254 Problematisch ist bei einer Verhaltenstherapie im Strafvollzug jedoch, daß viele Symptome in einer geschlossenen Institution schwer angehbar sind.255