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Auswertung der Fragebogen der Therapeuten

Im Dokument Sozialtherapie im offenen Jugendvollzug (Seite 181-185)

13.2 Inhalte und Verlauf der Sozialtherapie

13.2.1 Auswertung der Fragebogen der Therapeuten

13.2 Inhalte und Verlauf der Sozialtherapie

Zum besseren Verständnis der Beurteilungen vom Verlauf und Erfolg der Therapie sollten die Einzeltherapeuten die Hauptprobleme angeben, die in der Einzeltherapie zur Sprache kommen.

Außerdem wurden die Einzel- und die Gruppentherapeuten darüber befragt, ob bei dem jeweiligen Jugendlichen während des Aufenthalts in der Abteilung

„Sozialtherapie“ besondere Vorkommnisse aufgetreten sind.

Darüber hinaus beantworteten die Inhaftierten der Abteilung „Sozialtherapie“

einen Fragekatalog über die Häufigkeit verschiedener Themen in den Einzelsitzungen.

13.2.1 Auswertung der Fragebogen der Therapeuten

13.2.1.1 Inhalte der Einzeltherapie

Den wohl größten Raum der Einzelgespräche nehmen die Schwierigkeiten ein, die die Jugendlichen mit dem Umfeld hatten und haben, in dem ihre

Primärsozialisation stattfand. Wie oben bereits ausgeführt708, ist die Kindheit vieler Strafgefangener geprägt von schweren Defiziten im Erziehungsprozeß mit der Folge von Sozialisationsmängeln. Da diese Mängel zu deviantem Verhalten führen können, ist eine Auseinandersetzung mit diesen Problemen der Kindheit vonnöten. Außerdem haben viele der Jugendlichen durch den häufigen Wechsel von Bezugspersonen, einen immer wiederkehrenden Ausfall an Beaufsichtigung und Zuwendung, einen inkonsequenten, zuweilen auch indifferenten, sehr

nachgiebigen oder sehr strengen Erziehungsstil, Schwierigkeiten in dem heutigen Umgang mit ihrer Primärfamilie. Aufgrund der Sozialisationsmängel ergeben sich vielfach auch Beziehungsstörungen mit Freunden, Partnern etc.709, die ebenfalls in der Einzeltherapie besprochen werden.

In den Einzelgesprächen werden regelmäßig die Hintergründe der Straftaten betrachtet, die nach Aussagen der Therapeuten vielfach mit der fehlgelaufenen Primärsozialisation des Inhaftierten zusammenhängen.

Bei einigen Insassen spielen in ihren Einzelgesprächen die Probleme mit Sucht-mitteln ein wichtige Rolle. Diesbezüglich ist zu beachten, daß dem

708 Siehe Abschnitt A 6.1.1.

709 Göppinger 1997, S.295.

Drogenkonsum (vorwiegend von Alkohol und auch Cannabis) eine erhebliche Bedeutung im Zusammenhang mit der Begehung von Straftaten und daher auch mit der Rückfälligkeit der Strafgefangenen zukommt.710 So stellt Alkohol oft einen mitgestaltenden Faktor der tatauslösenden Situation dar.711 1994 stellte die Polizei bei knapp 8% aller Straftaten fest, daß die Tatverdächtigen zum Zeitpunkt der Tat unter Alkoholeinfluß standen. Bei den Gewaltdelikten waren es sogar 26,9%.712 In der Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung713 zeigte sich bei der Betrachtung des kriminologischen Tatbildes jugendlicher mehrfach Straftäter, daß diese vor ihren „letzten“ Taten in 70% der Fälle Alkohol konsumiert hatten. Auch viele der früheren Taten wurden unter Alkoholeinfluß begangen. Der

Alkoholkonsum stellt bei vielen jungen Straftätern einen typischen Bestandteil ihres unstrukturierten Freizeitverhaltens dar.714

Außerdem werden das Thema „Aggressivität“ und die Situation im Vollzug bei einigen Strafgefangenen als Hauptprobleme angegeben.

In der Umbruchzeit der Jugend und der Steigerung der physischen Kräfte, kann es zu Kontrollverlusten des eigenen Körpers kommen, so daß aggressive Verhaltens-weisen stattfinden können. Bei einer Betrachtung der Gewaltkriminalität in

Deutschland in den letzten Jahren zeigt sich, daß die Heranwachsenden − bezogen auf ihren Altersanteil an der Bevölkerung − zu der Hauptgruppe der Tatverdäch-tigen zählen dicht gefolgt von den Jugendlichen im Alter zwischen 16 bis unter 18 Jahren.715 In der Einzeltherapie soll der Inhaftierten den Aufbau von Selbstver-trauen sowie soziale Kompetenz erlernen. Sie versucht, ihm andere Konfliktmög-lichkeiten als Gewalt nahezubringen. Dadurch soll der Jugendliche die

Möglichkeit erhalten, seine Aggressionen zu kontrollieren und über

Handlungsalternativen zu Gewalttätigkeiten zu verfügen und diese zu nutzen.

Häufig tragen Einstellungen und Vorurteile beispielsweise gegenüber Ausländern oder Homosexuellen dazu bei, daß bisherige aggressive Verhaltensweisen

710 Eisenberg 1997, § 5 Rn.80; Göppinger 1997, S.594ff.; Schwind 1997, S.489ff.; Kindermann in: Seitz 1983, S.34f.

In den Einzeltherapiegesprächen geht es dabei nicht um Beschaffungskriminalität, da – wie bereits unter Abschnitt B 11.1.6 erwähnt − in der offenen Jugendanstalt Göttingen-Leineberg keine Straftäter mit akuter, auffälliger Drogenproblematik inhaftiert sind.

711 Schwind 1997, S.489; Göppinger 1997, S.594f.

712 Göppinger 1997, S.594f.

713 Göppinger 1983.

714 Göppinger 1983, S.155; 1997, S.594.

Zum Freizeitverhalten siehe unter Abschnitt B 11.1.8; aber auch Abschnitt B 13.2.2.

715 Schaffstein/Beulke 1995, S.20.

aufrecht erhalten und gerechtfertigt werden.716 Mithin versucht die Einzeltherapie die Insassen dazu anzuhalten, diese Denkweisen zu überdenken und dadurch vielleicht zu einer Einstellungsveränderung zu gelangen.

Wie bereits mehrfach erwähnt717, stellt die Situation im Vollzug eine schwierige Situation für den Inhaftierten dar. Neben der Stigmatisierung als krimineller Straf-täter718, stellt die Institution Strafvollzug einen Zustand der Überreglementierung dar, der bei vielen Strafgefangenen Deprivationszustände hervorruft

(Haftdeprivation).719 Der Autonomieverlust in einer Vollzugsanstalt liegt nicht nur in der Einschränkung der Bewegungsfreiheit, sondern auch darin, daß alle Lebensbereiche einer strengen Kontrolle unterliegen, die zu einer erlernten Hilflosigkeit des Inhaftierten führen können. Hinzu kommt der Mangel an Privatphäre, da für den einzelnen in vielen Bereichen (Post, Hafträume u.ä.) eine Intimität kaum gewährleistet ist.720 In der sozialtherapeutischen Behandlung wird versucht, diesem totalen Autonomieverlust entgegenzuwirken, eine Verringerung der Haftdeprivationen ist jedoch aufgrund der Beschränkungen, denen jeder Strafvollzug unterliegt, nur in einem sehr begrenzten Maße möglich. Daher beschäftigen sich Strafgefangene oft mit ihrer Situation im Vollzug und tun dies erwartungsgemäß auch in den Einzeltherapiegesprächen.

Ein Aspekt, der zuweilen angesprochen wird, ist die Leistungsproblematik der Jugendlichen. Viele Strafgefangene neigen dazu, Belastungssituationen (wie Schul- oder Ausbildungssorgen) auszuweichen und den auftretenden Konflikten aus dem Weg zu gehen. Delinquente fehlen häufiger in der Schule, in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz als Nichtdelinquente und brechen wiederholt Ausbildungen ab bzw. wechseln häufig ihre Lehr- oder Arbeitsstelle.721 Dieses mangelnde Durchhaltevermögen bzw. Interesse führt dazu, daß viele Straftäter Berufe mit geringen Qualifikationen und niedrigem sozialen Status haben722, was eine Sozialisierung von Strafgefangenen erschwert. Aus diesem Grund spielt der Leistungsbereich in den Einzelgesprächen eine recht wichtige Rolle.

716 Pörtner/Hoffmeier, ZfJ 79 (1992), S.405ff.

717 Siehe Abschnitt A 7; Abschnitt B 11.1.2; 11.4.1.4.

718 Vgl. auch Abschnitt A 6.2.

719 Laubenthal 1995, S.72ff.; Kaiser/Kerner/Schöch 1992, § 13 Rn.88ff.; Leky in: Seitz 1983, S.146ff.

720 Laubenthal 1995, S.72ff.

721 Göppinger 1997, S.272ff.; 1983, S.60ff.; Schwind 1997, S.228f.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Einzeltherapie vorwiegend auf das soziale Verhalten gerichtet ist. Dies deckt sich mit dem Ziel der Sozialtherapie, Störungen im zwischenmenschlichen Verhalten zu mildern bzw. aufzuheben, da davon ausgegangen wird, daß illegales Verhalten oft im Zusammenhang mit Störungen im Sozialisationsprozeß steht und die daraus entstandenen Defizite im Sozialverhalten zumindest in einem gewissen Umfang ausgeglichen werden können.723 Außerdem versuchen die sozialtherapeutische Einzelgespräche, den Strafgefangenen konkrete Lebenshilfe und Handlungsalternativen anzubieten.

13.2.1.2 Besondere Vorkommnisse während der sozialtherapeutischen Behandlung

Bezüglich besonderer Vorkommnisse bei den Inhaftierten ist auffällig, daß acht der elf Jugendlichen während einer Lockerungsmaßnahme mindestens eine Straftat begangen haben. Leider fehlen der Verf. vergleichbare Zahlen aus dem Regelvollzug in Göttingen-Leineberg.

Diese Häufung von Straftaten während der Inhaftierung könnte auf eine höhere Aufdeckungsrate in der Abteilung „Sozialtherapie“ hinweisen und damit zu erklären sein, daß die Jugendlichen in dieser Abteilung unter einer sehr großen Sozialkontrolle stehen. Diese Kontrolle wird deutlich in dem bereits oben erwähn-ten Zitat der Abteilungsleiterin, daß sich in dieser Abteilung niemand verstecken kann. Oder mit den Worten einer Praktikantin: „Hier kommt doch alles irgendwie raus!“. Zudem existiert in der Abteilung „Sozialtherapie“ – wie oben

dargelegt724 – ein für die Institution Strafvollzug relativ offenes Klima zwischen den Betreuern und den Inhaftierten mit der Konsequenz, daß die Insassen eher bereit sind, ihre Straftaten zuzugeben als dies bei einem weniger vertrauten Verhältnis der Fall ist. Unterstützt wird dieses Vertrauensverhältnis dadurch, daß die Reaktion auf das Fehlverhalten des Strafgefangenen den Umständen des Einzelfalles angepaßt wird. So besteht beispielsweise für den Jugendlichen nicht die zwangsläufige Konsequenz, daß er nach der Begehung einer Straftat in den geschlossenen Jugendvollzug verlegt wird. In der sozialtherapeutischen

Behandlung wird auch von anderen Umgangsformen mit Delinquenz Gebrauch gemacht (z.B. Täter-Opfer-Ausgleich), wenn die Betreuer der Ansicht sind, daß

722 Göppinger 1997, S.279; 1983, S.68ff.; Schwind 1997, S.228f.

723 Siehe Abschnitt A 2; Abschnitt B 11.1.3.

724 Siehe Abschnitt B 11.1.4.

der Jugendliche den ernsthaften Willen hat, auf ein Leben ohne Straftaten hinzuarbeiten.

Ein weiterer Grund für die häufige Begehung von Straftaten liegt sicherlich auch darin, daß der offene Jugendvollzug die Möglichkeiten offen läßt, daß Delikte begangen werden, und daß Straftäter – entgegen mancherlei naiven Vorstellungen in der Bevölkerung – nicht nur durch ihre Inhaftierung von einem auf den anderen Tag straffrei werden.

Wie im Rahmen der Inhalte der Einzelgespräche wurden die Punkte „starke Kon-flikte mit dem Elternhaus“ (zwei Jugendliche) bzw. „mit der Partnerin“ (ein Jugendlicher) und „Drogenmißbrauch“ (zwei Jugendliche) auch hier als besondere Auffälligkeit genannt. Zwei Inhaftierte wurden zum Zeitpunkt der Untersuchung medikamentös behandelt. Einer litt in besonderem Maße darunter, von anderen Mitgefangenen in die Opferrolle gesetzt zu werden. Ein weiterer Insasse zog sich von den Mitgefangenen in auffälligem Maße zurück, versperrte sich also dem gruppendynamischen Teil der Therapie. Zwei Inhaftierte wurden nach einiger Zeit in den geschlossenen Jugendvollzug nach Hameln verlegt, der eine, da er einen Mitgefangenen unterdrückte, der andere, weil er Straftaten in einer Lockerungsmaßnahme beging und nicht in die Jugendanstalt zurückkehrte.

13.2.2 Auswertung des Fragebogen der Experimentalgruppe

Im Dokument Sozialtherapie im offenen Jugendvollzug (Seite 181-185)