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Das Scheitern der Maßregellösung

3.2 Das Scheitern der Maßregellösung

Ursprünglich sollte § 65 des 2.StrRG am 1. Oktober 1973 in Kraft treten.

Aufgrund der offenkundigen Schwierigkeiten der Bundesländer, die neuen Vorschriften umzusetzen, wurde das Inkrafttreten des Gesetzes zweimal verschoben: Zunächst zum 1.1. 1978 und dann zum 1.1. 1985.51

Nach einem Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 18.8.198352 wurde

§ 65 2.StrRG 1984 schließlich aus dem Gesetz gestrichen.53 Damit sollten jedoch nicht die sozialtherapeutischen Anstalten schlechthin abgeschafft werden, zumal die Vollzugsverwaltungen einiger Bundesländer bereits Versuche mit

sozialtherapeu-tischer Arbeit im Rahmen des Vollzugs der Freiheitsstrafe unternommen hatten.

Diese Entwicklung wurde in § 9 des am 1.1.1977 in Kraft getretenen Strafvoll-zugsgesetzes berücksichtigt.54 Diese sog. Vollzugslösung setzt für die Aufnahme in die Anstalt weder eine Persönlichkeitsstörung noch bestimmte

Vorverurteilungen voraus, sondern orientiert sich nur daran, ob die besonderen therapeutischen Mittel und Hilfen einer solchen Anstalt zur Resozialisierung des Strafgefangenen angezeigt sind (§ 9 StVollzG). § 9 StVollzG stellt eine „Kann“-Vorschrift dar, während § 65 als Maßregel die Einweisung durch den Richter vorsah und daher die Länder zur Einrichtung von sozialtherapeutischen Anstalten verpflichtet werden konnten. Die Entscheidung über die Verlegung in die

sozialtherapeutische Anstalt wird bei dieser Vollzugslösung nicht durch den Richter getroffen, sondern stellt eine vollzugsinterne Verwaltungsmaßnahme (vgl. § 7 II Nr. 2 StVollzG) dar, auf die kein Anspruch besteht.

Neben den oben genannten Kritikpunkten am Behandlungsvollzug55, wurde speziell an der Maßregellösung kritisiert, daß eine Therapie zu sozialer Verantwortung im Rahmen der Unfreiheit einer Vollzugsanstalt schwer funktionieren könne.56 Zu einer Mindestvoraussetzung einer Aufnahme in die sozialtherapeutische Anstalt gehöre die Freiwilligkeit, die nur die Vollzugslösung

51 Albrecht/Lamott, MschrKrim 63 (1980), S.263; Schwind, NStZ 1981, S.120; Laubenthal 1995, Rn.442; Rasch, BewHi 32 (1985), S.320; Steller 1977, S.11.

52 Deutscher Bundestag, Drucksache 10/309.

53 Rasch, BewHi 32 (1985), S.320; Böhm, NJW 1985, S.1813; Egg, BewHi 40 (1993), S.375.

54 Böhm, NJW 1985, S.1814; Laubenthal 1995, Rn 442; Egg. BewHi 40 (1993), S.375.

55 siehe Abschnitt A 3.1.

56 Schwind, NStZ 1981, S.122; Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.204; ähnlich auch Bresser in: Was ist eigentlich Sozialtherapie? Akademietagung vom 16. bis 18. Januar 1976, S.36.

gewährleiste, da nach § 9 StVollzG die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt nur mit Zustimmung des Gefangenen erfolgen kann, im Gegensatz zur Maßregellösung, bei der allein der Richter über die Unterbringung entscheidet.57 Es waren jedoch vorwiegend ökonomische Gründe ausschlaggebend dafür, daß

§ 65 2.StrRG nie in Kraft trat.58 Nach dem wirtschaftlichen Aufschwung der Sechziger Jahre, in denen die Einrichtung der sozialtherapeutischen Anstalt als Maßregel der Besserung und Sicherung beschlossen wurde, waren die Siebziger und Achtziger Jahre von starker Rezession gekennzeichnet. Dadurch wurden die finanziellen Mittel der Bundesländer zunehmend knapper.59 Bei der nun aus-schließlich vorliegenden Vollzugslösung wird vor allem hinterfragt, ob damit die Fortentwicklung der Sozialtherapie hinreichend abgesichert ist, da § 9 StVollzG die Länder nicht zur Einrichtung von sozialtherapeutischen Anstalten

verpflichtet.60 Aus diesen Gründen wurde in der Literatur vielfach eine

“angereicherte“ Vollzugslösung vorgeschlagen.61 Diese sah zwar eine Streichung des § 65 2.StrRG vor, wollte jedoch insbesonders die „Kann“-Vorschrift des § 9 StVollzG in eine „Soll“-Vorschrift umwandeln.62

Das Strafvollzugsgesetz bezieht sich nur auf den Erwachsenenvollzug. Die Justiz-minister der Länder haben jedoch in den „Bundeseinheitlichen Verwaltungsvor-schriften zum Jugendstrafvollzug“ (VVJug) weite Teile des Strafvollzugsgesetzes übernommen. Außerdem regeln die Justizministerien den Vollzug durch Verfü-gungen, somit Verwaltungsvorschriften.

Nachfolgend soll dargestellt werden, warum gerade auch im (offenen) Jugend-vollzug eine sozialtherapeutische Behandlung sinnvoll sein kann.

57 Schwind, NStZ 1981, S.122; Schmitt 1980, S.36.

58 Egg, BewHi 40 (1993), S.375; Schwind, NStZ 1981, S.122; Böhm, NJW 1985, S.1814.

59 Die Geschichte zeigte, daß die Einstellung der Gesellschaft gegenüber kriminellen Außenseitern abhängig von den ökonomischen Bedingungen war, somit Reformmodelle nicht als notwendige Investition angesehen werden und daher schnell gestrichen werden, ebenso: Sagebiel 1979, S.52; Egg. BewHi 40 (1993), S.375; Rasch, BewHi 32 (1985), S.322.

60 Baumann, MschrKrim 62 (1979), S.320; Schwind, NStZ 1981, S.124; Egg, BewHi 40 (1993), S.374; Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.205.

61 Schwind, NStZ 1981, S.124; Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.206.

62 Schwind, NStZ 1981, S.124; Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.205.

4 Die Entwicklung des Erziehungsgedankens im Jugend-strafrecht

Der Gedanke an eine umfassende Neugestaltung der strafrechtlichen Behandlung von Jugendlichen beruhte vor allem auf einer Diskussion, die 1882 von Franz v.

Liszt mit dem Aufsatz „Der Zweckgedanke im Strafrecht“ ausgelöst wurde.63 Franz v. Liszt hatte ein spezialpräventives Täterstrafrecht herausgearbeitet mit der Konsequenz, daß im Strafrecht die Persönlichkeit des Täters Beachtung fand:

Damit konnte auch sein jugendliches Alter berücksichtigt werden und es stand nun nicht mehr allein die Tat im Vordergrund der rechtlichen Konsequenzen.64 Die Jugendzeit wurde als ein in sich geschlossener Lebensabschnitt des Nicht-mehr-Kind-Seins und des Noch-nicht-erwachsen-Seins entdeckt. Damals ging man erstmals davon aus, daß der Jugendliche in einer entwicklungsbedingt kritischen Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenenalter lebt, in der er widersprüchlichen Erwartungen, Anforderungen und Angeboten ausgesetzt ist und in der sich vielfältige Integrations- und Anpassungskonflikte ergeben.65 Der Jugendliche muß sog. „Entwicklungsaufgaben“ bewältigen und dies mehr als in anderen Lebensphasen (Rolle der Erwachsenen, des Partners, des Berufstätigen, des Freundes etc.). Dadurch besitzt der Jugendliche oft noch nicht die ausgereifte Fähigkeit zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, die für eine

strafrechtliche Verantwortung vonnöten ist. Er wächst vielmehr erst allmählich in die Welt der Erwachsenen hinein.66

Die Erkenntnis, daß „der Jugendliche kein kleiner Erwachsener ist“67 führte zu einem Sonderstrafrecht für junge Täter, das inhaltlich als Erziehungstrafrecht gekennzeichnet ist. Seine Kodifizierung fand es 1923 in der Erstfassung des Jugendgerichtsgesetzes. Es betonte den Vorrang des Erziehungsgedankens vor

63 In: ZStW 3 (1883), S.1ff.

64 Die Notwendigkeit einer Sonderbehandlung der Jugendlichen wird auch in dem bekannten Zitat von v.Liszt deutlich: „Ich kann das auch so ausdrücken: wenn ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ein Verbrechen begeht und wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er wieder ein Verbrechen begeht, geringer, als wenn wir ihn bestrafen. Ist das Gesagte richtig, so ist damit der Zusammenbruch, der Bankrott unserer ganzen heutigen

Strafrechtspflege in schlagendster Weise dargetan“ (v.Liszt 1905, S.339).

65 Bohnert, JZ 1983, S.517; Meyer-Odenwald 1993, S.79; Schüler-Springorum, FS-Dünnebier 1982, S.650; Schlüchter 1994, S.8f.; Ostendorf, Grdl.z. §§ 1-2 JGG, Rn.4; du Bois in: Günter 1995, S.32.

66 Schaffstein/Beulke 1993, S.3; Bohnert, JZ 1983, S.517; Peters, MschrKrim 1966, S.52; Heinz in: Wolff/Marek 1990, S.29; Cohen/Short in: Sack/König 1968, S.389; Laubenthal, FS-Spendel 1992, S.796f.

67 So z.B. Peters, MschrKrim 49 (1966), S.49; Schaffstein in: Schaffstein 1968, S.X.; Schlüchter, GA 1988, S.107.

dem der sühnenden Strafe, da der jugendliche Mensch formbarer sei als der Erwachsene. Jugendliche seien hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer

Einstellungs- und Verhaltensmuster noch nicht so geprägt wie Erwachsene, da ihre charakterliche Entwicklung noch nicht beendet sei und ihre Fehlentwicklung noch nicht so lange wie bei Erwachsenen stattgefunden habe. Daher bestehe im Jugendalter eine größere Chance, die pädagogische Umgestaltung der

Wertvorstellungen durch eine geistige und körperliche Ausbildung zu bewirken.

Diese stärkere Formbarkeit der Jugendlichen fordere es, der Erziehung in der rechtlichen Reaktion auf die Jugendstraftat eine weit stärkere Beachtung als im Erwachsenenstrafrecht zukommen zu lassen.68