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Abkehr von der Behandlungstheorie?

3.1 Abkehr von der Behandlungstheorie?

Vorwiegend in dieser Zeit gab es eine Auseinandersetzung darüber, ob die sozialtherapeutische Anstalt tatsächlich als Maßregel der Besserung und Siche-rung einzuführen sei. Von Teilen der Literatur wurde gefordert, daß diese als Son-derform des Strafvollzugs weiter zu entwickeln sei, verschiedentlich wurde sogar gefordert, sie gar nicht einzurichten.

§ 65 2.StrRG wäre zwar nicht auf Täter anwendbar gewesen, die nach dem Jugendstrafrecht abzuurteilen gewesen wären (vgl. §§ 7, 105 JGG), dennoch erscheint eine kurze Auseinandersetzung mit dieser Debatte zum besseren Verständnis des geschichtlichen Hintergrundes angezeigt. Hinzu kommt, daß diese Diskussion, die in der Literatur allgemeiner unter dem Stichwort

„Behandlungsideologie“ oder „Behandlungsutopie“ geführt wurde bzw. immer noch wird29, gerade auch im Jugendvollzug von Bedeutung ist. Außerdem wurde darüber nachgedacht, ob der Anwendungsbereich des § 65 II 2.StrRG auch auf Jugendliche nach Vollendung des 16. Lebensjahres ausgedehnt werden sollte.30 Zunächst wurde der behandlungsorientierte Strafvollzug von Vertretern konser-vativer kriminalpolitischer Vorstellungen kritisiert. Ihrer Ansicht nach ist der Strafzweck Sühne und Abschreckung. Diese seien jedoch mit der einseitigen Herausstellung des Resozialisierungsgedankens unvereinbar.31

Diese Kritik geht in rechtsphilosophische Bereiche über, deren Klärung aufgrund moralisch-ethischer Aspekte auf erfahrungswissenschaftlicher Grundlage nicht möglich ist.32 Jeder Behandlungsvollzug stellt eine besondere Form des Straf-vollzugs dar, der neben dem Resozialisierungsgedanken auch die Ziele Sühne33 und Abschreckung verfolgt.34 Es ist nicht ersichtlich, warum der Freiheitsentzug an sich für den Vergeltungsaspekt von Strafen nicht ausreichen soll. Egg spricht hier

29 So z.B.: Hanack in LK, § 65, Rn.21; Kaufmann 1977, S.153; Rasch 1977, S.23.

30 Ablehnend: Hilbig 1974, S.112 i.V.m. 63ff.; zustimmend: Gummel 1973, S.62ff.

31 Löw, ZRP 1973, S.92.

Der Sühnegedanke geht zurück auf die Philosophie des deutschen Idealismus: So bei Kant, der in der "Metaphysik der Sitten" (1797) die Ideen von Vergeltung und Gerechtigkeit als

unverbrüchlich geltende Gesetze zu begründen versucht und Hegel, der das Verbrechen als Negation des Rechts und die Strafe als Negation dieser Negation ansieht, nach Roxin 1992,

§ 3 I.

32 Ebenso: Egg 1979, S. 81.

33 Str.,vgl BVerfGE 45, 187, 259; Dreher/Tröndle, § 46, Rn.3.

34 Dreher/Tröndle, § 46, Rn.3.; Lackner, § 46, Rn.26ff.

− polemisch, aber wohl treffend – davon, daß derjenige, dem der bloße Entzug der Freiheit für den Sühnecharakter von Strafen nicht ausreicht, sich fragen lassen muß, welchen Stellenwert die Freiheit für ihn persönlich einnimmt, wenn er deren Verlust so gering einschätzt.35

Von den Verfechtern des traditionellen Strafvollzugs wird außerdem behauptet, daß der behandlungsorientierte Vollzug die Belange des Täters vor die Belange des Opfers und die Sicherheitsinteressen der Gesellschaft stellt.36

Bei der Frage, ob der Behandlungsvollzug die Belange des Opfers vernachlässigt, muß gesehen werden, daß die Viktimologie erst in den letzten Jahren an Bedeu-tung gewonnen hat37, sie also im herkömmlichen Regelvollzug eine geringe Rolle spielte. Im Behandlungsvollzug hingegen setzt sich der Täter mit seiner Tat und damit auch mit seinem Opfer auseinander, zudem wird er zur Wiedergutmachung herangezogen. Außerdem kann nur ein resozialisierter (d.h. auch arbeitsmäßig integrierter) Strafentlassener finanziellen Ausgleich herbeiführen.38

Der unreflektierte Hinweis auf den Schutz der Öffentlichkeit beachtet nicht, daß eine Verurteilung zu einer zeitigen Freiheitsstrafe erfolgt ist und daß nur ein reso-zialisierter Täter nach seiner Entlassung keine bzw. geringere Straftaten begeht.39 Auch wenn sicherlich in den Lockerungsmaßnahmen des behandlungsorientierten Vollzugs ein gewisses Risiko liegt, muß beachtet werden, daß der Mißbrauch von Lockerungen zur Begehung von Straftaten einen Ausnahmefall darstellt40 und daß nur das totale „Wegschließen“ eine absolute Sicherheit bieten würde, was auch von den Kritikern des Behandlungsvollzugs nicht gefordert wird. Speziell bei der sozialtherapeutischen Behandlung im offenen Jugendvollzug greift dieses Argu-ment ohnehin nicht, da im offenen Vollzug jeder Inhaftierte die Möglichkeit hat, während seiner Inhaftierung Straftaten zu begehen.

35 Egg 1979, S.81, 1984, S.51.

Fabricius spricht hier richtig davon, daß der Ausgleich der Schuld neben dem Zeitablauf der Freiheitsstrafe an "Beziehungsarbeit" geknüpft ist, MschrKrim 74 (1991), S.200.

36 Hanck in: Ehrhardt 1974, S.233; aber auch Informationsblatt der CDU-Bundesgeschäftsstelle

„Kriminalität entschlossen bekämpfen“.

37 So ist z.B. das Erste Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (sog. Opferschutzgesetz) erst 1986 in Kraft getreten.

38 Ebenso: Egg 1984, S.52.

39 Hinzu kommt, daß der heutige Regelvollzug häufig das produziert, was er zu verhindern sucht, vgl. Foucault 1995, S.327.

40 Kutzer 1995, S.140.

Hinzu kamen in den 70er Jahren Einwände von sozialkritischer Seite: So wurde jede Art von psychologisch-medizinischer Behandlung von Straffälligen als

„Pathologisierung“ des Strafgefangenen kritisiert, die zur Folge habe, daß dem einzelnen Täter die Pflicht zur Änderung auferlegt werde, er als „Kranker“ der Sozialkontrolle der Herrschenden unterliege und sich an deren Normen anpassen müsse. Diese täterbezogene Behandlung verschleiere die eigentlichen Ursachen der Kriminalität, die in der herrschenden Gesellschaft begründet sind.41 Außerdem impliziere das Etikett „Behandlung“ oder „Therapie“ eine zusätzliche Stigma-tisierung des Strafgefangenen.42

Dieses letzte Argument ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen und es wäre vorteilhafter, diese Begriffe auf Dauer durch andere, weniger stigmatisierende Bezeichnungen zu ersetzen. In der vorliegenden Arbeit verwandte die Verf.

jedoch ebenfalls diese Begriffe, da diese auch in der sozialtherapeutischen Einrichtung in Göttingen-Leineberg benutzt werden und ihr daher die gleichen Nominierungen angezeigt erschienen. Richtig ist auch, daß man die Gefahr einer unkritischen Anpassung des Inhaftierten an die gesellschaftlichen Normen im Auge behalten muß. Ein behandlungsorientierter Vollzug ist jedoch auf eine kritikbewußte Verselbständigung gerichtet43, was nicht mit Anpassung an die bestehenden Normen gleichzusetzen ist. Bezüglich des Kritikpunktes, daß die sozialen Ursachen der Kriminalität verschleiert werden, bleibt festzuhalten, daß die Behandlung bei der Kriminalitätsbekämpfung nur eine unter mehreren Maßnahmen darstellt und auch die anderen Formen der Bekämpfung von Kriminalität durchaus Beachtung finden müssen (so z.B. das frühzeitiges Entgegenwirken kriminalitätsfördernder Umstände).44

Die Kritik am Behandlungsvollzug wurde untermauert durch Befunde US-ameri-kanischer empirischer Studien, die die Erfolglosigkeit von

Behandlungsmaßnahmen im Vollzug zu belegen schienen. Die dabei benutzte Formel „nothing works“ bezog sich vor allem auf die Sekundäranalyse von Lipton, Martinson und Wilks (1975), die sämtliche Untersuchungen über

41 Peters/Peters, KrimJ 2 (1970), S.114ff.; Eisenberg 1974, S.1058, Heinz/Korn 1973, S.99.

42 Heinz/Korn 1973, S.89.

43 Vgl. auch: Konzept des Sozialtherapeutischen Abteilung in der offenen Jugendanstalt Göttingen-Leineberg, S.7.

44 Ebenso: Egg 1979, S.75; Kaufmann 1977, S.159.

Behandlungsversuche analysierte, welche im Zeitraum zwischen 1945 und 1967 in englischer Sprache erschienen sind.45

Auf der einen Seite erklärte diese Studie keineswegs pauschal alle Ansätze für gescheitert46, zum anderen kann aufgrund der methodischen Unzulänglichkeiten der Forschung jedenfalls eine Widerlegung des Behandlungskonzeptes nicht empirisch bestätigt werden.47 In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, inwieweit der Erfolg zur Legitimation des behandlungsorientierten Vollzugs überhaupt heranzuziehen ist oder ob hierfür nicht bereits Aspekte der

Humanisierung des Strafvollzugs ausreichen.48

Desweiteren wird kritisiert, daß die finanziellen Aufwendungen für einen behand-lungsorientierten Vollzug zu groß sind.49 Bei den entstehenden Kosten darf man jedoch nicht nur den erhöhten Aufwand an finanziellen und personellen Mitteln im Behandlungsvollzug sehen, sondern man muß die weiteren Kosten der Kriminalität (Sozialhilfe für den Täter und eventuell für seine Familie, Aufwand für die Justizbehörden, die Polizei und den Vollzug bei Rückfälligkeit,

angerichteter Schaden) beachten, die bei der hohen Rückfallziffer aus dem Regelvollzug teilweise immens sind.50

45 Lipton/Martinson/Wilks 1975 in: The Effectiveness of Correctional Treatment.

46 Hier kann nur Egg in: BewHi 40 (1993), S.375, Fn.8 zugestimmt werden, daß wenige Kritiker diese Sekundäranalyse tatsächlich studiert haben, da es einige Behandlungsmethoden gibt, die gewisse Erfolge verbuchen können: So z.B. die Milieutherapie, über die

Lipton/Martinson/Wilks auf S.253 feststellten, daß diese hinsichtlich des Merkmals Rückfälligkeit am effektivsten mit Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren sei oder die Gruppendynamik, die deutliche Effekte bezüglich persönlicher Verhaltensänderung bei Heranwachsenden unter 21 Jahren zeigte, vgl. Lipton/Martinson/Wilks, S.452.

47 So haben Kury/Fenn in: Sonderheft ZfStrVo 29 (1980), S.87 dargestellt, daß die Ergebnisse der Behandlungsforschung oft in unzulässiger Weise als Argument für eine restriktive

Kriminalpolitik verwendet werden, während dies bei dem herkömmlichen – offensichtlich ineffizienten – Regelvollzug kaum der Fall ist. Sie beschrieben ansprechend folgendes Beispiel:

Bei dem mißlungenen Versuch, einen Oldtimer wieder flott zu bekommen, würde kein Naturwissenschaftler darauf schließen, daß die Insassen sich nicht von der Stelle bewegen wollen, sondern er würde vorschlagen, den Oldtimer zu verschrotten oder einen besseren Mechaniker zu suchen.

Vgl. auch Kaiser/Dünkel/Ortmann, ZRP 1982, S.205.

48 Wagner 1997, Rn.14.

49 Schroiff, ZfStrVo 22 (1973), S.166.

50 Ebenso: Egg 1984, S.53.

Ferner stellte Dünkel 1980 fest, daß in der Sozialtherapie in Berlin-Tegel im Verhältnis zum Regelvollzug erheblich mehr bedingte Entlassungen vorlagen und damit der personelle Mehraufwand mit Einsparungen von Haftkosten ausgeglichen werden kann, MschrKrim 64 (1981), S.279ff.