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Warnungen vor neuchristlichen Ammen

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 116-124)

2. Das unreine Blut neuchristlicher Ammen

2.3 Das frühneuzeitliche Verbot neuchristlicher Ammen

2.3.4 Warnungen vor neuchristlichen Ammen

Es stellen sich nun folgende Fragen: In welcher Form wurden die Warnungen vor neuchristlichen Ammen in den verschiedenen Schriften der Zeit formuliert und wie wurden sie begründet? In dem Tractatus de officialibus reipublicae von Antonio Fern-ández de Otero wird zunächst die Aussage angeführt, dass keine neuchristlichen Ammen „oder von unreinem Blut abstammend“304 für die Königskinder zugelassen wurden. Auch hier lässt sich eine starke Ähnlichkeit zu den Bemerkungen bei Vicente da Costa Matos in der Übersetzung von Diego Gavilán Vela erkennen. Im Anschluss an diese Aussage führt er jedoch zur Bestätigung medizinische Größen wie Avicenna und Luis Lobera de Ávila an sowie den Rechtsgelehrten Ignacio del Villar Maldo-nado. Dass bei Luis Lobera de Ávila wie bei Avicenna generell von der Bedeutung

303 „De tales padres, tales hijos avian de nacer, traydores como ellos, que de ordinario suelen estos con la leche mamar las buenas, y malas costumbres de sus progenitores.“ Fonseca: Justa expul-sión de los moriscos de España (wie Anm. 300), 153.

304 „[V]el immundo sanguine procedentem“; Fernández de Otero: Tractatus de officialibus rei-publicae (wie Anm. 44), 17.

des Charakters der Amme bzw. der Mutter für das Kind die Rede ist und keinesfalls von neuchristlichen Ammen, lässt Fernández de Otero an dieser Stelle aus. Auf den Text des Rechtsgelehrten Villar Maldonado wird im Folgenden noch näher einge-gangen. Fernández de Otero schließt seine Passage über das Verbot neuchristlicher Ammen für die königlichen Nachkommen filiorum Regis eine nähere Erläuterung in kastilischer Sprache an, die im Traktat in Kursiv gesetzt wurde und ein nahezu wort-wörtliches Zitat aus den Siete Partidas darstellt:

„[…] dies bedeutet, ihnen kluge, wohlgesittete Ammen von guter Abstammung zu geben.

So wie das Kind im Körper der Mutter angeleitet und aufgezogen wird, bis es geboren wird, so wird es von der Amme angeleitet und aufgezogen, von dem Moment an, an dem es die Brust bekommt, bis zu der Zeit, in der es entwöhnt wird. Und da die Zeit dieser Aufzucht länger andauert als die durch die Mutter, daher kann es nicht sein, dass das Kind nicht viel vom Temperament und Charakter der Amme erhalte. Weshalb die antiken Gelehrten, die sich auf natürliche Art über diese Dinge unterhielten, sagten, dass die Kinder der Könige solcherart Ammen bekommen sollen, die genug Milch hätten und wohlgesittet, gesund, schön, von guter Abstammung und von guten Sitten seien.“305

Obwohl dieser Ausschnitt dem Gesetzestext frappierend ähnelt, fallen doch einige Bedeutungsverschiebungen auf. So wird zum einen von Fernández de Otero die „gute Abstammung“, buen linaje, prominent platziert, mit der Frage der Blutreinheit in Ver-bindung gebracht und somit bewusst umgedeutet. Zum anderen verstärkt er mit dem Begriff des Temperaments, temperamento, anstelle der Haltung, contenente, die Idee der Charakterübertragung durch die Milch.

Dass sich die Frage der Abstammung jedoch nicht allein auf die Frauen beschrän-ken musste, folgt aus der Schrift Sylva responsorum iuris des bereits erwähnten Rechts-gelehrten Villar Maldonado. Seine Lebensdaten sind nicht bekannt. Über sein Werk lässt sich sagen, dass sein Blätterwald juristischer Antworten 1614 in Madrid erschien und Villar Maldonado dieses von seinem Vater übernommene Werk vollendet hatte.

In der zwölften Antwort, in der u. a. der Rechtsstatus sowohl der Neophyten306 als auch der Kinder von Häretikern behandelt wird, wird auch das Verbot neuchristlicher Ammen im Königshaus angesprochen. Hierbei führt der Jurist weiter aus:

305 „[…] esto es en darles amas savias y bien acostumbradas y de buen linage. Bien ansi como el niño se govierna y se cria en el cuerpo de la madre asta que nace otro si se govierna y cria de la ama desde que le da la teta asta destetarle y porque el tiempo de esta crianza es mas largo que el de la madre porende no puede ser que no reciva mucho del tenperamento [sic] y de las costumbres del ama. Onde los savios antiguos que ablaron en estas cosas naturalmente dixeron que los hijos de los Reies deven tener a tales amas que tengan leche asat y sean vien acostumbradas y sanas y hermosas y de buen linaje, y de buenas costumbres.“ Fernández de Otero: Tractatus de offci-alibus reipublicae (wie Anm. 44), 17.

306 Unter den Neophyten, also den frisch Getauften, fasste Villar Maldonado die Conversos.

„[…] jeder der Eheleute wird genauestens untersucht und befragt und falls etwa in irgendeiner Weise einer der beiden Ehepartner von einem Geschlecht jüdischen Ursprungs abstamme,

darf sie auf keinen Fall in diesem Amt zugelassen werden […].“307

Nicht allein die Frau und potentielle Amme sollte also untersucht und befragt werden, sondern genauso ihr Ehemann. Und sollte einer der beiden Ehepartner, sei es die Ehefrau oder der Ehemann, jüdische Vorfahren in seinem Stammbaum haben, so sei die Frau für das Amt der Amme der Infanten im Königshaus ungeeignet.

Die Frage stellt sich, warum nun beide Eheleute vom Juristen in den Blick genommen wurden. Zu vermuten wäre, dass sich hier verstärkt die juristische Komponente zeigt, wie sie bereits in der mittelalterlichen Rechtssammlung der Siete Partidas anklang, also das Bestreben, die jüdische und christliche Lebenswelt strikt voneinander zu trennen.

Vielleicht weisen die Äußerungen aber doch bereits über diese Ebene hinaus und es geht darum, dass, gesetzt den Fall, der Ehemann habe jüdische Vorfahren, die poten-tielle Amme somit ein Kind mit teilweise jüdischen Wurzeln in sich getragen und gegebenenfalls gestillt habe. Das würde bedeuten, dass die medizinischen Vorstel-lungen der Zeit auch vermehrt in den juristischen Texten eine Rolle spielen würden.

Vor dem Hintergrund des Frauenbildes, das Vicente da Costa Matos im Hinblick auf die Rechtfertigung einer Vertreibung der Conversos aus Portugal in seiner Schrift zeichnet308, und seiner Aussage, dass die Frauen für die Häresie gefährdeter und anfäl-liger seien, u. a. da sie ihrem Ehemann in der Religion zu folgen hätten, könnte man vermuten, dass Villar Maldonado an dieses Gefahrenpotential gedacht haben mag. So wären – aus dieser Perspektive betrachtet – die Sitten der Amme durch ihr Ehegelöb-nis zu Schaden gekommen und sie folglich für die Aufzucht der Infanten ungeeignet.

Welche dieser drei Mutmaßungen eher zutrifft oder ob es sich nicht sogar um eine Gemengelage mehrerer oder aller handelt, muss offengelassen werden, denn Villar Maldonado führt die Gründe hierfür nicht an. Stattdessen kommt er im Folgenden darauf zu sprechen, warum eine solche Amme nicht zugelassen werden dürfe, und nennt an dieser Stelle die bereits geläufigen Autoritäten Avicenna und Luis Lobera de Ávila. Letzteres könnte darauf schließen lassen, dass tatsächlich am ehesten die zweite Mutmaßung zutrifft, also dass die Medizin auch für diesen Aspekt, dass beide Eheleute in den Blick genommen werden, eine Rolle spielte.

Wie sehr dieses Thema der neuchristlichen Ammen auch in einem allgemeine-ren Rahmen rezipiert wurde, zeigt sich an den Diálogos familiares de la agricultura cristiana309 von Juan de Pineda (1557–1637). Dieser wollte seinen Lesern mithilfe von

307 „[…] utriusque coniugis exactissima fit examinatio, & inquisitio: & si fortè quovis modo alteruter coniux à genere Iudæorum originem trahat, neutiquam in id munus admitti solet […].“ Villar Maldonado: Sylva responsorum iuris, in duos libros divisa (wie Anm. 25), 131r.

308 Vgl. Unterkapitel 2.3.2 Die neuchristliche Ammenproblematik und ihr Kontext.

309 Zwanglose Gespräche über die christliche Landwirtschaft.

unterhaltsamen Dialogen ein möglichst breites Wissen über das christliche Leben vermitteln. So unterhalten sich Filótimo und Policronio im Dialog XV, Kapitel XXI, über die christliche Erziehung und neuchristliche Ammen:

„Filótimo. – Es ist eine würdige Angelegenheit, die von denjenigen, die den Staat regieren, besorgt werden sollte, dass weder eine Moriskin noch eine Frau jüdischen Blutes die Kinder der Altchristen aufziehe, denn noch schmeckt und ist ihr Blut mit den Glaubensvorstel-lungen ihrer Vorfahren behaftet. Und ohne eigene Schuld könnten die Kinder irgendeinen Beigeschmack zu sich nehmen, der ihnen später als Erwachsene schlecht bekomme. Und oftmals hörte ich einen Mann, ausgestattet mit gutem Verstand und rhetorischen Fähig-keiten, sagen, dass das halbe Viertel, das er von jüdischer Seite bekam, niemals aufhörte ihn zu ängstigen, dass er sich in einen Juden umkehre.

Policronio. – Dies ähnelt dem, was meine Morisken sagen, wenn ich ihnen einiges Gemurmel korrigiere, das nach maurischer Häresie müffelt, natura revertura – die Natur kehrt zurück.“310

Auffallend an dieser Unterhaltung erscheint die Forderung an die Regierungsträger, das Verbot neuchristlicher Ammen generell auf altchristliche Haushalte auszuweiten, statt wie bisher dieses Verbot nur für das Königshaus auszusprechen. Interessanter-weise nutzt der Autor hier in der Rede des Filótimo das Bild des Schmeckens bzw.

des Beigeschmacks resabio und des Haftenbleibens pegar, um zu verdeutlichen, wie die Häresie das Blut und somit sowohl die Amme als auch – im zweiten Schritt – das zu stillende Kind beeinflusst. Der sündige, da häretische Charakter der Vorfahren bleibe den Neuchristen also nicht nur als Makel, sondern er wird an dieser Stelle durch einen schlechten Beigeschmack versinnbildlicht, vor dem sich selbst ein vernünftiger, rhetorisch sicherer Mann fürchte.

Der zweite Redner Policronio arbeitet zusätzlich mit einer anderen Sinneserfah-rung, dem Geruch. So würden einige Sprüche der Morisken verdächtig nach Häresie und Apostasie, also nach dem Abfall vom Christentum und der Rückkehr zum Islam,

„müffeln“. So sind es die Sinneswahrnehmungen Geschmack und Geruch, die an dieser Stelle sinnbildlich die den Conversos und Morisken anhaftende Häresie offenbaren sol-len. Zudem unterstreichen beide Redner die Unausweichlichkeit der Anhaftung dieses 310 „Filótimo. – Cosa es muy digna de ser provista por los que gobiernan las repúblicas, que mujer morisca ni de sangre de judíos criase a hijos de cristianos viejos, porque aún les sabe la sangre a la pega de las creencias de sus antepasados, y sin culpa suya podrían los niños cobrar algún res-abio que para después de hombres les supiese mal; y muchas veces oí decir a un hombre de buen seso y conversación, que medio cuarto, que tenía de judío, nunca dejaba de le importunar, que se tornase judío.

Policronio. – Eso me parece lo que dicen mis moriscos, cuando los reprehendo de algunos sonso-netes que oliscan a moraizar, natura revertura.“ Juan de Pineda: Diálogos familiares de la agri-cultura cristiana III, Biblioteca de autores españoles 163, Madrid 1963, 103.

Makels dadurch, dass sie sich dies von den Betroffenen bestätigen lassen. So wird bei Filótimo der Mann angeführt, der zu einem Achtel jüdisch sei und das Gefühl habe, diesem Achtel nicht entkommen zu können. Bei Policronio sind es „seine Morisken“, die nach eigenen Angaben immer wieder zu ihrer Natur zurückkehren würden.

Der letzte Ausspruch natura revertura könnte auf ein so einsetzendes Sprichwort hinweisen: „Die Natur kehrt zurück, die Katze zu den Eingeweiden.“311 Vom Argu-mentationsaufbau finden sich starke Ähnlichkeiten zu der Textpassage von Vicente da Costa Matos in der spanischen Übersetzung durch Gavilán Vela, die auch Francisco de Torrejoncillo fast wortwörtlich übernahm, denn auch an dieser Stelle endete die Beweisführung mit einem Sprichwort. Und zumindest bei Costa Matos wurde zuvor die Exempelgeschichte des neapolitanischen Adligen angeführt, die den Ängsten des zu einem Achtel Converso bei Pineda nicht unähnlich ist.

Man kann die Vermutung anstellen, dass sich hinter dieser Argumentationsstruktur, die sich häufiger mit kleineren Abwandlungen nachweisen lässt, eine Argumentati-onshierarchie verbirgt. Nach einer allgemeinen Feststellung des Sachverhalts werden als Erstes in der Beweisführung die Gelehrten angeführt, als Zweites folgt häufig eine exemplarisch gestaltete Erzählung, in der Alltagserfahrungen vorzugsweise aus dem Mund der Betroffenen rezipiert werden, und das Ganze gipfelt in einem allseits bekannten Sprichwort, welches die generelle Wahrheit der zuvor angeführ-ten Argumente noch einmal bekräftigen soll. Das Sprichwort gilt, so betrachtet, als der endgültige unumstößliche Beweis, da es in der Regel die Funktion besitzt, eine bereits allseits anerkannte, durch vielfältige Erfahrungen gefestigte, gesellschaftli-che Wahrheit kundzutun. Bedenkt man die Bedeutung der Rhetorik für die Frühe Neuzeit312, so erscheint es nicht abwegig, dass sich auch für den Argumentationsauf-bau, die dispositio, wenn nicht Regeln, so doch bestimmte Gewohnheiten etablierten.

Für den oben angeführten Dialog aus dem Werk von Juan de Pineda lassen sich somit – abgesehen von der Argumentationsstruktur – drei Besonderheiten festhalten:

die Forderung nach einer Ausweitung des Verbotes neuchristlicher Ammen, die Ver-anschaulichung des an den Neuchristen haftenden Makels über den Geschmacks- und Geruchssinn sowie die Unumgänglichkeit dieses naturgegebenen Makels, der durch die Selbstaussagen der betroffenen Neuchristen untermauert werden sollte. Hier wird somit kaum medizinisch argumentiert, geschweige denn auf entsprechende gelehrte Doktoren verwiesen, wie dies bei Fernández de Otero der Fall war. Stattdessen wird versucht, das schlechte Blut körperlich sichtbar zu machen – und zwar über den Weg der Sinneseindrücke.

311 Übersetzung aus Singer; Original: „Natura revertura, el gato á la asadura.“ Kuratorium Sin-ger der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften begr. v.

Samuel Singer (Hrsg.): Thesaurus proverbiorum medii aevi = Lexikon der Sprichwörter des romanischgermanischen Mittelalters, Bd. 8, Berlin und New York 1999, 429.

312 Vgl. hierzu Andreas Keller: Frühe Neuzeit. Das rhetorische Zeitalter, Berlin 2008.

2.4 Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass sich in ganz unterschiedlichen Schriftgattungen die The-matik der neuchristlichen Ammen finden lässt: so in den Traktaten der Befürworter der limpieza de sangre wie Francisco de Torrejoncillo oder Vicente da Costa Matos, in denen der Apologeten der Moriskenvertreibung wie Damian Fonseca, in juristischen Kreisen wie bei Antonio Fernández de Otero oder Ignacio del Villar Maldonado sowie in allgemeineren, an ein breites Publikum gerichteten Schriften zum christlichen Leben wie bei Juan de Pineda. Vergleicht man die Aussagen in den verschiedenen Schriften miteinander, so fällt auf, dass nur die Rechtsgelehrten, wenn auch zu Unrecht, auf medi-zinische Autoritäten – nämlich Avicenna und Luis Lobera de Ávila – verwiesen. In den anderen Schriftgattungen hingegen scheint der Erfahrungswert eine größere Rolle zu spielen, so z. B. die gern referierte Geschichte über den neapolitanischen Adligen oder die von Inquisitionsfällen berichteten Selbstaussagen geständiger Conversos. Dies mag vor allem mit der Verschiedenheit der Genres, mit den damit verknüpften Intentionen der Autoren sowie mit dem jeweils anvisierten Lesepublikum zusammenhängen.

Es ließ sich jedoch auch zeigen, dass bei den Ammenverboten vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit eine biologistische Wende zu erkennen ist. Argumentierten die Verfasser der mittelalterlichen Verbote vor allem religiös und gesellschaftspolitisch für eine strikte Trennung des jüdischen und christlichen Lebensbereiches, so thema-tisierten die frühneuzeitlichen Autoren im Kontext der Conversos und Morisken in erster Linie die Angst vor der Weitergabe eines den Neuchristinnen zugeschriebenen häretischen Erbes über den Weg der Ammenmilch.

In den Schriften der frühneuzeitlichen Mediziner wiederum findet sich zwar zur Frage der idealen Amme der Gedanke der Übertragung des Charakters durch die Ammenmilch und es werden einige schlechte Eigenschaften, wie z. B. eine übermä-ßige Traurigkeit der Amme, die es zu vermeiden gelte, erwähnt, jedoch die Häresie als schlechte Eigenschaft oder Sitte fehlt gänzlich. Diese Übertragungsleistung der medizinischen Ideenwelt auf zunächst theologisch und juristisch begründete Ammen-verbote bleibt den selbsternannten Hütern der altchristlichen Gesellschaft überlassen.

Somit mag der bereits im Kapitel 2.2 Das mittelalterliche Verbot jüdischer Ammen erwähnte Inquisitionsfall der Brianda Besante als faszinierende Schilderung einer Wende dienen, der zudem die Austauschbarkeit der Gruppen der Juden, Muslime und Neuchristen veranschaulicht. Brianda Besante war wie ihr Ehemann und Neffe Luis Santángel durch die Inquisition des Judaisierens angeklagt worden und wurde schließlich am 17. März 1486 in einem Autodafé der weltlichen Gerichtsbarkeit über-geben und folglich hingerichtet. Unter anderem hatte man der Neuchristin Brianda den engen Kontakt zu Jüdinnen vorgeworfen. So ließ sie ihre Tochter Aldolica von der jüdischen Amme Bienvenida stillen. Der Vorwurf wird in einem Dialog zwischen Brianda Besante und einem Zeugen Jaime Palomos wiedergegeben, der sie wegen der Einstellung einer jüdischen Amme mit folgenden Worten anklagte:

,Warum gibst du deiner Tochter von der Milch jener jüdischen Hündin?‘

,Sie ist keine Hündin.‘

,Doch ist sie, denn die Juden töteten unseren Herrn.‘

,Wenn sie ihn töteten, dann wollte er es so.‘313

In diesem kurzen Dialog findet sich zum einen die direkte körperliche Komponente, denn es wird von der Milch gesprochen. Zum anderen klingt aber auch der religiöse Aspekt an, indem der Deizidvorwurf zur Sprache kommt. Da die Amme im Kontext der Jüdinnen, die im Haushalt der Angeklagten ein- und auszugehen schienen, ange-sprochen wurde, kommt auch der soziale Aspekt der Separierung der jüdischen und (neu-)christlichen Lebenswelt zum Tragen. Zudem geht es hier um eine Neuchris-tin, deren Kind anscheinend durch den Kontakt zur jüdischen Amme als gefährdet angesehen wurde; so wie nach der Vertreibung 1492 die neuchristliche Amme als Gefahrenpotential galt. Die Neuchristin löste die Jüdin in diesem Bild der schlech-ten, da häretischen Amme ab.

Letztlich ist somit festzuhalten, dass in der Regel von einer Mischung der ver-schiedenen Aspekte – biologistischer, religiöser und sozialer Natur – auszugehen ist.

Allerdings lässt sich eine Schwerpunktverschiebung erkennen. Während der religiöse Aspekt mehr oder weniger gleichbleibend von Bedeutung war, gewann der biologis-tische Aspekt gegenüber dem sozialen immer mehr an Bedeutung und wurde stärker betont, wenn er denn zuvor überhaupt Erwähnung gefunden hatte. Dieser Perspek-tivwechsel zeigte sich besonders deutlich in den Schriften, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden. Bedenkt man, dass bereits zuvor, mit der Schrift von Juan Huarte de San Juan Ende des 16. Jahrhunderts, in der Medizin eine solche Entwicklung hin zur stärkeren Betonung des Biologismus erfolgt war, erscheint es naheliegend, dass diese biologistische Argumentation geringfügig zeitversetzt auch von den selbsternannten Hütern der altchristlichen Gesellschaft in den verschiedenen Kontexten aufgegriffen wurde.

Zudem ließ sich die soziale Argumentation, also der Ruf nach einer strikten Sepa-rierung der Lebenswelten, nicht mehr mit der gesellschaftlichen Realität in der Frühen Neuzeit und dem politischen Bestreben einer einheitlichen christlichen – im Fall der Iberischen Halbinsel römisch-katholischen – Gesellschaft vereinbaren. Die Forde-rung nach einer Trennung der neu- von der altchristlichen Lebenswelt etwa, also ein gemeinsames Nebeneinander ohne ein Miteinander, wäre in diesem Sinn undenkbar

313 ,¿Para qué le das a tu fija de la leche de aquella perra judía?‘

,Non es perra‘.

,Sí es, que los judíos mataron a nuestro Señor‘.

,Si lo mataron, él se lo quiso‘.

Sánchez Moya/Monasterio Aspiri: Los judaizantes turolenses en el siglo XV. Continuación (wie Anm. 264), 335.

und politisch wohl auch kaum erwünscht. Stattdessen zeigte sich gerade in dieser Zeit, dass als gangbare Optionen zur Generierung einer einheitlichen christlichen Gesellschaft eher die Mittel der Inquisition oder, als verschärfte Maßnahme, die Ausweisung genutzt wurden. Letztere wurde schließlich nicht nur im Hinblick auf Andersgläubige, sondern von 1609 bis 1614 auch auf Teile der neuchristlichen Gesell-schaft, also die Morisken, angewandt. Eine weitere Gruppe, für die die Ausweisung Anfang des 17. Jahrhunderts im Zuge der Moriskenvertreibungen zur Diskussion stand, waren die gitanos314, die „Zigeuner“. Die Befürworter einer Ausweisung konn-ten sich jedoch nicht durchsetzen. Vielleicht erklärt sich somit gerade sowohl durch dieses Vakuum, das durch den Wegfall der sozialen Argumentation entstand, als auch durch die biologistische Wende in der Medizin die Präferierung dieser körperlichen,

und politisch wohl auch kaum erwünscht. Stattdessen zeigte sich gerade in dieser Zeit, dass als gangbare Optionen zur Generierung einer einheitlichen christlichen Gesellschaft eher die Mittel der Inquisition oder, als verschärfte Maßnahme, die Ausweisung genutzt wurden. Letztere wurde schließlich nicht nur im Hinblick auf Andersgläubige, sondern von 1609 bis 1614 auch auf Teile der neuchristlichen Gesell-schaft, also die Morisken, angewandt. Eine weitere Gruppe, für die die Ausweisung Anfang des 17. Jahrhunderts im Zuge der Moriskenvertreibungen zur Diskussion stand, waren die gitanos314, die „Zigeuner“. Die Befürworter einer Ausweisung konn-ten sich jedoch nicht durchsetzen. Vielleicht erklärt sich somit gerade sowohl durch dieses Vakuum, das durch den Wegfall der sozialen Argumentation entstand, als auch durch die biologistische Wende in der Medizin die Präferierung dieser körperlichen,

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