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Eine Meistererzählung?

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 24-40)

Der Begriff der Meistererzählung ist ursprünglich von Jean François Lyotard (1924–

1998) in seiner 1979 veröffentlichten Schrift La condition postmoderne geprägt worden.

Er verwendet dabei den Begriff des grand récit. Als Beispiel für eine solche große Erzählung nennt er „die Emanzipation der Menschheit“, die wiederum in der Meta-erzählung der Aufklärung begründet liege.36 Lyotards Konzept von grand récit und Metaerzählung bzw. Metanarrativ wurde durchaus einige Skepsis entgegengebracht, sodass Frank Rexroth, der den Begriff für die Arbeit in den Geschichtswissenschaften und vor allem für die Mittelalterforschung fruchtbar zu machen versucht, festhält:

„Aufs Ganze gesehen hat die Vermengung der drei Fragen nach der narrativen Qualität von Geschichtsschreibung, nach der Existenz von Meistererzählungen und nach dem Wirk-lichkeitsbezug der Historie der Diskussion mehr geschadet als genützt.“37

Schon aus diesem Grund möchte ich diese oft polemisch diskutierten Fragen nicht erneut zum Thema machen, sondern verweise hierfür auf den Artikel von Frank Rexroth.38 Dass sich die Meistererzählung zur Erfassung der Debatte um die Blutrein-heitsideologie anbieten könnte, zeigt sich allerdings in der Definition von Meister-erzählungen, die Jörn Rüsen vorschlägt. Mit Blick auf die Dimensionen kultureller Identität stellt er fest:

„Diese weiteste und zugleich tiefste Prägung von Identität, die wir mit dem Ausdruck ,Zivilisation‘ oder eben ,Kultur‘ versehen, drückt sich in einer ganz spezifischen Weise aus:

durch ,Meistererzählungen‘ (master narratives). Meistererzählungen sind Antworten auf die Frage nach kultureller Identität.“39

Da sich Identität nicht ohne die Abgrenzung zum „Anderen“, also nicht ohne Alte-rität, denken lässt, lebt auch im Fall der Debatte um die Blutreinheitsideologie die Schaffung und vor allem Legitimierung der kulturellen Identität der Altchristen von ihrer Abgrenzung zu den Neuchristen. Damit erhält die Blutreinheitsideologie eine Dimension, die über die Frage von Ausgrenzung und Diskriminierung hinausweist.

Die Exklusion der neuchristlichen Bevölkerung sollte den sich selbsternannten 36 Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Graz und Wien 1986, 13–14, 175.

37 Frank Rexroth: Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung, in: Ders. (Hrsg.):

Meistererzählungen vom Mittelalter, Historische Zeitschrift, Beiheft 46, München 2007, 1–22, hier 12.

38 Ebenda.

39 Jörn Rüsen: Einleitung: Für eine interkulturelle Kommunikation in der Geschichte. Die Heraus-forderungen des Ethnozentrismus in der Moderne und die Antworten der Kulturwissenschaften, in: Ders. (Hrsg.): Die Vielfalt der Kulturen, Frankfurt am Main 1998, 12–36, hier 23.

christen zur Identitätsstiftung und Inklusion dienen. Damit zeigt sich klar die Pro-blematik von Meistererzählungen. Um es in den Worten von Jörn Rüsen auszudrü-cken: „Anderssein von Anderen mit dem gleichen Legitimationsanspruch und mit einer gleichen inneren Universalität hat keinen Platz in diesen Meistererzählungen.“40

Die Meistererzählung ist in ihrer ethnozentrischen Logik also durchaus negativ konnotiert, jedoch bis in die Aktualität hinein immer noch äußerst effektiv, was sicher auch die Skepsis und Polemik innerhalb der Forschung erklärt. Es geht also im Fol-genden nicht darum, die Debatte um die Blutreinheitsideologie durch den Begriff der Meistererzählung ab- oder aufzuwerten. Stattdessen soll eine Absteckung der Krite-rien, die eine Meistererzählung ausmachen können, und die Überprüfung, inwieweit die Debatte um die Blutreinheitsideologie diese Kriterien erfüllt, dazu beitragen, die Blutreinheitsideologie konkreter in ihrer Bedeutung für das frühneuzeitliche Spanien zu verorten und ihre Reichweite sowie ihre Grenzen zu verdeutlichen. Für meine Analyse der Debatte um die Blutreinheitsideologie ziehe ich daher die praktisch ori-entierte und detaillierte Definition von Halverson, Goodall Jr. und Corman heran, die sie in ihrem Buch Master Narratives of Islamist Extremism darlegen, und werde diese um einige Dimensionen erweitern und konkretisieren.

Bevor ich jedoch diese Definition näher erläutere, gilt es, eine bereits seit Einlei-tungsbeginn säumige Bringschuld einzulösen: die Definition des Ideologiebegriffs.

Für die Darstellung der limpieza de sangre als Blutreinheitsideologie verwende ich einen, wie der Literaturwissenschaftler und Philosoph Peter Tepe41 es formuliert,

„nicht-essenzialistischen“ Ideologiebegriff, der somit nicht darauf abzielt, das grund-sätzliche Wesen der Ideologie an sich freizulegen. Weiter der von Tepe empfohlenen

„komplexen Ideologieforschung“ folgend, mit welcher er ein pluralistisches Konzept von Ideologiebegriffen vorschlägt, die jedoch durchaus miteinander in Verbindung stehen können, nutze ich den Begriff Blutreinheitsideologie ausschließlich im Sinne des „soziopolitischen Programms“, das sich daran knüpft und welches die gesellschaft-liche Ausgrenzung der Neuchristen beispielsweise über den Erlass von Blutreinheits-statuten zum Ziel hatte.

Dabei geht es mir keinesfalls um eine negative Wertung und damit subjektive Bewertung des Blutreinheitskonzepts durch die Verwendung des Ideologiebegriffs, wie dies durchaus häufiger vorkommt, wenn von einer Ideologie die Rede ist. Zwar muss ich eingestehen, dass ich grundsätzlich kein auf Ausgrenzung, Diskriminie-rung und Intoleranz beruhendes Ideen- und Wertesystem für mich selbst gutheißen kann. Der hier zum Einsatz kommende Ideologiebegriff soll jedoch lediglich ver-deutlichen, dass es sich 1) um ein soziopolitisches Programm mit weltanschaulicher Komponente handelte und damit 2) um ein dominierendes Ideen- und Wertesystem an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel, das zudem 40 Ebenda, 24.

41 Vgl. zu diesen Ausführungen Peter Tepe: Ideologie, Berlin und Boston 2012, 13–29.

über die Ausgrenzungsmechanismen auf die Schaffung einer altchristlichen Identität und deren Erhöhung abzielte.

Auch wenn ich die Nutzung des Begriffs Blutreinheitsideologie auf den Aspekt der dieser innewohnenden politischen Programmatik beschränke, ist mir somit die nahezu zwangsläufige Kooperation mit der weltanschaulichen Ideologieform bewusst.

Der Einsatz des Begriffs master narrative soll daher auch dazu dienen, um den Strö-mungen in der Debatte um die limpieza de sangre gerecht zu werden, die sich an der aus dem soziopolitischen Programm entstandenen weltanschaulichen Ideologie in unterschiedlichen Formen abarbeiteten.

Doch zurück zur Definition der master narrative von Halverson, Goodall Jr. und Corman: Sie unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen Geschichte, Erzäh-lung und MeistererzähErzäh-lung bzw. story, narrative und master narrative. Unter einer Geschichte verstehen sie dabei eine Abfolge von miteinander verbundenen Ereignis-sen, die in der Vergangenheit liegen und zu rhetorischen und / oder ideologischen Zwecken nacherzählt werden.42

Zur Veranschaulichung, welche Rolle eine solche story innerhalb der Blutrein-heitsideologie spielen konnte, soll die Geschichte über einen Juden aus Córdoba und seinen christlichen Freund dienen. So soll der Jude seinem Freund unermüdlich ein-geschärft haben, weder Juden noch Conversos zu Vertrauen. Hierbei schloss er sich selbst mit ein, denn ihm zufolge seien Juden und Conversos den Christen immer feindlich gesinnt. Diese Geschichte nutzten die Befürworter der Blutreinheitsstatuten, um die Notwendigkeit des Ausschlusses der Conversos von wichtigen Ämtern und Würden hervorzuheben. Sie wurde daher immer wieder nacherzählt. So findet sich die Geschichte sowohl im 1614 veröffentlichten Sylva responsorum iuris43 von Ignacio del Villar Maldonado als auch im 1682 erschienenen Tractatus de officialibus reipubli-cae44 von Antonio Fernández de Otero.

Diese Geschichte ist wiederum in eine Erzählung eingebettet, ein narrative, also ein System von Geschichten „that share a common rhetorical desire to resolve a con-flict by establishing audience expectations according to the known trajectories of its literary and rhetorical form“45. Dass es sich um ein kohärentes System von Geschich-ten handelt, zeigt sich im Fall der oben erwähnGeschich-ten Geschichte beispielsweise daran, dass in beiden Fällen im Anschluss die Geschichte über den Brief der spanischen

42 „A story is a particular sequence of related events that are situated in the past and recounted for Rheto-rical/ideological purposes.“ Jeffry R. Halverson/H. L. Goodall Jr./Steven R. Corman: Master Narratives of Islamist Extremism, New York 2011, 13 [Hervorhebungen im Original].

43 Villar Maldonado: Sylva responsorum iuris, in duos libros divisa (wie Anm. 25), 132r-132v.

44 Antonio Fernández de Otero: Tractatus de officialibus reipublicae, Lugduni [Lyon] 1682, 14–15.

45 Halverson/Goodall/Corman: Master Narratives of Islamist Extremism (wie Anm. 42), 14 [im Original komplett kursiv gesetzt].

Juden an die jüdische Gemeinde von Konstantinopel46 erzählt wird, indem diese zur Zeit des Vertreibungsedikts die Juden von Konstantinopel um Rat bitten. Der Ant-wortbrief der jüdischen Gemeinde von Konstantinopel wird dann, so die Autoren, in seinem Wortlaut wiedergegeben. Gleichzeitig lässt sich dieses System an Geschichten beliebig zusammenstellen. So nutzte beispielsweise auch Francisco de Torrejoncillo47 die Geschichte über den Antwortbrief, ohne jedoch zuvor auch die Geschichte des Cordobeser Juden zu erzählen. Trotz der unterschiedlichen Zusammenstellung der einzelnen Geschichten bleibt den drei Autoren der ihnen „gemeinsame rhetorische Wunsch“, nämlich ihr Engagement für eine Beibehaltung der Blutreinheitsstatuten.

In diesem Sinn lässt sich die Blutreinheitsideologie als ein Narrativ, eine Erzählung, definieren. Es bleibt somit zu überprüfen, inwieweit die Blutreinheitsideologie auch den Kriterien einer Meistererzählung gerecht wird.

Halverson, Goodall Jr. und Corman definieren die Meistererzählung als eine trans-historische Erzählung, die tief in einer bestimmten Kultur verwurzelt ist.48 Unter dem Begriff „transhistorisch“ verstehen die Autoren, dass die Erzählung im Laufe der Zeit Entwicklungen unterworfen war. Wie oben bereits beschrieben, veränderte sich die Debatte um die limpieza de sangre in ihrer Argumentation über die Jahrhunderte. So trat die juristische Argumentation ab dem 16. Jahrhundert in den Hintergrund und wurde beispielsweise von sozioökonomischen Aspekten abgelöst. Somit lässt sich die Debatte als transhistorische Erzählung fassen.

Der Aspekt der Transhistorizität (1) allein erscheint jedoch etwas dürftig, um für die Blutreinheitsideologie den Begriff einer Meistererzählung geltend zu machen.

Daher stellt sich die Frage, welche Kriterien noch erfüllt werden. An dieser Stelle ist zunächst die von Halverson, Goodall Jr. und Corman immer wieder genannte Kohä-renz (2) als Kriterium zu überprüfen. Die einzelnen Geschichten müssen ein kohären-tes, narratives System in dem Ausmaß ergeben, dass sein Fortbestehen gesichert ist.

Wenn man sich die Langlebigkeit der Diskussion um die Blutreinheitsideologie vor Augen führt, so lässt dieses bereits auf eine gewisse Kohärenz schließen, auch wenn die Diskussion im Laufe der Jahrhunderte in unterschiedlicher Intensität geführt wurde.

46 Zu dieser Geschichte und ihrer Entstehung gibt es dank der Recherchen von François Soyer neue Hinweise, die belegen, dass der Bericht über die Korrespondenz mit der jüdischen Gemeinde von Istanbul wohl ursprünglich den portugiesischen Juden zugeschrieben wurde und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, vermutlich in den 1560er Jahren, anzusiedeln ist. Vgl. hierzu Fran-çois Soyer: The Anti-Semitic Conspiracy Theory in Sixteenth-Century Spain and Portugal and the Origins of the ‚Carta de los Judíos de Constantinopla‘. New Evidence, in: Sefarad 74 (2014), 369–388.

47 Torrejoncillo: Centinela contra judíos, puesta en la torre de la Iglesia de Dios (wie Anm. 18), 48 „[…] a master narrative is a transhistorical narrative that is deeply embedded in a particular culture.“ 86.

Halverson/Goodall/Corman: Master Narratives of Islamist Extremism (wie Anm. 42), 14 [Hervorhebungen im Original].

Zudem weist auch die Tatsache, dass die Autoren stetig aufeinander Bezug nahmen und sich damit gewissermaßen als Teil einer Traditionslinie begriffen, da rauf hin, dass auch die Autoren selbst von einem köharenten System ausgingen. Dass sie sich einander zugehörig fühlten, wird dabei vor allem durch ihre Wahrnehmung gestützt, dass sie zum einen von einem gemeinsamen Konflikt ausgingen und zum anderen einen darauf begründeten Wunsch verfolgten.

Damit lässt sich mit dem Modell der symbolic story form von Halverson, Goodall Jr. und Corman arbeiten, das sie in Anlehnung an die Theorien von Kenneth Burke (1897–1993) entwickelt haben und das die narrative Verlaufsform auf die grundlegen-den Kategorien Konflikt, daraus resultierender Wunsch, Teilnehmer / Handlungen / Ereignisse und abschließend Wunschbefriedigung zurückführt. Halverson, Goodall Jr. und Corman nutzen dieses Modell für ihre Analyse des islamischen Extremismus und veranschaulichen den Erzählverlauf in einer Graphik, deren Struktur ich hier übernommen habe.49

Das Modell lässt sich auch auf die Blutreinheitsideologie übertragen. Den Kon-flikt, der den Ausgangspunkt darstellt und dem Erzählverlauf vorausgeht, sahen die Blutreinheitsideologen in den Neuchristen, den Conversos und Morisken, welche beständig zu Apostasie neigen und somit eine permanente Gefährdung der altchrist-lichen Gesellschaft darstellen würden. Aus dieser Wahrnehmung einer Bedrohung entsprang wiederum, der Erzählung folgend, der Wunsch nach religiöser Homo-genität. Hinter diesem Wunsch verbarg sich die von den Blutreinheitsideologen formulierte Überzeugung, dass eine allen gemeinsame Religion die Möglichkeit eröffne, ein vereintes und damit gestärktes spanisches Königreich zu erschaffen.

Dabei erhofften sich die Autoren, dass dieser Wunsch u. a. durch die Arbeit der Inquisition, die Blutreinheitsstatuten sowie die damit verknüpften genealogischen Untersuchungen in Erfüllung gehe. Diese Maßnahmen spiegeln somit die Teilneh-mer, Handlungen und Ereignisse wider und tragen zur Wunschbefriedigung bei.

Im Fall der Morisken gipfelte diese sogar in ihrer Vertreibung. Mit dem Modell der symbolic story form lassen sich somit die narrativen Strukturen herausarbeiten, diese müssen natürlich keineswegs deckungsgleich sein mit den sich hinter dieser Nar-ration zusätzlich verbergenden Motivationen der Schreibenden, z. B. dem sozialen Neid oder ihren eigenen Karriereerwartungen, die sie mit dem Verfassen einer sol-chen Schrift verknüpften. Was die Blutreinheitsideologen explizit formulierten und was sie implizit mit der Teilhabe an einer solchen Narration intendierten, konnte stark voneinander abweichen.

Natürlich sind die narrativen Verlaufsformen auch nicht gänzlich identisch. So können sie sich beispielsweise wesentlich in den Maßnahmen, die nach Meinung der Autoren zur Wunschbefriedigung nötig waren, unterscheiden. Das verhindert jedoch nicht, dass sie gemeinsam zu einer Meistererzählung beitragen konnten, denn diese 49 Halverson/Goodall/Corman: Master Narratives of Islamist Extremism (wie Anm. 42), 20.

kann durchaus verschiedene story forms beinhalten.50 Die Kohärenz des narrativen Sys-tems wird vor allem durch die Ähnlichkeit der Komponenten Konflikt und Wunsch sichergestellt, ja lässt sich im Extremfall sogar auf einen gemeinsam wahrgenommenen Konflikt reduzieren. Selbst ein Großteil der Kritiker lässt sich dahingehend als Teil des narrativen Systems fassen, so z. B. der Dominikaner und Hofprediger Philipps III. Agustín Salucio (1523–1601)51. Dieser kritisierte die Praxis der Blutreinheitssta-tuten scharf, trat jedoch zugleich nicht für ihre Abschaffung, sondern lediglich für ihre Begrenzung und Überarbeitung ein.

Neben dem Kriterium der Kohärenz lohnt es sich jedoch noch über andere mögliche Kriterien bzw. Indikatoren nachzudenken, die geeignet sind zu belegen, dass es sich bei der Debatte um die Blutreinheitsideologie um eine Meistererzählung handelte.

Da die Meistererzählung ja als „in einer bestimmten Kultur tief verwurzelt“ defi-niert wird, lässt sich annehmen, dass sich Erzählelemente der Blutreinheitsideologie in verschiedenen Textgenres finden lassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit lässt sich die Debatte um die Blutreinheitsideologie u. a. in juristischen, theologischen, philosophischen, medizinischen sowie literarischen Werken finden. Eine ganze Bandbreite an Schriften beschäftigt sich bzw. verweist auf die Blutreinheitsideologie.

Auch hier konnte die Bandbreite von Zustimmung bis subtil formulierter Ablehnung reichen. Somit lässt sich die literarische Omnipräsenz (3) von Topoi aus dem Bereich der Blutreinheitsideologie als weiteres Kriterium begreifen.

50 Ebenda, 20.

51 Salucio: Discurso echo por fray Agustín de Salucio. Ms. Codex 1447 (wie Anm. 29).

Abb. 1: Symbolic Story Form

Quelle: Eigene Darstellung nach Graphik von Halverson, Goodall Jr. und Corman

Berühmte Literaten wie Francisco de Quevedo (1580–1645), Miguel de Cervan-tes (1547–1616) oder Lope de Vega (1562–1635) griffen das Thema der Conversos und Morisken und der Blutreinheitsideologie in ihren Schriften auf. Im Fall von Miguel de Cervantes wird in der Forschung beispielsweise diskutiert, inwieweit es sich bei seinen Äußerungen zu den Conversos um eine antijüdische Haltung handelte.52 Zugleich findet sich die Theorie, dass Cervantes selbst aus einer Converso-Familie stammte.53

Im Fall von Francisco de Quevedo wiederum ist eine antijüdische Positionierung klar zu erkennen. Besonders augenscheinlich wird sie in seinem Memorial, einer Denkschrift aus dem Jahr 1633, die unter dem gekürzten Titel Execración de los judíos54 bekannt wurde, seit dem 17. Jahrhundert verschollen war und erst in den 1990er Jah-ren wiedeJah-rentdeckt und veröffentlicht wurde.55 Aber auch in seinem Schelmenroman, dem Buscón56, spottet Quevedo über die Morisken und Conversos und nutzt hierbei eine übliche Strategie, um sie als Neuchristen zu enttarnen. So trifft der Protagonist Pablos auf einen Wirt und enthüllt seine Identität wie folgt:

„Der Besitzer und Wirt war einer von denen, die nur aus Höflichkeit und Verstellung an Gott glauben, Maurisquen, wie man sie im Volke nennt, denn noch immer gibt es eine weidliche Nachernte dieser Leute und ebenso derer, die Nasen wie rechte Gurken haben, welche indessen nur dann versagen, wenn es darauf ankömmt, einen anständigen Schweins-speck zu riechen.“57

52 Manfred Tietz: El antisemitismo en tiempos de Cervantes y su trasfondo histórico-teológico, in:

Vittoria Borsò/Santiago Navarro Pastor (Hrsg.): Cervantes y las tradiciones judías, Buenos Aires 2013, 79–98, hier 80–81.

53 Jose Faur: Don Quichotte. Un talmudiste au passé souillé, in: Shmuel Trigano (Hrsg.): Le juif caché. Marranisme et modernité, Paris 2000, 159–168.

54 Die Verfluchung der Juden.

55 Francisco de Quevedo: Execración de los judíos (Madrid 1633), hrsg. v. Fernando Cabo Ase-guinolaza/Santiago Fernández Mosquera, Anejos de biblioteca clásica, Barcelona 1996, url:

aaargh.vho.org/fran/livres7/execracion.pdf (besucht am 27. 02. 2019).

56 Eine Analyse zu den Passagen aus dem Buscón findet sich bereits in meinem Aufsatz: Julia Gebke:

Himmlische Düfte – Höllischer Gestank. Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Sinne am Beispiel des ‚fœtor judaicus‘ im frühneuzeitlichen Spanien, in: Lydia Maria Arantes/Elisa Rieger (Hrsg.): Ethnographien der Sinne. Wahrnehmung und Methode in empirisch-kultur-wissenschaftlichen Forschungen, Bielefeld 2014, 195–212.

57 Übersetzung von Hans Carl Artmann, Francisco de Quevedo: Der abenteuerliche Buscón, übers.

v. H. C. Artmann, Frankfurt am Main 1963, 36–37; im Original: „Era el dueño y huésped de los que creen en Dios por cortesía o sobre falso; moriscos los llaman en el pueblo, que hay muy grande cosecha desta gente, y de la que tiene sobradas narices y solo les faltan para oler tocino […].“ Francisco de Quevedo: El buscón, Madrid 2001, 63; vgl. hierzu auch Claudia Leitner:

Das falsche Rot der Rose. Geruch und Blick in der Frühen Neuzeit, in: Wolfram Aichinger/

Franz X. Eder/Claudia Leitner (Hrsg.): Sinne und Erfahrung in der Geschichte, Innsbruck et al. 2003, 111–133, hier 121. Das Zitat wird auch im Unterkapitel 4.3.3 Kulinarische Dimensionen analysiert.

Zweifel an der Orthodoxie charakterisieren den Morisken-Wirt. Die Anspielung auf besonders große Nasen und die Unfähigkeit, Schweinespeck zu riechen, verweist da rü-ber hinaus auf die Conversos, ohne sie explizit zu nennen. In einer weiteren Passage amüsiert sich Quevedo bzw. Pablos zudem über einen Lehrmeister, den Lizenziaten Cabra, der verdächtigt wird, ein Converso zu sein. Um diesen Verdacht zu zerstreuen, reichert der sonst geizige Cabra den Speiseplan mit Speck an. Allerdings verarbeitet er diesen so sparsam und schlecht, dass er den Verdacht somit nur bestätigt.58

Es scheint, dass der Verweis auf Schweinespeck für den iberischen Leser bereits genügte, um solche Erzählungen in den größeren Bezugsrahmen der Blutreinheits-ideologie einzuordnen. Quevedo war nicht gezwungen, direkte Hinweise zu geben.

Die implizite Anspielung erwies sich als völlig ausreichend. Ein französisch- oder deutschsprachiger Leser hingegen war vermutlich nicht in der Lage, diesen Witz auf Kosten der Neuchristen nachzuvollziehen. Diese Schlussfolgerung erlaubt eine fran-zösisch-deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1671. Der Schelmenroman war zunächst vom Spanischen ins Französische und in einem zweiten Schritt vom Französischen ins Deutsche übersetzt worden und lag als französisch-deutsche Ausgabe vor. Offenbar zögerte der französische Übersetzer, die oben zitierte Passage wörtlich zu übersetzen.

Stattdessen versuchte er sich an einer Erklärung, die allerdings misslang:

„Unser Wirth war einer von den jenigen / welche nur auß Höffligkeit an JEsum Christum glauben. Er war ein Moriske / man nennet die jenige unter den Mohren also / die sich

„Unser Wirth war einer von den jenigen / welche nur auß Höffligkeit an JEsum Christum glauben. Er war ein Moriske / man nennet die jenige unter den Mohren also / die sich

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