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Aus blutreinheitsideologischer Sicht

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 187-199)

3.3 „Jüdisch-männlicher“ Blutfluss im Mittelalter

3.4 Männliche und „jüdisch-männliche“ Menstruation in der Frühen NeuzeitFrühen Neuzeit

3.4.2 Aus blutreinheitsideologischer Sicht

Die „jüdisch-männliche“ Menstruation stellte einen Sonderfall dar, der in der Frühen Neuzeit im Rahmen der Debatte um die limpieza de sangre, aber auch all-gemein sowohl in theologischen als auch medizinischen Schriften verhandelt wurde.

Die Grenzen gestalteten sich hierbei fließend. Die Verknüpfung zwischen limpieza de sangre-Ideologie und Theologie sticht besonders hervor, was sich u. a. durch den Umstand erklären lässt, dass viele der Diskutanten um die Blutreinheitsideologie von Haus aus Theologen waren. Um die Komplexität und das referentielle Netzwerk an Schriften und Autoren aufzuzeigen, soll eine Passage aus der Schrift De incantationibus des Portugiesen Manuel Valle de Moura († 1650) als Ausgangspunkt dienen. Diese eignet sich besonders gut, weil seine äußerst detaillierte Referenzliste gern in Teilen

von späteren Autoren übernommen wurde, so beispielsweise von Juan de Quiñones505 oder Francisco de Torrejoncillo506.

Hauptsächlich beschäftigt sich Valle de Moura, der ab 1620 als Inquisitor in Evora tätig war, in seinem Werk mit dem Einsatz von Beschwörungen, Talismanen und Gebetsformeln zur Heilung. Dabei zeichnet er sich durch einen skeptischen und rationalistischen Ansatz aus, den er sich laut der Einschätzung von Euan Cameron aufgrund seiner Stellung und seines Umfelds leisten konnte:

„Manuel do Vale de Moura, as a Portuguese inquisitor little troubled by the events of the Reformation, could afford the luxury of taking a single-minded rationalistic approach to ,superstitious‘ cults. He was quite unusual, as his own work demonstrated.“507

Bei seiner eher unüblichen Haltung ist er zudem darum bemüht, über die Angabe seiner Referenzen die verschiedenen Positionen genauestens wiederzugeben. Um nun der Wirkmächtigkeit von heilenden Formeln auf den Grund zu gehen, unter-sucht Valle de Moura Themen wie die heilenden Kräfte der Könige, aber auch die

„jüdisch-männliche“ Menstruation bzw. ganz allgemein Kennzeichnungen, signa, die den Juden zugeschrieben wurden. Diese zieht er selbst zwar in Zweifel und führt daher auch zwei Gegenpositionen an, gesteht jedoch zugleich ein: „[…] sie wurden mit wundersamen Zeichen der strafenden Kennzeichnung geboren, […] da von so vielen das Gerücht geht, kann nicht alles falsch sein“508. Somit strebt der portugiesische Inquisitor keine komplette Widerlegung an, stellt das Thema der Kennzeichnungen der Juden als göttliche Strafe allerdings erheblich infrage und versucht zugleich, die Conversos aus dieser Diskussion auszuklammern. Nur das Blut Christi könne die Juden vom Blutfluss heilen. Für dieses Argument zitiert Valle de Moura aus Alonso de Espina509 (1412–1460) und führt Rodrigo de Yepes510 (16. Jh.) als Referenz an. Beide beziehen sich passenderweise auf eine Ritualmordlegende aus dem Heiligen 505 Quiñones: Memorial de Juan de Quiñones dirigido a F. Antonio de Sotomayor, Inquisidor

General (wie Anm. 87), 2–3.

506 Torrejoncillo: Centinela contra judíos, puesta en la torre de la Iglesia de Dios (wie Anm. 18), 507 Euan Cameron: Enchanted Europe. Superstition, Reason, and Religion 1250–1750, Oxford 2010, 169.

508 „[…] mirandis signis adnotati nascuntur, […] vt tam multorum fama est, quod vniuersim falsum 228.

esse non posse“, Manuel do Valle de Moura: De incantationibus, Evora: Typis Laurentij Cras-beck, 1620, 249.

509 Alonso de Espina: Fortalitium fidei contra Judaeos, Saracenos aliosque Christianae fidei inimi-cos, Nürnberg 1485, url: urn:nbn:de:bvb:12-bsb00040792-4 (besucht am 27. 02. 2019), 86v.

510 Rodrigo de Yepes: Historia de la muerte y glorioso martyrio del Sancto Innocente, que llaman de la Guardia, natural de la ciudad de Toledo. Con las cosas procuradas antes por ciertos Iudios, hasta que al Sancto Innocente crucificaron: y lo succedido despues, Madrid: Por Iuan Iñiguez de Lequerica, 1583, 58r-58v.

schen Reich, auf die oben bereits analysierte Passage aus dem Bienenbuch von Thomas von Cantimpré511. Valle de Moura fügt nun erklärend hinzu, dass selbstverständlich unter dem Blut Christi dasjenige zu verstehen sei, dass in den Sakramenten enthalten sei. Daraus schlussfolgert er: „[…] folglich sind sie durch den Empfang der Taufe von oben genanntem Blutfluss befreit […].“512

Durch den Verweis auf die Stärke des Taufsakraments kann Valle de Moura somit die Verknüpfung zwischen Juden und Neuchristen aufheben. Dass diese häufig voll-zogen wurde, wusste der portugiesische Inquisitor durch seine Arbeit sicherlich nur allzu gut und war sich vermutlich auch des damit einhergehenden Gefahrenpotentials für die Conversos bewusst. Viele andere Autoren, gerade unter den Apologeten der limpieza de sangre, nahmen diese Verknüpfung hingegen billigend in Kauf. So darf es nicht verwundern, dass die mittelalterlichen antijüdisch-theologischen Argumen-tationsstränge zur „jüdisch-männlichen“ Menstruation auch mit Blick auf die Con-versos nutzbar gemacht wurden. Auch wenn beispielsweise im Titel von Alonso de Espinas Werk von der Glaubensfestung gegen die Juden und Sarazenen, den Feinden des christlichen Glaubens513 die Rede ist, so wird doch schnell deutlich, dass er damit die Neuchristen im Visier hatte. Folglich scheuen sich Autoren wie Alonso de Espina und Rodrigo de Yepes auch nicht, den Ritualmordvorwurf für ihre Zwecke aufzugreifen, und verknüpfen ihn, wie bereits mittelalterliche Vorläufer, mit der Selbstverfluchung aus dem Matthäus-Evangelium (Mt 27,25). Alonso de Espina stützt sich in seiner Argumentation zudem noch auf die pseudo-augustinische Predigt, die bereits im vorigen Unterkapitel Deizidvorwurf und Ritualmordlegende untersucht wurde. Auch Valle de Moura erwähnt die Predigt, nennt das Incipit In crucis munere und bemerkt hierzu, „welche[s] ich dennoch nicht finde“514. Wie bereits erwähnt, hatte auch der Kommentator des frühneuzeitlichen Druckes des Bienenbuchs515 sich die vergebliche Suche nach der Predigt eingestehen müssen.

Neben der Passage aus dem Matthäus-Evangelium werden jedoch weitere Bibel-verse zur Argumentation herangezogen. Zum einen der bereits bekannte Psalm 78,66 (nach mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Vulgata-Zählung 77,66), der schon bei Jakob von Vitry Gebrauch fand. Valle de Moura und Juan de Quiñones nennen statt-dessen den mittelalterlichen, französischen Theologen und Dominikaner Hugo von Saint-Cher (ca. 1200–1263), der in seinem Werk den Bibelvers als göttliche Bestra-fung der Juden interpretiert:

511 Cantimpré: Bonum universale de apibus (wie Anm. 392), 304–305.

512 „[…] consequenter eos per baptismi susceptionem liberari à prædicto sanguinis fluxu […].“ Valle de Moura: De incantationibus (wie Anm. 508), 250.

513 Fortalitium fidei contra Judæos, Saracenos aliosque Christianæ fidei inimicos.

514 „[Q ]uem tamen non inuenio“, Valle de Moura: De incantationibus (wie Anm. 508), 250.

515 Cantimpré: Bonum universale de apibus (wie Anm. 392), 304–305.

„Ewiger Schande hat er sie preisgegeben. Es ist eine ewige Schande gewesen, weil die Krankheit von der gemeinsten Sorte gewesen ist. Und man sagt, dass die Juden diese Schmach tragen, da sie zur Strafe für die Leiden des Herrn unter Blutfluss leiden. Und deswegen sind sie so blass.“516

Ein Argument fällt an dieser Passage besonders ins Auge. Hugo von Saint-Cher führt die Blässe als Zeichen des Blutflusses an. Diese war bislang eher im medizinischen Kontext als Zeichen von Melancholie zur Sprache gekommen, und zwar in der quod-libet-Diskussion an der Sorbonne um 1300, also erst nach dem Tode von Saint-Cher.

In der frühneuzeitlichen Diskussion nutzte Aznar Cardona, ein Apologet der Moriskenvertreibungen, den Bibelvers für seine Zwecke. Dabei kommt er zunächst auf die Selbstverfluchung aus dem Matthäus-Evangelium zu sprechen und führt dann die daraus resultierenden Leiden an. Der Auszug aus den Psalmen wird dem Ganzen zur näheren Erläuterung beigefügt:

„Zum anderen wurden ihre Nachfolger zu Erben von vielen schmerzhaften, gewaltsamen Toden, verschiedenen Krankheiten und schmachvollen Körperdefekten. Viele von ihnen wurden mit Echsenschwänzen geboren und litten unter Menstruation oder monatlicher Reinigung wie die Frauen und sie erlitten (andere Beschwernisse und Leiden beiseite gelassen) Herabsetzungen und ruhelos machende Hämorrhoiden, wie der Prophet es buch-stäblich bestätigt: Percusit [sic] inimicos suos in posteriora, et opprobrium sempiternum dedit illis. Er [Gott] verletzte, sagt er [der Prophet], seine Feinde am Hintern und an den ver-borgenen Stellen, zum Zweck der beschämenden Zeugenschaft und der ewigen Schmach und Verwirrung.“517

Das Motiv der Echsenschwänze oder generell der Verlängerungen des Rückgrats ist nicht unüblich und Teil der antijüdischen Legenden der göttlichen Strafen, die oft äußerst detailreich ausgeschmückt wurden. So erwähnt Torrejoncillo beispielsweise

516 „Opprobrium sempiternum dedit illis. Opprobrium sempiternum fuit: quia vilissima fuit hui-usmodi infirmitas. Et dicunt quidam quod hoc opprobrium sustinent iudaei: quia in vindictam dominicae passionis patiuntur fluxum sanguinis: et ideo sunt ita pallidi.“ Hugo Cardinalis:

Repertorium apostillarum utriusque testamenti Hugo Cardinalis, 6 Bde., Bd. 2, Basel: Ioannes Amerbachius, Ioannes petri & Ioannes froben, 1504, 187v.

517 „Por otra, de mil dolorosas muertes violentas, y de diversas enfermedades, y defectos infames, de que fueron herederos sus successores, naciendo muchos dellos, con colas de lagartos, y hazi-endo cursos de menstruos, o purgacion de cada mes, como las mugeres, y padecihazi-endo (dexando otros axes y males) ignominiosas, è inquietas almorranas, como a la letra lo afirma el Propheta, Percusit [sic] inimicos suos in posteriora, et opprobrium sempiternum dedit illis. Hiriò [Dios], dize, a sus enemigos, en las nalgas y partes secretas, para testigo vergonçoso, y perpetua ignominia y confusion.“ Aznar Cardona: Expulsion iustificada de los moriscos (wie Anm. 394), 180v-181r [Hervorhebungen im Original].

zwölf Verfluchungen, die die verschiedenen jüdischen Stämme befallen würden, die bei der Kreuzigung Christi anwesend gewesen seien.518 Torrejoncillo stützt sich auf den Bericht eines italienischen Konvertiten Antonio Carrafa, der dreißig Jahre als Rabbiner in Mailand tätig gewesen und dann mit seiner Familie zum Christentum konvertiert sein soll. Über ihn und über seine Schrift herrscht allerdings einige Unklarheit.519 Ein ähnlicher Bericht, der sich offenbar auch an der Vorlage von Car-rafa orientierte, findet sich im deutschsprachigen Raum in einer Flugschrift.520 Jaime Pérez de Valencia (1408–1490) scheint hingegen eine andere Legende zugrunde zu legen, denn er spricht sogar von 24 Verfluchungen521, die sich jedoch diesmal nicht auf die Stämme verteilen. Die göttliche Verfluchung ergibt sich in den genannten Schriften klassisch aus dem Deizidvorwurf. Des Weiteren finden sich in dem Zitat von Aznar Cardona sowohl die männliche Menstruation als auch die Hämorrhoiden als getrennte Leiden, wobei Letztere durch den zitierten Bibelvers Bestätigung fin-den. Die im letzten Satz angesprochene Zeugenschaft erinnert an das augustinische Argument der Zeugenschaft der Juden für die Wahrheit des christlichen Evangeli-ums, testes in omnibus gentibus.522

Im weiteren Verlauf seiner Schrift macht Aznar Cardona die Verfluchungen auch für die Gruppe der Morisken fruchtbar, indem er u. a. den Deizidvorwurf auf den Vorwurf der Hostienschändung überträgt mit der Begründung, dass die Hostie

schließlich den mystischen Leib Christi darstelle:

„Wenn die Juden ihre ewige Verdammnis und diese Fluten an Peinigungen ereilten und sie diese begriffen, solche und so viele Verfluchungen; so dürften diese die hartnäckigen Mahometaner [die Morisken] [auch?] gemindert ereilen, da sie vom selben Verbrechen überzeugt sind, von Treulosigkeit und Aufsässigkeit, indem sie Christus in Form seines mystischen Leibes verfolgen und töten […].“523

518 Torrejoncillo: Centinela contra judíos, puesta en la torre de la Iglesia de Dios (wie Anm. 18), 519 Vgl. Anm. 23 in François Soyer: Popularizing Anti-Semitism in Early Modern Spain and its 174.

Empire. Francisco de Torrejoncillo and the ‚Centinela contra Judíos‘ (1674), Leiden und Boston 2014, 242.

520 Chrysostomus Dudulaeus: Bericht von einem Juden mit Namen Ahasverus ... Hierbey ist auch ein Bericht von den 12 Judischen Stammen, s.l. s.a. [ca. 1700].

521 Jaime Pérez de Valencia: Iacobus de Valentia in Psal. Davidicos, Lugduni [Lyon] 1540, 279v- 281r.

522 Zeugen unter allen Völkern, Aurelius Augustinus: De civitate dei, hrsg. v. B. Dombart/A.

Kalb, Corpus Christianorum. Series Latina XLVII/XIV, 1 u. 2, Turnhout 1955, Lib. XVIII, Cap. 46.

523 „Si a los Iudios por estar temosos en no querer ni oyr, ni recibir a Christo, les han sucedido, su sempiterna perdicion, y estos diluvios de tormentos, y los han comprehendido, tales y tantas maldiciones; a los pertinazes Mohametanos que [?] menos les sucedera, estando conuencidos del

An dieser Stelle zeigt sich, auf welche Weise die antijüdischen Topoi auch für die Apologien zu den Moriskenvertreibungen nutzbar gemacht wurden und wie stark sich die Vorwürfe gegen die Neuchristen – sowohl gegen die Conversos jüdischer Abstammung als auch gegen die Morisken – ähnelten. Interessanterweise bleibt bis auf diese sehr vage Übertragung der Verfluchungen auf die Morisken eine explizite Übertragung der „ jüdisch-männlichen“ Menstruation auf diese Gruppe im Allge-meinen jedoch aus.

Noch eine weitere Bibelstelle kam für die Erklärung der „jüdisch-männlichen“

Menstruation in der limpieza de sangre-Debatte zum Tragen, und zwar Deut 28,46:

„Für immer werden sie als Zeichen und Wunder an dir und an deinen Nachkommen haften.“524 Diese Stelle wurde für die mittelalterliche Argumentation noch nicht zurate gezogen, in der frühneuzeitlichen Debatte findet sie sich u. a. bei Valle de Moura525, Torrejoncillo526 und Gavilán Vela527 – in seiner Übersetzung der Schrift von Vicente

da Costa Matos. Letztere soll an dieser Stelle als Anschauungsmaterial dienen:

„[…] so scheint es, dass der Herr, seine ewige Rache achtend, dies zuvor derart geäußert hatte, als er, zu allen sprechend, sagt: Es wird unter Euch und Euren Nachkommen Wunder und ewige Zeichen geben; von welchen ein Zeichen besonders heraussticht, welches die Überlieferung an den direkten Nachfahren derer feststellt, die beim Tod von Jesus Christus, dem wahren Messias, das Blut auf sich und ihre Kinder nahmen, welches er [Christus] zur Heilung aller am Kreuz vergoss. Es besteht kein Zweifel, dass diese Blutfluss, Reinigung und Menstruation erleiden, wie einige Heilige und viele gewichtige Autoren bezeugen.“528 Zu Beginn des Kapitels von Vicente da Costa Matos über die wundersamen Zeichen, unter denen die Juden zu leiden hätten, werden diese als Monster der Natur

beschrie-mismo delicto, de infidelidad y rebeldia, persiguiendo y matando a Christo en su cuerpo mystico […].“ Aznar Cardona: Expulsion iustificada de los moriscos (wie Anm. 394), 181r.

524 In der Einheitsübersetzung, in der Vulgata: „Et erunt in te signa atque prodigia, et in semine tuo usque in sempiternum.“.

525 Valle de Moura: De incantationibus (wie Anm. 508), 249.

526 Torrejoncillo: Centinela contra judíos, puesta en la torre de la Iglesia de Dios (wie Anm. 18), 168.

527 Costa Matos: Discurso contra los judíos (wie Anm. 69), 167.

528 „[…] lo que parece que respectando el Señor su eterna vengança, lo auia dicho ansi antes, quando hablando con todos les dize: Abra entre vosotros, y vuestra posteridad prodigios y señales perpe-tuas: de las quales es bien notable vna que la tradicion auerigua en los descendientes por linea recta, de los que en la muerte de Iesu Christo Messias verdadero tomaron la sangre que para remedio de todos se derramo en la Cruz, sobre si, y sobre sus hijos, los quales no ay duda que padecen fluxo de sangre, purgacion y menstruo, como algunos sanctos lo testifican, y muchos Autores graves […].“ Ebenda, 167.

ben, monstruos suyos, partos informes de su perfeccion529. Daraufhin werden die den Juden zugeschriebenen Kennzeichnungen mithilfe der Bibelstelle aus dem Buch Deuterono-mium erklärt. Blutfluss, Reinigungsfluss und Menstruation, die hier als Aufzählung und nicht wie üblich als Synonyme füreinander genannt werden, stehen hierbei an erster Stelle, wobei dieses Phänomen nicht für alle Juden, sondern nur für die direk-ten Nachkommen der Selbstverfluchung aus dem Matthäus-Evangelium gelte. Für alle Jüdinnen und Juden – todos los Iudios, y Iudias – wird jedoch zudem angenommen, dass sie am Karfreitag unter Blutfluss leiden würden, wodurch ihre Blässe zu erklären sei. Die Blässe erinnert an die Stelle aus der Schrift von Hugo von Saint-Cher. Im Folgenden wird das Ganze durch den Ritualmordvorwurf vervollständigt.

Neben den genannten Bibelversen (Mt 27,25, Ps 78,66, Deut 28,46) stützte sich das Motiv der „jüdisch-männlichen“ Menstruation theologisch zudem auf die anti-jüdischen Legenden der göttlichen Strafen, wie sie beispielsweise vom oben bereits erwähnten Jaime Pérez de Valencia vertreten wurden. Im Kontext von Psalm 108,1–5 der Vulgata (in den deutschen Bibelübersetzungen Ps 109,1–5) kommt der Augusti-ner und Universitätsprofessor in Valencia auf die 24 Verfluchungen, maledictiones, zu sprechen, die Gott den Juden als Strafe zugefügt habe. In der 22. maledictio behandelt er das Thema der „jüdisch-männlichen“ Menstruation:

„Die 22. [Verfluchung] ist, dass diese Verfluchung und Plage nicht nur äußerlich und kör-perlich, sondern auch innerlich und geistig ist, sodass sie nicht nur Qualen und Schmach durch die Christen und Sarazenen erleiden, sondern auch innerlich schlimmste und unge-heuerliche Krankheiten. Denn einige leiden wie die Frauen unter Menstruation, und einige können weder zum Himmel aufblicken noch die Sterne zählen oder in die Höhe spucken, welche gleichsam jene sind, die Christus ins Gesicht spuckten und ihn am Kreuz verspot-teten. Und diese werden nicht nur von uns verachtet, sondern auch von den anderen Juden, wie es durch glaubwürdige Personen allgemein bekannt ist.“530

Hier werden die Repressionen und Pogrome gegen die Juden unter christlicher und muslimischer Herrschaft als Teil der Verfluchungen und damit der göttlichen Strafen dargestellt. Dabei unterteilt Jaime Pérez de Valencia die Bestrafung in die Gegensatz-paare außen/innen, körperlich/geistig. Die Repressionen gelten ihm als körperlich und 529 „[I]hre Monster, unförmige Ausgeburten ihrer Perfektion [bezogen auf die Natur]“, Ebenda, 530 „Vigesimasecunda est. quia ista maledictio et vexatio iudeorum non solum est ad extra corporaliter 166.

sed etiam ab intra et spiritualiter: quia non solum patiuntur tormenta et opprobria a christianis et sarracenis: sed etiam patiuntur ab intra pessimas et enormes egritudines. nam quidam pati-untur menstruum sanguinis sicut mulieres: et quidam non valent suspicere celum nec numerare stellas nec spuere in altum: sicut sunt illi qui spuerunt in faciem Christi: et qui improperarunt ei in cruce. et isti non solum contemnuntur a nostris: sed etiam a ceteris Judeis: ut compertum est a fidedignis.“ Pérez de Valencia: Iacobus de Valentia in Psal. Davidicos (wie Anm. 521), 281r.

von außen wirkend. Die den Juden, die an der Kreuzigung Christi beteiligt gewesen seien, zugeschriebenen Krankheiten werden als von geistiger, also transzendent-göttli-cher Natur und von innen wirkend eingestuft. Die „jüdisch-männliche“ Menstruation wird diesen Krankheiten zugerechnet. Die Abwertung dieser Gruppe der Juden wird von dem Augustiner noch durch das Argument verstärkt, dass sogar die übrigen Juden selbst die an der Kreuzigung Beteiligten und Bestraften verspotten würden. Die letzte Verfluchung bezieht sich wieder auf die Psalmen, und zwar auf den Vers: „Er [der Fluch]

werde für ihn wie das Kleid, in das er sich hüllt, wie der Gürtel, der ihn allzeit umschließt“

(Ps 109,19).531 Bei dieser letzten Verfluchung betont Pérez de Valencia zudem die Dau-erhaftigkeit der aufgezählten Verfluchungen, indem er die Passage wie folgt beschließt:

„Dies ist die 24. Verfluchung, denn viele erleiden manche Übel eine Zeit lang, aber die Juden erleiden zuvor genannte Verfluchungen beständig und immer, gleichwie sie nicht ohne Kleidung sein können. Folglich sind die vorgenannten Defekte ihnen in jeder Hin-sicht immer eine Bedeckung, Umhüllung wie ein Gürtel, der sie allzeit umschließt. Und dies nicht nur körperlich, sondern auch geistig, innerlich und äußerlich, und jetzt und in Zukunft, womit sie immer umhüllt sind.“532

Durch diese letzte Verfluchung, die an Vers 19 aus dem Psalm 108 bzw. 109 angelehnt ist und sich auf alle vorigen anwenden lässt, kann Pérez de Valencia seinen Ausführun-gen eine bis dahin nicht gegebene Aktualität und Omnipräsenz verleihen. Auf diese Weise können Motive wie die „jüdisch-männliche“ Menstruation oder der ausblei-bende Speichelfluss für die limpieza de sangre-Diskussion fruchtbar gemacht werden.

Im Werk von Rodrigo de Yepes (16. Jh.), der in seiner Schrift den iberischen Ritu-almordfall des Niño de la Guardía behandelt, ist übrigens sogar von dreißig Verflu-chungen die Rede, angelehnt an die biblische Erzählung über die 30 Silberlinge, die Judas Ischariot für seinen Verrat erhielt. Im Gegensatz zu Pérez de Valencia führt dieser die verschiedenen Flüche nicht weiter aus, sondern nimmt auf eine Bibelstelle aus dem Alten Testament Bezug (Deut 28). Des Weiteren unterteilt er die Strafen in ewige und zeitliche, also jenseitige und diesseitige. Zu letzteren zählt für ihn auch

„die Krankheit des Blutes, die sie über sich und ihre Kinder bestellten“533.

531 In der Einheitsübersetzung, in der Vulgata: „Fiat [bezieht sich auf maledictio] ei sicut vestimen-tum quo operitur, et sicut zona qua semper præcingitur“ (Ps 108,19).

532 „[H]ec est. xxiiii. maledictio. nam multi patiuntur aliquod malum ad tempus: sed Judei patiuntur praedictas maledictiones iugiter et semper/sicut non possunt esse sine cooperimento. Sunt ergo omnia

532 „[H]ec est. xxiiii. maledictio. nam multi patiuntur aliquod malum ad tempus: sed Judei patiuntur praedictas maledictiones iugiter et semper/sicut non possunt esse sine cooperimento. Sunt ergo omnia

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