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Aus medizinischer Sicht

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 168-187)

3.3 „Jüdisch-männlicher“ Blutfluss im Mittelalter

3.4 Männliche und „jüdisch-männliche“ Menstruation in der Frühen NeuzeitFrühen Neuzeit

3.4.1 Aus medizinischer Sicht

Zum Einstieg sollen drei Berichte von menstruierenden Männern dienen, die auch schon im Aufsatz von Gianna Pomata als Beispiele für die Verbreitung von männ-licher Menstruation im frühneuzeitlichen medizinischen Diskurskomplex herange-zogen wurden. So berichtet der Arzt Johann Ludwig Hannemann (1640–1724) von einem Bremer Kleriker, der unter Hämorrhoiden litt und „wenn sie nicht zu einer feststehenden Zeit flossen, pflegte er unter den Symptomen zu leiden, unter denen auch Frauen bei einer unterdrückten Menstruation leiden“424. Die Verknüpfung zur weiblichen Menstruation wird in diesem Zitat also einmal explizit hergestellt, indem darauf verwiesen wird, dass der Kleriker unter denselben Symptomen leide wie Frauen, die unter einer unterdrückten Menstruation erkrankt seien. Dann findet sich aber auch ein impliziter Verweis, da die Hämorrhoidalblutungen zu einem bestimmten Zeitpunkt „stato tempore“ erfolgen müssen, sodass die Idee der Regularität, die auch bei der weiblichen Menstruation als Wesensmerkmal angenommen wird, anklingt.

Die Analogie zwischen Hämorrhoiden und Menstruation, die bereits in der Antike angesprochen und im Mittelalter erweitert wurde, wird in diesem frühneuzeitlichen Zitat erneut aufgegriffen und fortgeführt. Zudem fällt auf, dass zwar der Vergleich zur Weiblichkeit gezogen wird, dies jedoch auf eine neutrale Weise geschieht, sodass weder eine positive noch negative Konnotation vorherrscht.

Bei den beiden weiteren Fällen, die vom Grazer Stadtphysikus Johann Baptist Wenck beschrieben wurden, handelt es sich nicht um Hämorrhoidalblutungen, son-dern um periodisch auftretende Menstrualblutungen aus dem Penis der Männer, die Wenck als mikrokosmische Phänomene betitelt:

424 „Si non fluerent stato tempore, ea symptomata pati solebat, qvæ patiuntur mulieres in mensium suppressione“, Johann Ludwig Hannemann: XVIII. De haemorrhagia & haemorrhoidibus.

22. Oktober 1674, in: Acta Medica et Philosophica Hafniensia 3 (1674), 30; vgl. auch die Über-setzung von Gianna Pomata: „A clergyman in the Duchy of Bremen was prone to hemorrhoids, and if they did not flow at the appointed time he used to be afflicted by the same symptoms that trouble women when their menses are suppressed.“ Pomata: Menstruating Men (wie Anm. 321), 124.

„Unter den verschiedenen und beinahe zahllosen mikrokosmischen Phänomenen besetzt jenes nicht den letzten Rang, welches die Natur einigen Männern eingeräumt hat: ein periodisch auftretender, monatlicher Blut[fluss] zur Expurgation über den Penis, der allein dem weiblichen Geschlecht gemein ist.“425

Wenck hält an dieser Stelle somit fest, dass die Menstruation, der periodisch auf-tretende Blutfluss, ein ungewöhnliches Phänomen für den Mann – als menschlicher Mikrokosmos – sei, denn üblicherweise bleibe die Menstruation den Frauen vorbe-halten. Die beiden Fälle426, ein Mann aus Eggenberg und der andere aus Leoben, profitierten laut Wenck beide von ihrer männlichen Menstruation. So wurde der Eggenberger 105 Jahre alt und konnte sich an einer reichen Kinderschar erfreuen. Auch der Leobener zeugte Nachkommen. Als bei ihm jedoch die Blutungen ausblieben, endete auch seine Zeugungskraft, Krankheiten begannen ihn zu plagen, und er ver-starb. Die männliche Menstruation wird von Wenck für diese beiden Steirer folglich als Garant für ein langes Leben und Zeugungskraft gewertet und dessen Ausbleiben als schwerwiegende Gefahr für Leib und Leben. Nach dem Bericht über diese beiden Fälle verweist der Mediziner darauf, dass es sich bei der männlichen Menstruation bislang um ein Forschungsdesiderat handle, und stellt erste Überlegungen hierzu an:

„Vor allem was der periodisch auftretende Monatsfluss bei den Frauen ist, darüber herrscht bei allen Einigkeit, wozu jedoch oder in welcher Weise er bei den Männern zustande kommt, bleibt zu erforschen. Es ist gewiss, dass die Natur einen solchen Überfluss an Blutmenge über den Penis als Ausscheidungsweg wegzuschaffen suchte, wie es bei vielen anderen durch die Hämorrhoidalvenen und bei den Frauen durch die Vagina des Unterleibs und manchmal durch andere Emunctorien [Ausscheidungswege] geschieht. Woher aber jener Überfluss an Blut bei den Männern stammt und auf welche Weise jene Ausscheidung von-statten geht, ist äußerst schwer zu ergründen […].“427

425 „Inter varia & ferè innumera microcosmi phænomena, non postremum locum occupat illud, quod natura Viris quibusdam periodicam menstrualem sanguinis per penem concesserit expurgationem, quæ soli muliebri sexui communis est.“ Johann Baptist Wenck: Observatio CXXXVI. De duo-bus viris styriacis fluxum menstrualem sanguinis per penem patientiduo-bus, in: Miscellanea curiosa sive Ephemeridum medico-physicarum Germanicarum Dec. III. Annus IX & X (1706), 258–261, hier 258–259; vgl. auch die Übersetzung von Gianna Pomata: „Among the various and indeed almost numberless phenomena of the microcosm, one should be considered as most significant:

the fact that nature assigned to some men that which is common only to the female sex – viz., a regular, monthly discharge of blood from the genital parts.“ Pomata: Menstruating Men (wie Anm. 321), 109.

426 Vgl. Wenck: Observatio CXXXVI (wie Anm. 425), 259.

427 „Inprimis, quid periodicus menstrualis fluxus in mulieribus sit, omnibus constat, cur autem, aut quomodo in viris fiat, investigandum restat. Certum est, naturam hanc superabundantis san-guinis copiæ per penem evacuationis viam, sicut in pluribus aliis per hæmorrhoidales venas, &

in mulieribus per uteri vaginam, & aliquando per alia emunctoria quæsiisse. Unde autem illa

Der Grazer Arzt räumt ein, dass Formen von männlichem Blutfluss häufiger als Hämorrhoidalblutungen auftreten würden. Auch die vikariierenden Menstrualblu-tungen finden Erwähnung, wenn Wenck darauf verweist, dass die Blutabsonderung manchmal auch auf anderen Wegen – Emunctorien428 – geschehe. Dabei macht er bei all diesen Formen von Blutfluss die Natur verantwortlich, die über diese versuche, den Blutüberschuss abzusondern. Verglichen mit den antiken Ideen zu Ursachen und Wirkweisen der Menstruation vertritt Wenck somit eine durchaus gängige These.

Während er diese für den weiblichen Körper jedoch für ausgiebig erforscht erklärt, fehle eine genaue Untersuchung für den männlichen Körper, vor allem im Hinblick auf Herkunft des Menstrualblutes und Verlauf der Blutung selbst. Bei Wenck zeigt sich im gesamten Bericht seiner Beobachtung Observatio CXXXVI, dass er den weiblichen Körper zur Erklärung der männlichen Menstruation immer wieder zurate zieht und diesen – im Gegensatz zum männlichen Körper – für die Menstruation prädestiniert sieht. Im Hinblick auf Wenck ist somit klar der These von Gianna Pomata zuzu-stimmen, dass der weibliche Körper in diesem Rahmen zum Standard erhoben wird.

Die Analogie zwischen Hämorrhoidalblutungen und weiblicher Menstruation fin-det sich auch bei dem bedeutenden Anatom Andreas Vesal (1514–1564) in seinem Werk über den menschlichen Körperbau De humani corporis fabrica, welches 1543 erstmals in Basel veröffentlicht wurde. So schreibt er beispielsweise im dritten Buch, dass er davon überzeugt sei, dass das exkrementhaltige Blut „certis quibusdam intervallis, uti mulierum menstruae purgationes solent, per anum excerni.“429 Dieser Analogie kommt eine noch größere Bedeutung zu, wenn Vesal einen männlichen, unter Hämorrhoiden leidenden Körper seziert, um Antworten bezüglich der Ansammlung und des Flusses des Menstrualblutes bei weiblichen Körpern zu gewinnen.

Vesal stellt die Frage, ob das Menstrualblut sich im Hohlraum der Gebärmutter oder in den Venen des Gebärmutterhalses ansammle und später abfließe. Die erste Option zweifelt Vesal an und plädiert unter Heranziehung seiner Sektionserfahrung am männlichen, unter Hämorrhoiden leidenden Körper für die zweite.430 Dabei muss er jedoch eingestehen, dass er dieses Phänomen am weiblichen Körper selbst bislang nicht nachweisen konnte: „Obgleich ich im Übrigen auf gleiche Weise herleite, was

sanguinis exuberantia in Viris proveniat, & quomodo illius evacuatio fiat, dificilioris indaginis est […].“ Ebenda, 259.

428 Zu dem frühneuzeitlichen medizinischen Fachbegriff Emunctoria vgl. auch August Friedrich Hecker/Heinrich August Erhard (Hrsg.): Lexicon medicum theoretico-practicum reale oder allgemeines Wörterbuch der gesammten theoretischen und praktischen Heilkunde, Bd. 3, 1. Abt.

Erfurt und Gotha 1820, 178–179.

429 „[I]n gewissen festgesetzten Intervallen über den Anus ausgesondert werde, so wie die Frauen monatliche Reinigungsblutungen zu pflegen haben“; Andreas Vesalius: De humani corporis fabrica libri septem, Basel 1555, url: http://dx.doi.org/10.3931/e – rara – 7521 (besucht am 26. 02.

2019), 659.

430 Vgl. Pomata: Menstruating Men (wie Anm. 321), 111–112.

in den Frauen geschieht, habe ich dies jedoch niemals in einer Sektion beobachtet.“431 Seine Vorgehensweise legitimiert Vesal auch dadurch, dass er von einer natürlichen Korrespondenz weiblicher und männlicher Körper ausgeht.432 Weibliche Körper wür-den sich von männlichen nur durch ihre verstärkte Kälte und Feuchtigkeit unterschei-den.433 Bei Vesal treffen somit neue anatomische Erkenntnisse aufgrund der eigenen Sektionserfahrung auf die Übernahme antiker, z. B. galenischer und aristotelischer, Kenntnisse. Anatomische Studien und traditionelles Wissen generieren somit gemein-sam den neuen Wissensbestand.

Auf die frühneuzeitlichen Mediziner Vesal, Jean Fernel und Silvius – vermutlich ist Jacobus Sylvius bzw. Jacques Dubois, ein Lehrer Vesals, gemeint – verweist wie-derum der oft zitierte spanische Arzt Luis Mercado (1506–1620), der an der Univer-sität von Valladolid lehrte und Leibarzt sowohl Philipps II. als auch Philipps III.

war. Im Fokus seiner gynäkologischen Schrift De Mulierum ajectionibus steht jedoch die Auseinandersetzung mit den antiken Ärzten, insbesondere mit Galen. Schon im Allgemeinen Gelehrten-Lexicon, das von Christian Gottlieb Jöcher 1750/1751 in vier Bänden herausgegeben wurde, wird er als „grosser Verehrer des Galeni“434 bezeich-net. Zudem verfasste der spanische Mediziner auch ein Werk zur Pulsdiagnose, De pulsibus, welche in der galenischen Humoralpathologie als ein wichtiges Instrument zur Erkennung von Krankheiten galt. Jedoch besticht die gynäkologische Schrift Mercados gerade auch durch die enorme Bandbreite seiner Kenntnisse der antiken Werke und Gelehrten. So zitiert Mercado nicht nur Hippokrates, Galen und Aris-toteles, sondern zudem finden sich Referenzen zu Plinius dem Älteren, Demokrit, Aelianus, Solinus und Columella.435

Um sich dem Thema Menstruation zu nähern, konzentriert sich Mercado zunächst auf die offenen Fragen, die zu diesem Thema seit der Antike bestehen:

„[…] es liegt im Dunkeln, welches der Grund für die Menstruation und ihre Natur sei, welcher Art das Prinzip ihrer Reinigung und der Beschluss der Natur gewesen sei, diese [die Expulsion] zu bewirken.“436

431 „Caeterùm etsi perinde in mulieribus fieri colligo, id tamen sectione nunquam observavi […].“

Vesalius: De humani corporis fabrica libri septem (wie Anm. 429), 663; vgl. auch die Über-setzung von Gianna Pomata zur selben Ausgabe: „I infer from this […] that something similar happens in women, although I have never been able to actually observe it in the dissection of a female body.“ Pomata: Menstruating Men (wie Anm. 321), 112.

432 Vesalius: De humani corporis fabrica libri septem (wie Anm. 429), 659.

433 Ebenda, 662.

434 Anonym: s.v. Mercado, Ludovicus, in: Allgemeines Gelehrten-Lexicon 3 (1751), Abruf über Datenbank WBIS, 449–450, hier 449.

435 Mercado: De mulierum affectionibus, libri quatuor (wie Anm. 177), 17.

436 „[…] obscurum esse qualis sit menstruorum ratio, & natura, & quale fuerit eius purgationis prin-cipium, & naturæ decretum in eadem excitanda.“ Ebenda, 15.

Mit meiner Vorgehensweise im Abschnitt 3.2 Menstruationsvorstellungen in der Antike, die Ideen zur Menstruation anhand ihres Diskussionspotentials darzustellen, befinde ich mich somit in guter Gesellschaft. Im weiteren Verlauf seines Kapitels gruppiert Mercado die Fragen in vier Punkte:

„[…] zu klären ist: erstens, zu welchem Zeitpunkt er nach dem Gesetz der Natur fließen muss; zweitens, welcher Art die Beschaffenheit dieses Blutes sei; drittens, Zeit und Ursache der periodischen [Blut-]Ansammlung und Ausscheidung; vollends viertens und zuletzt, welches der Ort sei, in welchem [das Blut] angehäuft und wo es abgesondert wird.“437 Im weiteren Verlauf seiner Schrift handelt er die Punkte einzeln ab, referiert die anti-ken Standpunkte und bezieht selbst Position. Bezüglich der zweiten Frage nach der Beschaffenheit des Menstrualblutes lehnt Mercado beispielsweise die Vorstellung ab, dass es sich um eine gefährliche und schädliche Substanz handeln könne, wie dies Plinius berichtet. Stattdessen verweist er auf die Funktion des Menstrualblutes, wel-ches der Zeugung diene:

„Jedoch steht fest, dass Samen und Menstrualblut die Grundlagen der Zeugung bilden, folglich wird es also glaubhaft sein, dass sie von perfektester Natur sind.“438

Die gleiche hohe Qualität stellt er im Anschluss auch für die Substanz der Mutter-milch fest, da diese aus dem Menstrualblut gewonnen werde. Auch wenn Mercado Galen im Folgenden zitiert, weicht er an dieser Stelle doch von dessen Position ab, denn jener differenziert zwischen Samenfüssigkeit und Menstrualblut und definiert Ersteres als hochwertigere Verkochung. Mercado hingegen erwähnt diese Qualitäts-abstufungen zwischen Samenfüssigkeit, Menstrualblut und Muttermilch nicht und stellt alle drei als äußerst vollendete Substanzen dar. Dass das Menstrualblut von einigen als schädlich angesehen werde, erklärt Mercado übrigens mit dessen Fähig-keit zu verderben und zu korrumpieren - eo dum putrescit & corrumpitur 439 –, was wiederum zu Krankheiten führe.

Im Kontext seiner Kapitel über die weibliche Menstruation kommt Luis Mercado auch auf die uteri hæmorrhoydes bzw. die marisci440, die Mutterhämorrhoiden, zu spre-chen. In einem Handbuch für Chirurgie von 1832 wird das Vorkommen von Mutter-hämorrhoiden vorwiegend in der Gebärmutter und am Gebärmutterhals lokalisiert.

437 „[…] primum, quo tempore profluere ex naturæ lege teneatur: secundum, qualis sit eius sanguinis substantia: tertium, tempus & rationem congestionis & expulsionis periodicè: quartum verò &

vltimum, qualis sit locus in quo aggregatur, & per quem secernitur, explicare.“ Ebenda, 15.

438 „At generationis principia, constat esse semen & sanguinem menstruum, ergo esse naturæ per-fectissimæ credibile erit.“ Ebenda, 18.

439 Ebenda, 19.

440 Ebenda, 37.

Dabei beruft sich der Autor auf den antiken Arzt Aëtius.441 Mercado erwähnt in sei-nem Kapitel über die Frauen, bei denen die Menstruation gänzlich ausbleibt442, dass der Blutausfluss bei den Mutterhämorrhoiden aus den Venen erfolge, die am Gebär-mutterhals enden. Die inneren Gebärmuttervenen hingegen seien für das Menstru-alblut zuständig.443 Wenn das Blut nicht als Menstruation, sondern über Hämorrhoi-dalblutungen abfließe, könne sich der Arzt dieses für eine Heilung durchaus zunutze machen.444 Diese vikariierenden, fehlgeleiteten Blutungen betrachtet er prinzipiell als positiv, da sie eine Schwangerschaft begünstigen würden:

„Wenn sich die Natur nun aber über die Hämorrhoiden oder über den Urin der Menstru-ation entledige, tritt sie [die Natur] gesundheitlich weniger fehlerhaft zutage, da es [das Menstrualblut] im Übrigen der Empfängnis entgegensteht.“445

Bei Mercado lässt sich somit feststellen, dass er zwar auch den Vergleich zwischen Menstruation und Hämorrhoiden zieht, jedoch zugleich die beiden Phänomene dif-ferenziert betrachtet. So spricht er nicht von Hämorrhoiden im Allgemeinen, son-dern spezifisch von den Mutterhämorrhoiden, deren Blutfluss er in den Gebärmut-terhalsvenen verortet. Zugleich sieht er im fehlerhaften Blutfluss durchaus Vorteile, da das sich monatlich anstauende, überschüssige Blut einen Ausweg aus dem Körper findet und einer Empfängnis und somit einer Schwangerschaft nicht mehr im Wege steht. Somit erscheinen Mutterhämorrhoiden und Menstruation abgesehen von ihrer unterschiedlichen Verortung nahezu gleichwertig.

Auch bei Johann Schenck von Grafenberg (1530/31–1598), Stadtarzt in Freiburg im Breisgau, findet sich eine Differenzierung zwischen Hämorrhoiden und Menstrua-tion. In seinem Werk Observationum medicarum rariorum446 sammelte der Arzt neben seinen eigenen Fallbeschreibungen zudem die anderer, teils heute noch bekannter, Ärzte. Sein Kapitel über die Hämorrhoiden beginnt er mit der Anmerkung, dass die Neigung zu Hämorrhoiden durchaus in der Familie liegen könne, denn „in gewissen Familien sind Hämorrhoiden üblich“447. Hierbei beruft er sich auf den französischen Arzt Jacques Houllier († 1562) und Jakob Mock (Ende 16. bis Anfang 17. Jh.), Medi-zinprofessor in Freiburg im Breisgau. Des Weiteren stellt Johann Schenck zwischen

441 Kessler: s.v. Haemorrhoides Uteri, in: Joh. Nep. Rust (Hrsg.): Theoretisch-praktisches Hand-buch der Chirurgie, Berlin und Wien 1832, 118–121, hier 118.

442 Cap. V: De fœminis, quibus menses nunquam fluxerunt.

443 Mercado: De mulierum affectionibus, libri quatuor (wie Anm. 177), 37.

444 Ebenda, 35.

445 „Quòdsi per hæmorrhoydes, aut per vrinam natura menstruum purget, minùs sanè vitiosum exis-tit, cæterum conceptui obstat.“ Ebenda, 34.

446 Johannes Schenck von Grafenberg: Observationum medicarum rariorum, libri VII, s.l. s.a.

[vermutlich 1. Hälfte 17. Jh.].

447 „[Q ]uibusdam familiis consuetæ sunt hæmorrhoides“, Ebenda, 391.

Hämorrhoidenleiden und Menstruation einen Bezug her, u. a. in Anlehnung an Vesal.

Um diesen Bezug zu untermauern, stützt er sich auf eine Fallbeschreibung des ita-lienischen Arztes Marco Antonio Zimara (1470–1537) und eine über Johann Baptist Propola, verfasst vom portugiesischen Converso-Arzt Amato Lusitano (1510/11–1568), dessen Fälle im Folgenden noch genauer analysiert werden. Marco Antonio Zimara weiß zu berichten, dass er einen Mann gekannt habe, der unter monatlich auftre-tenden Hämorrhoiden litt und 80 Jahre alt war.448 Hier findet sich somit wieder die Verbindung zwischen monatlichen Hämorrhoiden und hohem Alter, die auch der

Grazer Arzt Wenck bei seinem Eggenberger Patienten erwähnt.

Des Weiteren hat Schenck in seine Sammlung auch den Bericht des deutschen Arztes Jakob Oætheus (16. Jh.) aufgenommen, der von vikariierenden Hämorrhoidalblutungen durch Blutspucken bei einem Patienten gehört hatte. Der Mann, der üblicherweise unter monatlichen Hämorrhoidalblutungen leide, habe bei deren Ausbleiben Blut gespuckt.449 Durch die Annahme einer Stellvertreterblutung wird somit eine weitere Verbindung zur Menstruation hergestellt. Natürlich könne die Hämorrhoidalblutung selbst auch als vikariierende Menses bei Frauen auftreten. Dieser Fall trete vor allem bei Jungfrauen und Schwangeren auf.450 Bezüglich der Schwangeren referiert Schenck eine Fallbeschreibung von Jacques Houllier, in der es um zwei adlige, schwangere Frauen geht, die während der Schwangerschaft unter Hämorrhoiden litten.451 Interes-santerweise ist dieser Fall bei Schenck dem Kapitel über die Hämorrhoiden zugeord-net und nicht dem über die Menstruation, obwohl er in letzterem ausführlich auf die verschiedenen Fälle der vikariierenden Menses eingeht. Im Menstruationskapitel wird jedoch ein weiterer Fall geschildert, der von dem Arzt Johannes Kentmann (1518–1568) stammt. In diesem geht es um eine Frau, die vier Jahre lang unter täglichen Blutun-gen leidet, wobei sich Hämorrhoiden und Menstruation je Mondphase abwechseln.

Das heißt, von Neumond bis Vollmond litt sie unter Menstruationsblutungen und von Vollmond bis Neumond unter Hämorrhoidalblutungen.452 Das Ordnungsschema von Schenck verweist den Leser darauf, dass er diesen Fall offenbar in erster Linie als eine Hyperkatharsis in Form einer übermäßigen Blutung ansieht und nicht als vikariierende Menses. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass Schenck auch eine neuere Heilmethode für Hämorrhoiden in seine Sammlung aufnimmt, über die der italienische Arzt Victor Trincavella (1476–1558) berichtet und die sich auf die antiken Quellen stützt. Hierbei handelt es sich um die Anwendung von Blutegeln, hirudines.453

448 Ebenda, 392.

449 Ebenda, 392.

450 Ebenda, 695.

451 Ebenda, 392.

452 Ebenda, 701.

453 Ebenda, 393.

Für die Sammlung an Fallbeschreibungen, Observationes, die Schenck zusammen-getragen hat, bleibt somit festzuhalten, dass er die Fälle von menstruierenden Män-nern seinem Kapitel über die Hämorrhoiden zuordnet, jedoch zwischen allgemeinen Hämorrhoidalblutungen und periodisch auftretenden Hämorrhoiden unterscheidet, die oftmals den Zusatz „wie die weibliche Menstruation“454 bekommen. Außer diesem Zusatz lässt sich jedoch keine Verweiblichung bei Schenck feststellen. Im Kapitel über die Menstruation geht es allein um die weibliche Menstruation und Schencks Inter-esse konzentriert sich vor allem auf die vikariierende Menses455, zu der er eine Reihe von Fallbeschreibungen gesammelt und teils nach dem Ort der Blutungen geordnet hat. So beginnt er seine Ausführungen beispielsweise mit dem Bericht über Blutun-gen über AuBlutun-gen und Ohren, gefolgt von Nase und Mund. Die Mutterhämorrhoiden, die bei Mercado Erwähnung finden, spielen für Schencks Ausführungen keine Rolle.

Nun sollen, wie angekündigt, die Fallbeschreibungen des Mediziners Amato Lusitano in seinem Werk Curationum medicinalium centuriae septem456 in den Blick genommen werden. Die Beschreibungen sind als die sieben Centurien bekanntge-worden. Der Mediziner nannte sie so, da er in jeder Centurie einhundert Fallbe-schreibungen erfasste. Amato Lusitano stammte aus einer Converso-Familie und war zunächst unter seinem Converso-Namen Juan Rodrigo del Castel Branco bekannt.

Castel Branco bei Beira war somit sein Geburtsort. In einer Fallbeschreibung, die er laut eigenen Angaben in Ancona im Mai 1550 verfasste, nennt er seinen vollen Namen und bezeichnet sich als „Amato Doctor medicus Castelli albi Lusitano“457. Den neuen Namen Amato, eine Latinisierung seines kryptojüdischen Namens Chabib, der Geliebte, kombinierte er somit mit seinem Geburtsort und mit Lusitano verwies er zudem auf seine portugiesische Herkunft. Er studierte Medizin an der Universität

Castel Branco bei Beira war somit sein Geburtsort. In einer Fallbeschreibung, die er laut eigenen Angaben in Ancona im Mai 1550 verfasste, nennt er seinen vollen Namen und bezeichnet sich als „Amato Doctor medicus Castelli albi Lusitano“457. Den neuen Namen Amato, eine Latinisierung seines kryptojüdischen Namens Chabib, der Geliebte, kombinierte er somit mit seinem Geburtsort und mit Lusitano verwies er zudem auf seine portugiesische Herkunft. Er studierte Medizin an der Universität

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