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Die jüdische Gesetzgebung

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 97-104)

2. Das unreine Blut neuchristlicher Ammen

2.2 Das mittelalterliche Verbot jüdischer Ammen

2.2.3 Die jüdische Gesetzgebung

Diese Gesetze erweisen sich insgesamt als sehr eindimensional. Zeigen sie doch nur die christliche Perspektive. Dank der Dissertation von Elisheva Baumgarten240 kann diese jedoch durch die jüdische ergänzt werden. Baumgarten hat in ihrer Arbeit das jüdische Familienleben anhand der verschiedenen Lebensstationen des Kleinkindes wie Geburt, Beschneidung und Stillzeit nachgezeichnet. Statt eine Binnenperspek-tive des jüdischen Familien- und Gemeindelebens zu vermitteln, hat sie dabei den Schwerpunkt auf die jüdisch-christlichen Beziehungen gelegt und liefert auf diese Weise interessante Einblicke in das alltägliche Zusammenleben der Juden und Chris-ten. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Autorin die aschkenasischen Verhältnisse im deutschen und nordfranzösischen Raum mit Schwerpunkt auf dem 238 „E la razon por que la eglesia e los emperadores e los reyes e los otros principes sofrieron a los judios beuir entre los cristianos es esta: por que ellos biuiessen como en catiuerio pora siempre e fuesse remembrança a los omnes que ellos uienen del linaje daquellos que crucificaron a Nuestro Sennor Jhesu Christo.“ Ebenda, 28.

239 Ebenda, 59.

240 Elisheva Baumgarten: Mothers and Children. Jewish Family Life in Medieval Europe, Prin-ceton 2007.

Hochmittelalter untersucht hat. Einen Vergleich zu der Situation der Sepharad auf der Iberischen Halbinsel lässt sich daher nur bedingt herstellen. Trotzdem halte ich einen solchen für lohnenswert, denn zum einen konzentriert sich die Studie Baum-gartens besonders auf die halachische Responsa-Literatur, die auch von den Sepharden rezipiert wurde, zum anderen fehlt bislang eine entsprechend ausführliche Studie für die sephardischen Verhältnisse. Nach Baumgarten gehörten christliche Ammen im jüdischen Haushalt zum Alltag. Als problematisch wurde von den Gelehrten teilweise die nicht koschere Ernährung der christlichen Amme oder die christlichen Wiegen-lieder, die die Amme sang, empfunden. Baumgarten wendet in diesem Zusammen-hang jedoch folgendes ein:

„It is noteworthy that despite their objections [der Rabbiner] – whether they be fear for the soul and future Jewish character of the child, or concern for the parent’s educational autho-rity, none of the sources state outright that Jews should not employ Christian wet nurses.“241 Dahingegen wurde von einigen rabbinischen Gelehrten die Praxis, das Kind in den Haushalt einer christlichen Amme und somit in einen christlichen Haushalt zu geben, explizit verboten.242 Hintergrund der Verbote und Einschränkungen war zum einen die Angst, die christliche Amme könnte das Kind bei fehlender Aufsicht töten, und zum anderen die aus jüdischer Sicht rituell unreine und nicht koschere Lebensweise des christlichen Haushaltes, welche das Kind negativ beeinflussen könnte.

In diesem Zusammenhang fällt auf, dass mehrere der von Baumgarten zitierten Gelehrten davon sprechen, dass die Christen unter dem Verdacht stünden, Blut zu vergießen.243 Bedenkt man die Bedeutung von Blut als wichtigen, wenn nicht sogar den wichtigsten Unreinheitsfaktor sowohl innerhalb der Tahara, der rituellen Rein-heit, als auch der Kaschrut, der Speisegesetze, so verwundert es nicht, dass das Ver-schütten von Blut als besonders heikel und gefährlich angesehen wurde.

Für die alltägliche Praxis kann Baumgarten jedoch für den nordfranzösischen Raum nachweisen, dass jüdische Eltern ihre Kinder durchaus in die christlichen Haushalte der Ammen gaben. Da eine Amme im eigenen Haushalt einzustellen, generell mit erheblich höheren Kosten verbunden war, als das Kind in den Haushalt der Amme zu geben, wie Christiane Klapisch-Zuber anhand der florentinischen Haushaltsta-gebücher, den ricordanze, für den Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neu-zeit nachweisen konnte, lässt sich hinter dieser Praxis vor allem auch eine finanzielle

241 Baumgarten: Mothers and Children (wie Anm. 240), 138.

242 Vgl. Ebenda, 140.

243 Ebenda, 140.

Motivation vermuten.244 Elisheva Baumgarten hält den Aspekt der Ökonomie für das Ammenwesen ebenfalls für einen entscheidenden Gesichtspunkt.245

Inwieweit sich diese Erkenntnisse auch auf die Iberische Halbinsel übertragen lassen, bleibt unklar. Die rechtliche Grundlage im Spätmittelalter, die Taqqanot des Rabbiners Abraham Benveniste (ca. 1390-vor 1456), verbot generell das Wohnen einer Christin im jüdischen Haushalt. Meyer Kayserling (1829–1905), der die Taqqanot unter dem Titel Das Castilianische Gemeindestatut ins Deutsche übersetzt, kommentiert und veröffentlicht hat, schildert die einflussreiche Stellung Benvenistes, welcher im Jahr 1432 nicht nur zum Hofrabbiner, Rab de la Corte, sondern auch zum obersten Rich-ter, Juez mayor, über alle sephardischen Gemeinden des Kastilischen Königreiches erhoben wurde. Im selben Jahr wurden bereits die Taqqanot in Valladolid erlassen.246 Hierin heißt es:

„Ferner ordnen wir an, daß kein Jude eine Christin zur Bedienung halten, noch für bestän-dig mit ihr in seinem Hause wohnen darf, gleichviel ob gegen Lohn oder umsonst, indem daraus große Widerwärtigkeiten entstehen können und entstehen, und auch in früheren Zeiten, da die Gemeinden mehr Ruhe und Frieden genossen, diese Einrichtung unter ihnen getroffen wurde.“247

Hier zeigt sich ein klares Verbot und zudem wird, wie in den christlichen Gesetzes-texten der Iberischen Halbinsel, das Argument der Konfliktvermeidung angeführt.

Darüber hinaus wird auf die Tradition eines solchen Verbots verwiesen.

Die Frage stellt sich nun, welche Quellen einen Einblick in den praktischen All-tag des Ammenwesens auf der Iberischen Halbinsel liefern. José María Madurell Marimón248 hat in der Zeitschrift Sefarad insgesamt 107 Dokumente zu spätmittelal-terlichen Arbeitsverträgen von Juden und Neuchristen in Barcelona von 1349 bis 1416

244 Klapisch-Zuber: Blood Parents and Milk Parents (wie Anm. 147), S. 136.

245 Baumgarten: Mothers and Children (wie Anm. 240), 143.

246 Meyer Kayserling: Das Castilianische Gemeindestatut. Zugleich ein Beitrag zu den Rechts-, Rabbinats- und Gemeindeverhältnissen der Juden in Spanien, in: Jahrbuch für die Geschichte der Juden und des Judenthums 4 (1869), 263–334, hier 267, 291.

247 Übersetzung Meyer Kayserling; Original: „Otrosi ordonamos que ningun Judio non pueda tener pora que le sierva ó more con el dentro en su casa הוﬠיבקב cristiana alguna םנחב אלו דבשב אל por cuanto pueden nascer, y nascen grandes חולקח; y en los םינומדק םינמז que tenian mas טקשהו הולש los וייצי חולהק, habia esta הנקח entre ellos.“ Ebenda, 319.

248 José María Madurell Marimón: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416) I. Documentos para su estudio, in: Sefarad 16 (1956), 33–71; José María Madurell Marimón: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416) II. Documentos para su estudio (Continuación), in: Sefarad 16 (1956), 369–398 und José María Madurell Mari-món: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416) III. Documentos para su estudio (Conclusión), in: Sefarad 17 (1957), 73–102.

veröffentlicht.249 Darunter befinden sich auch sechs Ammenverträge, die Dokumente 21, 41, 47, 49, 50 und 53.

In allen Fällen wurden für jüdische Kinder auch jüdische Ammen angestellt. Chris-ten finden in den Verträgen nur als Zeugen oder Schreiber Erwähnung. Die Verträge wurden idealerweise zwischen dem Kindsvater und dem Ehemann der Amme geschlos-sen. Allerdings finden sich unter den sechs Verträgen bereits zwei Ausnahmen. In einem Fall schloss die Kindsmutter den Vertrag mit dem Ehemann der Amme (Dok.

41). In einem anderen waren die Vertragspartner der Vater der Kindsmutter und die Amme (Dok. 53), allerdings mit Erlaubnis ihres Ehemanns, wie im Text explizit aus-geführt wird. Der Kindsvater bekräftigte zwar auch den Vertrag, jedoch trat er nicht als Hauptvertragspartner in Erscheinung. Im Fürstenspiegel von Antonio de Gue-vara (ca. 1480–1545), den Carolyn Nadeau untersucht hat, behauptet dieser übrigens, dass die Mutter die Amme auswähle und der Vater ausschließlich die Entscheidung treffe, ob überhaupt eine Amme eingestellt werden solle oder nicht.250 In den spätmit-telalterlichen Ammenverträgen aus Barcelona erschließt sich eine solche Praxis nicht.

Was nun die genauen Arrangements betrifft, so fielen die Zahlungen recht unter-schiedlich aus und in einem Fall wird gar nicht erwähnt, in welchem Haushalt die Amme das Kind stillte (Dok. 53). Zwar erhielten alle Ammen, genauer das Ehepaar an sich, monatliche Zahlungen. Jedoch wurden teils zusätzliche einmalige Zahlungen (Dok. 21 und 49) geleistet, die man bei einem Vergleich nicht außer Acht lassen darf.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Kost und Logis vom Dienstherrn übernommen wurden, wenn die Amme in den Haushalt kam, aber auch hier gibt es Ausnahmen.

So versprach beispielsweise Juceffus (Dok. 21), dessen Ehefrau Cici als Amme für den Dienstherrn Abomario Isaachi in seinem Haushalt arbeiten sollte, dass er seine Frau in dieser Zeit mit allem Nötigen verpflegen werde:

„Ich, oben genannter Juceffus, verspreche Euch, unter genannter Strafe [10 barcelonesische Pfund] und Kraft des unterschriebenen Eides, dass ich dich [Abomario Isaachi] während der angegebenen Zeit von acht Monaten für meine Ehefrau mit Kost und allem ihr Nöti-gen versorNöti-gen werde.“251

249 Ergänzend lässt sich hier noch die Studie von Rebecca Lynn Winer erwähnen. Für die Zeit-spanne von 1295 bis 1380 hat sie Barceloneser Notariatsprotokolle untersucht und in diesen insge-samt 122 Referenzen auf Ammenverträge oder -rechnungen ausfindig machen können. Rebecca Lynn Winer: The Mother and the Dida [Nanny]. Female Employers and Wet Nurses in Four-teenth-Century Barcelona, in: Jutta Gisela Sperling (Hrsg.): Medieval and Renaissance Lacta-tions. Images, Rhetorics, Practices, Farnham und Burlington 2013, 55–78; vgl. auch Gebke: Das Erbe der Milch (wie Anm. 145).

250 Nadeau: Blood Mother/Milk Mother (wie Anm. 148), 166.

251 „Insuper ego dictus Juceffus, promito vobis, sub dicta pena [X librarum barchinonensium] et virtute juramenti subscripti, quod infra dictum tempus octo mensium providebo te uxore mee,

Der Dienstherr kam in diesem Fall also nur für die Unterkunft, aber nicht für die Verpflegung der Amme auf. Auf der anderen Seite lässt sich feststellen, dass der Dienstherr, wenn die Amme das Kind im eigenen Haushalt stillte, auch ein Aufent-haltsgeld, logerium252 (Dok. 21 & 47), für sein Kind entrichtete.

Zwei Dokumente bieten uns jedoch einen sehr direkten Vergleich, da es sich um denselben Dienstherren Asquia de Millan handelt, der darum bemüht war, eine Amme für seine Tochter Benadominam (Dok. 49)253 bzw. Benadonam (Dok. 50)254 einzustellen. Trotz der unterschiedlichen Schreibung des Namens der Tochter ist aufgrund der zeitlichen Nähe und Abfolge der Verträge davon auszugehen, dass es sich hier um denselben Säugling handelte, denn Dokument 49 wurde am 14. Februar 1387 ausgestellt und am 1. März wurde der Vertrag von einer Seite aufgekündigt, und Dokument 50 wurde am 11. März ausgestellt.

Der erste Vertrag legte fest, dass Benadominam im Haushalt der Amme Joyam und ihres Ehemanns Centou Guebbay, einem Würfelhersteller, „cum media lacte“255 mitgestillt werden sollte, wobei die Amme mit dem Kind auch einige Nächte im Haushalt des Dienstherrn verbringen sollte. Für diesen Dienst sollte das Ehepaar 20 Barcelonesische Schilling monatlich und eine einmalige Zahlung von 44 Schilling zum Pessachfest erhalten.

Der zweite Vertrag hingegen sah vor, dass Benadonam im Haus des Vaters verblei-ben und dort von der Amme Aster gestillt werden sollte. Hierfür sollten die Amme und ihr Ehemann, der Schuster Salamonus Issach, 26 Schilling monatlich erhalten.

Das höhere monatliche Gehalt könnte jedoch nicht nur auf die Aufnahme im Haus-halt des Dienstherrn, sondern auch auf die Tatsache, dass der Säugling offenbar im zweiten Fall exklusiv gestillt wurde, zurückzuführen sein. Ein deutlicher finanzieller Mehraufwand, wie ihn Klapisch-Zuber für Florenz feststellte, lässt sich anhand der sechs Dokumente aus dem spätmittelalterlichen Barcelona für das Stillen im Haus-halt des Dienstherrn daher nicht belegen. Ein weiterer Grund könnte auch darin liegen, dass die Ammen, wenn sie das Kind in ihrem eigenen Haushalt stillten, sich in Barcelona, also in der unmittelbaren städtischen Umgebung und für die Dienst-herren gut zu erreichen, aufhielten. Klapisch-Zuber jedoch vergleicht vor allem die unterschiedliche Bezahlung der Ammen im Haushalt des Dienstherrn mit denen, die sich im florentinischen Umland in einem Umkreis von 15 Kilometer und sogar darüber hinaus befanden.256 Dieses Beispiel zeigt somit, dass bei diesen Vergleichen in comestione et aliis sibi necessariis.“ Madurell Marimón: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416) I (wie Anm. 248), 66.

252 Ebenda, 66.

253 Madurell Marimón: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416) II (wie Anm. 248), 383–384.

254 Ebenda, 384.

255 Ebenda, 383.

256 Klapisch-Zuber: Blood Parents and Milk Parents (wie Anm. 147), 137.

doch Vorsicht geboten ist und die regionalen Unterschiede nicht zu unterschätzen sind. Aufgrund der äußerst spärlichen Quellenlage, muss ein solcher Vergleich trotz allem manchmal gewagt werden.

Bislang ging es in den jüdischen Gesetzestexten ausschließlich um die christliche Amme im jüdischen Haushalt. Was nun den umgekehrten Fall betrifft, den einer jüdischen Amme für ein christliches Kind, so zeigt sich, dass das talmudische Traktat Avodah Zara dies strikt verbot. Die mittelalterliche halachische Literatur widmete die-sem Phänomen kaum Beachtung und gab nur die talmudische Position ohne weitere Anmerkungen und Kommentare wieder. Baumgarten hat keinen einzigen Hinweis auf einen solchen Fall in der alltäglichen Praxis finden können und kommt zu dem Fazit:

„Jewish women were forbidden to serve as wet nurses for non-Jewish children under any circumstances. The reason for their absolute and complete denial of permission was theolo-gical – a Jewish woman who nursed the son of a gentile idol worshiper was helping to raise a future idol worshiper, a practice no Jew should abet. Finding such cases in medieval sources is difficult. Considering all the practical problems that might arise from such a situation, it is hard to imagine a situation in which Jewish women would work in Christian homes.

One can assume that such women, if they existed, were on the margins of Jewish society.“257 Dieses Verbot war offenbar auch in frühneuzeitlichen christlichen Kreisen bekannt.

So berichtet der italienische Dominikaner Giovanni Ludovici Vivaldi († 1540)258 von den Grausamkeiten, die im jüdischen Talmud gegen die Christen stehen würden, und schreibt: „Ebenso da die jüdische Frau eine große Sünde begeht, wenn sie das Kind von Christen stillt.“259

Wenn es jedoch gar keine jüdischen Ammen für christliche Kinder gab, warum kam es dann immer wieder zu entsprechenden Verboten durch die Cortes, durch die Provinzialsynoden und durch das Papsttum? Basierte die Gesetzgebung vielleicht gar nicht auf der alltäglichen Praxis, sondern war schlicht darum bemüht, jede private Kontaktmöglichkeit zwischen Juden und Christen – also auch nur hypothetische – zu unterbinden? Oder gab es regionale Unterschiede? Sollten auf der Iberischen Halb-insel sephardische Ammen für christliche Kinder womöglich üblich gewesen sein, während im deutschen und nordfranzösischen Raum für aschkenasische Ammen die Pflege christlicher Kinder undenkbar war?

Die sechs Ammenverträge des spätmittelalterlichen Barcelonas enthalten keinen derartigen Fall, nicht einmal neuchristliche Dienstherren sind hier vertreten.

257 Baumgarten: Mothers and Children (wie Anm. 240), 143.

258 Zu Giovanni Ludovici Vivaldi vgl. auch das Unterkapitel 3.4.3 Der Sonderfall Juan de Quiñones, da Quiñones ihn als eine seiner theologischen Referenzen zitiert.

259 „Etiam quia mulier iudea committit magnum peccatum in lactando filio christiani.“ Johannes Ludovicus Vivaldus: Opus regale, Lyon: Stephano Gueynard, 1508, 181v.

gesamt lässt sich unter den 107 Arbeitsverträgen nur 1 finden, in dem ein jüdischer Goldschmied für einen christlichen Dienstherrn (Dok. 5) arbeitete.260 Christliche Zeugen, auch in den Ammenverträgen, sind hingegen keine Seltenheit. Dies kön-nen beispielsweise sogar Geistliche sein, so wird in Dokument 47 der Pfarrgeistliche der Kirche Beata Maria von Mollet261 aus der Diözese Elne262 Poncio de Conomines,

„rectore eclesie beate Marie de Molleto, elnensis diocesis“263 als Zeuge genannt.

Dass es jedoch zumindest neuchristliche Dienstherren gab, beweist ein von Hering Torres untersuchter Inquisitionsprozess im aragonesischen Königreich, genauer in Teruel, der Ende des 15. Jahrhunderts gegen den Händler Luís Santángel und seine Ehefrau Brianda Besante angestrengt wurde. Ihnen wurde vorgeworfen, heimlich den jüdischen Glauben zu praktizieren. Für Brianda Besante wurde jedoch zudem die Tatsache verhängnisvoll, dass sie eine jüdische Amme für ihre Tochter einge-stellt hatte.264 Auf diesen Prozess wird später noch näher einzugehen sein. In diesem Zusammenhang soll er zunächst nur als Nachweis dienen, dass es zumindest jüdische Ammen für neuchristliche Kinder gab.

Zudem findet sich in einer Regionalstudie von Sara T. Nalle265 zu den Conversos von Sigüenza auch der Nachweis einer christlichen Amme für ein neuchristliches Kind.

Bei dem Säugling handelt es sich um Juan de Torres, einen aufstrebenden Converso in höchsten Diensten, der von der Inquisition verfolgt wurde. Bevor es jedoch dazu kam, hatte sein Vater alles daran gesetzt, seinem Sohn eine möglichst vollkommene Integration – man könnte hier wohl auch von Assimilation sprechen – in die alt-christliche Gesellschaft zu ermöglichen. So schickte er sein Kind aufs Land, in eines der nahegelegenen Dörfer um Sigüenza, und ließ ihn dort von einer altchristlichen Amme aufziehen. Nalle sieht in dieser Handlung zudem einen Bruch gesellschaftli-cher Tabus266, was den Willen der Familie Torres nach einem reibungslosen Eintritt des Kindes in die altchristliche Gesellschaft noch stärker zeigt, wenn sie bereit waren, sich dafür über gesellschaftliche Tabus hinwegzusetzen. Und die steile Karriere, die 260 Vgl. Madurell Marimón: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416)

I (wie Anm. 248), 43, 52–53.

261 Vermutlich ist das heutige Mollet de Peralada gemeint. Die Kirche steht heute nicht mehr.

262 Elne liegt in den Orientalischen Pyrenäen und gehört heute zur französischen Region Langue-doc-Roussillon.

263 Madurell Marimón: La contratación laboral judaica y conversa en Barcelona (1349–1416) II (wie Anm. 248), 382.

264 Max Sebastián Hering Torres (Hrsg.): Cuerpos anómalos, Bogotá 2008, 116; Max Sebastián Hering Torres: Cuerpo, Misoginia y Raza. España y América en los siglos XVI–XVII, in:

Yolanda Aixelà Cabré et al. (Hrsg.): Desvelando el cuerpo. Perspectivas desde las ciencias sociales y humanas, Madrid 2010, 145–156, hier 151; Manuel Sánchez Moya/Jasone Monasterio Aspiri: Los judaizantes turolenses en el siglo XV. Continuación, in: Sefarad 32 (1972), 307–340, hier 335.

265 Nalle: A Forgotten Campaign against the Conversos of Sigüenza (wie Anm. 74).

266 Ebenda, 13.

Juan Torres zunächst einschlägt, scheint der Familie in diesem Punkt Recht zu geben.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass bei der Entscheidung, das Kind zu einer Amme aufs Land zu schicken, nicht zusätzlich finanzielle Überlegungen eine Rolle spielten, da die Amme auf dem Land – ob nun alt- oder neuchristlich – vermutlich die kostengünstigere Variante zu einer Amme in der Stadt darstellte.

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 97-104)