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Die Siete Partidas

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 93-97)

2. Das unreine Blut neuchristlicher Ammen

2.2 Das mittelalterliche Verbot jüdischer Ammen

2.2.2 Die Siete Partidas

Ähnlich verhielt es sich offenbar auch mit dem wohl bekanntesten Rechtscorpus des iberischen Mittelalters, den Siete Partidas des kastilisch-leonesischen Königs Alfons X. (1221–1284), genannt der Weise, el Sabio. So geht Yitzhak Baer davon aus, dass die Gesetzessammlung, obwohl im 13. Jahrhundert entstanden – der König hatte sie 1256 in Auftrag gegeben –, erst ab der Mitte des 14. Jahrhunderts angewandt wurde und seine Gesetzesvorgaben bezüglich der Juden kaum Beachtung fanden.228 Trotz dieser fehlenden praktischen Umsetzung erwiesen sich die Siete Partidas weit über das Mittelalter hinaus in den theoretischen Auseinandersetzungen der Gelehrten als wichtige Referenz und das auch jenseits der Grenzen der Iberischen Halbinsel. So stand selbst die Sklavengesetzgebung der spanischen Kolonien noch unter dem Ein-fluss der Siete Partidas229.

Zwei Passagen im Hinblick auf die Wahrnehmung der jüdisch-christlichen Bezie-hungen lassen sich besonders hervorheben: Zum einen das Dienstbotenverbot (SP 7.24.8), das verhindern sollte, dass christliche Dienerinnen und Diener – und somit auch Ammen – für jüdische Haushalte arbeiteten, und zum anderen die Vorgabe der vollen Anerkennung der Neuchristen als Christen, denn ihnen sollten die gleichen Privilegien und Ämter zustehen wie den Altchristen (SP 7.24.6). Für die jüdische Bevölkerung hingegen bestand ein striktes Ämter- und Ehrverbot (SP 7.24.3). Somit wurde eine klare Unterscheidung zwischen Juden und Neuchristen getroffen und die Neuchristen wurden in vollem Umfang als Christen anerkannt. Dass dies offen-bar nicht unbedingt der alltäglichen Lebenswirklichkeit entsprach, lässt sich bereits anhand der Formulierungen im Gesetzestext selbst vermuten. So heißt es bezüglich der Konversionsfälle:

227 Vgl. Cantera Montenegro: La mujer judía en la España medieval (wie Anm. 222), 54.

228 Yitzhak Baer: A History of the Jews in Christian Spain I. From the Age of Reconquest to the Fourteenth Century, übers. v. Louis Schoffmann, Philadelphia 1961, 116.

229 Alejandro de la Fuente/Ariela J. Gross: Comparative Studies of Law, Slavery and Race in the Americas, in: University of Southern California Legal Studies Working Paper 56 (2010), 1–40, hier 3.

„Außerdem befehlen wir, dass, nachdem einige Juden zu Christen wurden, alle in unserem Herrschaftsbereich sie ehren sollen und niemand es wage, ihnen oder ihren Nachkommen ihre jüdische Vergangenheit als Schmähung vorzuwerfen. Und dass sie ihre Güter und Besitztümer mit ihren Brüdern teilen und von ihren Eltern und von ihren weiteren Ange-hörigen erben können, so, als wenn sie Juden wären. Und dass sie alle Ämter und Würden erlangen können wie die anderen Christen.“230

Wenn somit explizit Schmähungen und Beleidigungen der Neuchristen bezüglich ihrer jüdischen Herkunft untersagt wurden, liegt die Annahme nahe, dass gerade solche im Alltag nicht unüblich waren. Die Problematik, dass die Konvertiten für viele Altchris-ten Juden blieben und nicht als nun zu ihnen gehörig empfunden wurden, findet sich im Kern also bereits im Mittelalter. Der zweite Satz, in dem u. a. Fragen des Erbens geregelt werden, fordert sogar noch einen weiteren Schritt der Anerkennung ein. Hier wird explizit herausgestellt, dass die Neuchristen trotz ihrer Konversion ein Anrecht darauf haben sollten, im jüdischen Erbrecht in vollem Umfang Berücksichtigung zu finden, „so, als wenn sie Juden wären“. Dass diese Bestimmung im Spätmittelalter auch praktische Umsetzung fand, belegt der Aufsatz von Eugenio Benedicto Gracia231. Er hat Testamente aragonesischer Jüdinnen und Juden im 15. Jahrhundert untersucht, die von christlichen Notaren aufgesetzt wurden. In seinem Quellenkorpus finden sich auch neuchristliche Begünstigte. Der letzte Part zielt dann auf die Ämter und Wür-den in der christlichen Gesellschaft, an Wür-denen die zum Christentum Konvertierten auch Anteil haben sollten. Auch diese Betonung der Teilhabe lässt vermuten, dass der Zugang zu solchen Ämtern für die Neuchristen nicht immer reibungslos verlief.

Die Beziehungen zwischen Juden und Christen wiederum stellen sich auf privater Ebene in der Gesetzessammlung idealiter als zwei Paralellen ohne jeglichen Kontakt zueinander dar. Nur im öffentlichen Bereich sind gelegentliche Überschneidungen der Geraden vorgesehen. In den Siete Partidas wird dieser Zustand wie folgt beschrieben:

„Gesetz VIII ,Dass kein Christ oder eine Christin in einem jüdischen Haushalt leben darf‘

Wir bestimmen, dass kein Jude sich erdreiste, einen Christen oder eine Christin in sei-nem Haus aufzunehmen, um sich von ihnen bedienen zu lassen. Sie [die Juden] dürfen sie [christliche Bedienstete] jedoch einstellen, um ihre auswärtigen Erbhöfe zu bewirtschaften 230 „Otrossi mandamos que despues que algunos judios se tornaren cristianos que todos los de nue-stro sennorio los onrren e ninguno non sea osado de retraer a ellos nin a su linaje de como fue-ron judios en manera denuesto. E que ayan sus bienes e sus cosas partiendo con sus hermanos e heredando a sus padre…los otros sus parientes bien assi como si fuessen judios. E que puedan auer todos los oficios e las onrras que an los otros cristianos.“ Dwayne E. Carpenter: Alfonso X and the Jews. An Edition of and Commentary on Siete Partidas 7.24 ‚De los judíos‘, Berkeley, Los Angeles und London 1986, 33–34.

231 Eugenio Benedicto Gracia: Últimas voluntades de judíos aragoneses formalizadas ante nota-ries cristianos de Huesca, in: Sefarad 71.2 (2011), 435–469, hier 436.

und in Ordnung zu bringen oder um sich von ihnen geleiten zu lassen, wenn sie sich an einen zweifelhaften Ort begeben müssen. Außerdem bestimmen wir, dass kein Christ oder Christin einen Juden oder eine Jüdin einlade noch eine Einladung von ihnen annehme, um nicht gemeinsam zu essen und zu trinken noch den Wein zu trinken, den die Juden selbst hergestellt haben. Auch befehlen wir, dass kein Jude es wage gemeinsam mit Christen das Bad zu besuchen. Außerdem bestimmen wir, dass kein Christ Medikation oder Abführ-mittel erhalte, die von jüdischer Hand hergestellt wurden, aber er kann sie jedoch durch den Ratschlag eines gelehrten Juden erhalten, allerdings nur, wenn sie von einem Christen erstellt wurden, der die Inhaltsstoffe kennt und versteht.“232

Im privat-häuslichen Bereich sollte also jeder Kontakt vermieden werden. Gemeinsa-mes Essen und Trinken oder gemeinsaGemeinsa-mes Baden blieben Christen und Juden unter-sagt. Die privaten Lebensräume sollten sich nicht überschneiden. Dass man sich dies tatsächlich auch räumlich vorzustellen hat, zeigt ein Dokument, ausgestellt von König Jakob I. von Aragon (1208–1276) in Valencia am 25. August 1273. Dieses Schriftstück richtete sich an das jüdische Viertel, die aljama, Mallorcas und bestätigte den dort lebenden Juden ihre Privilegien und erworbenen Häuser. Des Weiteren erlaubte der aragonesische König ihnen, weitere Häuser von Christen zu kaufen, jedoch mit der Einschränkung, dass sie mit den Christen weder Haustür noch Eingangsportal teilen, sprich mit ihnen zusammen unter einem Dach leben, dürften.233

Diese strikte Trennung der Lebensbereiche erklärt sich – der Argumentation der Siete Partidas folgend – zum einen aus dem steten Bemühen um jegliche Kon-fliktvermeidung und zum anderen aus der Idee der ewigen Gefangenschaft der Juden.

Zunächst zur Konfliktvermeidungsstrategie: Dass Juden und Christen nur neben-, aber nicht miteinander leben könnten, ist eine im Mittelalter durchaus weitverbreitete Annahme. Auch in päpstlichen Schreiben wurde auf dieses Argument zurückgegrif-fen. So wandte sich beispielsweise Benedikt XII., der von 1334 bis 1342 als Papst in Avignon residierte, am 8. Januar 1340 mit einem Brief an die Adligen von Aragon,

232 „Ley viij ‚Como ningund cristiano nin cristiana non deue fazer uida en casa de judio‘ Defendemos que ningund judio non sea osado de tener en su casa cristiano nin cristiana pora seruirse dellos, como quier que los puedan auer por labrar e enderesçar sus heredades de fuera o pora guiarlos en camino quando ouiessen a ir por algund logar dubdoso. Otrossi defendemos que ningund Cris-tiano nin cristiana non combide a judio nin judia nin resciba otrossi combite dellos pora comer nin beuer en uno nin beua del uino que es fecho por mano dellos. E aun mandamos que ningund judio non sea osado de bannarse en banno en uno con los cristianos. Otrossi defendemos que ningund Cristiano non resciba melezinamiento [medicinamiento] nin purga que sea fecha por mano de judio, pero bien la puede rescebir por consejo de algund judio sabidor solamientre que sea fecha por mano de cristiano que connosca e entienda las cosas que son en ella.“ Carpenter:

Alfonso X and the Jews (wie Anm. 230), 34–35.

233 Jean Régné: History of the Jews in Aragon. Regesta and Documents 1213–1327, hrsg. v. Yom Tov Assis, Hispania Judaica 1, Jerusalem 1978, 96.

Valencia und Barcelona, in welchem er sie ermahnte und an das Verbot des Zusam-menlebens von Christen mit Juden und Muslimen erinnerte.234 Am 9. Januar folgte ein Brief an den aragonesischen König, in dem er die Gründe für ein Verbot des Zusammenlebens von Juden mit Christen und Muslimen noch detaillierter ausführ-te.235 In der alfonsinischen Gesetzessammlung findet sich das Argument der Kon-fliktvermeidung explizit im elften Gesetz (SP 7.24.11), welches den Juden vorschrieb, ein sie markierendes Unterscheidungskennzeichen zu tragen, wie den gelben Ring an der Kleidung, den man im Mittelalter häufig als Kennzeichen verwandte. Begründet wurde dieses Gesetz folgendermaßen:

„Viele Irrtümer und unangebrachte Dinge fallen zwischen Christen und Jüdinnen und Christinnen und Juden vor, weil sie zusammen in den Städten leben und wohnen und die einen wie die anderen gekleidet sind. Und um solche Irrtümer und Schäden, die aus die-sem Grund entstehen können, zu vermeiden, halten wir es für gut und befehlen, dass alle Juden und Jüdinnen, die in unserer Herrschaft leben, ein Zeichen über ihren Köpfen tragen sollen, sodass die Leute eindeutig erkennen können, wer Jude oder Jüdin ist.“236

Dwayne E. Carpenter sieht in seiner Untersuchung zur Judengesetzgebung der Siete Partidas dieses abschließende Gesetz als Leitmotiv des gesamten Abschnitts zur Judengesetzgebung:

„The concluding law ‚De los judíos‘ might have served quite properly as the initial statute of Siete Partidas 7.24, since the purpose of this legislation is to distinguish, and ultimately to separate, Jews from Christians.“237

Auf zwei Punkte ist insbesondere zu verweisen. Zum einen zielte das Gesetz darauf ab, vor allem die verbotenen (SP 7.24.9), sexuellen Beziehungen zwischen Juden und Christen zu unterbinden, d. h. die gleiche Kleidung, die ein Erkennen des religiö-sen und kulturell Anderen erschwerte, wurde vor allem als Gefahr im Hinblick auf

234 ASV: Benedikt XII., Avignon, 08.01.1340, Reg. Vat. 135, f 2 r, 3 r, n. III-VI. Litt. patens., Abruf über Datenbank: Ut per litteras Apostolicas, Nr. 002640.

235 ASV: Benedikt XII. Avignon 09.01.1340, Reg. Vat. 135, f. 1 r, n. I. Litt. patens., Abruf über Daten-bank: Ut per litteras Apostolicas Nr. 002671.

236 „Ley xj ‚Como los judios deuen andar sennalados por que sean connoscidos‘ Muchos yerros e cosas desaguisadas acaescen entre los cristianos e las judias e las cristianas e los judios porque biuen e moran de so uno en las uillas e andan uestidos los unos assi como los otros. E por desuiar los yerros e los males que podrien acaescer por esta razon, tenemos por bien e mandamos que todos quantos judios e judias biuieren en nuestro sennorio que trayan alguna sennal cierta sobre sus cabeças, e que sea atal por que connoscan las gentes manifeestamente qual es judio o judia.“

Carpenter: Alfonso X and the Jews (wie Anm. 230), 36–37.

237 Ebenda, 99.

intime Bindungen wahrgenommen. Zum anderen wurde in diesen das konfliktaus-lösende Element gesehen, welches zu „Irrtümern und unangebrachten Handlungen“

führen könne.

Dass sexuelle Beziehungen und privat-häusliches Zusammenleben nicht erwünscht waren, ist natürlich nicht allein auf diese Konfliktvermeidungsstrategie zurückzufüh-ren, sondern steht auch im Zusammenhang mit der generellen Stellung der jüdischen Minderheit in der christlichen Mehrheitsgesellschaft. So wurde angenommen, dass die Juden zur Strafe und in mahnendem Gedenken an den begangenen Deizid, den ihnen vorgeworfene Gottesmord, sich in einer ewigen Gefangenschaft befänden. In den Siete Partidas (SP 7.24.1) heißt es hierzu:

„Und der Grund, warum die Kirche und die Kaiser und Könige und die anderen Fürsten dulden, dass die Juden unter den Christen leben, ist dieser: weil sie wie in ewiger Gefan-genschaft leben und ständige Erinnerung an die Menschen sein sollen, dass sie von denen abstammen, die unseren Herrn Jesus Christus gekreuzigt haben.“238

Diese Auffassung spiegelt die theologisch vorherrschende Meinung der Zeit wider, und Alfons X. stellte sich somit in eine „well-established theological tradition“239, worauf Dwayne E. Carpenter verweist. Strafe und Gedenken waren die vorrangigen Motive der christlichen Machthaber.

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 93-97)