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Menstruierende Männer

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 130-133)

3. Die „jüdisch-männliche“ Menstruation

3.1 Menstrualblut zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit

3.1.3 Menstruierende Männer

Menstruierende Männer waren bereits in der Antike bekannt und somit nicht erst ein mittelalterliches oder frühneuzeitliches Phänomen. Dale B. Martin liefert in seinem Aufsatz Contradictions of Masculinity327 einen gelungenen Überblick über die Vorstel-lungen von männlicher Menstruation in der griechisch-römischen Antike und zudem eine These bezüglich ihrer Bedeutung. In seinem Aufsatz geht Martin der Frage nach, welche Rolle die Widersprüche im Männlichkeitsbild der griechisch-römischen Antike spielten. Hierzu deckt er zunächst zwei Widersprüche auf: zum einen die Frage von Sex versus Askese im Hinblick auf das Männlichkeitsbild, zum anderen die Frage der Menstruation, die die Frauen in der Antike als solche definierte, gleichzeitig aber auch bei Männern auftreten konnte. Martin kommt dabei zu dem Schluss, dass die in diesen Bereichen aufgedeckten Widersprüche das Männlichkeitsbild eher stärkten als schwächten und den Hütern dieser Männlichkeit, den antiken Medizinern der höheren Gesellschaftsschichten, eine gewisse Kontrolle und Autorität über das Männ-lichkeitsbild ermöglichten. Menstruation gemäß der antiken Medizin tritt Martin zufolge im idealen Körper nicht auf, denn beim monatlichen Blutfluss handle es sich nach den Lehren der antiken Medizin um eine Krise, die die Natur provoziere, um das Gleichgewicht wiederherzustellen:

„Menstruation is one of nature’s way of creating a crisis by means of which the body’s balance is restored. […] In the best of all possible bodies, menstruation would not be necessary.“328 Dies bedeutet folglich, dass in der antiken Medizin der bestmögliche, ideale Körper ohne Krisen, beispielsweise auch heilendes Nasenbluten, auskam bzw. auskommen musste, somit auch ohne Menstruation. In der Konsequenz konnten Frauen daher keinen idealen Körper besitzen, dieser blieb ausschließlich den Männern vorbehalten.

Effizienz und Maskulinität schlossen Menstruation in einem idealerweise gesunden, männlichen Körper also aus. Martin schreibt hierzu: „Efficiency is masculine; mas-culinity is efficient. So men don’t menstruate. But they do.“329

Folglich entsprach also nicht jeder männliche Körper automatisch dem männli-chen Gesundheitsideal und einige mussten auf die der Weiblichkeit zugeschriebenen Strategie der natürlichen Krisen zurückgreifen, um ihren Körper im Gleichgewicht zu halten. Die Frage liegt nahe, ob diese Männer damit als effeminiert galten und sie

327 Dale B. Martin: Contradictions of Masculinity. Ascetic Inseminators and Menstruating Men in Greco-Roman Culture, in: Valeria Finucci/Kevin Brownlee (Hrsg.): Generation and Degene-ration. Tropes of Reproduction in Literature and History from Antiquity through Early Modern Europe, Durham und London 2001, 81–108.

328 Ebenda, 101.

329 Ebenda, 102.

deswegen zum Gespött wurden. Dale B. Martin stellt sich dieser Frage und kommt zu folgendem Schluss:

„Were these men thereby stigmatized as effeminate? […] Unfortunately, we have no explicit information from the ancient world that could answer these questions. I know of no case in which bleeding men are explicitly labeled as feminized and overtly shamed by the flow.

Then again, we might imagine that such public labeling and discussion would have raised the contradictions of masculinity to such a level of explicitness that the result would have been uncomfortable or even intolerable for the men constructing the examinations and writing our texts. […] Thus men who experienced nosebleeds, hemorrhoids, anal blee-ding, or expectoration of blood were thereby susceptible to at least implicit, if not explicit, suspicion of femininity.“330

Hier wird ein wichtiger Punkt angesprochen, denn das Fehlen einer expliziten Stig-matisierung bedeutet nicht automatisch, dass es nicht – zumindest implizit – zu einer solchen kam. Die Frage stellt sich jedoch, inwieweit eine solche implizite Stigmatisie-rung nachgewiesen werden kann. Dale B. Martin muss sich in seinen AusfühStigmatisie-rungen an dieser Stelle auf entsprechende Vermutungen beschränken. Einen Indiz könnte jedoch jeweils auch der Kontext der Schrift liefern. Folglich sollten auch die Motivation und Intention der zu analysierenden Schriften nicht aus den Augen verloren werden.

Dass teils bewusst die Weiblichkeit ausgeblendet wurde, wenn von – zum Teil regu-lär – unter einem Blutfluss leidenden Männern die Rede ist, zeigt sich anhand einer Textpassage aus der Historia naturalis von Plinius dem Älteren. Diese Passage wird sowohl bei Dale B. Martin331 als auch bei Gianna Pomata332 angeführt. Ersterer nennt sie als Vorläufer für die vikariierende Menstruation, die vicarious menstruation, die in der Frühen Neuzeit und in der Neuzeit unter dieser Bezeichnung geläufig wurde und bei der die Mediziner annahmen, dass sich das Menstrualblut einen anderen Ausweg suche und es somit zu monatlichen Stellvertreterblutungen komme (z. B. monatliches Nasenbluten). In der Neuzeit bot die Theorie der vikariierenden Menstruation eine Art Hintertür, die strikte Trennung der Geschlechter aufzuweichen und bestimm-ten Männergruppen weibliche Attribute zuzuschreiben und sie somit bewusst zu effeminisieren. Klaus Hödl, der sich mit der Pathologisierung des jüdischen Körpers am Fin de Siècle auseinandergesetzt hat, beschreibt die Situation folgendermaßen:

„Der Zwiespalt, der durch die Kluft von geschlechtsidentitärer und interessenbedingter Ansicht der Ärzte auf der einen Seite und neuen, empirischen Erkenntnissen auf der ande-ren Seite bestand, sollte dadurch überbrückt werden, daß die

330 Martin: Contradictions of Masculinity (wie Anm. 327), 103.

331 Ebenda, 103.

332 Pomata: Menstruating Men (wie Anm. 321), 115.

pothese zu einer Schiene für eine ,rationale‘ Fundierung der gesellschaftlichen Vorurteile gegen ,Männer mit weiblichen Charakteristika‘ wurde. […] In diesem Sinn ,litten‘ Homo-sexuelle, Juden und auch Vagabunden, die ebenfalls als ,verweiblicht‘ galten […], an der Ersatzmenstruation.“333

Somit gelangte die männliche Menstruation über den Weg der vikariierenden Men-ses an der Jahrhundertwende zu erneuter Popularität trotz der klaren Unterscheidung zwischen Mann und Frau.

Mit Blick auf die antiken Theorien zur vikariierenden Menses klingt meines Erach-tens eine solche Idee der Stellvertreterblutungen eher im medizinischen Werk von Celsus De medicina IV als bei Plinius dem Älteren an, nämlich wenn Ersterer feststellt:

„Frauen, bei denen das Blut der Menstruation nicht gehörig abfließt, speien es oft aus“

(II,2).334 Gianna Pomata verweist bezüglich der Plinius-Passage vor allem darauf, dass diese im 18. Jahrhundert als Zeichen für Langlebigkeit durch periodisch auftretende Blutungen gelesen wurde. Da diese Passage somit nicht nur für die Antike, sondern auch für die Frühe Neuzeit eine wichtige Rolle spielte, soll sie an dieser Stelle in ihrer ganzen Länge wiedergegeben werden:

„Blutfluß findet nur bei Männern statt, und zwar aus einem oder beiden Nasenlöchern, bei einigen geht es aus dem Unterleib ab, bei vielen zu bestimmten Zeiten durch den Mund, wie kürzlich bei dem Prätorianer Macrinus Viscus; jedes Jahr geschah es bei dem Stadt-präfekten Volusius Saturninus, der sogar über neunzig Jahre alt wurde“ (XI.90(38).223).335 Das Zitat befindet sich im 11. Buch, das sich mit der Zoologie beschäftigt. Zuvor geht es um die Tiere und dann wird vergleichend hierzu der Mensch angeführt.

Weibliche Menschen finden gezielt keine Erwähnung und sollen meines Erachtens auch keine Erwähnung finden. Im Gegensatz zu der irreführenden Übersetzung der Tusculum-Ausgabe geht es also darum, dass von den männlichen Lebewesen nur der Mensch/Mann, homo, den Blutfluss kennt. Dieser Tier-Mensch-Vergleich wird von

333 Klaus Hödl: Die Pathologisierung des jüdischen Körpers. Antisemitismus, Geschlecht und Medizin im Fin de Siècle, Wien 1997, 216.

334 Übersetzung Schubert und Huttner; Original: „Saepe feminae, quibus sanguis per menstrua non respondit, hunc expuunt“ (II,2). Charlotte Schubert/Ulrich Huttner (Hrsg.): Frauenmedizin in der Antike, Düsseldorf und Zürich 1999, 162–163.

335 Übersetzung von König und Winkler in der Tusculum-Ausgabe; Original: „profluvium eius uni fit in maribus homini, aliis nare alterutra vel utraque, quibusdam per inferna, multis per ora stato tempore, ut nuper Macrino Visco praetorio viro et omnibus annis Volusio Saturnino urbis praefecto, qui nonagensimum etiam excessit annum“ (XI.90(38).223). Gaius Plinius Secundus:

Naturkunde. Buch XI. Zoologie. Insekten. Vergleichende Anatomie. Lateinisch-Deutsch, hrsg.

v. Roderich König, unter Mitarb. v. Gerhard Winkler, Tusculum, Zürich und Düsseldorf 1990, 145.

Plinius dem Älteren in meinen Augen absichtlich nicht mit weiblicher Menstrua-tion verlinkt, auch wenn spätere Autoren im 18. Jahrhundert diesen Zusammenhang herstellten.

In Plinius’ Naturkunde wird an verschiedenen Stellen ausführlich die weibliche Menstruation behandelt, sodass ein Schweigen an dieser Stelle durchaus stutzig machen darf. Dass er die Verknüpfung zu den Frauen und zum weiblichen Blutfluss nicht herstellt, lässt daher auf eine bewusste Strategie schließen. Stattdessen handelt es sich bei dem Blutfluss, profluvium, bei Plinius in diesem Zusammenhang um ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen, der eine Differenz (Superiorität?) gegenüber den Tieren aufzeigen soll. Nur er hat die Möglichkeit – als Mensch/Mann –, durch Blutfluss aus unterschiedlichen Körperöffnungen, der Nase, dem Unterleib und dem Mund, seinen Körper selbst zu regulieren und zu reinigen. Für diese Differenzierung scheinen sich für Plinius Beispiele männlicher Menstruation besser zu eignen als weibliche, denn Erstere lassen sich für ihn offenbar einfacher in ein positives Licht rücken. Beide als Beispiele angeführten Männer werden namentlich erwähnt und bekleiden hohe Positionen. Der eine ist Prätorianer, also ein besonders männliches und kriegerisches Exemplar Mann, der andere Stadtpräfekt, ein nicht minder pres-tigeträchtiges Amt. Zudem wird für den Stadtpräfekten sein hohes Alter angeführt, das der Leser offenbar auf die körperliche Selbstregulation, den jährlich stattfinden-den Blutfluss, zurückführen soll. Die Langlebigkeit kann also als weiteres Indiz für eine positive Besetzung des männlichen Blutflusses gewertet werden.

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