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Kennzeichen einer guten Amme

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 71-74)

2. Das unreine Blut neuchristlicher Ammen

2.1 Ammenmilch und Muttermilch in der frühneuzeitlichen MedizinMedizin

2.1.2 Kennzeichen einer guten Amme

Der Frage, welche Qualitäten eine potentielle Amme nun grundsätzlich mitbringen sollte, um den herrschenden Idealvorstellungen gerecht zu werden, widmen sich u. a.

Damián Carbón, Luis Lobera de Ávila, Juan Alonso y de los Ruyzes de Fontecha und Luis Mercado. Luis Mercado (1520–1606) kommt in dieser Gruppierung medizini-scher Autoren ein besonderer Stellenwert zu, da er als Einziger in dieser Runde seine frauenheilkundliche Schrift auf Latein verfasste und sein Werk damit auch stärker auf die gelehrte Leserschaft ausgerichtet ist. Zudem galten gerade seine Schriften als Referenzwerke für viele Mediziner seiner Zeit und es finden sich bei ihm die stärksten Abweichungen zu den anderen drei Autoren. Seine Schrift dient damit in gewisser Weise auch eher als eine Art Kontrastfolie zu den drei spanischsprachigen Werken.

Vergleicht man die verschiedenen Schriften der Autoren, fällt auf, dass fünf Eigen-schaften, also Konditionen bzw. condiciones, wie es in den Texten heißt, bei allen vier Medizinern Erwähnung finden. Einen anschaulichen Überblick hierzu bietet Kapitel 34 des Hebammenhandbuches von Damián Carbón175, das sich mit der Auswahl der Amme anhand ihrer Zeichen, por sus señales, beschäftigt. Der Reihe nach werden die fünf Eigenschaften aufgezählt, die für die Wahl der idealen Amme eine Rolle spielen. 1) Zunächst wird das bestmögliche Alter festgelegt. So soll die Amme mitt-leren Alters, vorzugsweise zwischen 25 und 36 Jahren, sein. Hier weicht Carbón von seinen Kollegen ab, die das Höchstalter auf 35 Jahre festsetzen. 2) An zweiter Stelle rücken die Figur und die Hautfarbe, vor allem die Gesichtsfarbe der Amme in den Mittelpunkt, wobei die Definitionen einer guten Figur und einer guten Hautfarbe unterschiedlich ausfallen. 3) Drittens finden die guten Sitten, die buenas costumbres, bei Carbón Erwähnung. Was die Autoren mit diesem Begriff im Einzelnen zu fassen versuchen, unterliegt wiederum leichten Variationen. 4) An vierter Stelle werden die Form der Brüste und ihre entsprechende Beschaffenheit genannt. 5) Abschließend wird die Eignung der Ammenmilch selbst erörtert, d. h. welche Eigenschaften diese mitbringen muss, um bestmögliche Qualität für das Kind zu gewährleisten, und mit welchen Methoden man diese überprüfen kann.

175 Vgl. Carbón: Libro del arte de las Comadres o madrinas y del regimiento de las preñadas y pari-das y de los niños (wie Anm. 169), LVv-LVIv.

Nicht ganz so wohlgeordnet wie bei Carbón, dafür aber knapp definiert, formuliert Ruyzes de Fontecha die idealen Eigenschaften einer Amme in Anlehnung an den afrikanischen Arzt Moschion176, an dem sich übrigens auch Luis Mercado177 orientierte:

„Sie muss hübsch sein und der Körper einen guten Teint aufweisen (man sollte sich hier nicht nur auf die Gesichtsfarbe verlassen wollen, weil es Erfinderisches und Künstliches, sogar so gut Aufgetragenes gibt, dass es manchmal natürlich wirkt). Sie sollte zweimal geboren haben (sodass die Milch zumindest von der zweiten Geburt sei). Ihre Brust sollte breit sein, aber sie sollte weder große Brüste haben noch fallende noch faltige und auch weder sehr kleine noch harte. Die Brustwarzen sollten weder rau noch porig sein. Sie sollte fröhlich, lebhaft, liebevoll, weich und sanft von ihrer Wesensart, angenehm, sauber, gesund, bescheiden und gemäßigt in ihrem Ess- und Trinkverhalten sein, sodass sie Übersättigung und Trunkenheit meide.“178

Während Ruyzes de Fontecha die Aspekte Gesichtsfarbe und Schminke ausführ-lich erwähnt, da er seine Leserschaft vor mögausführ-lichen Betrugsmanövern – und damit im Speziellen vor einer Vortäuschung von Gesundheit – warnen möchte, sieht Luis Mercado in den Schönheitsmitteln übrigens noch andere Gefahren. So befürchtet er, dass vor allem das für die Kosmetik genutzte Bleiweiß dem Kind schaden und es verunstalten könne.179 Die Aufzählungen von Carbón und Ruyzes de Fontecha zei-gen, dass die Eignungskriterien sehr unterschiedliche Aspekte berücksichtigen. So scheint der richtige Teint genauso wichtig wie eine bestimmte Gemütsstimmung zu sein. Charakter und physische Merkmale werden ohne erkennbare Hierarchisierung in einen Zusammenhang gebracht. Dass die Autoren keine Trennung der verschie-denen argumentativen Felder vornehmen, mag damit zusammenhängen, dass man sich einerseits an den antiken Mustern orientierte, andererseits aber auch stärker das

176 Ruyzes de Fontecha nennt ihn Moschion, allerdings handelt es sich um den afrikanischen Arzt Mustio (Muscio), der im 6. Jahrhundert lebte und in Anlehnung an die griechische Schrift Gynä-kologie des Soranos von Ephesos eine Art Hebammenlehrbuch auf Latein verfasste. Vgl. hierzu:

Diethard Nickel: Text und Bild im antiken medizinischen Schrifttum, in: Akademie-Journal 1 (2005), 16–20, hier 20.

177 Luis de Mercado: De mulierum affectionibus, libri quatuor, Madrid: Apud Thomam Iuntam, 1594, 529.

178 „Que ha de ser moça de buen color del cuerpo, (no devio de querer se fiase de solo el del rostro, por loque suele aver de imbencion, y artificio, tambien assentado, que algunas vezes parece natu-ral), que aya parido dos vezes (desuerte que sea la leche por lo menos, de segundo parto) ancha de pecho, no tenga las tetas muy grandes, caydas ni arrugadas, ni tampoco muy pequeñas, ni duras, ni de peçones asperos, ni hoyosos, alegre, animosa, amorosa, blanda, suabe de condicion, agra-dable, y limpia, sana, modesta, y moderada en comer, y beber: desuerte que huyga hartazgas, y embriaguezes.“ Ruyzes de Fontecha: Diez previlegios para mugeres preñadas (wie Anm. 156), 164v.

179 Mercado: De mulierum affectionibus, libri quatuor (wie Anm. 177), 530.

Gesamtbild wahrnahm und Komponenten wie Psyche und Physis untrennbar mitei-nander verknüpft sah. Schließlich wurden die Gemütsverfassungen und Charakter-eigenschaften als Folge der Komplexion gewertet und somit gehörte das Nasenbluten genauso zum Aufgabenbereich des frühneuzeitlichen Mediziners wie die Melancholie und der Liebeskummer. Trotzdem lässt sich ganz allgemein in den medizinischen Schriften ein klarer Schwerpunkt auf in erster Linie körperliche Gebrechen feststellen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es zunächst, dass Ruyzes de Fontecha – anders als seine frühneuzeitlichen Kollegen – in einem zweiten Schritt eine Form der Tren-nung zwischen Physis und Psyche vornimmt, die der moderne Leser – im Gegensatz zum vormodernen – nahezu erwartet. Betrachtet man die entsprechende Textstelle jedoch in ihrem Zusammenhang, fällt auf, dass Ruyzes de Fontecha diese Kategori-sierung dazu dient, sein eigenes Arbeitsfeld abzustecken. So schreibt er:

„Die anderen Eigenschaften [fröhlich, lebhaft, liebevoll, weich und sanft von ihrer Wesens-art, angenehm, sauber, gesund, bescheiden] bis auf die beiden letzten [gemäßigt in ihrem Ess- und Trinkverhalten], stellen, wie man deutlich erkennen kann, die Moral unter Beweis und gehören somit zu ihr, und auch ihr Warum ist somit völlig klar.“180

Gemütsverfassungen und Charaktereigenschaften, wozu Ruyzes de Fontecha auch Sauberkeit und Gesundheit zählt, ordnet der Autor der Moral zu. Diese bedürfen für ihn keiner weiteren Erklärungen, da die Anforderungen an den Charakter sich daraus ergäben, dass die Sitten und somit auch die Moral der Amme durch die Milch auf das Kind übertragen würden. Die grundsätzlich gebotene Sorge um die moralische Eignung der Amme liegt somit für ihn klar auf der Hand.

Zuvor konzentrierte sich Ruyzes de Fontecha in seiner Schrift auf die physischen Aspekte und erläuterte diese ausführlich, also die richtige Hautfarbe, die bereits zweimal erlebte Geburt, Aussehen und Form der Brüste und Brustwarzen sowie die Mäßigung der Stillenden im Ess- und Trinkverhalten. Die Neuanordnung der ver-schiedenen Konditionen nutzt Ruyzes de Fontecha für eine kurze Erklärung, warum er auf die von ihm der Moral zugeordneten Aspekte nicht ebenso detailliert eingehen muss wie bereits zuvor auf die physischen. Eine Hierarchisierung intendiert er damit jedoch nicht. Somit stellt Ruyzes de Fontecha insgesamt mit seinem Kriterienkatalog für seine Zeit eher die Regel als die Ausnahme dar, wenn man von seiner Kategori-sierung einmal absieht. So findet sich bei Gerónimo Soriano, einem zeitgenössischen Mediziner und Verfasser einer auf Kinderkrankheiten spezialisierten Schrift, eine ganz ähnliche Beschreibung der idealen Stillenden:

180 „Las demas condiciones [alegre, animosa, amorosa, blanda, suabe de condicion, agradable, y limpia, sana, modesta], hasta las dos ultimas [moderada en comer y beber], bien se ve, pruevan, y pertenecen a lo moral, y assi su porque, esta bien claro.“ Ruyzes de Fontecha: Diez previlegios para mugeres preñadas (wie Anm. 156), 166r.

„Sorgen Sie also dafür, dass die Frau, die stillen soll, weder zu dick noch zu blass und hager sei, dass sie nicht zu schwer arbeite noch zu müßig sei; dass sie behutsam, fröhlich und von guten Sitten und nicht wollüstig sei […].“181

Auch in diesem Fall zeigt sich das gleichwertige Nebeneinander von physischen und moralischen Eignungskriterien. Gerade der Aspekt der Fröhlichkeit scheint eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen, denn in dem Kapitel über die Heilung von Wundstarrkrampf bei Säuglingen nennt Soriano diese Eigenschaft noch einmal explizit: „Die Amme soll fröhlich sein, sich vergnügen und erfreuen; die Traurigkeit soll sie meiden und auch keine Angst empfinden […].“182

Nach Soriano soll also die Fröhlichkeit der Amme durch Vergnügungen gewähr-leistet, Angst und Traurigkeit hingegen unter allen Umständen vermieden werden.

Zum einen handelt es sich hier um ein nur allzu verständliches Anliegen, denn es ist anzunehmen, dass eine gutgelaunte, behutsame und somit in ihrer Komplexion aus-geglichene Amme sich besser um das Wohl des Säuglings kümmern kann als eine ängstliche, traurige oder sogar wütende. Schließlich deuten starke negative Emotio-nen wie Wut, Traurigkeit und Angst im Sinne der galenischen Humoralpathologie auf ein Ungleichgewicht in der Säftekonstellation und somit auf Krankheit hin. Der Aspekt der Mäßigung, sozusagen ein „gesundes Mittelmaß“, spielte für die frühneu-zeitlichen Mediziner daher eine große Rolle und bestimmte auch ihre therapeutischen Maßnahmen. Zum anderen tritt in diesem Zusammenhang die immense Bedeutung, die der Mutter- bzw. Ammenmilch auch gerade in der Medizin beigemessen wurde, klar zutage, denn im Hinblick auf den Übertragungsgedanken darf diese unter kei-nen Umständen unausgewogen bzw. korrumpiert sein, wie es in den Quellen heißt.

Im Dokument fremd körper ( ) (Seite 71-74)