• Keine Ergebnisse gefunden

2.3 Vergleich Schweiz – Österreich

7.2.3 Volksbefragung

7.2.3.1 Gegenstand

Das Instrument der Volksbefragung dient dem Gesetzgeber dazu, vor einer Ent-scheidung, die von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung ist, die Meinung des Volkes einzuholen.438 Vor allem in politischen Entscheidungen soll so ein demokratischer Konsens zwischen dem Volk und dessen Repräsentanten ge-schaffen werden.439

7.2.3.2 Zustandekommen

Die Durchführung einer Volksbefragung bedarf eines einfachen Mehrheitsbeschlus-ses des Nationalrates. Der Antrag kann von mindestens fünf Mitgliedern des Natio-nalrates oder der Bundesregierung gestellt werden und ist im Hauptausschuss vorzuberaten.440

Beschließt der Nationalrat die Durchführung einer Volksbefragung, ist diese vom Bundespräsidenten anzuordnen.441 Die Bundesregierung hat nach § 2 Abs 2 VBefrG442 sodann den Tag der Volksbefragung sowie den Stichtag festzusetzen. Die Entschließung des Bundespräsidenten, mit der die Volksbefragung angeordnet

437Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 43 B-VG Rz 9 f.

438Art 49b B-VG; Adamovich/Funk/Holzinger, Staatliche Organisation Rz 21.085; Merli in Kori-nek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar II/1 (5. Lfg 2002), Art 49b B-VG Rz 13; http://www.parlament.gv.at/PERK/BET/VOLKFR/index.shtml (05.01.2014).

439Pernthaler, Bundesstaatsrecht 93.

440 Art 49b Abs 1 B-VG; Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht9 Rz 455;

http://www.parlament.gv.at/PERK/BET/VOLKFR/index.shtml (05.01.2014).

441 Art 49b Abs 3 iVm Art 46 Abs 1 B-VG.

442Volksbefragungsgesetz 1989 BGBl 1989/356 idgF.

95 de, ist zusammen mit dem Tag der Befragung und dem Stichtag im Bundesgesetz-blatt kundzumachen.443

Die Gemeinden haben im Anschluss an die Anordnung der Volksbefragung, jeden-falls bis zum 21. Tag nach dem Stichtag, die Stimmlisten herzustellen und alle Per-sonen aufzunehmen, die am Stichtag in der Wählerevidenz der Gemeinde eingetra-gen waren, die spätestens am Tag der Abstimmung das 16. Lebensjahr vollendet haben oder deren Stimmberechtigung aufgrund eines Einspruchs- oder Berufungs-verfahrens festgestellt wurde.444 Bis zum 14. Tag vor der Volksbefragung ist die Kundmachung durch den Bürgermeister ortsüblich zu verlautbaren, jedenfalls aber durch öffentlichen Anschlag.445

Das Abstimmungsverfahren erfolgt nach den Vorschriften der NRWO und mittels amtlichen Stimmzettels.446 Die Fragestellung kann entweder aus einer mit ja oder nein zu beantwortenden Frage oder aus zwei alternativen Lösungsvorschlägen be-stehen.447

Die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses obliegt zunächst den Gemeindewahl-behörden und aufgrund deren Berichte in weiterer Folge den LandeswahlGemeindewahl-behörden.

Diese haben die Summe der Stimmberechtigten, der abgegebenen gültigen und un-gültigen Stimmen sowie die Summe der un-gültigen Ja-Stimmen und un-gültigen Nein-Stimmen bzw die Summe der Nein-Stimmen für jeden Lösungsvorschlag bei der Abstim-mung über zwei alternative Lösungsvorschläge festzustellen. Die Landeswahlbehör-den haben das Ergebnis unverzüglich der Bundeswahlbehörde bekanntzugeben.448 Die Bundeswahlbehörde ermittelt sodann aufgrund der Berichte der Landeswahlbe-hörden das Ergebnis der Volksbefragung im gesamten Bundesgebiet und verlautbart das Ergebnis im Amtsblatt zur Wiener Zeitung.449 Die Bundeswahlbehörde hat das endgültige Ergebnis der Volksbefragung außerdem dem Nationalrat und der Bundes-regierung bekannt zu geben.450

96 Dem Ergebnis der Volksbefragung kommt keine rechtlich bindende Wirkung zu.451 Weder der Nationalrat noch die Bundesregierung sind verpflichtet, das Ergebnis der Volksbefragung zu behandeln. 452

7.3 Vergleich Schweiz – Österreich

Hinsichtlich der direkten Demokratie gibt es zwischen der Schweiz und Österreich große Unterschiede. Zwar gibt es in beiden Staaten sowohl das Instrument der Volksinitiative als auch das der Volksabstimmung, die Ausgestaltung der beiden Werkzeuge und damit einhergehend ihre Bedeutung in der politischen Praxis triften allerdings weit auseinander.

Das Initiativrecht des Volkes im Gesetzgebungsverfahren scheint zunächst in Öster-reich effektiver ausgestaltet zu sein als in der Schweiz, ist ein Volksbegehren nach Art 41 Abs 2 B-VG sowohl auf die einfache Gesetzgebung als auch auf die Verfas-sungsgesetzgebung anzuwenden. In der Schweiz hingegen ist eine Volksinitiative ausschließlich in Bezug auf eine Verfassungsänderung möglich.

Dem österreichischen Volksbegehren kommt in der Praxis auch insofern eine erheb-liche Bedeutung zu, als es im Fall einer hohen Unterstützung durch das Volk politisch nicht gänzlich ignoriert werden kann.453 Von einer Volksgesetzgebung kann jedoch nicht gesprochen werden, da die letztliche Entscheidung über die Initiative beim Ge-setzgeber selbst liegt.454 Demgegenüber ist in der Schweiz vorgesehen, dass jede Volksinitiative im Anschluss an deren Behandlung in der Bundesversammlung dem Volk bzw Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet wird, was eine letztliche Entscheidung durch das Volk und somit auch die Effektivität dieses Instrumentes der direkten Demokratie sicherstellt.455

451Adamovich/Funk/Holzinger, Staatliche Organisation Rz 21.085; Berka, Grundzüge4 Rz 639;

http://www.parlament.gv.at/PERK/BET/VOLKFR/index.shtml (05.01.2014).

452Merli in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 49b B-VG Rz 49.

453Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 41 B-VG Rz 47.

454 Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 41 B-VG Rz 66.

455 Art 139 Abs 4 und 5, 140 Abs 2 lit a und b BV.

97 Eine Verbindung von Volksbegehren und Volksabstimmung in dem Sinn, dass ein Volkbegehren mit ausreichender Unterstützung auch gegen den Willen des Parla-ments durchsetzbar ist, ist nach der österreichischen Bundesverfassung nicht vorsehen. Die Einführung einer derartigen Regelung würde sich auch nicht einfach ge-stalten. Durch die in Österreich bestehende repräsentative Demokratie, bei welcher die Letztentscheidung im Gesetzgebungsverfahren beim Parlament liegt, würde eine dementsprechende Regelung nach Ansicht des VfGH eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellen.456

Hinsichtlich des eigentlichen Verfahrens im Falle eines Volksbegehrens bzw einer Volksinitiative bestehen in beiden Staaten ähnliche Regelungen. Das einzuhaltende Verfahren ist sowohl in Österreich als auch in der Schweiz einfachgesetzlich durch das VBegG bzw das BPR457 geregelt.

Ebenfalls gemeinsam ist den beiden Staaten, dass vor der Unterschriftensammlung für das Volksbegehren bzw die –initiative eine formelle Prüfung des Antrags bzw der Unterschriftenlisten durch den Bundesminister für Inneres in Österreich bzw die Bun-deskanzlei in der Schweiz erfolgt.458 In beiden Fällen obliegt diese Vorprüfung dem-nach nicht dem Parlament sondern der Regierung, da die Bundesminister in Öster-reich Mitglieder der Bundesregierung sind und die Bundeskanzlei in der Schweiz die allgemeine Stabstelle des Bundesrates ist.459

Im Anschluss an die formelle Prüfung erfolgen in beiden Staaten die Veröffentlichung der Initiative und das Eintragungsverfahren. Hierbei ist der wohl gravierendste Unter-schied der Eintragungszeitraum. Erstreckt sich dieser in Österreich grundsätzlich auf acht aufeinanderfolgende Tage, hat das Volk in der Schweiz 18 Monate Zeit, um die Initiative zu unterzeichnen. Der im Verhältnis zu jenem in der Schweiz kurze

456VfGH 28.06.2001, G 103/00; Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 41 B-VG Rz 66; Berka, Grundzüge4 Rz 636; Bundeskanzleramt Österreich, Direkte Demokratie im Bereich der Legislative: Rohstudie mit besonderem vergleichenden Blick auf die Verfassungsrechtsla-ge in den anderen EU-Staaten http://www.bka.gv.at/DocView.axd?CobId=49277 1 (05.01.2014).

457 Art 68 ff BPR.

458 § 5 Abs 1 VBegG; Art 69 Abs 1 BPR.

459 Art 69 Abs 1 B-VG; Art 179 BV.

98 gungszeitraum in Österreich wird als ausreichend erachtet, um das Recht auf Unter-stützung eines Volksbegehrens effektiv wahrnehmen zu können.460

Nach dem Eintragungsverfahren findet in beiden Staaten die Feststellung statt, ob das Volksbegehren bzw die –initiative zustande gekommen ist. Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich ist dafür die Unterschrift von 100.000 Stimmberech-tigten erforderlich.

Das Instrument der Volksabstimmung ist in der Schweiz und in Österreich sowohl als obligatorisches als auch als fakultatives Referendum vorgesehen. Eine obligatorische Volksabstimmung ist in Österreich nach Art 44 Abs 3 B-VG ausschließlich für den Fall der Gesamtänderung der Bundesverfassung vorgesehen, während in der Schweiz in Art 140 BV neben dem Fall der Gesamtänderung der Verfassung auch noch verschiedene andere Anwendungsfälle genannt sind. Eine fakultative Volksab-stimmung ist in Österreich nach Art 43 f B-VG bei allen Gesetzgebungsvorhaben des Nationalrates einschließlich geplanter Teiländerung der Verfassung möglich. In der Schweiz kann ein Referendum nach Art 141 BV ebenfalls bei allen einfachen Bun-desgesetzen durchgeführt werden. Darüber hinaus auch bei bestimmten Bundesbe-schlüssen oder Staatsverträgen. Aus diesen Regelungen ergibt sich, dass der An-wendungsbereich sowohl hinsichtlich des obligatorischen als auch des fakultativen Referendums in der Schweiz grundsätzlich weiter gefasst ist.

Eine weitere Besonderheit der Schweiz gegenüber Österreich besteht darin, dass die Verfassung der Schweiz nicht nur das reine Volksreferendum kennt sondern in be-stimmten Fällen eine Abstimmung durch Volk und Stände, vorgesehen ist. Dieses Doppelreferendum ist einerseits Ausdruck des Demokratieprinzips, andererseits dient es der Verwirklichung des föderalistischen Prinzips. Da für die Annahme der Vorlage der Bundesversammlung in diesen Fällen sowohl Volks- als auch Ständemehr erfor-derlich ist, ist das Scheitern der Vorlage leichter möglich. In der Vergangenheit lag das Scheitern einer Vorlage überwiegend am fehlenden Ständemehr, was eine künf-tige Diskussion über den Stellenwert des Demokratieprinzips immer wahrscheinlicher macht.461

460 Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 41 B-VG Rz 61.

461Rhinow/Schefer, Schweizerisches Verfassungsrecht2 Rz 2244 ff.

99 Die Berücksichtigung von demokratischem und föderalistischem Prinzip in der Schweiz in Bezug auf das Referendum zeigt sich auch darin, dass der Anstoß zu einem fakultativen Referendum nach Art 141 Abs 1 BV entweder vom Volk oder von den Kantonen ausgehen kann.

In Österreich obliegt die Initiierung einer fakultativen Volksabstimmung nach Art 43 f B-VG grundsätzlich dem Nationalrat. Das föderalistische Prinzip kommt lediglich da-rin zum Ausdruck, dass der Bundesrat eine Volksabstimmung über eine Teilände-rung der Bundesverfassung initiieren kann. Dem Volk kommt hingegen, anders als in der Schweiz, kein Recht zu, eine Volksabstimmung zu verlangen. Dieser Umstand liegt in der historischen Entwicklung begründet. In den Vorentwürfen zum B-VG war vorgesehen, dass eine bestimmte Zahl von Stimmbürgern ein sog Vetoreferendum nach Kundmachung eines Gesetzesbeschlusses initiieren kann. Aufgrund der Ableh-nung dieser Regelungen durch die Sozialdemokraten und auch die nachlassende demokratische Hochstimmung stellt die Regelung des Art 43 B-VG einen Kompro-miss zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten dar.462

Das Ergebnis einer Volksabstimmung ist für das Parlament grundsätzlich in beiden Staaten verbindlich. Besonders nach der österreichischen Rechtslage kann diese Bindungswirkung vor allem in Bezug auf die fakultative Volksabstimmung aber da-hingehend relativiert werden, dass sich die Bindungswirkung nur auf den betreffen-den Gesetzesbeschluss bezieht und der Nationalrat einen neuen Beschluss zur sel-ben Thematik fassen kann. Aufgrund der Tatsache, dass eine fakultative Volksab-stimmung in Österreich nicht durch das Volk initiiert werden kann, sondern lediglich durch das Parlament, kann durch Absehen einer neuerlichen Durchführung der Volksabstimmung einem erneuten negativen Volksentscheid entgegengewirkt wer-den. Dadurch wird die Hoheit des Parlaments gegenüber dem Volk sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.463 In der Schweiz wird diesem Umstand durch die Möglichkeit des Volkes zur Beantragung eines fakultativen Referendums entgegengewirkt.

Ein mit der österreichischen Volksbefragung vergleichbares Instrument sieht die Bundesverfassung der Schweiz nicht vor. Durch die mangelnde rechtliche

462Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 43 B-VG Rz 1 f.

463 Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 43 B-VG Rz 10.

100 dungswirkung der Volksbefragung stellt dieses Instrument zwar eine Entscheidungs-hilfe für das Parlament dar, von seinem Einsatz in der Praxis wurde allerdings zum ersten und bisher einzigen Mal im Jänner 2013 über die Frage zur Einführung eines Berufsheers oder die Beibehaltung der Wehrpflicht Gebrauch gemacht. Daraus lässt sich die geringe Bedeutung der Volksbefragung im Zusammenhang mit der direkten Demokratie erahnen.464 Dennoch kann der Volksbefragung erhebliche politische Be-deutung zukommen. Sie sichert ihrem Thema hohe Aufmerksamkeit über einen län-geren Zeitraum und eine politische Diskussion. Das Abstimmungsverhalten spiegelt die Meinung der Bürger wider und bedeutet gleichzeitig die Stärkung bzw Schwä-chung bestimmter politischer Positionen.465

Insgesamt betrachtet kommt der direkten Demokratie in der Schweiz eine größere Bedeutung zu als in Österreich. Während in Österreich im Sinne der repräsentativen Demokratie die Hoheit des Parlaments sowohl hinsichtlich des Volksbegehrens als auch hinsichtlich der Volksabstimmung klar zum Ausdruck gebracht wird, basieren die Regelungen in der Schweiz auf dem Verständnis der Souveränität des Volkes.466

Die besondere Bedeutung der Volksrechte in der Schweiz ist das Ergebnis einer ba-sisdemokratischen Bewegung, deren Ziel es war, die parlamentarische Macht zu be-grenzen und die Kontrolle der wichtigsten Entscheidungen durch das Volk zu ermög-lichen. Das daraus entstandene Zusammenwirken von Regierung, Parlament und Volk löst den Konflikt zwischen repräsentativer und direkter Demokratie insofern, als dass das Volk zwar nicht alle Entscheidungen trifft, aber in den wichtigsten Fragen ein Mitspracherecht hat.467

464http://www.parlament.gv.at/PERK/BET/VOLKFR/index.shtml (05.01.2014).

465Merli in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 49b B-VG Rz 9.

466Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 41 B-VG Rz 66; Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 43 B-VG Rz 10; Ehrenzeller/Nobs in Ehrenzel-ler/Mastronardi/Schweizer/Vallender (Hrsg), Die schweizerische Bundesverfassung: Kommentar2 (2008) Art 138 BV Rz 5.

467Lindner in Ismayr (Hrsg), Systeme Westeuropas4 576.

101

8 Resümee

Bei der umfassenden Betrachtung des Gesetzgebungsprozesses in der Schweiz und in Österreich sind einige Gemeinsamkeiten bzw Unterschiede eklatant.

Gemeinsam ist den beiden Staaten zum einen die allgemeine Regelung der Kompe-tenzverteilung auf dem Gebiet der Gesetzgebung. Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich besteht eine Generalklausel zugunsten der Gliedstaaten, während die Bundeskompetenzen grundsätzlich ausdrücklich in der Verfassung verankert sind.

Die Kompetenz-Kompetenz kommt in beiden Staaten dem Bund zu.

Weitestgehend ähnliche Regelungen bestehen auch hinsichtlich des Geltungsbe-reichs von Gesetzen. Rechtsverbindlichkeit kommt einem Gesetz in der Schweiz und in Österreich erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens und nach ordnungsgemäßer Kundmachung zu. Auch hinsichtlich des Außerkrafttretens und des örtlichen Gel-tungsbereichs bestehen keine auffälligen Unterschiede.

Im Hinblick auf die einzelnen Schritte im Gesetzgebungsverfahren gibt es betreffend die allgemeinen Regelungen bezüglich der Gesetzesinitiative, der vorparlamentari-schen Phase sowie der Kundmachung und des Inkrafttretens von Gesetzen kaum bemerkenswerte Unterschiede.

Anders verhält sich die Situation in der parlamentarischen Phase. In dieser finden sich gravierende Unterschiede zwischen der Schweiz und Österreich, was haupt-sächlich auf die unterschiedliche Mitwirkung der Gliedstaaten im Gesetzgebungspro-zess zurückzuführen ist. Betreffend diese Mitwirkung ist zunächst von Bedeutung, dass in beiden Staaten das Zweikammernsystem verwirklicht, jedoch unterschiedlich ausgestaltet ist. Gemeinsam ist den beiden Staaten, dass der Nationalrat das Volk und die zweite Parlamentskammer, der Ständerat in der Schweiz bzw der Bundesrat in Österreich, die Gliedstaaten repräsentiert. Die Einbindung der zweiten Kammer in den Gesetzgebungsprozess ist in der Schweiz jedoch völlig anders geregelt als in Österreich. Nach der Bundesverfassung der Schweiz sind die beiden Parlaments-kammern ausdrücklich gleichberechtigt, was nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck

102 kommt, dass für die Erlassung von Gesetzen grundsätzlich übereinstimmende Be-schlüsse beider Räte erforderlich sind. In Österreich hingegen liegt die letztliche Ent-scheidung im Gesetzgebungsprozess beim Nationalrat, während dem Bundesrat grundsätzlich nur ein suspensives Vetorecht zukommt. Diese unterschiedliche Aus-gestaltung des Zweikammernsystems ist in beiden Staaten historisch begründet, wo-bei die schwache Stellung des österreichischen Bundesrates eine parteipolitische Kompromisslösung zur Zeit der Entstehung des B-VG darstellt.

Ebenfalls Bestandteil des Gesetzgebungsprozesses ist die Mitwirkung des Volkes im Rahmen der direkten Demokratie. Auch in diesem Bereich kommt es zu großen Ab-weichungen zwischen den beiden Staaten. Sowohl in der Schweiz als auch in Öster-reich sind Instrumente vorhanden, durch welche das Volk am Verfahren der Gesetz-gebung beteiligt wird. Während die Volksinitiative und die Volksabstimmung in beiden Staaten vorgesehen sind, gibt es das Instrument der Volksbefragung nur in Öster-reich. Auch wenn nach österreichischem Recht mehr Instrumente der direkten De-mokratie vorhanden sind, kommt den Volksrechten in der Schweiz eine größere Be-deutung zu. Diese basieren auf dem Verständnis der Souveränität des Volkes und sind wesentlich effektiver ausgestaltet als jene in Österreich, die im Gegensatz zur Schweiz auf dem Gedanken der Hoheit des Parlaments basieren. Am deutlichsten zeigt sich die Effektivität der direkten Demokratie in der Schweiz in der Verbindung von Volksinitiative und Volksabstimmung. Dadurch, dass jede Volksinitiative im An-schluss an deren Behandlung in der Bundesversammlung einer Volksabstimmung unterzogen wird, ist die letztliche Entscheidung durch das Volk sichergestellt. In Ös-terreich hingegen ist eine derartige Verbindung der Instrumente von der Verfassung nicht vorgesehen. Deren Einführung würde nach Meinung des VfGH eine Gesamt-änderung der Bundesverfassung darstellen, da aufgrund der in Österreich bestehen-den repräsentativen Demokratie die Letztentscheidung im Gesetzgebungsverfahren beim Parlament liegt.

Die Änderung der Verfassung stellt einen Sonderfall des Gesetzgebungsverfahrens dar und ist sowohl in der Schweiz als auch in Österreich unter Einhaltung der jeweili-gen Revisionsvorschriften jederzeit möglich. Gravierende Unterschiede bestehen allerdings hinsichtlich des Verständnisses von Teil- und Totaländerung der Verfas-sung. Während in der Schweiz zur Unterscheidung formelle Kriterien herangezogen

103 werden und eine Totaländerung demnach dann vorliegt, wenn sämtliche Verfas-sungsartikel durch eine neue Verfassung ersetzt werden, kommt es in Österreich auf materielle Kriterien an. Hier liegt eine Totaländerung der Verfassung vor, wenn grundlegende Werte der Verfassung geändert werden.

Als Ergebnis dieser Arbeit kann festgehalten werden, dass der Weg der Gesetz-gebung in der Schweiz und in Österreich in vielen Aspekten ähnlich gestaltet ist, ob-gleich in einigen Bereichen teils marginale, teils bedeutende Unterschiede bestehen.

Vor allem hinsichtlich der Mitwirkung von Volk und Gliedstaaten am Verfahren der Gesetzgebung bestehen grundlegende Abweichungen zwischen den beiden Staaten, die weitreichenden Einfluss auf den gesamten Gesetzgebungsprozess des jeweiligen Landes haben.

104

Literaturverzeichnis

Bücher

Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches Staatsrecht. Band 2: Staatliche Organi-sation (Wien 1998).

Adamovich/Funk/Holzinger/Frank, Österreichisches Staatsrecht. Band 1: Grundla-gen2 (Wien 2011).

Berka, Verfassungsrecht. Grundzüge des österreichischen Verfassungsrechts für das juristische Studium4 (Wien 2012).

Biaggini, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Zürich 2007).

Biaggini in Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender (Hrsg), Die schweizerische Bundesverfassung: Kommentar2 (Zürich/Basel/Genf 2008) Art 181 BV.

Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar: Bundesverfas-sungsrecht (Wien 1. Lfg 2010) Art 41 B-VG.

Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar: Bundesverfas-sungsrecht (Wien 3. Lfg 2004) Art 42 B-VG.

Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar: Bundesverfas-sungsrecht (Wien 3. Lfg 2004) Art 43 B-VG.

Ehrenzeller/Nobs in Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender (Hrsg), Die schweizerische Bundesverfassung: Kommentar2 (Zürich/Basel/Genf 2008) Art 138 BV.

Forstmoser/Vogt, Einführung in das Recht4 (Bern 2008).

Funk, Einführung in das österreichische Verfassungsrecht14 (Graz 2011).

105 Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht: Allgemeines Verwaltungsrecht (Wien 2009).

Graf in Ehrenzeller/Mastronardi/Schweizer/Vallender (Hrsg), Die schweizerische Bundesverfassung: Kommentar2 (Zürich/Basel/Genf 2008) Art 160 BV.

Häfelin/Haller/Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht8 (Zürich/Basel/Genf 2012).

Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht5 (Zürich/Basel/Genf 2006).

Kahl/Weber, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (Wien 2011).

Kelsen/Froehlich/Merkl, Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920 (Wien/Leipzig 1922).

Lindner in Ismayr (Hrsg), Die politischen Systeme Westeuropas4 (Wiesbaden 2009).

Merli in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Text-sammlung und Kommentar II/1 (Wien 1. Lfg 1999), Art 41/2 B-VG.

Merli in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Text-sammlung und Kommentar II/1 (Wien 1. Lfg 1999), Art 43 B-VG.

Merli in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Text-sammlung und Kommentar II/1 (Wien 5. Lfg 2002), Art 49b B-VG.

Müller/Gehring/Hirt, Einführung in das Recht - Management-Basiskompetenzen:

Theoretische Grundlagen und Methoden mit Beispielen, Repetitionsfragen und Ant-worten3 (Zürich 2010).

Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht9 (Wien 2012).

Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht: Lehr- und Handbuch (Wien 2004).

106 Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (Wien 2009).

Rhinow/Schefer, Schweizerisches Verfassungsrecht2 (Basel 2009).

Richter, Sprachenordnung und Minderheitenschutz im schweizerischen Bundesstaat:

Relativität des Sprachenrechts und Sicherung des Sprachfriedens, in Bogdandy/Wolfrum (Hrsg), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völ-kerrecht: Band 158 (Berlin/Heidelberg/New York 2005).

Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar: Bundesverfas-sungsrecht (Wien 1. Lfg 2001) Art 44 B-VG.

Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Text-sammlung und Kommentar II/1 (Wien 2. Lfg 1999) Art 41/1 B-VG.

Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Text-sammlung und Kommentar II/1 (Wien 5. Lfg 2002), Art 42 B-VG.

Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts: Band 1 - Textteil4 (Wien 2004).

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band I: Grundbegriffe und

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Band I: Grundbegriffe und