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2.3 Vergleich Schweiz – Österreich

6.2.3 Erzeugung von Verfassungsgesetzen unter weitergehender Mitwirkung

In zwei Fällen sieht die Bundesverfassung bei der Änderung des Bundesverfas-sungsrechts erhöhte Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates vor.361

Einerseits hat der Bundesrat weitergehende Mitwirkungsbefugnisse, wenn die Be-stimmungen der Art 34 und 35 B-VG geändert werden, welche die Stellung des Bun-desrates selbst betreffen. Eine Änderung der genannten Bestimmung ist nur möglich, wenn der Bundesrat dem Gesetzesbeschluss bei Anwesenheit von mindestens ei-nem Drittel der Mitglieder mit der unbedingten Mehrheit der abgegebenen Stimmen zustimmt. Daneben ist außerdem die Zustimmung der Mehrheit der Vertreter von mindestens vier Bundesländern erforderlich.362

Der zweite Fall betrifft Verfassungsgesetze bzw in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen, durch die die Zuständigkeiten der Länder in

356§ 85 GO-NR; § 26 GO-BR; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 Rz 482.

357Volksabstimmungsgesetz 1972 BGBl 1973/79 idgF.

358 § 1 Abs 2 VAbstG.

359 Adamovich/Funk/Holzinger, Staatliche Organisation Rz 21.078.

360 Art 48 B-VG; Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 5.

361 Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 5; Wal-ter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 Rz 484 f.

362 Art 35 Abs 4 B-VG iVm § 58 Abs 1 und 2 GO-BR; Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 5; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 Rz 484.

77 gebung oder Vollziehung eingeschränkt werden. Zu derartigen Änderungen der Bun-desverfassung ist ebenfalls die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, wobei hier sowohl ein erhöhtes Präsenz- als auch ein erhöhtes Konsensquorum vorgesehen sind. Für die Beschlussfassung im Bundesrat ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stim-men erforderlich.363

Werden durch die Verfassungsänderung die Kompetenzen der Länder einge-schränkt, kommt dem Bundesrat statt dem idR bestehenden Einspruchsrecht, dem suspensiven Veto, ein absolutes Veto zu. Verweigert er seine Zustimmung, kann der Beschluss des Nationalrates auf dem verfassungsmäßigen Weg nicht in Geltung tre-ten. Der Nationalrat hat in diesem Fall nur die Möglichkeit, einen neuen Beschluss zu fassen, der wiederum der Zustimmung des Bundesrates unterliegt.364

6.3 Vergleich Schweiz – Österreich

Eine Änderung der Verfassung ist sowohl in der Schweiz als auch in Österreich unter Einhaltung der jeweiligen Revisionsvorschriften jederzeit möglich. Dabei wird in bei-den Staaten zwischen Teil- und Totaländerung unterschiebei-den, wobei diesen Begrif-fen in der Schweiz und in Österreich unterschiedliche Bedeutung zukommt.

Hinsichtlich der Revisionsvorschriften ist vorweg festzuhalten, dass die Verfahren zur Änderung der Verfassung sowohl in der Schweiz als auch in Österreich jenem der einfachen Gesetzgebung ähneln. In beiden Staaten sind jedoch einige spezielle Re-gelungen vorgesehen.

Gemeinsam ist den beiden Staaten hinsichtlich der Besonderheiten im Verfahren der Verfassungsgebung die obligatorische Volksabstimmung im Fall einer Totalrevision der Bundesverfassung, wobei diese in der Schweiz neben dem Volk auch den

363 Art 44 Abs 2 B-VG; Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 7; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss10 Rz 485.

364 Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 7.

78 den zur Abstimmung vorzulegen ist. Die Abstimmung von Volk und Ständen über eine Teiländerung der Verfassung ist hingegen nur in der Schweiz vorgesehen.

Zu den Besonderheiten der Schweiz gegenüber Österreich zählt außerdem die Mög-lichkeit des Volkes, ihr Initiativrecht zur Teiländerung der Verfassung in Form eines ausgearbeiteten Entwurfs auszuüben. Besonderheiten in Österreich bestehen ge-genüber der Schweiz insofern, als dass erhöhte Präsenz- und Konsensquoren im Nationalrat vorgesehen sind und in bestimmten Fällen weitergehende Mitwirkungsbe-fugnisse des Bundesrates bestehen.

Durch die unterschiedliche Gestaltung des Verfahrens zur Verfassungsänderung ist auch das unterschiedliche Verständnis der Unterscheidung zwischen Teil- und Total-revision der Verfassung leichter nachzuvollziehen.365

Während in der Schweiz zur Unterscheidung zwischen Teil- und Totalrevision forma-le Kriterien herangezogen werden, spieforma-len in Österreich materielforma-le Kriterien die ent-scheidende Rolle. Demnach liegt in der Schweiz eine Totalrevision der Verfassung vor, wenn sämtliche Verfassungsartikel durch eine neue Verfassung ersetzt werden.

In Österreich hingegen führt die Änderung von grundlegenden Werten der Verfas-sung zu deren Gesamtänderung.

Dass in der Schweiz formelle Kriterien für das Vorliegen einer Totalrevision aus-schlaggebend sind, kann mit Sicht auf die Besonderheiten im Verfahren der Verfassungsgebung einerseits damit begründet werden, dass es bei der Heranzie-hung von materiellen Kriterien unter Umständen dadurch zu Problemen kommen könnte, dass formulierte Volksinitiativen nur für Teilrevisionen zulässig sind und diese mit der Begründung, dass sie den Kern der Verfassung verändern, leichter als ungül-tig erklärt werden könnten. Andererseits spielt auch die Regelung des Art 193 Abs 3 BV eine nicht unwesentliche Rolle, nach welcher die Bundesversammlung im Fall einer Totalrevision neu gewählt wird. Würde man auch eine materielle Totalrevision anerkennen, könnte diese Rechtsfolge vermehrt eintreten.366

365Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 13; Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 5.

366Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 5.

79 In Österreich hingegen erscheint eine Abstellung auf formelle Kriterien zur Unter-scheidung zwischen Teil- und Totaländerung der Verfassung als wenig sinnvoll, da kein mit der Schweiz vergleichbares Revisionsverfahren vorgesehen ist. Das öster-reichische Verständnis folgt der Ansicht, dass auch punktuelle Änderungen in der Verfassung weitreichende Folgen haben können, eine bloße Textrevision aber auch ohne Änderung des Inhalts erfolgen kann.367

367Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 1920 124; Rill/Schäfer in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 44 B-VG Rz 13.

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7 Instrumente der direkten Demokratie

7.1 Schweiz

Durch die in der Bundesverfassung festgelegten politischen Rechte wird dem Volk die Möglichkeit gegeben, an staatlichen Entscheidungen mitzuwirken. Zu diesen poli-tischen Rechten zählen das aktive und passive Wahlrecht, das Recht, an Abstim-mungen teilzunehmen und das Recht, Initiativen und Referenden zu unterzeichnen.

Begrifflich sind die politischen Rechte von den Volksrechten insofern zu unterschei-den, dass nur letztgenanntes Recht, jenes zur Unterzeichnung von Initiativen und Referenden, zu den Volksrechten zählt. Den Volksrechten kommt in der Schweiz sehr große Bedeutung zu, soll den Stimmbürgern dadurch vor allem in den wichtigs-ten Fragen ein Mitspracherecht gegeben werden. Die große Bedeutung spiegelt sich darin wider, dass in Bezug auf das Zusammenwirken von Volk, Parlament und Re-gierung sogar von halbdirekter Demokratie gesprochen wird.368