• Keine Ergebnisse gefunden

2.3 Vergleich Schweiz – Österreich

5.1.2 Örtlicher Geltungsbereich

Der örtliche Geltungsbereich eines Gesetzes richtet sich grundsätzlich nach dem Territorialitätsprinzip. Dieses besagt, dass ein Erlass in jenem räumlichen Bereich Geltung erlangt, in welchem der jeweilige Gesetzgeber zuständig ist.293

Konkret bedeutet dies, dass eidgenössisches Recht im gesamten Bundesgebiet der Schweiz gilt, während kantonales Recht im Gebiet eines bestimmten Kantons und kommunales Recht im Gebiet einer bestimmten Gemeinde gilt.294

291Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 334 f; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungs-recht3 § 24 Rz 27.

292Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 337 ff; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungs-recht3 § 24 Rz 28.

293Richter, Sprachenordnung und Minderheitenschutz im schweizerischen Bundesstaat: Relativität des Sprachenrechts und Sicherung des Sprachfriedens, in Bogdandy/Wolfrum (Hrsg), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht: Band 158 (2005) 145; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3 § 24 Rz 3.

294Müller/Gehring/Hirt, Einführung in das Recht - Management-Basiskompetenzen: Theoretische Grundlagen und Methoden mit Beispielen, Repetitionsfragen und Antworten3 (2010) 16.

63

5.2 Österreich

5.2.1 Zeitlicher Geltungsbereich

5.2.1.1 Inkrafttreten

Nach Art 49 Abs 1 B-VG treten Bundesgesetze mit Ablauf des Tages ihrer Kundma-chung in Kraft, wobei der Gesetzgeber auch anderes bestimmen kann. In diesem Fall ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens ausdrücklich im Text des Gesetzes festzusetzen.

Rechtsverbindliche Wirkung kommt einem Gesetz erst ab dem Zeitpunkt des In-krafttretens zu.295

Die ordnungsgemäße Kundmachung eines Gesetzes spielt eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten. Durch die Kundmachung wird ein Gesetz Be-standteil der österreichischen Rechtsordnung, weshalb sie eine Voraussetzung für das Inkrafttreten von Rechtsvorschriften darstellt.296

5.2.1.2 Außerkrafttreten

Der zeitliche Geltungsbereich von Gesetzen endet mit deren Außerkraftsetzung. Be-fristete Gesetze treten ex lege mit Fristablauf außer Kraft. IdR werden Gesetze aber unbefristet erlassen, gelten daher ohne zeitliche Begrenzung. Diese treten außer Kraft, wenn sie durch einen späteren Rechtsakt aufgehoben werden, was als Dero-gation bezeichnet wird.297

Eine Derogation kann formell oder materiell erfolgen. Eine formelle Derogation liegt vor, wenn ein Gesetz ausdrücklich bestimmt, dass eine ältere Rechtsvorschrift außer Kraft treten soll.298

295Berka, Grundzüge4 Rz 478 f; Stolzlechner, Öffentliches Recht5 Rz 38 ff; Thienel in

Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar II/1 (1. Lfg 1999), Art 48, 49 B-VG Rz 59 und 62.

296 Stolzlechner, Öffentliches Recht5 Rz 39; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungs-recht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 58.

297 Berka, Grundzüge4 Rz 482; Stolzlechner, Öffentliches Recht5 Rz 41 f; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 69.

298Berka, Grundzüge4 Rz 483; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (2009) Rz 517; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 72.

64 Wird ein neues Gesetz erlassen, das denselben Regelungsgegenstand wie ein be-reits bestehendes hat und besteht insofern ein Konflikt zwischen den beiden Nor-men, dass diese inhaltlich unvereinbar sind, greift der Grundsatz lex posterior derogat legi priori und bewirkt ebenfalls die Aufhebung der älteren Rechtsvorschrift.

In diesem Fall liegt eine materielle Derogation vor.299

5.2.1.3 Rückwirkung

Die Rückwirkung eines Gesetzes, die nach Art 49 Abs 1 B-VG von der Verfassung nicht ausgeschlossen ist, bedeutet, dass dieses auch auf Sachverhalte angewendet wird, die sich vor Inkrafttreten des Gesetzes ereignet haben.300

Eine Rückwirkung von Gesetzen kann in gewissen Fällen jedoch unzulässig sein.

Verfassungsrechtliche Schranken ergeben sich beispielsweise aus Art 7 EMRK301. Danach ist die Rückwirkung von Strafgesetzen ausgeschlossen. Ein rückwirkendes Gesetz ist auch dann verfassungswidrig, wenn es für den Rechtsunterworfenen nachteilig ist und erheblich in das Prinzip des verfassungsrechtlichen Vertrauens-schutzes eingreift, das in engem Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz steht.

Nach diesem ist eine unsachliche Differenzierung bei der rückwirkenden Erfassung von Sachverhalten untersagt.302

5.2.1.3.1 Echte und unechte Rückwirkung

Ein Teil der Lehre differenziert zwischen echter und unechter Rückwirkung und er-kennt damit die unterschiedlichen Folgen an. Bei der echten Rückwirkung hat sich der betreffende Sachverhalt abschließend vor dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift ereignet. Die unechte Rückwirkung bezieht sich hingegen auf Sachverhalte, die vor Inkrafttreten der Norm begonnen haben und nach Inkrafttreten weiter andauern.303

„Während ‚echte‘ Rückwirkungen regelmäßig wegen Verstoßes gegen das

299Berka, Grundzüge4 Rz 483; Raschauer, Verwaltungsrecht3 Rz 517 ff; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 72.

300Raschauer, Verwaltungsrecht3 Rz 534; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungs-recht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 66.

301Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210 idgF.

302Berka, Grundzüge4 Rz 488 ff;Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 67 f.

303Raschauer, Verwaltungsrecht3 Rz 534; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungs-recht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

65 staatsprinzip als unzulässig angesehen werden, seien ‚unechte‘ Rückwirkungen idR zulässig.“304

Der VfGH folgt der Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung je-doch nicht. Anders als das BVerfG in Deutschland, das in Fragen der Zulässigkeit einer rückwirkenden Rechtsvorschrift idR auf das Rechtsstaatsprinzip zurück- und so die oben genannte Differenzierung und deren Folgen aufgreift, beurteilt der VfGH die Frage der Zulässigkeit der Rückwirkung im Einzelfall. Er leitet die Schranken für rückwirkende Regelungen aus den einzelnen Grundrechten ab und wägt den Eingriff in das Vertrauen der Rechtsunterworfenen gegen das öffentliche Interesse ab.

Ebenso entscheidungsrelevant ist das Gewicht des Eingriffs in die Rechtsposition des Einzelnen.305

5.2.2 Örtlicher Geltungsbereich

Der örtliche Geltungsbereich von Bundesgesetzen ergibt sich grundsätzlich aus Art 49 Abs 1 B-VG wonach diese im gesamten Bundesgebiet gelten, soweit nicht aus-drücklich etwas anderes bestimmt ist.306

Eine Erstreckung des örtlichen Geltungsbereichs über die Grenzen des Bundesge-biets hinaus ist aufgrund der souveränen Staatsgewalt, der Hoheit eines Staates über sein Gebiet, beschränkt und nur aufgrund der Ermächtigung durch allgemein anerkannte völkerrechtliche Regeln und unter Berücksichtigung des Art 9 B-VG zu-lässig.307

Eine Einschränkung des örtlichen Geltungsbereichs ist insbesondere in Fällen der paktierten Gesetzgebung erforderlich, wonach Bund und Länder gleichlautende Vor-schriften erlassen müssen und das Bundesgesetz demnach nur den örtlichen Gel-tungsbereich jener Länder umfassen darf, in dem auch ein entsprechendes

304Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

305Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

306Berka, Grundzüge4 Rz 491; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 73.

307Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts: Band 1 - Textteil4 (2004) Rz 732 ff; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesver-fassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 73.

66 gesetz ergangen ist. Darüber hinaus ist eine Einschränkung des örtlichen Geltungs-bereichs auch in anderen von der Verfassung vorgesehenen Fällen erforderlich. Zu berücksichtigen sind in jedem Fall der Gleichheitssatz sowie Art 4 B-VG, wonach Ös-terreich ein einheitliches Währungs-, Wirtschafts- und Zollgebiet darstellt.308

5.3 Vergleich Schweiz – Österreich

Hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs von Gesetzen spielt der Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes sowohl in der Schweiz als auch in Österreich eine ent-scheidende Rolle, da einem Gesetz ab diesem Zeitpunkt in beiden Staaten rechts-verbindliche Wirkung zukommt. Eine weitere Voraussetzung für die rechts-verbindliche Wir-kung eines Gesetzes ist in beiden Ländern dessen ordnungsgemäße Kundmachung.

In Österreich treten Gesetze grundsätzlich mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung in Kraft, daneben besteht die Möglichkeit des Gesetzgebers, das Datum des In-krafttretens im Gesetz selbst festzulegen.

Die Festlegung des Inkrafttretedatums durch den Gesetzgeber ist auch in der Schweiz vorgesehen, wobei diese meist dem Bundesrat überlassen bleibt. Dieses Vorgehen ist damit begründet, dass häufig Ausführungsbestimmungen durch den Bundesrat zu erlassen sind, bevor Bundesgesetze in Kraft treten können.309

Bezüglich des Außerkrafttretens von Gesetzen bestehen in der Schweiz und in Ös-terreich keine auffälligen Unterschiede. In beiden Staaten treten befristete Gesetze mit Fristablauf außer Kraft. Die Außerkraftsetzung unbefristeter Gesetze bedarf eines Aufhebungsaktes. Diese können einerseits formell derogiert werden, was bedeutet, dass sie durch eine spätere Norm ausdrücklich für aufgehoben erklärt werden. Ande-rerseits besteht die Möglichkeit einer materiellen Aufhebung durch eine spätere Norm mit demselben Regelungsgegenstand, wenn die beiden Normen inhaltlich

308Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht9 Rz 250; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfas-sungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 74.

309Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 312; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3

§ 24 Rz 8.

67 bar sind. In diesem Fall kommt sowohl in der Schweiz als auch in Österreich der Grundsatz lex posterior derogat legi priori zur Anwendung.

Die Rückwirkung von Gesetzen ist in beiden Staaten nicht grundsätzlich ausge-schlossen, doch müssen für deren Zulässigkeit sowohl in der Schweiz als auch in Österreich einige Voraussetzungen eingehalten bzw gewisse Schranken berücksich-tigt werden.

Ein gravierender Unterschied in Zusammenhang mit der Rückwirkung von Gesetzen zwischen der Schweiz und Österreich besteht allerdings darin, dass in der Schweiz zwischen echter und unechter Rückwirkung unterschieden wird und damit einherge-hend die Zulässigkeitsvoraussetzungen je nach Art der Rückwirkung unterschiedlich ausgestaltet sind. Während die unechte Rückwirkung grundsätzlich als zulässig an-gesehen wird, ist eine echte Rückwirkung nur ausnahmsweise bei kumulativer Erfül-lung bestimmter Voraussetzungen erlaubt.

Demgegenüber ist die Rückwirkung eines Gesetzes in Österreich grundsätzlich zu-lässig, ohne Differenzierung zwischen echter und unechter Rückwirkung. Es beste-hen aber gewisse verfassungsrechtliche Schranken in Bezug auf die Zulässigkeit eines rückwirkenden Gesetzes, gegen die nicht verstoßen werden darf.

Auch wenn ein kleiner Teil der österreichischen Lehre sich für eine Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung ausspricht, folgen der Großteil der Lehre und der VfGH dieser Ansicht nicht. Dies kann damit begründet werden, dass für eine Rückwirkung nur ausschlaggebend ist, ob eine Regelung auf einen Sachverhalt An-wendung findet, der sich vor deren Inkrafttreten ereignet hat. Unechte Rückwirkun-gen „[S] sind entweder ohnedies RückwirkunRückwirkun-gen in diesem technischen Sinn, oder – wenn Regelungen für die Zukunft getroffen werden – keine Rückwirkungen.“310

Die örtliche Geltung von Bundesgesetzen erstreckt sich in der Schweiz und in Öster-reich grundsätzlich auf das gesamte Bundesgebiet, während kantonales Recht bzw Landesrecht im Gebiet des jeweiligen Kantons bzw Landes und kommunales Recht im Gebiet der jeweiligen Gemeinde gilt.

310Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

68

6 Der Weg der Verfassungsgesetzgebung

6.1 Schweiz

6.1.1 Grundsätzliches

Die Bundesverfassung kann nach Art 192 Abs 1 BV jederzeit ganz oder teilweise geändert werden, wenn dabei die Revisionsvorschriften der Bundesverfassung ein-gehalten werden.311

Die Verfassungsrevision erfolgt, abgesehen von den besonderen Vorschriften, auf dem Weg der Gesetzgebung. Auf Bundesebene gibt es anders als bei verschiede-nen Kantoverschiede-nen kein spezielles Verfahren unter Einsetzung eines Verfassungsrates.312

6.1.1.1 Unterscheidung zwischen Total- und Teilrevision

In Bezug auf die Verfassungsgebung unterscheidet die Bundesverfassung zwischen Total- und Teilrevision. Diese Unterscheidung ist vor allem hinsichtlich der unter-schiedlichen Verfahrensregeln, wie sie Art 193 BV für die Totalrevision und Art 194 BV für die Teilrevision vorsehen, von Bedeutung.313

Welche Kriterien für die Unterscheidung zwischen Total- und Teilrevision herangezo-gen werden ist strittig. Staatspraxis und hL stellen auf formelle Unterscheidungskrite-rien ab, also auf die Zahl der betroffenen Verfassungsartikel. Danach liegt eine Total-revision vor, wenn sämtliche Artikel der Verfassung durch eine neue Verfassung er-setzt werden, unbeachtet allfälliger inhaltlicher Änderungen. Eine Teilrevision liegt nach formellen Kriterien dann vor, wenn nur einzelne Verfassungsartikel geändert, aufgehoben oder zur bestehenden Verfassung hinzugefügt werden.314

311Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1754.

312Art 192 Abs 2 BV; Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1769; Rhinow/Schefer, Schweize-risches Verfassungsrecht2 Rz 2787.

313Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 1.

314 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1763 f; Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 2.

69 Es gibt jedoch immer wieder Vorschläge, bei der Unterscheidung auch auf materielle Kriterien abzustellen. In diesem Fall läge eine Totalrevision dann vor, wenn durch die Verfassungsrevision Grundprinzipien der Bundesverfassung geändert würden und es zu einer grundlegenden Umgestaltung der Verfassungsordnung käme.315 Zu diesen Grundwerten, über die in der Lehre allerdings keine Einigkeit besteht, zählen bei-spielsweise Föderalismus, Demokratie und Rechtsstaat sowie gewisse Grundrech-te.316 Eine materielle Teilrevision läge folglich dann vor, wenn durch die Änderung der Verfassung deren Grundwerte unangetastet blieben.317

Als Beispiel für eine Totalrevision kann die Inkraftsetzung der neuen Bundesverfas-sung im Jahr 2000 genannt werden.318

6.1.1.2 Voraussetzungen und Schranken der Verfassungsrevision

Für die Durchführung einer Verfassungsrevision bestehen im Allgemeinen einige Vorgaben, die als Voraussetzungen bzw als Schranken, also als rechtliche Grenzen, anzusehen sind.319

Einerseits gibt es Grenzen in Form der heteronomen Schranken, dh Schranken des übergeordneten Rechts. Demnach darf die Bundesverfassung nach Art 193 Abs 4 bzw Art 194 Abs 2 BV nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen. Darunter sind Normen zu verstehen, die aufgrund ihrer Bedeutung unbedingte Geltung für die in-ternationale Rechtsordnung beanspruchen, wie etwa die Verbote von Folter und Sklaverei. Autonome Schranken, die sich die Verfassung selbst setzt, kennt die Bun-desverfassung der Schweiz nicht.320 Ein Teil der Lehre geht jedoch davon aus, dass die Grundwerte der Verfassung, zu denen, wie bereits erwähnt, beispielsweise Föde-ralismus, Demokratie und Rechtsstaat zählen, für den Verfassungsgeber verbindlich sind und diese daher nicht angetastet werden dürften. Diese Auffassung hat sich je-doch in der Praxis nicht durchgesetzt.321

315 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1765; Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 4.

316 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1760; Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 27.

317 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1766.

318 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1763; Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 3.

319 Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 11.

320 Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 12; Zimmerli in Thüher/Aubert/Müller (Hrsg), Verfassungsrecht § 70 Rz 6.

321Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1760; Tschannen, Staatsrecht3 § 44 Rz 27.

70 Zu den Voraussetzungen der Verfassungsrevision gehört die Wahrung der Einheit der Materie bei Teilrevisionen. Das bedeutet, dass zwischen den einzelnen Teilen der Vorlage ein sachlicher Zusammenhang bestehen muss.322 Eine weitere Voraus-setzung für die Teilrevision ist nach Art 194 Abs 3 BV die Einheit der Form. Volksini-tiativen können entweder die Form des ausgearbeiteten Entwurfs oder die der allge-meinen Anregung haben. Aufgrund der unterschiedlichen Verfahren sind Mischfor-men unzulässig.323

Als allgemeine, wenn auch ungeschrieben Schranke für die Verfassungsrevision gilt außerdem die faktische Durchführbarkeit. Das bedeutet, dass Verfassungsnormen keinen offensichtlich undurchführbaren Inhalt aufweisen dürfen. Derartige Initiativen sind als gegenstandslos zu betrachten. Bestehen jedoch nur praktische Schwierigkei-ten bei der Durchführung, reicht dies nicht aus, die Vorlage wegen Undurchführbar-keit als ungültig zu erklären.324