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2.3 Vergleich Schweiz – Österreich

4.1.3 Behandlung in den Räten

Der Erlassentwurf wird im Anschluss an das Vorverfahren im Parlament behandelt.

Dabei beraten Nationalrat und Ständerat getrennt voneinander, wobei eine überein-stimmende Beschlussfassung für das Zustandekommen eines Gesetzes erforderlich ist.146

4.1.3.1 Behandlung durch den Erstrat

Erlassentwürfe werden entweder dem Nationalrat oder dem Ständerat zur Erstbera-tung zugewiesen. Da beide Kammern gleichberechtigt sind, liegt die Entscheidung darüber, welchem Rat Priorität zukommt, bei den Ratspräsidien. Können sich diese nicht auf eine Zuteilung einigen, entscheidet das Los.147

141Biaggini, Bundesverfassung Art 181 BV Rz 7.

142Bundesgesetz vom 18. März 2005 über das Vernehmlassungsverfahren idgF (VlG; SR 172.061).

143Art 147 BV; Art 3 VlG;Tschannen, Staatsrecht3 § 45 Rz 56.

144Rhinow/Schefer, Schweizerisches Verfassungsrecht2 Rz 2764 ff.

145Art 141 Abs 1 und 2 ParlG; Tschannen, Staatsrecht3 § 45 Rz 58 ff.

146Art 156 Abs 2 BV; Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1602; Rhinow/Schefer, Schweizeri-sches Verfassungsrecht2 Rz 2771; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 56.

147 Art 84 ParlG; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 57.

31 Zur Vorberatung des Entwurfs wird dieser zuerst an eine Kommission des Erstrates weitergegeben. Die von der Kommission erarbeitete Vorlage stellt die Grundlage für die anschließende Beratung im Plenum dar und nicht etwa jene des Bundesrates.

Der Rat ist jedoch nicht an die Ausführungen der Kommission gebunden.148

In der sog Eintretensdebatte diskutiert und beschließt der Rat, ob er die Vorlage im Einzelnen beraten will.149 Hat der Rat Eintreten beschlossen, folgt die Detailberatung, in der eine artikelweise Beratung des Erlassentwurfs erfolgt.150 Andernfalls geht das Geschäft an den Zweitrat. Bei den in Art 74 Abs 3 ParlG genannten Fällen ist ein Ein-treten obligatorisch, muss also nicht beschlossen werden. Zu nennen sind hier bei-spielsweise Volksinitiativen, Voranschläge, Geschäftsberichte und die Legislaturplanung.151

Der Detailberatung folgt, wenn der Entwurf nicht nach Art 75 Abs 1 ParlG ganz oder teilweise an den Bundesrat oder die Kommission zur Überprüfung oder Änderung zurückgewiesen wurde, die Gesamtabstimmung über die Annahme oder Verwerfung des Erlassentwurfs.152

4.1.3.2 Behandlung durch den Zweitrat

Nach der Gesamtabstimmung über den Erlassentwurf im Erstrat wird die Vorlage an den Zweitrat übermittelt. Diese bildet die Grundlage für die Beratung und Beschluss-fassung des Zweitrates, welche grundsätzlich dem gleichen Ablauf folgen, wie jene im Erstrat. Der Zweitrat beschränkt sich aber auf die Eintretensdebatte, wenn der Erstrat nicht auf die Vorlage eingetreten ist und sie sogleich an den Zweitrat übertra-gen hat. Eine Detailberatung im Zweitrat ist in diesem Fall jedoch nicht vorgesehen, um das Prioritätsrecht des Erstrates nicht zu unterlaufen.153

148 Art 44 Abs 1 ParlG; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 58.

149 Art 74 Abs 1 ParlG.

150 Art 74 Abs 2 ParlG.

151Rhinow/Schefer, Schweizerisches Verfassungsrecht2 Rz 2773 f; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 60 f.

152Art 74 Abs 4 ParlG; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 61 f.

153Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 63 f.

32 4.1.3.3 Differenzbereinigung

Haben beide Räte die Vorlage beraten und positiv darüber abgestimmt, weichen ihre Beschlüsse aber voneinander ab, findet ein Differenzbereinigungsverfahren statt, in welchem sich die Beratungen in den beiden Kammern nur noch auf die Bereinigung der Differenzen beziehen dürfen. Die vorberatenden Kommissionen beider Räte können aus Gründen der Effizienz auch gemeinsame Sitzungen abhalten, wobei sie dennoch getrennt entscheiden. 154

Sind die Differenzen nach drei Detailberatungen in jedem Rat immer noch nicht bei-gelegt, wird nach Art 91 Abs 1 ParlG eine Einigungskonferenz eingesetzt, in die von den vorberatenden Kommissionen grundsätzlich je 13 Mitglieder entsendet wer-den.155

Aufgabe der Einigungskonferenz ist es, einen Vermittlungsvorschlag zu erarbeiten und einen Einigungsantrag nach Art 92 Abs 3 ParlG an die Räte zu stellen, der alle bestehenden Differenzen bereinigt. Art 93 ParlG bestimmt, dass der Einigungsantrag zunächst an den Erstrat geht und, wenn dieser zugestimmt hat, in weiterer Folge an den Zweitrat. Wird der Antrag jedoch in einem der Räte verworfen, gilt die Vorlage als abgelehnt.156

Das Differenzbereinigungsverfahren kommt jedoch nur in Fällen zur Anwendung, in denen es sich um verhandelbare Differenzen handelt. Ist eine Kompromisslösung nicht möglich, weil sich die abweichenden Beschlüsse beider Räte auf einen Bera-tungsgegenstand als Ganzes beziehen, greift die Regelung nach Art 95 ParlG. Da-nach gilt eine Vorlage als endgültig abgelehnt, wenn der Rat, der nicht auf sie einge-treten ist oder sie in der Gesamtabstimmung verworfen hat, diesen Beschluss in der zweiten Abstimmung bestätigt. Relevant sind hier vor allem abweichende Beschlüsse der beiden Räte, die sich auf die Eintretensfrage und die Gesamtabstimmung bezie-hen, aber auch abweichende Beschlüsse betreffend völkerrechtlicher Verträge,

154Art 89 Abs 1 und 2 ParlG; Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1604; Tschannen, Staats-recht3 § 34 Rz 65.

155 Art 91 Abs 2 ParlG.

156 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1604; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 66.

33 Dringlichkeitserklärungen, Standesinitiativen oder Stellungnahmen zu Volksinitiativen in Form der allgemeinen Anregung.157

4.1.3.4 Abstimmung

Vor der Schlussabstimmung legt die Redaktionskommission den endgültigen Wort-laut des Erlasses fest. Ihr obliegt es, formale Widersprüche zu beseitigen und die Übereinstimmung in allen drei Amtssprachen zu überprüfen. Sie ist dabei nicht be-rechtigt, materielle Änderungen vorzunehmen.158

Nach der Beratung der Vorlage in beiden Räten und der Überarbeitung des Geset-zestextes durch die Redaktionskommission findet die Schlussabstimmung in beiden Kammern statt. Stimmen beide Räte dem Gesetzesentwurf zu, ist das Gesetz gültig zustande gekommen. Wird die Vorlage aber von einem oder beiden Räten verwor-fen, gilt sie als abgelehnt.159

Das Abstimmungsverfahren ist in den Art 78 f ParlG geregelt. Über unbestrittene An-träge, dh wenn zu einem Beratungspunkt nur ein Antrag vorliegt, wird grundsätzlich nicht abgestimmt. Liegen zwei Anträge zum selben Abstimmungsgegenstand vor, werden sie einander gegenübergestellt. Sie gelangen jedoch einzeln zur mung, wenn eine Gegenüberstellung nicht möglich ist. Gibt es zu einem Abstim-mungsgegenstand mehr als zwei Anträge, findet eine sog Eventualabstimmung statt.

Dabei werden immer zwei Anträge zur gleichen Frage gegenübergestellt, bis schließ-lich nur mehr zwei Anträge zur Abstimmung überbleiben, die sich wiederum gegen-übergestellt werden. Bei der Reihung der Gegenüberstellungen ist darauf zu achten, dass Anträge mit den geringsten inhaltlichen Differenzen gepaart werden, sodass am Ende jene Anträge übrig bleiben, die eine echte Wahl ermöglichen. Ist eine Reihung nach diesen Gesichtspunkten nicht möglich, erfolgt sie nach formalen Kriterien. In diesem Fall kommen nacheinander die Anträge der Ratsmitglieder, der Kommissi-onsminderheit und des Bundesrates zur Abstimmung. Das Ergebnis der letzten

157 Häfelin/Haller/Keller, Bundesstaatsrecht8 Rz 1605 f; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 67.

158 Art 57 ParlG; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 71.

159 Art 81 ParlG; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 72.

34 stimmung wird schließlich dem Antrag der Kommissionsmehrheit gegenüberge-stellt.160

Für eine Beschlussfassung in den Räten ist nach Art 159 Abs 1 BV die Anwesenheit der Mehrheit ihrer Mitglieder erforderlich, wobei grundsätzlich die einfache Mehrheit der Stimmenden ausreicht.161 Es zählen hier nur gültig abgegebene Stimmen. Abwe-senheiten, ungültige Stimmen und Stimmenthaltungen fallen nicht in Betracht.162

Nur in drei Fällen sieht Art 159 Abs 3 BV die einfache Mehrheit der Mitglieder für die Beschlussfassung vor. Dies betrifft Beschlüsse über die Dringlicherklärung von Bun-desgesetzen, Beschlüsse über die sog Ausgabenbremse, dh neue Ausgaben in be-stimmter Höhe und Beschlüsse über die sog Schuldenbremse, also die Erhöhung der Gesamtausgaben bei außerordentlichem Zahlungsbedarf. Hier wirken Stimmenhal-tungen und Abwesenheiten wie Nein-Stimmen.163

Der jeweilige Ratspräsident stimmt nicht mit, wenn die einfache Mehrheit der Stim-menden ausreichend ist. In diesem Fall gibt er aber bei Stimmengleichheit den Stich-entscheid. Ist jedoch die Zustimmung der Mehrheit der Ratsmitglieder erforderlich, stimmt der Ratspräsident von Anfang an mit.164