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2.3 Vergleich Schweiz – Österreich

4.3.3 Parlamentarische Phase

Die parlamentarische Phase des Gesetzgebungsprozesses in der Schweiz unter-scheidet sich gravierend von jener in Österreich. Obwohl in beiden Staaten das Zweikammernsystem verwirklicht ist, wie es aus Art 148 BV bzw Art 24 B-VG klar hervorgeht, differenziert dessen Umsetzung im Verfahren der Gesetzgebung massiv.

Art 156 BV besagt, dass Nationalrat und Ständerat zwar getrennt verhandeln, für ei-nen Beschluss aber die Übereinstimmung beider Räte erforderlich ist. Diese zentra-len Regelungen, die bereits auf die Bundesstaatsgründung 1848 zurückgehen, set-zen die Gleichberechtigung beider Kammern fest.273 Daraus ergibt sich auch die Re-gelung des Art 84 ParlG, wonach die Bestimmung des Erstrates, also jenem Rat, in dem zuerst über das Gesetzgebungsvorhaben beraten wird, grundsätzlich durch bei-de Ratspräsibei-denten erfolgt. Hier wird im Rahmen bei-der parlamentarischen Phase erst-mals deutlich, dass der Gesetzgebungsprozess in der Schweiz von der Zusammen-arbeit beider Räte und daraus folgend von ihrer Konsensbereitschaft getragen wird.

In Österreich hingegen wird dem Nationalrat bereits durch die Bundesverfassung die Funktion der ersten Parlamentskammer zugewiesen. Art 41 Abs 1 B-VG bestimmt, dass Gesetzesvorschläge direkt an den Nationalrat gelangen. Erst im Anschluss an das Verfahren in der ersten Kammer wird der von dieser gefällte Gesetzesbeschluss nach Art 42 Abs 2 B-VG der zweiten Kammer, dem Bundesrat, übermittelt. Dessen Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung, und damit die Vertretung der Länderinte-ressen, beschränkt sich grundsätzlich auf ein suspensives Vetorecht gegen den Be-schluss als Ganzes. Der Inhalt eines GesetzesbeBe-schlusses wird vom Nationalrat festgelegt und kann vom Bundesrat nicht beeinflusst werden. Daraus ergibt sich, dass wesentliche Entscheidungen in Bezug auf die Gesetzgebung im Nationalrat

272Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht9 Rz 437.

273Biaggini, Bundesverfassung Art 156 BV Rz 1.

56 fällt werden und sich daher auch das politische Interesse dort konzentriert, während der Diskussion im Bundesrat vergleichsweise wenig Bedeutung zukommt.274

Wie bereits erwähnt, kommt dem österreichischen Bundesrat idR ein suspensives Vetorecht zu. Er hat dabei die Möglichkeit, begründeten Einspruch gegen den Ge-setzesbeschluss des Nationalrates zu erheben oder zu beschließen, keinen Ein-spruch zu erheben bzw die EinEin-spruchsfrist von acht Wochen ungenützt verstreichen zu lassen. Erhebt der Bundesrat Einspruch, hat dies lediglich die Folge, dass sich der Nationalrat erneut mit der Sache beschäftigen muss. Dieser kann dann mittels Be-harrungsbeschluss seinen ursprünglichen Beschluss bei Anwesenheit von mindes-tens der Hälfte seiner Mitglieder bestätigen, womit das parlamentarische Verfahren abgeschlossen ist, oder er ändert den ursprünglichen Gesetzesbeschluss ab, was dazu führt, dass ein neuer Gesetzesvorschlag des Nationalrates vorliegt und somit das parlamentarische Verfahren erneut seinen Lauf nimmt. Dieses suspensive Veto-recht des Bundesrates hat folglich meist nur verzögernde Wirkung und wird in der Praxis vor allem dann nur selten genutzt, wenn in Nationalrat und Bundesrat die glei-chen politisglei-chen Mehrheitsverhältnisse herrsglei-chen. So gab es beispielsweise zwi-schen 1995 und 2005 keinen einzigen Einspruch seitens des Bundesrates.275

Das Verfahren bei suspensivem Vetorecht des Bundesrates zeigt, dass es in Öster-reich für das Zustandekommen eines Gesetzes grundsätzlich nicht erforderlich ist, dass beide Kammern übereinstimmende Beschlüsse fällen. Die Ausnahme besteht in jenen Fällen, in denen dem Bundesrat ein absolutes Vetorecht zukommt, er also dem Gesetzesbeschluss des Nationalrates seine Zustimmung erteilen muss.

In der Schweiz besteht, wie bereits erwähnt, ein gänzlich anderes Verständnis in Be-zug auf die Zusammenarbeit der beiden Kammern. Übereinstimmende Beschlüsse sind unerlässlich für das Zustandekommen eines Gesetzes. Können sich Nationalrat und Ständerat nicht auf einen einheitlichen Gesetzesbeschluss einigen, kommt das Differenzbereinigungsverfahren zum Tragen, da eine Schlussabstimmung ohne gung nicht durchgeführt werden kann. Die Art 89 ff ParlG regeln, dass eine

274Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 41 B-VG Rz 6; Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 42 B-VG Rz 1; Schick in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 42 B-VG Rz 5 f.

275Berka, Grundzüge4 Rz 619.

57 gungskonferenz einzusetzen ist, wenn nach drei Detailberatungen noch immer Diffe-renzen zwischen den beiden Beschlüssen bestehen. Auch dieses Verfahren bringt die Gleichberechtigung beider Kammern zum Ausdruck. Das Instrument der Eini-gungskonferenz wurde 1991 aus dem Grund eingeführt, weil das Geschäft davor so lange zwischen den Räten hin- und herpendelte, bis ein Rat schließlich seinen Be-schluss für endgültig erklärte. Die Einigungskonferenz zeigte sich bisher mit einigen wenigen Ausnahmen als sehr erfolgreich.276

Auch wenn die Gleichberechtigung von Nationalrat und Ständerat in der Schweiz durchaus positiv gesehen werden kann, bringt dieses System auch Nachteile mit sich. Gesetze entstehen in einem Prozess, der von Kompromissen und Konfliktbe-wältigung geprägt ist. Dies hat zur Folge, dass Lösungen gesucht werden müssen, die alle Beteiligten zufrieden stellt und somit unter Umständen jeder Abstriche vom ursprünglich geplanten Gesetzesinhalt machen muss. Außerdem sind Innovationen eher selten zu finden. Als klarer Vorteil ist aber zu sehen, dass die gemeinsame Lö-sung zu einer erhöhten Akzeptanz der Regelung durch alle Beteiligten führt.277

Gemeinsam ist beiden Staaten, dass der Gesetzesentwurf vor der Beratung in den Räten von einer Kommission bzw einem Ausschuss vorberaten wird. In der Vorbera-tung wird der Entwurf diskutiert, wobei die Ergebnisse der BeraVorbera-tung in den Entwurf einfließen und dieser geändert bzw umgestaltet werden kann. Sowohl die Kommissi-onsanträge in der Schweiz als auch die Ausschussberichte in Österreich haben gro-ßes Gewicht im Gesetzgebungsprozess, bilden sie doch die Grundlage der Ent-scheidung in den Räten.278

Die Erfordernisse für die Beschlussfassung in den Räten sind in der Schweiz und in Österreich in der Bundesverfassung geregelt, wobei sich Anwesenheits- und Mehr-heitserfordernisse unterscheiden. In der Schweiz sieht Art 159 BV vor, dass für eine gültige Beschlussfassung in National- und Ständerat grundsätzlich die Anwesenheit der Mehrheit ihrer Mitglieder und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht. In Österreich ist im Nationalrat nach Art 31 B-VG grundsätzlich die

276Biaggini, Bundesverfassung Art 156 BV Rz 7.

277Lindner in Ismayr (Hrsg), Systeme Westeuropas4 585.

278Berka, Grundzüge4 Rz 613; Tschannen, Staatsrecht3 § 34 Rz 58.

58 senheit eines Drittels seiner Mitglieder und die unbedingte Mehrheit erforderlich.

Nach Art 37 Abs 1 B-VG gelten für den Bundesrat dieselben Quoren. In beiden Staa-ten gibt es außerdem Fälle, in denen erhöhte Beschlusserfordernisse vorgesehen sind.

4.3.4 Referendum

Für einfache Gesetzesbeschlüsse ist in beiden Staaten die Möglichkeit eines fakulta-tiven Referendums vorgesehen. Die diesbezüglichen Regelungen finden sich in der Schweiz und in Österreich in der Bundesverfassung, nämlich in Art 141 Abs 1 lit a BV und in Art 43 B-VG. Der Gesetzesbeschluss gilt in beiden Staaten als vom Volk an-genommen, wenn sich die Mehrheit der Stimmenden dafür ausspricht.

Unterschiede bestehen jedoch hinsichtlich der Initiierung des Referendums. In der Schweiz ist für die Durchführung die Unterschrift von mindestens 50.000 Stimmbe-rechtigten oder der Beschluss von acht Kantonen erforderlich. Um den Beschluss der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird dieser nach der Schlussabstimmung im Bundesblatt veröffentlicht. In Österreich kommt es hingegen zu einer Volksabstim-mung, wenn dies vom Nationalrat oder der Mehrheit seiner Mitglieder beschlossen wird.

Die österreichische Lösung ist ein Kompromiss zwischen Christlichsozialen und So-zialdemokraten. In den Vorentwürfen zum B-VG war ursprünglich eine Regelung ge-plant, die jener der Schweiz ähnelt. Ein Referendum wäre danach vorgesehen gewe-sen, wenn sich nach Kundmachung eine gewisse Anzahl der Stimmberechtigten für eine Volksabstimmung ausspricht. Dieses Vorgehen wurde jedoch von den Sozial-demokraten abgelehnt und die konstituierende Nationalversammlung hat schließlich das fakultative Referendum in der heute geltenden Form umgesetzt.279

Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich gibt es außerdem weitere Fälle, in de-nen ein fakultatives Referendum durchgeführt werden kann bzw ein obligatorisches Referendum durchgeführt werden muss.

279Bußjäger in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Art 43 B-VG Rz 2.

59 4.3.5 Kundmachung und Inkrafttreten

Verbindlichkeit kommt einem Gesetz in der Schweiz und in Österreich erst mit ord-nungsgemäßer Kundmachung zu. Diese erfolgt in der Schweiz zunächst in der Amtli-chen Sammlung, in welcher alle Erlasse des Bundes chronologisch gereiht sind so-wie in der Systematischen Sammlung, in welcher die Erlasse nach Sachgebieten geordnet werden. Beide Sammlungen werden in gedruckter und elektronischer Form veröffentlicht, wobei die gedruckte Fassung der Amtlichen Sammlung maßgebend ist. In Österreich erfolgt die Kundmachung im Bundesgesetzblatt, welches seit 2004 nur mehr elektronisch veröffentlicht wird.

In der Schweiz finden sich die mit der Publikation in Zusammenhang stehenden Re-gelungen grundsätzlich im PublG. Neben den Vorschriften über die Veröffentlichung findet sich darin auch jene Bestimmung, nach der für die Verbindlichkeit eines Ge-setzes die ordnungsgemäße Publikation Voraussetzung ist.280 In Österreich ergibt sich dieser Grundsatz hingegen aus der Bundesverfassung selbst.281 Das BGBlG regelt die bei der Kundmachung einzuhaltenden Vorschriften.

Das Inkrafttreten von Gesetzen ist in beiden Staaten unterschiedlich ausgestaltet. In der Schweiz wird das Datum des Inkrafttretens grundsätzlich im Gesetz selbst fest-gelegt. Daneben ist es aber auch möglich, dass der Gesetzgeber den Bundesrat mit der Festlegung eines Datums beauftragt. Dieser ist auch dann zuständig, wenn im Gesetz weder ein Datum noch eine entsprechende Delegationsregel enthalten ist.

In Österreich tritt ein Gesetz dagegen grundsätzlich mit Ablauf des Tages seiner Kundmachung in Kraft. Der Gesetzgeber hat allerdings die Möglichkeit, anderes zu beschließen und so das Inkrafttreten auf einen späteren oder sogar früheren Zeit-punkt zu legen.

280 Art 8 PublG.

281 Art 49 B-VG.

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5 Der Geltungsbereich von Gesetzen

5.1 Schweiz

5.1.1 Zeitlicher Geltungsbereich

5.1.1.1 Inkrafttreten

Mit dem Inkrafttreten eines Gesetzes beginnt auch dessen Rechtsverbindlichkeit.

Erst ab diesem Zeitpunkt können Gesetze Rechtswirkungen entfalten. Das Datum des Inkrafttretens kann durch den Gesetzgeber im Gesetz selbst festgelegt werden, idR wird die Festsetzung aber dem Bundesrat überlassen.282

Nach Art 8 PublG entfaltet ein Gesetz für den Rechtsunterworfenen erst nach ord-nungsgemäßer Publikation Verbindlichkeit.283

5.1.1.2 Außerkrafttreten

Grundsätzlich gelten Bundesgesetze auf unbestimmte Zeit, eine Befristung derselben durch die Bundesversammlung ist jedoch möglich.284 Befristete Gesetze treten mit Ablauf der Frist außer Kraft. Eine formelle Aufhebung ist nicht erforderlich.285

Die Außerkraftsetzung unbefristeter Gesetze erfordert hingegen den späteren Erlass eines Gesetzes gleichen oder höheren Rangs, wobei in diesem Fall zwischen formel-ler und materielformel-ler Aufhebung zu unterscheiden ist.286

282Forstmoser/Vogt, Einführung in das Recht4 (2008) § 2 Rz 151; Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemei-nes Verwaltungsrecht5 (2006) Rz 310 ff; Tschannen/Zimmerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (2009) § 24 Rz 8.

283Forstmoser/Vogt, Einführung4 § 2 Rz 150; Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 315.

284Tschannen, Staatsrecht3 § 45 Rz 29.

285Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 319;Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3

§ 24 Rz 11.

286Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 319; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3

§ 24 Rz 10.

61 Bei der formellen Aufhebung erklärt das neue Gesetz das ältere ausdrücklich für auf-gehoben. Tritt das jüngere Gesetz später selbst außer Kraft, lebt das ältere nicht wieder auf. Eine materielle Aufhebung liegt vor, wenn das neue Gesetz deckungs-gleich mit dem älteren ist oder diesem widerspricht. In diesem Fall ergibt sich aus dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori der Vorrang des jüngeren Erlasses.

Wird das jüngere Gesetz später formell aufgehoben, lebt das ältere Recht wieder auf.287

5.1.1.3 Rückwirkung

Rückwirkung bedeutet, dass neues Recht auf einen Sachverhalt anzuwenden ist, der sich unter altem Recht ereignet hat. Es ist zwischen echter und unechter Rückwir-kung zu unterscheiden.288

5.1.1.3.1 Echte Rückwirkung

Bei einer echten Rückwirkung wird ein Sachverhalt einer Regelung unterstellt, der vor Inkrafttreten derselben abschließend verwirklicht wurde. Da diese Art der Rück-wirkung dem Grundsatz der Rechtssicherheit widerspricht, ist die echte RückRück-wirkung grundsätzlich unzulässig.289

Nach der bundesgerichtlichen Praxis ist eine echte Rückwirkung aber ausnahmswei-se zulässig, wenn fünf Vorausausnahmswei-setzungen kumulativ erfüllt sind. Die Rückwirkung muss dazu auf einer gesetzlichen Grundlage basieren, durch triftige Gründe gerecht-fertigt und zeitlich mäßig sein, wobei hier vor allem die Vorhersehbarkeit der Geset-zesänderung relevant ist. Außerdem darf sie keine gravierenden Rechtsungleichhei-ten bewirken oder einen Eingriff in wohlerworbene Rechte darstellen.290

Ist die echte Rückwirkung für den Rechtsunterworfenen jedoch nicht belastend son-dern begünstigend, wird das Rückwirkungsverbot weniger streng gehandhabt. Auch

287Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 320 f; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungs-recht3 § 24 Rz 10.

288Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3 § 24 Rz 21.

289Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 329 f; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungs-recht3 § 24 Rz 25 f.

290Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 331; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3

§ 24 Rz 26.

62 in diesem Fall müssen aber insbesondere die ersten vier der genannten Vorausset-zungen erfüllt sein.291

5.1.1.3.2 Unechte Rückwirkung

Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn neues Recht auf einen Dauersachverhalt angewendet wird, der zeitlich offen ist, was bedeutet, dass der Sachverhalt zwar un-ter altem Recht entstanden, beim Inkrafttreten des neuen Rechts aber noch nicht abgeschlossen ist. Diese Art der Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig, da weit we-niger in den Grundsatz der Rechtssicherheit eingegriffen wird, als bei der echten Rückwirkung.292

5.1.2 Örtlicher Geltungsbereich

Der örtliche Geltungsbereich eines Gesetzes richtet sich grundsätzlich nach dem Territorialitätsprinzip. Dieses besagt, dass ein Erlass in jenem räumlichen Bereich Geltung erlangt, in welchem der jeweilige Gesetzgeber zuständig ist.293

Konkret bedeutet dies, dass eidgenössisches Recht im gesamten Bundesgebiet der Schweiz gilt, während kantonales Recht im Gebiet eines bestimmten Kantons und kommunales Recht im Gebiet einer bestimmten Gemeinde gilt.294

291Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 334 f; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungs-recht3 § 24 Rz 27.

292Häfelin/Müller/Uhlmann, Verwaltungsrecht5 Rz 337 ff; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungs-recht3 § 24 Rz 28.

293Richter, Sprachenordnung und Minderheitenschutz im schweizerischen Bundesstaat: Relativität des Sprachenrechts und Sicherung des Sprachfriedens, in Bogdandy/Wolfrum (Hrsg), Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht: Band 158 (2005) 145; Tschannen/Zimmerli/Müller, Verwaltungsrecht3 § 24 Rz 3.

294Müller/Gehring/Hirt, Einführung in das Recht - Management-Basiskompetenzen: Theoretische Grundlagen und Methoden mit Beispielen, Repetitionsfragen und Antworten3 (2010) 16.

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5.2 Österreich

5.2.1 Zeitlicher Geltungsbereich

5.2.1.1 Inkrafttreten

Nach Art 49 Abs 1 B-VG treten Bundesgesetze mit Ablauf des Tages ihrer Kundma-chung in Kraft, wobei der Gesetzgeber auch anderes bestimmen kann. In diesem Fall ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens ausdrücklich im Text des Gesetzes festzusetzen.

Rechtsverbindliche Wirkung kommt einem Gesetz erst ab dem Zeitpunkt des In-krafttretens zu.295

Die ordnungsgemäße Kundmachung eines Gesetzes spielt eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten. Durch die Kundmachung wird ein Gesetz Be-standteil der österreichischen Rechtsordnung, weshalb sie eine Voraussetzung für das Inkrafttreten von Rechtsvorschriften darstellt.296

5.2.1.2 Außerkrafttreten

Der zeitliche Geltungsbereich von Gesetzen endet mit deren Außerkraftsetzung. Be-fristete Gesetze treten ex lege mit Fristablauf außer Kraft. IdR werden Gesetze aber unbefristet erlassen, gelten daher ohne zeitliche Begrenzung. Diese treten außer Kraft, wenn sie durch einen späteren Rechtsakt aufgehoben werden, was als Dero-gation bezeichnet wird.297

Eine Derogation kann formell oder materiell erfolgen. Eine formelle Derogation liegt vor, wenn ein Gesetz ausdrücklich bestimmt, dass eine ältere Rechtsvorschrift außer Kraft treten soll.298

295Berka, Grundzüge4 Rz 478 f; Stolzlechner, Öffentliches Recht5 Rz 38 ff; Thienel in

Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichisches Bundesverfassungsrecht: Textsammlung und Kommentar II/1 (1. Lfg 1999), Art 48, 49 B-VG Rz 59 und 62.

296 Stolzlechner, Öffentliches Recht5 Rz 39; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungs-recht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 58.

297 Berka, Grundzüge4 Rz 482; Stolzlechner, Öffentliches Recht5 Rz 41 f; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 69.

298Berka, Grundzüge4 Rz 483; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (2009) Rz 517; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 72.

64 Wird ein neues Gesetz erlassen, das denselben Regelungsgegenstand wie ein be-reits bestehendes hat und besteht insofern ein Konflikt zwischen den beiden Nor-men, dass diese inhaltlich unvereinbar sind, greift der Grundsatz lex posterior derogat legi priori und bewirkt ebenfalls die Aufhebung der älteren Rechtsvorschrift.

In diesem Fall liegt eine materielle Derogation vor.299

5.2.1.3 Rückwirkung

Die Rückwirkung eines Gesetzes, die nach Art 49 Abs 1 B-VG von der Verfassung nicht ausgeschlossen ist, bedeutet, dass dieses auch auf Sachverhalte angewendet wird, die sich vor Inkrafttreten des Gesetzes ereignet haben.300

Eine Rückwirkung von Gesetzen kann in gewissen Fällen jedoch unzulässig sein.

Verfassungsrechtliche Schranken ergeben sich beispielsweise aus Art 7 EMRK301. Danach ist die Rückwirkung von Strafgesetzen ausgeschlossen. Ein rückwirkendes Gesetz ist auch dann verfassungswidrig, wenn es für den Rechtsunterworfenen nachteilig ist und erheblich in das Prinzip des verfassungsrechtlichen Vertrauens-schutzes eingreift, das in engem Zusammenhang mit dem Gleichheitssatz steht.

Nach diesem ist eine unsachliche Differenzierung bei der rückwirkenden Erfassung von Sachverhalten untersagt.302

5.2.1.3.1 Echte und unechte Rückwirkung

Ein Teil der Lehre differenziert zwischen echter und unechter Rückwirkung und er-kennt damit die unterschiedlichen Folgen an. Bei der echten Rückwirkung hat sich der betreffende Sachverhalt abschließend vor dem Inkrafttreten der Rechtsvorschrift ereignet. Die unechte Rückwirkung bezieht sich hingegen auf Sachverhalte, die vor Inkrafttreten der Norm begonnen haben und nach Inkrafttreten weiter andauern.303

„Während ‚echte‘ Rückwirkungen regelmäßig wegen Verstoßes gegen das

299Berka, Grundzüge4 Rz 483; Raschauer, Verwaltungsrecht3 Rz 517 ff; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 72.

300Raschauer, Verwaltungsrecht3 Rz 534; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungs-recht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 66.

301Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210 idgF.

302Berka, Grundzüge4 Rz 488 ff;Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 67 f.

303Raschauer, Verwaltungsrecht3 Rz 534; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungs-recht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

65 staatsprinzip als unzulässig angesehen werden, seien ‚unechte‘ Rückwirkungen idR zulässig.“304

Der VfGH folgt der Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung je-doch nicht. Anders als das BVerfG in Deutschland, das in Fragen der Zulässigkeit einer rückwirkenden Rechtsvorschrift idR auf das Rechtsstaatsprinzip zurück- und so die oben genannte Differenzierung und deren Folgen aufgreift, beurteilt der VfGH die Frage der Zulässigkeit der Rückwirkung im Einzelfall. Er leitet die Schranken für rückwirkende Regelungen aus den einzelnen Grundrechten ab und wägt den Eingriff in das Vertrauen der Rechtsunterworfenen gegen das öffentliche Interesse ab.

Ebenso entscheidungsrelevant ist das Gewicht des Eingriffs in die Rechtsposition des Einzelnen.305

5.2.2 Örtlicher Geltungsbereich

Der örtliche Geltungsbereich von Bundesgesetzen ergibt sich grundsätzlich aus Art 49 Abs 1 B-VG wonach diese im gesamten Bundesgebiet gelten, soweit nicht aus-drücklich etwas anderes bestimmt ist.306

Eine Erstreckung des örtlichen Geltungsbereichs über die Grenzen des Bundesge-biets hinaus ist aufgrund der souveränen Staatsgewalt, der Hoheit eines Staates über sein Gebiet, beschränkt und nur aufgrund der Ermächtigung durch allgemein anerkannte völkerrechtliche Regeln und unter Berücksichtigung des Art 9 B-VG zu-lässig.307

Eine Einschränkung des örtlichen Geltungsbereichs ist insbesondere in Fällen der paktierten Gesetzgebung erforderlich, wonach Bund und Länder gleichlautende Vor-schriften erlassen müssen und das Bundesgesetz demnach nur den örtlichen Gel-tungsbereich jener Länder umfassen darf, in dem auch ein entsprechendes

304Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

305Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 68.

306Berka, Grundzüge4 Rz 491; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 73.

307Seidl-Hohenveldern/Hummer in Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts: Band 1 - Textteil4 (2004) Rz 732 ff; Thienel in Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesver-fassungsrecht II/1 Art 48, 49 B-VG Rz 73.

66 gesetz ergangen ist. Darüber hinaus ist eine Einschränkung des örtlichen Geltungs-bereichs auch in anderen von der Verfassung vorgesehenen Fällen erforderlich. Zu berücksichtigen sind in jedem Fall der Gleichheitssatz sowie Art 4 B-VG, wonach Ös-terreich ein einheitliches Währungs-, Wirtschafts- und Zollgebiet darstellt.308

5.3 Vergleich Schweiz – Österreich

Hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs von Gesetzen spielt der Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes sowohl in der Schweiz als auch in Österreich eine

Hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs von Gesetzen spielt der Zeitpunkt des Inkrafttretens eines Gesetzes sowohl in der Schweiz als auch in Österreich eine