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C. Die Vereinbarkeit der Bedarfszulassung von Rehabilitationseinrichtungen mit

II. Das Territorialitätsprinzip und die sich daraus ergebende Konsequenz

1. Verstoß der Landesverbände der Krankenkassen gegen

82 EGV

Das Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EGV und das Mißbrauchsverbot des Art. 82 EGV stellen unmittelbar anwendbares Recht dar625, so dass sie die angesprochenen Unter-nehmen direkt berechtigen, aber auch verpflichten.

Ein Verstoß gegen das Kartellverbot könnte darin liegen, dass eine einheitliche Zulas-sungspraxis der Landesverbände insofern besteht, als mit ausländischen Einrichtungen grundsätzlich keine Versorgungs-verträge abgeschlossen werden.

Einer Missbrauchsprüfung könnte die Zulassungspraxis der Landesverbände insofern zugänglich sein, als diese ein nicht unerhebliches Nachfragepotential auf dem Gebiet medizinischer Reha-bilitationsleistungen darstellen und damit eine marktbeherrschende Stellung i. S. des Art. 82 S. 1 EGV durch die Nichtzulassung ausländischer Einrichtun-gen mißbrauchen. In beiden Fällen geht es somit um die durch das Sachleistungsprinzip

624 Schröter in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Art. 85 Einführung, Rz. 34 und Art. 86, Rz. 37;

Gleiss/Hirsch, 3. Aufl., Art. 86, Rz. 5.

625 EuGH 6. 4. 1962, Slg. 1962, 97 ff. (112) (De Geus/Bosch); Brinker in: Schwarze, Art. 81 EGV, Rz. 1;

Bleck mann/Pieper in: Lenz EG-Handbuch, S. 682 m. w. Nachw.

geschaffene Rolle der Landesverbände bzw. deren Mitgliedskassen als Nachfrager auf dem Markt für Gesundheitsleistungen.

Ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten im Sinne der Art. 81 Abs. 1 und Art. 82 EGV setzt erstens voraus, dass diese Vorschriften für den hier in Frage stehenden Bereich überhaupt anwendbar sind und verlangt zweitens, dass die jeweiligen Tatbe-standsmerkmale erfüllt sind.

a) Anwendbarkeit der Art. 81 und 82 EGV

Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des EG-Vertrags ist das Vorliegen eines Unternehmens im Sinne der Art. 81 ff. EGV.

Ein Verstoß gegen die genannten Wettbewerbsregeln setzte somit voraus, dass die Landesverbände der Krankenkassen als „Unternehmen“ oder „Unternehmensvereini-gungen“ im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV bzw. als „ein oder mehrere Unternehmen“ i.

S. des Art. 82 S. 1 EGV einzustufen wären.

Der EuGH definiert den Unternehmensbegriff im Sinne der Art. 81 ff. EGV als eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung626. Diese weite Definition – man spricht hier auch vom funktio-nalen Unternehmensbegriff – erfaßt auch öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen627. Ausgenommen sind die Bereiche der rein privaten Betätigung, sowie der Ausübung staatlicher hoheitlicher Gewalt628. Trotz dieses sehr weiten Unterneh-mensbegriffs ergeben sich im Zusammenhang mit der Frage, ob Kassenverbände als Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts anzusehen sind629, mehrere Probleme, die es im Folgenden zu erörtern gilt.

626 EuGH 23.4.1991, Slg. 1991, 1979 I ff. (2016) (Höfner u. Elser); EuGH 17.2.1993, Slg. 1993, 637 I ff.

(669) (Poucet u. Pistre); EuGH 16.11.1995, Slg. 1995 I, 4013 ff. (Fédération française); EuGH 11.12.1997, Slg. 1997; 7119 I ff. (7147) (Job Centre).

627 Emmerich, Kartellrecht, S. 410 m. w. Nachw. ;Bleckmann/Pieper in: Lenz EG-Handbuch, S. 685 m. w.

Nachw. aus der Rechtsprechung des EuGH.

628 Boecken, NZS 2000, 269 ff. (272); Hänlein/Kruse, NZS 2000, 165 ff. (167).

629 Vgl. auch BSG, Urt. v. 14. 6. 1995, NZS 1995, 502 (507 f.), wo u. a. die Frage aufgeworfen wurde, ob es sich bei den an der Festbetragsregelung des § 35 SGB V beteiligten Krankenversicherungsträgern und Verbänden um Unternehmen i. S. der Art. 81 ff. EGV (früher Art. 85 ff. EGV) handele.

aa) Einrichtungen auf dem Gebiet sozialer Sicherheit als Unternehmen

Ebensowenig wie für den Bereich der Grundfreiheiten630 ist die Anwendbarkeit des europäischen Kartellrechts dadurch ausgeschlossen, dass nach der ständigen Rechtspre-chung des EuGH das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt läßt631. Auch hier gilt, dass zwar die konkrete Ausgestaltung des Leistungs- wie auch des Leistungserbrin-gungsrechts den Mitgliedstaaten überlassen bleibt, sich jedoch das Ergebnis dieser Ausgestaltung an den Vorgaben des Vertrags – also sowohl der Grundfreiheiten als auch des Wettbewerbsrechts - messen lassen muß632. Dieser Schluß läßt sich auch aus mehreren Urteilen des EuGH auf dem Gebiet des europäischen Kartellrechts ziehen, wo der Gerichtshof ohne weiteres im Zusammenhang mit Trägern von Systemen sozialer Sicherheit eine Prüfung der Art. 81 ff EGV vorgenommen hat, ohne eine generelle Bereichsausnahme für Systeme sozialer Sicherheit anzunehmen633.

Im übrigen ist eine Bereichsausnahme von den Art. 81 ff. EGV nur dort anzunehmen, wo der Vertrag eine solche ausdrücklich vorsieht634. Dies ist jedoch für den Bereich der sozialen Sicherheit nicht der Fall635.

bb) Kein Entgegenstehen der Rechts- und Handlungsform der Landesverbände Wie bereits mehrfach erwähnt, werden die Versorgungsverträge – wenn auch „mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen“636 - von den Landesverbänden der Krankenkassen

630 Siehe insoweit unter C. II. 2. b).

631 EuGH 28. 4. 1998, Slg. 1998 I, 1931 ff. (1942) (Kohll); EuGH 28. 4. 1998, Slg. 1998 I, 1831 ff. (1880) (Decker), jeweils m. w. Nachw.

632 Siehe Boecken, a. a. O.; EuGH 28. 4. 1998, Slg. 1998 I, 1931 ff. (1943) (Kohll); EuGH 28. 4. 1998, Slg. 1998 I, 1831 ff. (1881) (Decker).

633 EuGH 23. 4. 1991, Slg. 1991 I, 1979 ff. (2011 ff.) (Höfner und Elser); EuGH 17. 2. 1993, Slg. 1993 I, 637 ff. (664 ff.) (Poucet u. Pistre); EuGH 16. 11. 1995, Slg. 1995 I, 4013 ff. (4031) (FFSA); EuGH 17. 6.

1997, Slg. 1997 I, 3395 ff. (3424 ff.) (Sodemare); EuGH 11. 12. 1997, Slg. 1997 I, 7119 ff. (7142 ff.) (Job Centre). So auch Hänlein/Kruse, NZS 2000, 165 ff. (167).

634 EuGH 30. 4. 1986, Slg. 1986, 1425 ff. (1465) (Ministère Public/Asjes); Hänlein/Kruse NZS 2000, 165 ff. (167).

635 Siehe Hänlein/Kruse, NZS 2000, 165 ff. (167). Etwas anderes ergibt sich freilich auch nicht daraus, dass die Sozialpolitik in Art. 3 Abs. 1 Buchst. j) EGV ausdrücklich als Tätigkeitsbereich der Gemein-schaft bezeichnet ist (so aber der niederländische Stichting Bedrijfspensioensfonds Textielindustrie im Verfahren Albany International, Rs. C-67/96 und verbundene Verfahren, zitiert aus Hänlein/Kruse, NZS 2000, 165 ff. (167), Fn. 15 mit Verweis auf die Homepage des EuGH unter http://www.curia.eu.int).

636 Vgl. § 111 Abs. 2 S. 1 SGB V.

abgeschlossen. Soweit es die Landesverbände der Orts-, Betriebs-, und Innungskran-kenkassen anbelangt, handelt es sich dabei gem. § 207 Abs. 1 S. 1 u. 2 SGB V um Körperschaften des öffentlichen Rechts637. Dies gilt gem. § 4 Abs. 1 SGB V und § 29 Abs. 1 SGB IV auch für die landwirtschaftlichen Krankenkassen des jeweiligen Bundeslandes638, welche wegen der besonderen Verbandsstrukturen in der landwirt-schaftlichen Sozialversicherung gleichzeitig die Funktion eines „Landesverbandes“ inne haben639, sowie die Bundesknappschaft640. Nicht so bei den Verbänden der Ersatzkas-sen641, welche in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins geführt werden und damit keine Körperschaften des öffentlichen, sondern des privaten Rechts darstellen642. Allerdings dürfte es sich hier bezüglich der ihnen übertragenen öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Abschlusses von Versorgungsverträgen nach § 111 SGB V um Beliehene handeln643.

Soweit die Landesverbände den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts inne haben, drängt sich einem die Frage auf, ob sie als solche nicht rein hoheitlich und damit gerade nicht als „Unternehmen“ im Sinne des europäischen Kartellrechts tätig wer-den644. Wie bereits erwähnt, stellt jedoch die Rechtsform als solche – auch wenn es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt - kein Kriterium für das Vorlie-gen eines Unternehmens dar. Abzustellen ist vielmehr auf die Funktion, d. h. auf die

637 Zur Entwicklungsgeschichte vgl. Ruland, DRV 1988, 359 ff. (361 ff.).

638 Für Baden-Württemberg sind dies die Landwirtschaftliche Krankenkasse Württemberg in Stuttgart, die Badische Landwirtschaftliche Krankenkasse in Karlsruhe sowie die bundesweite Krankenkasse für den Gartenbau mit Sitz in Kassel, welche allerdings beim Abschluß der Versorgungsverträge nach § 111 SGB V von den anderen beiden vertreten wird.

639 In der landwirtschaftlichen Sozialversicherung existieren lediglich Bundesverbände, jedoch keine Landesverbände; vgl. hierzu Volbers in: Schulin HS-KV, § 57 Rz. 3 f.

640 Vgl. § 6 des Gesetzes zur Errichtung der Bundesknappschaft (BKnEG) v. 28. 7. 1969, BGBl. I, S. 974;

Sitz der Bundesknappschaft ist Bochum (vgl. § 136 SGB VI), wobei für die Ausführung des § 111 SGB V die jeweilige Verwaltungsstelle zuständig ist (für Baden-Württemberg die Verwaltungsstelle Mün-chen).

641 Als solche bestehen der Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) sowie der Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (AEV).

642 KassKomm-Peters, § 212 SGB V, Rz. 5; Hauck in: Hauck/Haines, § 212 SGB V, Rz. 5.

643 Siehe Vogel, NZS 1999, 375 ff. (376).

644 Bezüglich der Ersatzkassenverbände als Beliehene stellt sich diese Frage in dieser Form nicht, da sich durch die Beleihung zwar der Status, nicht jedoch die privatrechtliche Rechtsform ändert. Indes geht es freilich auch hier um das Problem des hoheitlichen Tätigwerdens, weshalb auch darauf noch einzugehen sein wird.

konkrete Tätigkeit, so dass ein Unternehmen in einer Funktion dem Wettbewerbsrecht unterfallen kann, in einer anderen indes nicht645.

Größere Zweifel ob ihrer Unternehmenseigenschaft ergeben sich allerdings hinsichtlich der Tatsache, dass es sich bei den von ihnen abzuschließenden Versorgungsverträgen um öffentlich-rechtliche Verträge handelt646 und die Kassenverbände bezüglich des Abschlusses von Versorgungsverträgen nach der Rechtsprechung des Bundessozialge-richts in ihrer Gesamtheit als Behörde anzusehen sind647. Auch diesbezüglich könnte man zunächst daran denken, es handle sich bei der Zulassung nach § 111 SGB V um rein hoheitliches und damit nicht unternehmerisches Handeln, was sich in diesem Fall auch auf die in privater Rechtsform betriebenen Ersatzkassenverbände als Beliehene bezöge. Dagegen spricht jedoch bereits, dass sich eine öffentlich-rechtliche Körper-schaft im Bereich des öffentlich-rechtlichen Vertrages auf die Ebene des Vertragspartners begibt und damit der Erlaß von Verwaltungsakten als typisch hoheitli-che Instrumente zur Durchsetzung eigener Rechte aus dem Vertrag nicht mehr zulässig sind648.

Wichtigstes Argument ist jedoch der funktionale Unternehmensbegriff als solcher.

Danach richtet sich die Einordnung als Unternehmen nach der im Einzelfall ausgeübten, konkreten Tätigkeit649. Dies bedeutet jedoch zugleich, dass die rechtliche (äußere) Form dieses Handelns allenfalls beiläufiges Indiz, in keinem Fall jedoch entscheidendes Kriterium sein kann650. Dafür spricht vor allem auch, dass die nach deutschem Recht fundamentale Abgrenzung zwischen öffentlichem und Privatrecht in den Rechtsordnun-gen anderer EU-Staaten oft gar nicht vorRechtsordnun-genommen wird651.

645 Vogel, NZS 1999, 375 ff. (377).

646 Siehe hierzu unter A. I. 1. a).

647 BSG, 19. 11. 1997, NZS 1998, 429 ff. (430).

648 Siehe Achterberg, § 21, Rz. 275 m. w. Nachw.; kritisch zur „Gleichordnung“ im Rahmen öffentlich-rechtlicher Verträge Schuster, S. 113 ff. m. w. Nachw.

649 EuGH 16. 6. 1987, Slg. 1987, 2599 ff. (2621) (Kommission/Italien); Brinker in: Schwarze Art. 81, Rz.

23.

650 Boecken, NZS 2000, 269 ff. (272); Neumann, WuW 1999, 961 ff. (963 f.); Vogel, NZS 1999, 375 ff.

(377) m. w. Nachw.

651 Neumann, WuW 1999, 961 ff. (964).

cc) Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit

Entsprechend dem funktionalen Unternehmensbegriff muß es sich bei der in Frage stehenden Zulassung von Rehabilitationseinrichtungen nach § 111 SGB V um eine wirtschaftliche Betätigung handeln, damit die Unternehmereigenschaft der Landesver-bände bejaht werden kann652. „Wirtschaftliche Betätigung“ bedeutet eine auf den Austausch von Waren und Dienstleistungen bezogene erwerbswirtschaftliche Tätig-keit653. Die Landesverbände schließen die Versorgungsverträge mit den Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen ab und treten hierdurch gleichsam „mit Wirkung für ihre Mitgliedskassen“654 als Nachfrager auf dem Markt für Leistungen medizinischer Rehabilitation auf. Ob sie allerdings als solche am Wirtschaftsmarkt in einer auf Austausch von Dienstleistungen und Gegenleistungen gerichteten Funktion teilnehmen, ist insofern fraglich, als die Dienstleistungen für die einzelnen Krankenkassen erbracht werden und von diesen wiederum die Gegenleistungen erstattet werden. Am Aus-tauschverhältnis selbst sind somit die Landesverbände – jedenfalls soweit es sich tatsächlich um solche handelt655 - nicht unmittelbar beteiligt, sondern lediglich über die Mitgliedskrankenkassen. Die Landesverbände sind damit zwar nicht als Unternehmen, jedenfalls aber als Unternehmensvereinigung einzustufen656.

dd) Kein Entgegenstehen von „Poucet und Pistre“

Dem so gewonnenen Ergebnis, wonach die Landesverbände in Bezug auf die Zulassung von Rehabilitationseinrichtungen als Unternehmensvereinigungen i. S. der Art. 81 und 82 EGV anzusehen sind, steht auch das Urteil Poucet und Pistre657 nicht entgegen. In dem Vorabentscheidungsverfahren ging es um die Frage, ob eine mit der Verwaltung eines besonderen Systems der sozialen Sicherheit betraute Einrichtung als Unternehmen im Sinne der Art. 81 und 82 EGV anzusehen sind, welche der EuGH im Ergebnis allerdings mit „nein“ beantwortet hat.

652 Siehe die entsprechenden Nachweise zur EuGH-Rechtsprechung in Fn. 653.

653 Siehe Brinker in Schwarze, Art. 81, Rz. 24; Vogel, a. a. O.

654 Vgl. § 111 Abs. 2 S. 1 SGB V.

655 Wie oben erwähnt, ist dies z. B. bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen als „Landesverbände“

nicht der Fall (siehe unter C. IV. 1. a) bb)).

656 So auch Zechel, S. 88 ff.

657 Siehe EuGH 17.2.1993, Slg. 1993 I, 637 ff. (664 ff.).

Zwar hat der EuGH in seiner Begründung festgestellt, dass die Krankenkassen oder die Einrichtungen, die bei der Verwaltung der öffentlichen Aufgabe der sozialen Sicherheit mitwirken, eine Aufgabe mit ausschließlich sozialem Charakter erfüllten658, was zu der Annahme verleiten könnte, dass damit alle Einrichtungen dieser Art – und damit auch die Landesverbände i. S. des § 111 SGB V – vom Unternehmensbegriff ausgeschlossen sind659. Entsprechend dem funktionalen Unternehmensbegriff ist jedoch diese Entschei-dung nur vor dem Hintergrund der konkreten Tätigkeit der Einrichtung zu verstehen, um die es hier ging. So wendeten sich die Kläger in den zugrunde liegenden Rechtsstreitigkeiten gegen ihnen zugestellte Zahlungsbefehle zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen an Träger von Systemen sozialer Sicherheit660. Der EuGH lehnte die Anwendbarkeit europäischen Wettbewerbsrechts u. a. mit der Begründung ab, dass die in Frage stehenden Systeme auf dem Grundsatz der Solidarität beruhten, weshalb wiederum eine Versicherungspflicht zur Finanzierung solcher Systeme unabdingbar sei661. Vergleicht man nun diesen Sachverhalt mit der hier zu untersuchen-den Tätigkeit der Landesverbände, wird deutlich, dass sich beide Bereiche in verschiedener Hinsicht grundlegend unterscheiden. Die Versicherungspflicht und die auf ihr beruhende Beitragserhebung betrifft unmittelbar den Kern und die Grundvoraus-setzung für ein funktionierendes Solidarsystem. Demgegenüber handelt es sich bei der Beschaffungstätigkeit der Krankenkassen bzw. deren Verbände um eine Folge des Sachleistungsprinzips und damit eine von mehreren möglichen Formen der Ausgestal-tung des Solidarsystems. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, dass die Beitragserhebung seitens der Träger von Systemen sozialer Sicherheit ein geradezu klassisches Feld des hoheitlichen Tätigwerdens, also eines Handelns im Rahmen eines Subordinationsverhältnisses darstellt, weshalb der Unternehmensbegriff hier vom EuGH zu Recht als nicht erfüllt angesehen wurde662. Wie oben schon erwähnt, ist indessen der Abschluß von Versorgungsverträgen in Form von öffentlich-rechtlichen Verträgen

658 EuGH 17.2.1993, Slg. 1993 I, 637 ff. (670).

659 So wohl Brinker in: Schwarze, Art. 81 Rz. 24, offensichtlich die Poucet u. Pistre-Entscheidung in dieser Weise deutend.

660 Konkret handelt es sich dabei um ein Versicherungssystem für Krankheit und Mutterschaft der selbständigen nichtlandwirtschaftlichen Berufe (Caisse Mutuelle Régionale du Languedoc-Roussillon), deren vertraglicher Abwicklungseinrichtung (Assurances Générales de France), sowie eine unabhängige nationale Ausgleichskasse für die Handwerkeraltersversicherung (Caisse Autonome Nationale de Compensation de lÀssurance Vieillesse des Artisans de Clermont-Ferrand).

661 EuGH 17. 2. 1993, Slg. 1993 I, 637 ff. (668 f.) (Poucet u. Pistre).

662 Wobei allerdings dieser Aspekt aus der Urteilsbegründung nur verschwommen hervorgeht.

insofern anders geartet, als sich bei solchen Rechtsbeziehungen die Vertragspartner auf

„gleiche Ebene“ begeben. Die Entscheidung Poucet und Pistre steht damit einer Bejahung des Unternehmensbegriffs im vorliegendem Zusammenhang keineswegs entgegen663.

ee) „Höfner und Elser“

Als zusätzliches Argument für dieses Ergebnis sei noch das EuGH-Verfahren Höfner und Elser erwähnt, im Rahmen dessen zu prüfen war, ob die Bundesanstalt für Arbeit als ein Unternehmen i. S. der Art. 81 und 82 EGV (früher Art. 85 und 86 EGV) angese-hen werden kann664. Der EuGH hat die Unternehmereigenschaft der Bundesanstalt für Arbeit mit der Begründung bejaht, die Tätigkeit der Vermittlung von Arbeitskräften sei wirtschaftlicher Natur, da sie nicht notwendig von einer öffentlichen Einrichtung betrieben werden müsse665. Zwar ist die Arbeitslosenversicherung, insbesondere die Vermittlungstätigkeit, von ihrer Zweckrichtung her nicht ohne weiteres mit den anderen Zweigen der Sozialversicherung vergleichbar. Indes läßt sich das erwähnte Argument des EuGH auch für die Tätigkeit der Landesverbände im Zusammenhang mit der Zulassung nach § 111 SGB V heranziehen, nämlich insofern, als dieselbe Tätigkeit auch im Rahmen privatrechtlicher Rechtsbeziehungen denkbar wäre, also nicht zwingend von öffentlichen Einrichtungen betrieben werden muß. Dies zeigt übrigens auch die Tatsa-che, dass die Verbände der Ersatzkassen an sich privatrechtlich ausgestaltet sind.

b) Die inhaltlichen Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 1 EGV

Wie bereits angedeutet, könnte ein Verstoß gegen das Kartellverbot darin liegen, dass eine einheitliche Zulassungspraxis der Landesverbände insofern besteht, als mit ausländischen Einrichtungen keine Versorgungsverträge abgeschlossen werden. Die Voraussetzungen für verbotene Absprachen sind nach Art. 81 Abs. 1 EGV dann gegeben, wenn Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unterneh-mensvereinigungen oder aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen vorliegen, die

663 So im Ergebnis auch Boecken, NZS 2000, 269 ff. (272 f.).

664 EuGH 23. 4. 1991, Slg. 1991 I, 1979 ff. (2011 ff.) (Höfner und Elser).

665 EuGH 23. 4. 1991, Slg. 1991 I, 1979 ff. (2016).

geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.

aa) Vereinbarungen, Beschlüsse, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen

Fraglich ist, ob die von den Landesverbänden einheitlich praktizierte Nichtzulassung ausländischer Einrichtungen auf eine gegenseitige Absprache zurückzuführen ist und welcher der in Art. 81 Abs. 1 EGV genannten Kategorien dieses Verhalten gegebenen-falls zuzuordnen ist. Fest steht, dass aufgrund der gesetzlichen Vorgabe des § 111 Abs.

2 S. 1 SGB V, wonach die Versorgungsverträge für die Mitgliedskassen „einheitlich“

abgeschlossen werden müssen, jedenfalls innerhalb eines Bundeslandes Absprachen zwischen den jeweiligen Landesverbänden bezüglich des Abschlusses von Versor-gungsverträgen statt finden666.

Sodann stellt sich die Frage, ob es sich bei diesen Absprachen um Vereinbarungen, Beschlüsse oder abgestimmte Verhaltensweisen handelt oder um Kategorien, die nicht unter das Kartellverbot fallen.

Unter Vereinbarungen i. S. des Art. 81 Abs. 1 EGV sind jedenfalls Verträge im allgemeinen Rechtssinn zu verstehen, mithin eine durch den Austausch sich entspre-chender Willenserklärungen zustande gekommene Einigung zwischen Unternehmen667, durch die sich diese zu einem Tun oder Unterlassen verpflichten668. Auf die Qualifika-tion solcher Vereinbarungen als privat- oder öffentlich-rechtlich kommt es nicht an669.

Bei den Beschlüssen i. S. des Art. 81 Abs. 1 EGV handelt es sich um eine Sonderform der Vereinbarung von Unternehmen insofern, als sie sich auf Absprachen innerhalb von

666 Kommt es zu keiner Einigung, entscheidet die Mehrheit gem. § 123 SGB V i. V. m. § 213 Abs. 2 SGB V nach dem dort vorgesehenen Schlüssel.

667 Im einzelnen ist hier manches strittig, bezüglich der hier genannten allgemeinen Definition dürfte jedoch weitgehend Einigkeit bestehen, vgl. insoweit Emmert, § 41, Rz. 4; Schollmeier/Krimphove in:

Bleckmann, § 23, Rz. 1838; Bleckmann/Pieper in: Lenz EG-Handbuch, S. 687 m. w. Nachw.; Geiger, Art.

81 EGV, Rz. 18.

668 Koblitz in: Schwappach, § 24, Rz. 7.

669 Geiger, a.a.O.; a. A. Schollmeier/Krimphove, a. a. O., die nur Verträge des bürgerlichen Rechts als

„Vereinbarung“ verstehen.

Unternehmensvereinigungen beziehen670. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des Gesetzes, wonach der Begriff des Beschlusses nur im Zusammenhang mit den Unter-nehmensvereinigungen genannt ist.

Eine – wie auch immer geartete – Absprache der Landesverbände innerhalb eines Bundeslandes in Bezug auf die Nichtzulassung ausländischer Einrichtungen dürfte kaum als Vereinbarung im Sinne eines Vertrages eingestuft werden können, da es aufgrund der Vorgabe des Gesetzes, nur einheitlich zu entscheiden, an einem Bedürfnis für den Abschluß irgendeines Vertrages zur Gewährleistung dieser Einheitlichkeit fehlt.

Dies gilt selbst in Anbetracht der Tatsache, dass auch stillschweigende Übereinkünfte als mögliche Vereinbarungen anzusehen sind671, denn auch diese setzen einen rechtli-chen Bindungswillen für das Zustandekommen eines Vertrages voraus, für dessen Vorliegen aber kein Grund ersichtlich ist.

Allerdings ist strittig, ob der Vereinbarungsbegriff nicht auch über die vertragliche Bindung hinausreicht. So wird vertreten, dass es auf einen Bindungswillen für das Vorliegen einer Vereinbarung nicht ankomme672. Demnach reicht ein „Quasi-Rechtsbindungswille“ aus, so dass Art. 81 Abs. 1 EGV auch vertragslose Verhaltensab-stimmungen673 erfaßt674. Einige Urteile des EuGH weisen darauf hin, dass auch diese Institution der Auffassung eines sehr weiten Vereinbarungsbegriffs ist675. Bei Miteinbe-ziehung solcher vertragsloser Verhaltensabstimmungen wäre nicht ausgeschlossen, dass es sich bei den Absprachen der Landesverbände um Vereinbarungen handelt.

Unabhängig von einer endgültigen Einordnung, dürfte es sich bei den Absprachen der Landesverbände jedenfalls um abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne des Art. 81 Abs. 1 EGV handeln. Diese stellen einen Auffangtatbestand dar, der als Koordinierung

670 Geiger, Art. 81 EGV, Rz. 19.

671 Geiger, Art. 81 EGV, Rz. 18.

672 Gleiss/Hirsch, 4. Aufl., Art. 85, Rz. 76 ff.; Bleckmann/Pieper in: Lenz EG-Handbuch, S. 687; Geiger, a. a. O.; a. A. Schollmeier/Krimphove in: Bleckmann, § 23, Rz. 1838; Koblitz in Schwappach, § 24, Rz. 7;

wohl auch Emmert, § 41 Rz. 4.

673 Typisches Beispiel: Gentlemenagreements.

674 Bleckmann/Pieper, a. a. O.

675 Vgl. EuGH 11.1.1990, Slg. 1990 I, 45 ff. (Sandoz Prodotti Farmaceutici/Kommission); EuGH 8.2.1990, Slg. 1990 I, 261 ff. (Tipp-Ex/Kommission) bezügl. der einseitigen Verhängung eines

Ausfuhr-definiert wird, die zwar nicht zu einer Willenseinigung geführt hat, in der aber bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des Wettbewerbs tritt676. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich diese abgestimmte Verhaltensweise – wenn auch infolge langjähriger Übung nicht mehr ausdrücklich - auch auf die grundsätzliche Nichtzulas-sung ausländischer Einrichtungen bezieht677.

Einzig könnte einer Einordnung der Absprache der Landesverbände als abgestimmte Verhaltensweise entgegenstehen, dass es bei den klassischen Fällen wettbewerbswidri-ger Koordinierungen darum geht, gegenwärtige oder potentielle Mitbewerber zu beeinflussen. Diese Situation ist jedoch bei den Landesverbänden bezüglich der Ab-sprache, ausländische Einrichtungen nicht zuzulassen, nicht gegeben. Allerdings verlangt Art. 81 Abs. 1 EGV lediglich eine „aufeinander“, also keine gegenseitig abgestimmte Verhaltensweise, so dass es ausreicht, wenn eine Koordination von dritter Seite her erfolgt678. In diese Kategorie ist auch das Verhalten der Landesverbände als

„Koordination in Bezug auf Dritte“ einzuordnen. Somit sind die Absprachen der Landesverbände zumindest als abgestimmte Verhaltensweisen zu qualifizieren.

„Koordination in Bezug auf Dritte“ einzuordnen. Somit sind die Absprachen der Landesverbände zumindest als abgestimmte Verhaltensweisen zu qualifizieren.