• Keine Ergebnisse gefunden

C. Die Vereinbarkeit der Bedarfszulassung von Rehabilitationseinrichtungen mit

II. Das Territorialitätsprinzip und die sich daraus ergebende Konsequenz

1. Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

Wie oben bereits dargelegt, sind die Grundfreiheiten und damit auch die Dienstlei-stungsfreiheit auf den vorliegenden Prüfungsgegenstand der Bedarfszulassung von Rehabilitationseinrichtungen hinsichtlich der Tatsache, dass es sich hierbei um einen Gegenstand der sozialen Sicherheit handelt, grundsätzlich anwendbar602.

600 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit siehe z. B. EuGH 3. 12. 1974, Slg. 1974 I, 1299 ff. (1310 ff.) (van Binsbergen).

601 D. h. vor Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages am 1. Mai 1999.

602 Siehe unter C. II. 2. b).

Auch bezüglich der besonderen Voraussetzungen der Dienstleistungsfreiheit, insbeson-dere was die Subsidiarität anbelangt, kann auf die hierzu bereits gemachten Ausführungen verwiesen werden603.

Somit geht es nun um die Frage, ob bzw. inwieweit die Regelung der Bedarfszulassung i. S. des § 111 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 SGB V als solche den freien Dienstleistungsverkehr im Sinne des Art. 49 Abs. 1 behindern kann.

a) Behinderung durch Diskriminierung

Das Beschränkungsverbot des Art. 49 Abs. 1 EGV beinhaltet nach der Rechtsprechung des EuGH, jegliche Diskriminierung von Dienstleistungser-bringern604 aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu unterlassen605.

Die Zulassungsnorm des § 111 Abs. 2 SGB V als solche unterscheidet indes nicht nach der Staatsangehörigkeit eines Leistungserbringers, ist also „indifferent in Bezug auf grenzüberschreitende oder inländische Leistungserbringung606“. Eine Behinderung der Dienstleistungsfreiheit infolge diskriminierender Zulassungsvoraussetzungen ergibt sich damit aus § 111 Abs. 2 SGB V als solchem nicht.

b) Behinderung durch Beschränkung

Etwas anderes könnte sich dann ergeben, wenn man Art. 49 Abs. 1 EGV nicht nur als Diskriminierungsverbot, sondern auch als allgemeines Beschränkungsverbot auffaßt607. So hat der EuGH in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass Art. 49 Abs. 1 EGV über ein bloßes Diskriminierungsverbot hinausgeht: Nach den Entscheidungen

603 Siehe unter C. II. 2. c) und d).

604 Dies gilt freilich auch für den Dienstleistungsempfänger, vgl. EuGH 15. 3. 1994, Slg. 1994 I, 916 ff.

(Kommission/Spanien); Geiger, Art. 50 EGV, Rz. 10.

605 EuGH 3. 12. 1974, Slg. 1974, 1299 ff. (1309) (van Binsbergen); EuGH 26. 11. 1975, Slg. 1975, 1547 ff. (1554) (Coenen); EuGH 22. 3. 1994, Slg. 1994 I, 911 ff. (940) (Kommission/Spanien); EuGH 1. 7.

1993, Slg. 1993 I, 3777 ff. (3793) (Hubbard); vgl. auch die etwas „weitere“ Formulierung nach EuGH 28.

4. 1998, Slg. 1998 I, 1935 ff. (1946) (Kohll), m. w. Nachw., wonach jede nationale Regelung gegen Art.

59 EGV (jetzt Art. 49 EGV) verstößt, „die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaats erschwert“.

606 Siehe Boecken, Vereinbarkeit der krankenversicherungsrechtlichen Zulassung von Rehabilitationsein-richtungen mit dem nationalen und dem europäischen Recht, in: ders./Hänlein/Kruse/Steinmeyer, 243 ff.

(262).

607 Im Sinne einer „Doppelnatur“ der Grundfreiheiten, vgl. etwa Ehlers, NVwZ 1990, 810 ff. (811).

van Binsbergen und Coenen verbietet Art. 49 Abs. 1 EGV neben Diskriminierungen, die auf der Staatsangehörigkeit oder auf dem Fehlen eines ständigen Aufenthalts am Ort der Leistungserbringung beruhen, auch Beschränkungen, „die in anderer Weise geeignet sind, die Tätigkeiten des Leistenden zu unterbinden oder zu beschränken“608. Nach dem Urteil Säger verlangt Art. 49 Abs. 1 EGV „nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskri-minierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten – (...), wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern“609. Diese Grundaussage findet sich auch in der neueren Rechtsprechung des EuGH wieder610.

In der Literatur wird in diesen Entscheidungen allgemein ein klarer Beleg dafür gese-hen, dass Art. 49 Abs. 1 EGV nicht lediglich als Gleichbehandlungsgebot, sondern darüber hinaus als allgemeines Beschränkungsverbot im Sinne eines Freiheitsrechts aufzufassen ist611. Nur vereinzelt wird angezweifelt, ob die genannten Entscheidungen nicht auch gleichheitsrechtlich gedeutet werden könnten612. Aber selbst diese Stimmen sehen jedenfalls im Urteil Schindler613 ein eindeutiges Bekenntnis des EuGH zu einem freiheitsrechtlichen Verständnis der Grundfreiheiten und begründen dies damit, dass der EuGH dort das „Allgemeininteresse“ als Rechtfertigungsgrund prüft, obgleich eine

608 Siehe EuGH 3. 12. 1974, Slg. 1974, 1299 ff. (1309) (van Binsbergen); EuGH 26. 11. 1975, Slg. 1975, 1547 ff. (1554) (Coenen).

609 Siehe EuGH 25. 7. 1991, Slg. 1991, 4221 ff. (4243) (Säger).

610 So z. B. EuGH 5. 6. 1997, Slg. 1997, 3091 ff. (3119) (SETTG); dass nicht-diskriminierende Beschrän-kungen auch dem Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit unterfallen, hat der EuGH vor allem im Fall Bosman deutlich gemacht, wo es um die Europarechtswidrigkeit von Ablösezahlungen im europäischen Berufsfußball ging, wobei die Ablösezahlung nicht von der Nationalität des jeweiligen Berufsfußballspielers abhing, vgl. EuGH, 15.12.1995, Slg. 1995 I, 4921 ff. sowie Anm. Wertenbruch, EuZW 1996, 91 ff.

611Siehe Hailbronner in: Handkommentar, Art. 59/60, Rz. 28 ff.; Reich, ZHR 1989, 571 (583 f.); Müller-Graff in: FS Lukes, 471 ff. (482 f.); Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, 664 f.; ders., RabelsZ 1990, 63 ff. (95 f.); ders. in: FS Steindorff, 1312 ff. (1326 f.); Ehlermann, EuR 1991, 307 ff.

(322); Müller, 142 ff.; Schöne, 109 ff.; Geiger, Art. 50, Rz. 11 ff.; Hakenberg, in: Lenz EG-Vertrag, Art.

49/50 Rz. 19; Kugelmann, 157 ff., 181 ff.; Wördemann, 270 ff.; Ehlers, NVwZ 1990, 810 ff. (811);

Hailbronner/Nachbaur, EuZW 1992, 105 ff. (109); Kort, JZ 1996, 132 ff. (135 ff.); Speyer, EuZW 1991, 588 ff. (589 f.); Steindorff, RIW 1983, 831 ff. (833);

612 So Kingreen, 58 ff.

613 Siehe EuGH, Slg. 1994, 1039 ff.

Diskriminierung ausdrücklich nicht vorliegt614. Dem ist jedenfalls in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit zuzustimmen615. Abgesehen von der meines Erachtens klaren Rechtsprechung des EuGH zu diesem Problem, läßt auch der Wortlaut des Art. 49 Abs.

1 EGV ein solch weites Verständnis zu. So ist eine Beschränkung des freien Dienst-leistungsverkehrs für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat, als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, selbstverständlich auch ohne Diskriminierung möglich. Auch der Sinn des Gemeinsamen Marktes i. S. des Art. 2 EGV als die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen demjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahekommen616, spricht – im Sinne des effet utile - für die Interpretation des Art. 49 Abs. 1 EGV als allgemeines Beschränkungsverbot.

Geht man somit von diesem weiten Verständnis des Art. 49 Abs. 1 EGV aus, so stellt die Regelung der Bedarfszulassung nach § 111 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 SGB V als solche bereits eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Nach der Rechtspre-chung des EuGH sind „alle“ Beschränkungen aufzuheben, die, obwohl sie unterschiedslos gelten, geeignet sind, die Tätigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden, der dort rechtmäßig gleichartige Dienstleistungen erbringt, zu behindern617. Zu solchen Beschränkungen gehören auch staatliche Zulassungsrege-lungen auf dem Gebiet der Berufsausübung618. Die Zulassung nach dem Kriterium der Bedarfsgerechtigkeit führt – wie oben bereits ausführlich dargelegt – für nicht zugelas-sene Einrichtungen zu einem Fehlen der gesetzlichen Krankenkassen auf der Nachfrageseite, was wiederum zu einem erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber

614 Siehe Kingreen, 60 f.

615 Die Reichweite der Niederlassungsfreiheit war lange Zeit sehr umstritten (vgl. die Darstellung der Entwicklung im Schlußantrag von Generalanwalt Lenz, Slg. 1995 I, 4921 ff. (4991) (Bosmann)), umfaßt aber nach der mittlerweile wohl überwiegenden Meinung ebenfalls sowohl Diskriminierungen, als auch sonstige Beschränku ngen; für ein Beschränkungsverbot sind u. a. Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 ff.(ausführlich); Scheuer in: Lenz EG-Vertrag, Art. 43, Rz. 7; Steindorff, EuR 23 (1988), 19 ff. (20 ff.);

Ress, EuZW 1990, 521; Geiger, Art. 43, Rz. 15 ff.; a. A. Hailbronner/Nachbauer EuZW 1992, 105 ff.

(109); Hailbronner in: Handkommentar, Art. 52, Rz. 12 f.; Everling, DB 1990, 1853 ff. (1857), die für ein weit verstandenes Diskriminierungsverbot plädieren.

616 Siehe EuGH 5. 5. 1982, Slg. 1982, 1409 ff. (1431 f.) (Gaston Schul).

617 EuGH 9. 8. 1994, Slg. 1994 I, 3803 ff. (3823 f.) (Vander Elst).

618 Siehe Geiger, Art. 50, Rz. 12; vgl. in diesem Zusammenhang auch Kröck, 277 ff., der bei nicht-diskriminierenden Beschränkungen zwischen relativen und absoluten Beschränkungen differenziert.

zugelassenen Einrichtungen führt und damit zu einer Behinderung auch des grenzüber-schreitenden619 Dienstleistungsverkehrs.