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B. Die Vereinbarkeit der Bedarfszulassung von Rehabilitationseinrichtungen

V. Die Vereinbarkeit der Praxis der Bedarfszulassung von Rehabilitations-

3. Rechtfertigung des Eingriffs

Zunächst sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es in diesem Abschnitt nicht um die Rechtfertigung der Bedarfszulassung als solche geht, sondern um die Rechtfertigung der praktischen Umsetzung des Kriteriums der Bedarfsgerechtigkeit durch die Kassenver-bände.

Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Auslegung dieses Begriffs in seinem Urteil vom 19. 11. 1997123 soll zunächst der Frage nachge-gangen werden, ob der Eingriff, wie er durch die Zulassungspraxis der Kassenverbände erfolgt, verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist bzw. wie die Zulassungsregelung in

120 Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es Sinn hat, den „engen Zusammenhang zum Beruf“ und die

„objektiv berufsregelnde Tendenz“ in zwei verschiedene Merkmale auseinanderzudividieren, da sich dies zumindest hier auf das Ergebnis nicht auswirkt.

121 Beispielhaft sei hier nur die Steuer genannt, bei deren Erlass dem Gesetzgeber zwar subjektiv eine berufsregelnde Zielsetzung fehlte, die sich aber auf bestimmte Berufe unmittelbar oder gewichtig auswirkt (vgl. Pierroth/Schlink, Rz. 824, m. w. Nachw.).

122 So auch Sodan, SGb 1992, 200 (202) bezüglich der in Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien sowie in Arzneimittel-Richtlinien geregelten Verordnungsfähigkeit von Bädern bzw. Arzneimitteln entgegen der Ansicht des Bundessozialgerichts, das in diesen speziellen Fallen eine objektiv berufsregelnde Tendenz abgelehnt hat, vgl. BSGE 1.10.1990, Bd. 67, 251 ff (255).

123 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (432 ff.).

verfassungskonformer Weise von den Kassenverbänden ausgelegt werden müßte, damit eine Grundrechtsverletzung verhindert würde.

a) Eingriffsrechtfertigung nach verfassungskonformer Auslegung gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht sieht eine Einschränkung der Berufsfreiheit durch die Bedarf-zulassung nach § 111 SGB V nur dann als zulässig an, wenn diese in verfassungskonformer Auslegung des Begriffs „bedarfsgerecht“ erfolgt124. „Verfas-sungskonforme Auslegung“ bedeutet nicht nur, die Frage nach dem Inhalt des zu prüfenden Gesetzes zu stellen, sondern auch die Frage nach dem Inhalt der Verfassung, an dem das Gesetz gemessen werden soll und erfordert daher sowohl Gesetzes- als auch Verfassungsinterpretation125. Dementsprechend verlangt das Bundessozialgericht in (wenn auch nicht ausdrücklicher) Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GG einerseits und des § 111 Abs. 2 S. 1 Ziff. 2 SGB V andererseits eine „Bedarfsplanung“, die besonderen Anforderungen gerecht werden muß, sowie ein bestimmtes „Auswahlverfahren“126. Diese Anforderungen seien unabhängig davon erforderlich, ob es sich hier lediglich um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit handele oder – wie im Bereich der Krankenhauszulassung - um einen der Einschränkung der Berufswahl nahekommenden Eingriff127. Auf die Anforderungen dieser Rechtsprechung soll nun näher eingegangen werden.

aa) Bedarfsplanung

Unter Bedarfsplanung versteht das Bundessozialgericht eine Planung, nach der, losge-löst vom Einzelfall, die gegenwärtige und zukünftige Bedarfssituation im Rehabilitationsbereich beurteilt werden kann und welche die Maßstäbe für die Zulas-sung von Leistungsanbietern erkennen läßt128. Auch bei einem Eingriff lediglich in die Berufsausübungsfreiheit – von einem solchen geht das Gericht aus – sei ein Mindest-maß an Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns erforderlich. Mit Bedarfsplanung ist

124 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (432).

125 Hesse, § 2, Rz. 85.

126 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433).

127 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433); zur Stufentheorie siehe unter B. VI. 3. a).

128 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433).

demnach ein Verfahren gemeint, das – ähnlich der Erstellung eines Krankenhausplans - eine Analyse und eine Prognose beinhaltet und die Ausarbeitung eines darauf aufbauen-den „umfassenaufbauen-den“129 Planes zum Ziel hat. Davon zu unterscheiden ist somit eine bloße Bedarfsprüfung, die lediglich auf den jeweiligen Zulassungsantrag hin erfolgt und dabei nur die gegenwärtige Bedarfssituation für den Einzelfall berücksichtigt.

bb) Auswahlverfahren

Bei dem vom Bundessozialgericht genannten Auswahlverfahren geht es um die formelle Ausgestaltung des Planungsverfahrens130. Auf die Ausgestaltung dieses Verfahrens geht das Bundessozialgericht nicht näher ein, sondern beläßt es bei dem allgemeinen Hinweis auf die – von ihm nicht näher dargelegten - Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG diesbezüglich verlange131. Die Verwirklichung der Berufsfreiheit fordere eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung.132

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum KHG v. 12. 6. 1990 bedarf der weite Gestaltungsfreiraum öffentlicher Planung regelmäßig der Ergänzung durch ein Verfahren, in dem die beteiligten Interessen mit dem erforderlichen Gewicht zur Geltung kommen133. Im Hinblick darauf liegt es nahe, dass das Bundessozialgericht unter Auswahlverfahren ein zumindest ähnliches Verfahren versteht, wie es im KHG bzw. den jeweiligen Landesgesetzen vorgesehen ist.

Der Aspekt der Erkennbarkeit134 der Maßstäbe der Bedarfsplanung dürfte neben seiner Bedeutung für die Bedarfsplanung im materiellen Sinn zumindest auch ein Kriterium

129 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (434).

130 Der vom Bundessozialgericht verwendete Begriff des Auswahlverfahrens ist m. E. etwas mißverständ-lich, da darunter lediglich die – wie in der Krankenhausplanung in einer zweiten Stufe vorzunehmende – Prüfung verstanden werden könnte, welche von mehreren Rehabilitationseinrichtungen den Zielen der Bedarfsplanung am besten gerecht wird (zu den Prüfungsstufen in der Krankenhausplanung vgl. z. B.

Krankenhausplan 2000 Baden-Württemberg, S. 14). Zu Recht verwendet daher Boecken zur klareren Umschreibung die klassischen Begrifflichkeiten aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht, indem er von Bedarfsplanung in „materieller“ und „formeller“ Hinsicht spricht, vgl. Boecken, Vereinbarkeit der krankenversicherungsrechtlichen Zulassung von Rehabilitationseinrichtungen mit dem nationalen und dem europäischen Recht, in: ders./Hänlein/Kruse/Steinmeyer, 243 ff. (248 ff.).

131 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433).

132 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433) unter Hinweis auf BVerfGE 18. 6. 1986, Bd. 73, 280 ff.

(296).

133 BVerfGE 12.6.1990, Bd. 82, 209 ff. (226).

134 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433).

für das Verfahren sein, soweit es um den rein äußerlichen (formalen) Aspekt der Möglichkeit des Erkennens geht. Der betreffende Einrichtungsträger muß die Möglich-keit haben, die Zulassungsentscheidung nachprüfen zu können, um ggfls. Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können135.

b) Subsumtion der Praxis

Ein Bedarfsplanung, wie sie das Bundessozialgericht fordert, findet in der Praxis nicht statt. Die Kassenverbände prüfen den Bedarf lediglich anläßlich des konkreten Einzel-falls. Eine vom Einzelfall losgelöste Bedarfsplanung wird nicht vorgenommen.

Eine „Planung“ im Sinne der Analyse der gegenwärtigen Bedarfssituation und Voraus-berechnung und Zielsetzung des zukünftigen Bedarfs wird in der Praxis wegen angeblicher Undurchführbarkeit abgelehnt. Ein „umfassender“ Plan ist somit nicht einmal in Ansätzen vorhanden. Folglich ist, was die Erkennbarkeit eines Maßstabs anbelangt, eine solche jedenfalls dann nicht gegeben, wenn unter „Maßstab“ der umfassende Plan zu verstehen ist, an dem es ja gerade fehlt.

Die in der Praxis verwendeten Kriterien der Wartezeit und des Auslastungsgrades der vorhandenen Einrichtungen sind demgegenüber durchaus sinnvolle Kriterien, die auch vom Bundessozialgericht anerkannt sind. So kann es nach dieser Rechtsprechung

„mangels einer umfassenden Bedarfsplanung“ für die Feststellung des Bedarfs ausrei-chen, dass es innerhalb eines bestimmten Indikationsbereichs zu Engpässen gekommen ist, die sich durch „medizinisch bedenklich lange Wartezeiten“ für die Versicherten bemerkbar gemacht haben136.

Den durchschnittlichen Auslastungsgrad der bereits vorhandenen Einrichtungen als erstes Kriterium neben der Wartezeit zu prüfen, ist hinsichtlich der Tatsache, dass es Indikationsbereiche gibt, bei denen zwar kein voller Auslastungsgrad, aber dennoch Wartezeiten feststellbar sind137, sinnvoll und notwendig und dürfte insofern auch mit

135 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (433).

136 BSG 19.11.1997, NZS 1998, 429 ff. (434).

137 Siehe unter B. III. 2.

der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Einklang stehen, auch wenn dieses nicht ausdrücklich auf den Auslastungsgrad als Kriterium hinweist.

Die in der Praxis der Bedarfsprüfung zugrundegelegte Regionalisierung ist insofern, als sie sich ohne weiteres aus der Beitrittsregelung des § 111 Abs. 2 S. 3 SGB V entnehmen läßt, nicht zu beanstanden138. Zu der im Zusammenhang mit diesem sog. „Trend zur Regionalisierung des Gesundheitswesens“ zum Teil aufgeworfenen Frage, ob die Einzugsregion durch die Grenze eines Bundeslandes überhaupt hinreichend brauchbar definiert werden kann139, sei lediglich angemerkt, dass diese vor dem Hintergrund der internen Landeskinder-Regelungen140 mit ja zu beantworten ist. Im übrigen ist diese Frage hier jedoch aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung rein rechtspolitischer Natur und damit hier nicht zu diskutieren.

Anders als der Grundsatz der Regionalisierung ist jedoch die Auffassung der Praxis, dass kleinere Einrichtungen in der Regel nicht wirtschaftlich seien, so nicht haltbar.

Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Krankenhaus-Zulassung haben bei der Prüfung der Bedarfsgerechtigkeit kleinere Einrichtungen nicht von vornherein einen Nachrang gegenüber den großen Kliniken141. Die Kooperation und die Abstim-mung des Angebotes zwischen den einzelnen Krankenhäusern könne gerade durch kleinere Krankenhäuser in besonderer Weise gewährleistet sein142. Dies gilt auch hier, da eine Rehabilitationseinrichtung - was ihre interne wirtschaftliche Struktur anbelangt - einem Krankenhaus durchaus vergleichbar ist. Hinzu kommt, dass gerade kleinere Einrichtungen oftmals einen höheren Spezialisierungsgrad aufweisen, der wiederum eine wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleistet143. Sie beschränken sich eher auf

138 So auch Boecken, Vereinbarkeit der krankenversicherungsrechtlichen Zulassung von Rehabilitations-einrichtungen mit dem nationalen und dem europäischen Recht, in: ders./Hänlein/Kruse/Steinmeyer, 243 ff. (248).

139 Klückmann in: Hauck/Haines, § 111 Rz. 24; Meusch, Sozialer Fortschritt 1996, 38 ff.(39), der überdies auch rechtspolitische Gründe gegen eine Regionalisierung anführt; vgl. auch Neumann, SozSich 1996, 87 ff. (89 f.), der u. a. wegen des föderativen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland eine Regionalisie-rung auf Landesebene als dringend geboten ansieht.

140 Siehe unter B. III. 2.

141 BSGE 15.1.1986, Bd. 59, 258 (264); ebenso Quaas, MedR 1998, 343 ff. (346); nach Steiner, DVBl.

1979, 865 ff. (870 f.), bedarf es für einen Grundsatz des Nachrangs kleinerer Einrichtungen gegenüber großen bei der Bedarfsplanung von Krankenhäusern einer besonderen gesetzlichen Legit imation.

142 BSGE 15.1.1986, Bd. 59, 258 (264).

143 Hagedorn, KrV 1992, 332 ff. (333); Quaas, a. a. O.

die notwendige Behandlung, da sie nicht der Versuchung erliegen können, diese auch breit einzusetzen144.

Wenn auch das Bundessozialgericht auf Einzelheiten bezüglich des Auswahlverfah-rens, also der Bedarfsplanung in formeller Hinsicht kaum eingeht, so ist doch jedenfalls bezüglich der vom Gericht verlangten Möglichkeit, die Zulassungsentscheidung nachprüfen zu können, festzustellen, dass die Praxis auch dieser Anforderung nicht gerecht wird.

Wie oben erwähnt145, ergeht im Falle der Ablehnung des Antrags auf Abschluß eines Versorgungsvertrags ein Ablehnungsbescheid, der jedoch lediglich eine Begründung enthält, die sich auf die Darstellung von Ergebnissen beschränkt. Die genauen Berech-nungsgrundlagen bezüglich der Bedarfskalkulation werden nicht durch konkrete Zahlen belegt und nachvollziehbar dargestellt. Erst wenn es zum Klageverfahren kommt, werden die Berechnungsgrundlagen bekannt gegeben, allerdings auch dann nur in anonymisierter Form, d. h. die einzelnen Einrichtungen, auf die sich die Daten beziehen, werden nicht genannt. Dies sei aus Gründen des Konkurrentenschutzes notwendig, da der Reha-Bereich – im Gegensatz zum Krankenhausbereich – eher marktwirtschaftlich orientiert sei146.

Aus all dem folgt, dass die praktische Umsetzung der Bedarfsprüfung durch die Kas-senverbände in wesentlichen Teilen nicht dem vom Bundessozialgericht aus Art. 12 Abs. 1 GG hergeleiteten Maßstab entspricht.