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Es wird zu wenig und zum Teil am Bedarf vorbei gebaut. Verstärkt kommt es zu Forderungen nach neuen Baustandards, die schnellere und einfachere Lösungen für die aktuelle Schieflage

Im Dokument Deutscher Bundestag (Seite 34-37)

bieten können. Während die Neubaudebatte mittlerweile auf allen Ebenen geführt wird, erfährt

der Gebäudebestand zu wenig Beachtung. Gerade darin könnte jedoch der Schlüssel für eine

zukunftsweisende Gesamtmaßnahme liegen, die sich des Wohnraumproblems annimmt und

sich gleichzeitig der Innenentwicklung verpflichtet.

29 Baukulturbericht 2018/19 – Die Ausgangslage

Großstädte und ziehen an Erholungs- und Kurorte abseits der Städte, beispiels-weise in die Küstenregionen oder die Voralpen. Auch dadurch verschiebt sich die Konzentration von Bevölkerungsgruppen im Raum. Parallel erfolgt in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen eine Wanderungsbewegung in Richtung Stadtumland, wo ein Leben im Grünen, eine gute Anbindung an die Stadt und preiswerter Wohnraum geboten werden.

An den Orten der Zu- und Abwanderung ändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung. Das Schwarmverhalten junger Generationen erfolgt in einer unerwarteten Geschwindigkeit und Konzentration. Neue Schwarmstädte ent-stehen, wenn die bisher favorisierten Städte zu teuer und zu voll werden. Ein Abschwächen dieser Entwicklung wird nicht erwartet – jeder nachwachsende Jahrgang wird sich noch stärker konzentrieren, sodass die Attraktivität einer Schwarmstadt aus Sicht der Altersgruppe weiter zunimmt. Damit entsteht eine rasch wachsende Nachfrage nach Wohnraum, der eine Planungs- und Baupraxis gegenübersteht, deren Abläufe der kurzfristigen Nachfrage nicht entsprechen. Die Städte stehen vor der Herausforderung, trotz des hohen Zeit-drucks Qualitätsstandards im Bauprozess zu sichern und nachhaltige und lebenswerte Wohnviertel zu schaffen.

Wohnraum

 In den Großstädten bestehen nennenswerte Lücken in der Deckung des Baubedarfs im Geschosswohnungsbau. Vor allem in den Metropolen Berlin, Hamburg, München und Köln konnte dem Baubedarf in den letzten Jahren nicht ausreichend nachgekommen werden. Um der Nachfrage nach Wohnraum gerecht zu werden, müssten laut Berechnungen des Pestel Instituts im Zeitraum von 2016 bis 2020 jährlich rund 400.000 Wohnungen neu gebaut werden.

Dieser Bedarf fokussiert nicht allein die großen Städte, sondern betrifft bun-desweit auch wachsende ländliche Regionen. Bereits 2015 wurde dieser Bedarf mit lediglich 248.000 fertiggestellten Wohnungen deutlich unterschritten. Seit-dem nahmen die Bauaktivitäten zu, sodass 2016 knapp 278.000 Wohnungen fertiggestellt wurden und 2017 eine weitere Steigerung auf rund 285.000 fertiggestellte Wohnungen erfolgte. Insgesamt rund 25,2 Mio. m² Wohnfläche wurden 2016 in Deutschland neu gebaut. Rund 44 % dieser fertiggestellten Wohnungen befanden sich in Ein- und Zweifamilienhäusern. Die darin enthaltene Wohnfläche hat mit 60 % den größten Anteil an der insgesamt 2016 fertig-gestellten Wohnfläche. Diese Wohnform deckt jedoch nicht den tatsächlichen Bedarf an kompakten und vielfältigen Strukturen in den Städten. Zudem erzeu-gen Ein- und Zweifamilienhäuser eine vergleichsweise hohe Flächeninanspruch-nahme und tragen zu einer weiteren Zersiedlung an den Rändern der Städte und Gemeinden bei.

Die steigende Nachfrage und die anhaltend niedrige Neubauaktivität sind Gründe, wieso laut Häuser- und Wohnungsmarkt-Bericht 2018 der Deutschen Bank anhaltend mit steigenden Preisen und Mieten zu rechnen ist. Nach Aus-wertungen des BBSR verteuerten sich die Wohnungsmieten von Erst- und Wie-dervermietungen 2016 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,9 % auf durch-schnittlich 7,65 Euro/m² nettokalt (Angebotsmieten). Damit wurde zum ersten Mal die 4-%-Marke deutlich überschritten (2015: 3,3 %). Die bundesweite Sprei-zung der Mieten beträgt laut GdW rund 4 Euro/m². So lag die durchschnittliche Vergleichsmiete in München laut Mietspiegelindex 2017 bei 10,22 Euro/m², während sie in Schwerin 5,81 Euro/m² betrug. Gleichzeitig nimmt der Anteil

Mehr Einwohner in kleineren Gemeinden als in Großstädten

Einwohner nach Stadt- und Gemeindetypen 2016 anteilig an der Gesamtbevölkerung Quelle: BBSR 2018

belegungsgebundener Sozialwohnungen in den Städten kontinuierlich ab. 1990 waren noch 2,87 Mio. Sozialwohnungen auf dem Markt, 2016 nur noch 1,24 Mio.

mit weiterhin abnehmender Tendenz. Auf diese Situation reagiert der aktuelle Koali tionsvertrag. Zum einen ist die Schaffung von Wohnraum verankert – 1,5 Mio.

Wohnungen und Eigenheime sollen in der Legislaturperiode sowohl frei finanziert als auch öffentlich gefördert gebaut werden –, zum anderen soll bezahlbarer Wohnraum im Bestand gesichert werden. 2017 flossen rund 60 % der vom Bund bereitgestellten Fördermittel in den Neubau, rund 40 % in den Bestand.

Der Bedarf an ohnehin knappem Wohnraum wird zusätzlich durch sich wan-delnde Lebens- und Wohnmodelle beeinflusst. Lag der Anteil von Einpersonen-haushalten 1991 noch bei 33,6 %, ist dieser bis 2016 auf rund 41 % angestiegen.

Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung von 2018 lebt in den 77 deutschen Großstädten in mittlerweile knapp 50 % aller Haushalte nur eine Person. Das steht im Widerspruch zum Wohnungsbestand, der bei 6,7 Mio. Einpersonenhaushalten nur 2,5 Mio. Kleinstwohnungen aufweist. Gleichzeitig nehmen die Ansprüche an den Wohnraum und die Wohnfläche zu. So lag im Jahr 2000 die Wohnfläche pro Person laut Statistischem Bundesamt noch bei 39,5 m² pro Person und ist bis zum Jahr 2016 auf 46,5 m² pro Person angestiegen. Aktuell zeigen Analysen, dass die angespannte Wohnungssituation in den Großstädten hier zu einer Stagnation oder zu einem Rückgang der Pro-Kopf-Wohnfläche führen und in Zukunft mög-licherweise nur noch ein abgeschwächtes Wachstum stattfinden wird. Die Plu-ralisierung der Lebensstile – Patchwork-Familien sowie individuellere Erwerbs-biografien und Lebensverläufe – beeinflusst ebenfalls die Nachfrage am Wohnungsmarkt. Der Bedarf an flexiblerem Wohnraum nimmt zu. Denn mit den individuelleren Lebensmodellen wächst auch das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Unterstützung im Wohnumfeld. Neue Formen des gemeinschaftlichen Woh-nens, die mit einem Mix aus abgeschlossenen und gemeinschaftlichen Räumen Möglichkeiten für engen Kontakt und zugleich Rückzug schaffen, tragen dem vielerorts schon Rechnung. Auf dem Wohnprojekte-Portal der Stiftung trias sind bundesweit derzeit rund 750 gemeinschaftliche Wohnprojekte eingetragen.

Dichte Städte

 Der Zuzug in Städte hält weiterhin an, eine Abmilderung des Städtewachstums ist nicht zu erwarten. Damit geht eine steigende Nachfrage nach Siedlungsflächen einher. Die Siedlungsdichte pro km² in kreisfreien Groß-städten ist im Zeitraum von 2010 bis 2014 um 2,5 % gestiegen. Um den wach-senden Bedarf an Wohnraum zugleich dem 30-ha-Flächeninanspruchnahme-Ziel pro Tag und somit dem Prinzip eines sparsamen Umgangs mit der Inanspruch-nahme von Fläche anzupassen, sind Strategien der Innenentwicklung und Nach-verdichtung notwendig. Die Studie des BBSR „Flächenverbrauch, Flächen-potenziale und Trends 2030“ aus dem Jahr 2014 erfasste bundesweit ein Innenentwicklungspotenzial von ca. 1.200 bis 1.650 km², von denen 20%, d. h.

etwa 300 km², kurzfristig aktivierbar sind. Nachverdichtungspotenziale beste-hen in den Städten auf Brachfläcbeste-hen und in Baulücken. Zusätzlich stellen Aufstockungen, Abriss und Neubau auf mindergenutzten Grundstücken, die Umstrukturierung von Grundstücken und Hinterhöfen, der Rückbau überdimen-sionierter Verkehrsflächen, aufgegebene Militär- und Industrieareale sowie die Umnutzung leer stehender Gebäude wichtige Optionen dar.

Nachverdichtung ist nur bis zu einem bestimmten Maß verträglich. Städte müssen auch der Klimaanpassung gerecht werden und ausreichend Maßnahmen Zufrieden mit der

Wohnungsgröße

64% der Bevölkerung empfinden ihre Wohn-fläche als gerade richtig. 26% wünschen sich, mehr Wohnfläche zur Verfügung zu haben. 9% der Befragten wären auch mit weniger Wohnfläche zufrieden. B6

20 %

kurzfristig aktivierbar

50%

langfristig aktivierbar

1.650 km²

gesamt

30 %

nicht aktivierbar

Aktivierungspotenziale

von Brachflächen und Baulücken Hochrechnung Maximalszenario;

Quelle: BBSR 2014

2 × Fläche von Berlin

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zur Vermeidung von Hitzeinseln oder Versickerungsflächen bereithalten. Zudem sind Freiflächen wichtig für ein qualitätsvolles Wohn- und Lebensumfeld. Stra-tegien für ein verträgliches Weiterbauen sind gefragt. Das ExWoSt-Vorhaben

„Städtebauliche Nachverdichtung im Klimawandel“ aus dem Jahr 2014 hat ver-schiedene bauliche Nachverdichtungsstrategien anhand von Fallstudien auf ihre Klimaverträglichkeit hin untersucht.

Zusätzlich entsteht mit der zunehmenden Dichte in den Städten eine größere Nähe bzw. Enge unter den Stadtbewohnern und damit eine abnehmende Privat-heit. Bei Strategien zur Nachverdichtung darf es daher nicht nur um die Quantität – also die Deckung des gestiegenen Wohnraumbedarfs – gehen, sondern zwin-gend auch um die Qualität – die Schaffung von qualitätsvollen Wohnstandorten.

Das legen Umfrage und Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland 2016“ des Umweltbundesamts nahe. Rund 54 % der Befragten gaben an, dass sie eine wichtige Zukunftsaufgabe in der Entwicklung „städtischer und ländlicher Räume sehen, die sich an menschlichen Ansprüchen orientiert“. Die Umfrageergebnisse

Rostock

Vorpommern-Greifswald

Minden-Lübbecke

Rottweil

Dresden Leipzig

Koblenz

Nürn-berg Köln

Bonn Bochum

Neustadt an der Waldnaab

Stuttgart

Heidel-berg Frank-furt a. M.

Ulm

München Freiburg

Hamburg Bremen

Erfurt

Osna-brück

Kassel

Magde-burg

Berlin Kiel

54 %

47 % 78 %

58 %

66 % 100 %

304 % 27 %

59 %

40 %

41 % 49 % 59 %

40 % 529%

412%

242% 43 %

Baubedarf übererfüllt (>110 %) erfüllt (90%–110%) nicht erfüllt (<90%) kein Bedarf

Im Dokument Deutscher Bundestag (Seite 34-37)