• Keine Ergebnisse gefunden

Altstadt Quedlinburg – Welterbetitel als Motor

Im Dokument Deutscher Bundestag (Seite 140-144)

erhielt das Deutsche Fachwerkzentrum, das Wissen rund um die Sanierung historischer Bausubstanz bündelt, vermit-telt und anwendet, in der Stadt seinen Sitz. Der Tag des offe-nen Denkmals wird in Quedlinburg stets als Stadtfest gefei-ert und von einem „Denkmalfrühstück“ begleitet, bei dem sich Vereine und Bürger miteinander vernetzen.

Die Stadt selbst unterhält ein einzigartiges Depot historischer Baustoffe, das schon über 700 Türen, 127.000 Dachziegel und 18.000 Mauersteine geborgen und kostenlos an Bau-herren weitergegeben hat. Mit diesen Elementen kann beson-ders gut auf die Gestaltungssatzung reagiert werden, die auf die historisch gewachsene Kleinteiligkeit und Unterschied-lichkeit von Straßenbild und Dachlandschaft abzielt: Wo anderswo Einheitlichkeit erwünscht ist, sollen in Quedlinburg Firstlinien, Traufen, Dächer, Sockel und Wandhöhen bei benachbarten Häusern verspringen. Dass solche Regeln umsetzbar sind, beweisen schon über 80 Neubauten in der Altstadt. Ein wichtiger Meilenstein war 2013 die barrierefreie Die Altstadt von Quedlinburg am Harz gehört mit über 2.100

Fachwerkhäusern und dem mittelalterlichen Stadtbild seit 1994 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die in den letzten Jahren der DDR schon zaghaft angedachte Sanierung der von Ver-fall, Abriss und Abwanderung geprägten Altstadt konnte seitdem systematisch umgesetzt werden. Unter dem Dach des erforderlichen Welterbe-Managementplans wurden verschiedene Planungswerkzeuge erstellt. Die bis heute angespannte Haushaltslage Quedlinburgs machte eine Umsetzung jedoch nicht immer einfach, denn „auch Förder-mittel muss man sich leisten können“1. Daher können meist nur Programme mit geringem Eigenanteil wahrgenommen werden. Hilfreich waren dabei nicht selten Zustiftungen über die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Quedlinburg als wichtiges Betätigungsfeld begreift. So wurden nicht nur zahlreiche Einzeldenkmale mit ihrer Unterstützung gerettet, sondern auch eine Jugendbauhütte eingerichtet, in der tra-ditionelle Handwerkstechniken erlernt werden. Außerdem

135 Baukulturbericht 2018/19 – Die Fokusthemen

Neugestaltung des Marktplatzes, die mit Unterflurhydranten, Stromanschlüssen und Bodenhülsen für Sonnenschirme auch eine Ausstattung für Veranstaltungen und Gastronomie stadt-bildgerecht integriert. Bereits 2006 war der Abteigarten südlich des Schlossbergs wiederhergestellt und in Teilen für eine landwirtschaftliche Nutzung reaktiviert worden. In den letzten Jahren folgten dann eine Sicherung und Neuanlage der Terrassen am Schlossberg, wobei auch Nutzgärten ange-legt wurden, die von Anwohnern bewirtschaftet werden.

Trotz schwieriger wirtschaftlicher Voraussetzungen zahlt sich nun aus, dass Quedlinburg sich früher als andere Städte auf seinen Stadtkern konzentriert hat. Nicht nur die Touristen-zahlen steigen, sondern bereits seit den 1990er-Jahren auch die Einwohnerzahl der Altstadt, wobei vermehrt junge Familien zuziehen. Ebenso sind altengerechte Wohnformen und in 53 leer stehenden historischen Häusern Sozialwohnungen für rund 1.000 Bewohner entstanden. Die Selbstdefinition Qued-linburgs als Kompetenzzentrum für Sanierung und Bewah-rung hat im regionalen Handwerk über 500 Arbeitsplätze gesichert. Doch noch immer sind erst etwa 70 Prozent des Bestands saniert und viele Gebäude akut gefährdet. Der UNESCO-Titel wird dabei nicht hinderlich, sondern hilfreich sein und die nötigen Energien freisetzen.

UNESCO-Weltkulturerbe: seit 1994 Größe: 84,3 ha

Bewohner (2016): 4.854 Häuser insgesamt: 3.562 Fachwerkhäuser: ca. 60 % Baualter: ca. 70 % vor 1918 errichtet Einzeldenkmale: 1.720

Privateigentum: ca. 90 % Sanierungsstand (2018): ca. 70 % Addierte Fördersummen: ca. 140 Mio. Euro Mehr Informationen im Projektsteckbrief im Anhang

Fakten

BAUKULTUR AUF EINEN BLICK

• Weltkulturerbetitel als Chance begriffen

• Definition als Kompetenzzentrum für historische Baukultur

• ausführliche Analyse und Kartierung des Bestands

• Bewahrung der kleinteiligen Struktur und Freihaltung von Sichtachsen

• Sammlung und Weitergabe historischer Baustoffe

• Wiederbelebung der Altstadt als Wohnort für verschiedene Gruppen

• touristische Vermarktung 1 Stadt Quedlinburg: 20 Jahre UNESCO-Welterbe. 2 Jahrzehnte Stadtsanierung, S. 115

verbindlich Inhalte und Vorgehensweisen. Architektur, Städtebau und Frei-flächengestaltung sowie Verkehrsplanung und Mobilität finden sich in den Themenfeldern ebenso wieder wie unterschiedliche historische Zeitschichten, ökologische oder demografische Aspekte. Besonders wichtig aber ist, dass die Charta von allen Akteuren in Politik und Verwaltung mitgetragen und alle fünf Jahre fortgeschrieben wird. So sichert die Stadt auch unter veränderten Rahmenbedingungen und Akteurskonstellationen, dass ein gemeinsamer Qualitätsanspruch auf allen Ebenen der Stadtentwicklung verfolgt wird, und ist damit für Bürger und Investoren ein verlässlicher Partner.

Vermittlung und Vernetzung

 Integriert planen und handeln heißt auch, Bau-kultur in das öffentliche Leben zu integrieren. Dabei geht es nicht nur um das Kommunizieren und Vernetzen in Fachkreisen, sondern auch um das Sensibili-sieren und Begeistern der Bevölkerung für baukulturelle Belange. Zum Beispiel könnten in öffentlichen Gebäuden wie in Rathäusern, Schulen oder Museen, die bereits aus ihrer Funktion heraus einen baukulturellen Bildungsauftrag erfüllen, Kreativräume zur baukulturellen Vermittlung vorgesehen werden. Auch die Sicht-barmachung von Erfolgen trägt wesentlich zur allgemeinen Bewusstseinsbildung mit bei. Gute Beispiele müssen daher Verbreitung finden und beworben werden, damit ein Bewusstsein für gebaute Qualitäten entsteht. Hier setzt der Kommu-nikationsauftrag der Bundesstiftung Baukultur an, die sich die Vermittlung guter Beispiele, wie mit dem Baukulturbericht, zur Aufgabe macht.

Speziell mit den Belangen von Fachwerkstädten befasst sich bundesweit die „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte“. Sie wurde 1975 gegrün-det und zählt heute 350 Städte mit 250.000 Fachwerkbauten zu ihren Mitglie-dern. 2018 wurde das Ziel der weiteren Arbeit vereinbart: „Fachwerkhäuser lebenswert (zukunftsgerecht) machen mit neuer Technik“. Um zu zeigen, wie Wohnen 2020 im Fachwerkhaus aussehen kann, arbeiten die Arbeitsschaft Deutsche Fachwerkstädte e. V. und der Hessenpark e. V. an einem gemein-samen Musterhaus mit modernem Heizsystem, umweltfreundlichen Materialien und einer Aufbereitung der technischen Inneneinrichtung auf modernstem Stan-dard. 2018 wird Richtfest sein.

In Nordrhein-Westfalen besteht bereits seit den 1980er-Jahren die Arbeits-gemeinschaft „Historische Stadt- und Ortskerne in Nordrhein-Westfalen“, an der insgesamt 56 Kommunen mitwirken. Sie haben sich 2016 auf ein „Zukunftspro-gramm 2030“ mit zentralen Eckpunkten für die Bewältigung aktueller Heraus-forderungen im historischen Bestand verständigt. In Brandenburg sind 31 Städte in der Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen des Landes Brandenburg“ vernetzt und arbeiten an gemeinsamen Projekten wie beispiels-weise 2010 am Handbuch „Fahrradfreundliche historische Stadtkerne“. Das

„Netzwerk Baukultur“ des Landes Baden-Württemberg veranstaltet einmal jähr-lich eine landesweite Konferenz. Gute Beispiele werden auf der Internetplattform

„Baukultur Baden-Württemberg“ präsentiert. Unter dem Titel „Weiterbauen“

existiert in Hamburg ein Veranstaltungsformat zur Vernetzung von Bürgerschaft, Architekten und Hochschule. Die Landesinitiative StadtBauKultur NRW will das Bewusstsein und Engagement für Baukultur unter Bürgern, Bauherren, Fachleuten und Kommunen stärken. Der Blick über den kommunalen Tellerrand hinaus lohnt sich. Der Appell an die Kommunen lautet somit: Vernetzt euch unter-einander und profitiert von euren Erfahrungen! Als Kommune hat sich Koblenz

137 Baukulturbericht 2018/19 – Die Fokusthemen

mit dem „Schaufenster Baukultur“ vorgenommen, für baukulturelle Qualitäten zu sensibilisieren und die Öffentlichkeit in die aktuellen Neubauvorhaben der Stadt einzubinden. Im 2017 neu eröffneten Kulturpalast Dresden wurde das Zentrum für Baukultur Sachsen als offener Eckladen eingerichtet. Neben der Vermittlung des baukulturellen Erbes werden aktuelle Tendenzen in Architektur und Städtebau aufgezeigt. Ein Schwerpunkt ist dabei die baukulturelle Sensi-bilisierung von Jugendlichen. Beim Projekt „Stadtentdecker“ der Branden-burgischen Architektenkammer im Rahmen des Vermittlungsprogramms

„Architektur + Schule“ setzen sich Schüler, Planungsbeteiligte und Verant-wortliche gemeinsam mit Fragen zur gebauten Umwelt auseinander. Eine Ein-bindung junger Generationen in Partizipationsprojekte ist einerseits wesentlich für deren baukulturelle Bildung, andererseits können dadurch neue Sichtweisen an Verantwortliche herangetragen werden.

Publikumswirksam sind zudem bundesweite Veranstaltungen wie der „Tag der Architektur“ der Architektenkammern mit Vor-Ort-Besichtigungen, Vorträgen und offenen Büros. 2019 jährt sich die Gründung des Bauhauses zum 100. Mal.

Sowohl das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung Berlin als auch die Stiftung Bauhaus Dessau und die Klassik Stiftung Weimar werden zahlreiche Veranstal-tungen und Schauen anbieten, so beispielsweise die Ausstellung „Versuchsstätte Bauhaus: Eine Arena moderner Orte“ in Dessau. Auch in insgesamt zwölf Bun-desländern sind Aktivitäten zum Bauhaus-Jubiläum geplant. In Krefeld hat sich 2015 das „Bauhaus Netzwerk Krefeld“ gegründet, das sich 2019 mit einer Aus-stellung auf Spurensuche nach der Moderne in Krefeld macht.

Damit auch Personengruppen erreicht werden, die sich nicht über die klas-sischen Formate wie Publikationen, Ausstellungen oder Informationsveranstal-tungen angesprochen fühlen, bedarf es zusätzlicher Formate wie beispielsweise der Hashtag-Idee „Betonperle“ während der Ausstellung „SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“. Unter diesem Stichwort konnten Fotos von selbst entdeckten brutalistischen Bauten mit anderen Personen geteilt werden. In Siegen wurde der Stadtumbau mit Stadtfesten, einer eigenen Website und Bau-stellenführungen von Bürgermeister und Stadtbaurat persönlich begleitet. Einen ungewöhnlichen Weg geht auch das Projekt „Salz und Suppe“ der Stadt Stuttgart.

Die Stadt organisiert gemeinsame Stadtrundgänge in ausgewählten Quartieren, anschließend wird gemeinsam in der Wohnung eines Teilnehmers gekocht. Dabei stehen sowohl das Zusammenleben in der Stadt und im Quartier als auch kon-krete Projektideen zur Aufwertung des Quartiers zur Diskussion.

Baukultur ist das Ergebnis einer Vielzahl von Einflüssen und Aushandlungs-prozessen. Wenn eine möglichst große Bandbreite von Akteuren an der Qualität der gebauten Umwelt mitwirkt, ist viel für die Baukultur gewonnen. Ziel ist, dass bei allen Beteiligten ein nachhaltiges Verantwortungsbewusstsein für den Sied-lungsbestand wächst. Eine kontinuierliche Optimierung der vorhandenen Gebäude und Infrastrukturen gibt nicht nur dem historischen Erbe eine Zukunft, sondern bewahrt die bauliche und kulturelle Vielfalt.

Die Handlungsempfehlungen

Im Dokument Deutscher Bundestag (Seite 140-144)