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Baukultur und Tourismus

Im Dokument Deutscher Bundestag (Seite 59-63)

Gebaute Sehenswürdigkeiten

 Historische Zeitschichten verleihen den Städten Identität und Unverwechselbarkeit. Sie ermöglichen der Bevölkerung eine Identifikation mit ihrem Wohnort, entscheiden über die Attraktivität von Stadträumen und Stadtquartieren und sind touristische Aushängeschilder. Vor allem in den historischen Stadtkernen werden von Bewohnern und Besuchern

Wohnen bevorzugt im Altbestand

91% der befragten Kommunen schätzen die Wohnzufriedenheit der Bevölkerung in den Stadterweiterungsgebieten der Gründerzeit als hoch und (eher) hoch ein, 87% meinen dies in Bezug auf historische Stadtkerne und innenstadtnahe Gebiete der Nachkriegszeit.

In Großwohnsiedlungen der 1960er- bis 1980er-Jahre schätzen knapp 64% die Wohnzufriedenheit als hoch und (eher) hoch ein. K20

Höhere Wertschätzung mit steigendem Gebäudealter

Quelle: Kommunalumfrage zum Baukulturbericht 2018/19

Als hoch oder sehr hoch:

gebaut 1918 und früher

1919–1948

1949–1969

1970–1990

nach 1990

29 % 15 %

30 % 

66 % 84 % Wie beurteilen die befragten Kommunen den baukulturellen Wert ihrer Gebäude?

historische Gebäude, typische regionale Baustile und stadtbildprägende Architektur erwartet und gewürdigt. Hier sind die Bauepochen anzutreffen, mit denen sich die Bevölkerung am stärksten verbunden fühlt. 2016 untersuchte das Institut für Handelsforschung (IFH Köln) die Einflussfaktoren der Attrakti-vität von Innenstädten. Insgesamt 121 Städte beteiligten sich an der Studie. Als wichtigste Indikatoren für die Attraktivität einer Innenstadt wurden Ambiente und Flair identifiziert, Einzelhandel und Freizeitangebote sind weitere wesent-liche Faktoren. Leipzig, Erfurt, Heidelberg, Hilden und Wismar konnten dabei in den einzelnen Ortsgrößen punkten. Quedlinburg mit seinen über 2.000 his-torischen Fachwerkhäusern erhielt die höchste Note im Bereich Ambiente und Flair und wurde in der Ortsgrößenklasse bis 25.000 Einwohner mit der besten Bewertung für die Gesamtattraktivität ausgezeichnet. Laut aktueller Bevölke-rungsbefragung zum Baukulturbericht hält die Mehrheit der Bevölkerung die Altstadt der eigenen Kommune für sehenswert. Es gibt aber auch Kritik, vor allem an der Weiterentwicklung der Innenstädte in den vergangenen Jahren.

Das baukulturelle Erbe zieht nicht nur Bewohner, sondern vor allem auch Besucher an. Die Forsa-Umfrage der ZEIT-Stiftung von 2016 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Baukultur und Reiseverhalten mit Zahlen: 75 % der Teilnehmer gaben an, in den letzten zwölf Monaten ein kulturell bedeutendes Gebäude besucht zu haben. Laut Deutschem Tourismusverband e. V. (DTV) wurden in Deutschland 80,5 Mio. Kurzreisen (2–4 Tage) unternommen gegen-über 68,7 Mio. Urlaubsreisen (ab 5 Tage). 75 % der Kurzurlaube wurden innerhalb von Deutschland unternommen. Der Besuch kultureller oder historischer Sehens-würdigkeiten steht auf Platz eins der inländischen Reiseaktivitäten. Zu den beliebtesten Reisezielen zählten die Städte Berlin, München und Hamburg.

Gemäß ITB World Travel Trends 2015/16 wird für Städtereisen weiter kontinu-ierliches Wachstum erwartet. Die Kommunalumfrage zum Baukulturbericht 2014/15 der Bundesstiftung Baukultur hat ebenfalls den touristischen Mehrwert von Baukultur herausgestellt. 76 % der Kommunen gaben an, Baukultur sei (sehr) wichtig für den Tourismus in der Kommune. Das baukulturelle historische Erbe und Tourismus sind untrennbar miteinander verbunden. Das wirkt sich unmit-telbar auf das Nutzungsangebot in den Zentren aus, wie die aktuelle Kommu-nalumfrage zum Baukulturbericht zeigt. Die Städte und Gemeinden sind mit Blick auf Besucherzahlen also gut beraten, ihre historischen Gebäudebestände zu qualifizieren und als Aushängeschilder zu nutzen. Touristische Angebote nehmen bei der Mehrheit der Kommunen aber noch nicht überhand, sondern ergänzen auf verträgliche Weise die übrigen Funktionen eines lebendigen Zen-trums: Gastronomie und Einzelhandel, öffentliche und kulturelle Einrichtungen sowie Dienstleistungen und das Wohnen.

Titel und Auszeichnungen

 Direkten Einfluss auf das Reiseverhalten der Bevölkerung hat auch eine besondere Auszeichnung des baukulturellen Erbes, wie beispielsweise die Anerkennung als UNESCO-Welterbestätte. Weltweit umfasst das Welterbe nach heutigem Stand 1.092 Natur- und Kulturstätten in 167 Ländern, 44 davon in Deutschland. Der Aachener Dom stand 1978 als Erstes auf der Liste. 2016 wurden zwei Häuser der Stuttgarter Weißenhofsiedlung aus dem Jahr 1927 des Schweizer Architekten Le Corbusier als Weltkulturerbe anerkannt. Zuletzt wurden in Deutschland 2018 der Naumburger Dom und der wikingerzeitliche Handelsplatz Haithabu mit dem Grenzbauwerk Danewerk in Die Altstadt ist sehenswürdig ...

54% der Bevölkerung halten vor allem die Altstadt bzw. den Stadt- oder Ortskern in der eigenen Stadt oder Gemeinde für sehenswert. Mit zunehmender Stadt- oder Gemeindegröße gewinnen die Ortszentren für die befragten Bürger an Bedeutung – 72% der Einwohner von Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern nennen die Altstadt bzw. den Stadtkern an erster Stelle der Sehenswürdigkeiten. B1

... entwickelt sich jedoch nicht immer positiv

Knapp die Hälfte der Befragten gibt an, dass sich ihre Innenstadt oder der Ortskern ihrer Gemeinde in den vergangenen Jahren zum Vorteil entwickelt hat, doch mehr als ein Viertel findet, dass sich die Innenstadt ihrer Kommune eher zum Nachteil entwickelt hat.

Insbesondere die Bewohner von Kommunen mit 100.000 bis 500.000 Einwohner sehen die Entwicklungen der vergangenen Jahre kritisch. B3

55 Baukulturbericht 2018/19 – Die Ausgangslage

die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen. Viele Menschen werden erst durch die Auszeichnung auf den Wert ihrer historisch geprägten Stadt aufmerksam und lernen diesen zu schätzen. Dies zeigt sich u. a. auf dem seit 2005 jährlich stattfindenden Welterbetag, der von der Bevölkerung stark ange-nommen wird. Insgesamt gehen Schätzungen der Welterbe-Kommission von 60 bis 70 Mio. Menschen aus, die jährlich die Welterbestätten in Deutschland besuchen. Der Ergebnisbericht „Regionalwirtschaftliche Effekte UNESCO-Welterbe Völklinger Hütte“ von 2015 stellt heraus, dass seit der Auszeichnung als UNESCO-Welterbe 1994 die Besucherzahlen kontinuierlich steigen. Die Zeche Zollverein in Essen verzeichnet eine vierzigfache Steigerung der Besu-cherzahlen seit der Auszeichnung als Welterbe und teilt zusätzlich mit, dass für 62 % aller internationalen Gäste der UNESCO-Titel eine entscheidende Rolle für den Besuch spielt.

Die Auszeichnung ist jedoch kein Selbstläufer. Sie kann als Zugpferd dienen, muss aber Investitionen in ein zeitgemäßes touristisches Angebot nach sich ziehen. So beklagte die Region des Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal zwi-schen 2000 und 2004 einen Rückgang der Übernachtungszahlen um 4 %.

Unterlassene Investitionen in Gastronomie und Hotellerie werden ebenso als Ursache angesehen wie infrastrukturelle Missstände, etwa die fehlende Brü-ckenverbindung zwischen den beiden Rheinufern oder die Lärmbelastung durch den Güterverkehr. Die Auszeichnung als UNESCO-Welterbe bringt eine baukul-turelle Verpflichtung gegenüber dem historischen Erbe mit sich und setzt pla-nerische Sorgfalt voraus. In Managementplänen werden Pufferzonen ausge-wiesen, in denen Sichtachsen gekennzeichnet und Auswirkungen geplanter Nutzungen und Bauvorhaben auf das geschützte Ensemble geprüft werden.

Negative Wirkungen neuer Bauvorhaben können zum Planungsstopp oder aber zur Aberkennung des Welterbetitels führen. Als einzigem Land wurde bislang Deutschland 2009 ein Titel aberkannt – Grund war der Bau einer vierspurigen Brücke über das Elbtal in Dresden. Droht die Aberkennung, wird das Welterbe zunächst in die Rote Liste der UNESCO aufgenommen. Seit 2017 steht u. a. Wien auf der Liste. Der geplante Bau eines Hochhauses am Heumarkt würde aus Sicht der Welterbe-Kommission den Gesamteindruck des Ensembles beeinträchtigen.

Auf europäischer Ebene wird seit 2011 vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union das Europäische Kulturerbe-Siegel vergeben.

Das Siegel soll nach Auffassung der EU-Kommission u. a. das Zugehörigkeits-gefühl der Bürgerinnen und Bürger zur Union stärken, den Zugang zum euro-päischen Kulturerbe erleichtern und das Bewusstsein für eine europäische Identität stärken. Deutschland beteiligt sich seit 2012 an der Initiative, 2015 wurden das Hambacher Schloss und die Rathäuser von Münster und Osnabrück aufgrund ihrer politisch-historischen Bedeutung ausgezeichnet. Die Mitglied-staaten können alle zwei Jahre bis zu zwei Stätten in die Vorauswahl aufnehmen, von denen maximal eine Stätte durch eine europäische Jury ausgewählt wird.

Entsprechend ausgezeichnete Stätten veranschaulichen kulturhistorisches Erbe und ihre Bedeutung für ganz Europa, außerdem steigert das Siegel die Bekanntheit der Orte bei Bevölkerung und Besuchern.

Das Besucherinteresse an Sehenswürdigkeiten, die bestimmten Katego-rien, Labels oder Themengruppe angehören, ist groß. Sie werden entsprechend als touristische Aushängeschilder genutzt und zum Bestandteil von Themen-routen gemacht. Die „Route der Industriekultur“ in Nordrhein-Westfalen ist

hierfür ein Beispiel – sie veranschaulicht auf einem 400 Kilometer langen Rund-kurs das industriekulturelle Erbe des Ruhrgebiets. Das LWL-Industriemuseum Henrichshütte in Hattingen oder das UNESCO-Welterbe Zeche Zollverein in Essen zählen dazu, ebenso die Essener Villa Hügel der Industriellenfamilie Krupp. Die Europäische Route der Backsteingotik oder die UNESCO-Route „Visionäre und Vordenker“ mit den Siedlungen der Berliner Moderne, den Luthergedenkstätten in Eisleben und Wittenberg und dem Bauhaus und seinen Stätten in Weimar und Dessau verfolgen vergleichbare touristische Konzepte. Themenrouten werden auch auf kommunaler Ebene für den Tourismus genutzt. Berlin hat ebenfalls eine Route der Industriekultur, in Brandenburg vernetzen sechs Radrouten die sehenswerten historischen Stadtkerne. Kulturtourismus leistet einen wesent-lichen Beitrag zur Wissensvermittlung und Sensibilisierung für das baukultu-relle Erbe und ist gleichzeitig eine Chance für die Kommunen, ihre baukultubaukultu-relle Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit herauszustellen.

Attraktion und Authentizität

 Die Wirkung identitätsbildender Bauweisen, Gebäude und Ensembles ist wichtig für die touristische Anziehungskraft von Kommunen und bedeutet für die Bevölkerung Lebensqualität und Identifikation.

Deshalb muss die Balance zwischen Besucheraufkommen und authentischem Stadtleben gewahrt bleiben, was nicht überall gelingt. Die verkehrliche Über-lastung touristisch nachgefragter Zentren und Stadtteile, preissteigernde Effekte bei Angeboten von Handel und Gastronomie sowie die Konkurrenz zwischen Wohnraum für die Bevölkerung und Beherbergungsangeboten sind Folgen eines überhandnehmenden Tourismus. Mit „Rummelplätze“ betitelt die Süddeutsche Zeitung entsprechend eine Karte mit der Verortung der beliebtesten Sehens-würdigkeiten in Deutschland. Der Kölner Dom mit 6,5 Mio. Besuchern im Jahr 2014 oder Schloss Neuschwanstein mit 1,6 Mio. in- und ausländischen Besuchern zählen dazu. Auf Instagram nimmt die Berliner Mauer mit über 4,5 Mio. Hashtags die Spitzenposition unter den Bauwerken Deutschlands insbesondere bei jün-geren Menschen ein.

Eine harmonische Mischung von ortstypischen Wohn- und Arbeitssituatio-nen und touristischen Treffpunkten trägt zur Belebung des Stadtbilds mit bei.

Wird die touristische Anziehungskraft zu hoch, können negative Folgen für das städtebauliche Umfeld entstehen. Vor allem auf dem Wohnungsmarkt entstehen Konflikte, wenn einzelne Quartiere in der Stadt über Onlinevermietungsportale dem lokalen Wohnungsmarkt entzogen werden. Problematisch sind dabei weni-ger Privatpersonen, die als Einzelanbieter ihre Wohnung oder einzelne Räume lediglich zeitweise zur Verfügung stellen, sondern profitorientiert oder gewerb-lich agierende Eigentümer, die Airbnb als Geschäftsmodell entdeckt haben. Sie kaufen eine Vielzahl von Wohnungen an, die als vermeintlich private Komplett-wohnung vermietet werden. Nach Recherchen des Tagesspiegels fallen in Berlin hierunter ca. 6.100 Wohnungen. Die Zahl der gewerblichen Anbieter auf Airbnb hat sich alleine in der Hauptstadt zwischen 2014 und 2017 um 15 % erhöht, auch zum Schaden der ursprünglichen Sharing-Economy-Idee. Die lukrativen Vermarktungsmöglichkeiten entnehmen dem Markt in erheblichem Umfang attraktiven Wohnraum für die örtliche Bevölkerung und lassen die Mieten in Städten mit Wachstumsdruck insgesamt steigen.

Gibt es Ansätze von Verdrängung der einheimischen Bevölkerung, kann in den betroffenen Städten bzw. Stadtteilen mit Wohnraummangel die Zweck-Bauwerke Deutschlands

nach Hashtags auf Instagram

Quelle: Travelbird 2017

Fernsehturm Berlin

4.595.501

Berliner Mauer

307.515 174.435 109.275 79.934 77.996 Kölner Dom Speicherstadt Hamburg Schloss Sanssouci Potsdam Frauenkirche Dresden

57 Baukulturbericht 2018/19 – Die Ausgangslage

Zentren sind wichtig für Tourismus

Mehr als die Hälfte der befragten Kom- munen bestätigen, dass der Tourismus für die Nutzungen im Zentrum eine (eher) hohe Bedeutung hat. Das gilt besonders für die neuen Bundesländer. Gastronomie, Dienst-leistung und Einzelhandel sind für 93%

der Kommunen von (eher) hoher Bedeutung, gefolgt von öffentlichen Einrichtungen, Wohnen sowie Kultur und Freizeit. K4

entfremdung von Wohnraum verboten werden. Die Umwandlung einer Wohnung in eine Ferienwohnung steht damit unter Genehmigungsvorbehalt und wird in der Regel versagt. Auch können Kommunen über das Aufstellen oder die Ände-rung von Bebauungsplänen Ferienwohnungen als Nutzung bewusst zulassen oder ausschließen. Die Problematik der Untervermietung privater oder vermeint-lich privater Wohnungen über Plattformen wie Airbnb bleibt mit diesen Steue-rungsinstrumenten aber ungelöst. In Palma de Mallorca wurde Airbnb jetzt verboten. Amsterdam wagt erstmals mit einem Beschluss Neuland, in dem die Stadt die Vermietung von Wohnungen an Touristen auf 60 Tage im Jahr beschränkt.

Auch mit Blick auf Einzelhandel, Gastronomie und Hotellerie gibt es dort Beschränkungen und Auflagen. Seit 2017 dürfen sich in bestimmten Gebieten keine neuen Läden mit ausschließlich touristischem Angebot ansiedeln und auch die Eröffnung neuer Hotels wird ausgeschlossen.

Im Dokument Deutscher Bundestag (Seite 59-63)