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Die verhandelten Anträge zur Führung des Fachtierarzttitels in Preußen und im Dritten Reich Preußen und im Dritten Reich

7 Die tierärztliche Spezialisierung bis 1945

7.3 Die verhandelten Anträge zur Führung des Fachtierarzttitels in Preußen und im Dritten Reich Preußen und im Dritten Reich

Durchsucht man die in der Fachpresse veröffentlichten Kammernachrichten, so er-gibt sich, dass in den Tierärztekammern der preußischen Provinzen von 1920 bis 1933 (mindestens) mehr als 30 Anträge zur Führung einer spezialistischen Bezeich-nung verhandelt wurden (siehe Tab. 1 und Abb. 7). Diese Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Entscheidungen auch detailliert veröffentlicht wurden, aber es lässt sich eine Ten-denz erkennen bezüglich der veterinärmedizinischen Gebiete, für die am häufigsten Anträge gestellt wurden. Die durch die Tierärztekammer der Provinz Brandenburg und Berlin 1931 erteilten elf Genehmigungen zur Führung eines Spezialistentitels (Tab. 1, lfd. Nr. 17) wurden bei der näheren Auswertung der vergebenen Fachtier-arzttitel nicht berücksichtigt, da weder ersichtlich war, für welche Gebiete die Titel genehmigt wurden, noch wie viele Anträge bei der Kammer eingegangen waren bzw.

abgelehnt wurden. Genauso wurde mit den 1933 von derselben Tierärztekammer genehmigten verschiedenen, nicht spezifizierten Fachtierarztbezeichnungen verfah-ren.

Bei dem in der Tab. 1 unter der laufenden Nummer 1 aufgeführten Fall handelt es sich um den Antrag des schleswig-holsteinischen Tierarztes Dr. Magnussen, dessen Verhandlung zur Forderung der Festlegung von Richtlinien zur Anerkennung eines Spezialistentitels führte, wie bereits oben ausführlich beschrieben wurde.

Tab. 1: Übersicht über die in Preußen von 1920 bis 1933 verhandelten Anträge zur Führung ei-ner spezialistischen Bezeichnung.

Lfd.

Nr.

Jahr Provinz Bezeichnung Bewilligt Anmerkung Quelle 1 1919/

Hunde Ja Dtsch. tierärztl. Wschr:

29 (25), 319 (1921).

3 1921

Schleswig-Holstein Facharzt für

Pferde Nein Dtsch. tierärztl. Wschr.

29 (52) 671 (1921b).

4 1922 Ostpreußen Fachtierarzt für

6 1922 Sachsen Spezialist für Kleinere

(27) Sachsen Fachtierarzt für

Sterilitätsbe-kämpfung

Ja

Dtsch. tierärztl. Wschr.

35 (8), 129 (1927a).

12 1927 Sachsen Fachtierarzt für

Sterilitätsbe-kämpfung Nein

Dtsch. tierärztl. Wschr.

35 (50), 824 (1927b).

13 1928 Ostpreußen Fachtierarzt für

14 1929 Pommern Fachtierarzt für innere

Krank-heiten Nein

ABl. d. Preuß. TKA 2 (2), 14 (1929).

Lfd.

Nr.

Jahr Provinz Bezeichnung Bewilligt Anmerkung Quelle 15 1929 Ostpreußen Fachtierarzt für

Milchhygiene

16 1930 Hannover Fachtierarzt für

Die Genehmigung, den Titel „Facharzt für Hunde“ zu führen, die die Tierärztekammer für die Provinz Ostpreußen in ihrer Sitzung am 22. Mai 1921 dem Tierarzt Dr. Krack aus Königsberg erteilt hatte (Tab. 1, lfd. Nr. 2), führte tatsächlich zu einer regen Dis-kussion in der Rubrik „Sprechsaal“ der Tierärztlichen Rundschau. Und zwar sah sich der städtische Tierarzt Dr. K. durch diesen Vorgang zur Stellung zweier umfangrei-cher Fragen in der Rubrik „Sprechsaal“ der Tierärztlichen Rundschau veranlasst, die in Abbildung 5 nachzulesen sind.211

Bereits zwei Ausgaben später wurden die ersten Antworten veröffentlicht.212 Die voll-ständige Debatte um die Frage des Dr. K. ist in Abbildung 6 nachzulesen. Sie soll hier wiedergegeben werden, da sie auf anschauliche Weise deutlich macht, dass das Thema des Spezialistentums in der tierärztlichen Praxis mittlerweile Gegenstand der standespolitischen Diskussion geworden war, an der sich nicht nur Standespolitiker, sondern auch Praktiker beteiligten.

Im November 1921 verhandelte die Tierärztekammer für Schleswig-Holstein den An-trag des Herrn Dr. Hölscher, Stabsveterinär a. D., sich „Fachtierarzt für Pferde“

211 Anon. (K.) 1921, 540.

212 Anon. 1921, 588-589.

Tab. 1 (Forts.).

zeichnen zu dürfen (Tab. 1, lfd. Nr. 3).213 Die Versammlung beschloss jedoch die Ab-lehnung dieses Gesuches mit folgender Begründung:

„Da Sie eine spezialistische Ausbildung nach Ansicht der Kammer nicht nachge-wiesen haben, kann Ihnen die Kammer den Titel ‚Facharzt für Pferde’ nicht zuer-kennen. Sie werden aufgefordert, diese Bezeichnung künftig nicht mehr zu füh-ren.“214

Die Ablehnung des in Tabelle 1 unter der laufenden Nr. 5 geführten Antrags auf Ge-nehmigung der Bezeichnung „Facharzt für Hundekrankheiten“ begründete die Tier-ärztekammer für die Provinz Schlesien mit dem Fehlen der „notwendigen Vorausset-zungen“.

Abb. 5: Fragen des städt. Tierarztes Dr. K. an seine Kollegen in der Rubrik „Sprechsaal“ der Tierärztlichen Rundschau [Tierärztl. Rdsch. 27 (27), 540 (1921)].

213 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 29 (52), 670-671 (1921b).

214 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 29 (52), 671 (1921b).

Abb. 6: Die Antworten auf die Fragen des Dr. K. [Tierärztl. Rdsch. 27 (29), 588-589; (33), 672 (1921)].

Abb. 6 (Forts.).

Gleichzeitig bestimmte sie, genauso wie auch schon die Tierärztekammer Schleswig-Holsteins, beim Tierärztekammerausschuss zu beantragen, Bedingungen festzule-gen, „unter denen derartige Bezeichnungen genehmigt werden sollen“.215

215 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 30 (10), 133 (1922).

Abb. 6 (Forts.).

Mit Verweis auf eben diese Bedingungen, die schließlich in den Richtlinien des Preußischen Tierärztekammerausschusses von 1922 festgesetzt worden waren, lehnte die Vollversammlung der Tierärztekammer für die Provinz Sachsen im Juli 1922 den Antrag eines Kollegen auf Beilegung der Bezeichnung “Spezialist für klei-nere Haustiere“ ab (Tab. 1, lfd. Nr.6).216

Der Assistenzarzt Dr. Rütter aus Königsberg konnte der Tierärztekammer für die Provinz Ostpreußen seine mindestens dreijährige spezialistische Ausbildung und Tä-tigkeit auf dem Gebiet der Sterilität der Rinder und Pferde nachweisen, so dass ihm das Führen des Spezialistentitels für diesen Bereich genehmigt wurde (Tab. 1, lfd.

Nr. 7).217

Der in Tabelle 1 an achter Stelle aufgeführte Antrag des Herrn Dr. Stolte auf Ge-nehmigung des Führens der Bezeichnung „Spezialist für Hundekrankheiten“ wurde 1923 von der Tierärztekammer für die Provinz Sachsen das erste Mal verhandelt und abgelehnt. Begründet wurde diese Entscheidung damit,

„daß das verlangte Attest der Berliner Poliklinik bisher nicht beigebracht worden ist und Herr Dr. Stolte die Übernahme der Verpflichtung einer ausschließlich spezia-listischen Tätigkeit abgelehnt hat“.218

Darüber hinaus hatte der Antragsteller sich standesunwürdigen Verhaltens schuldig gemacht, und so wollte die Kammerversammlung bei dieser Gelegenheit nicht ver-säumen, den Kollegen darauf hinzuweisen,

216 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 30 (32), 423 (1922).

217 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 31 (9), 107 (1923).

218 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 32 (3), 34 (1924).

„daß das Abhalten von Sprechstunden außerhalb des Wohnortes, sowie die von Dr. Stolte gewählte Art der Annonce in einer öffentlichen Zeitung unzulässig sind und einen Verstoß gegen die Standesordnung darstellen“.219

Ein knappes Jahr später kam dieser Fall erneut zur Verhandlung. Dieses Mal waren die notwendigen Unterlagen eingereicht worden. Allerdings stand der Nachweis noch aus,

„daß er einen Wirkungskreis gefunden hat, in welchem die Ausübung der spezialistischen Tätigkeit im Hauptberuf wirkungsvoll gestaltet werden kann“.220 Der Vorsitzende der sächsischen Tierärztekammer wurde daher ermächtigt, Dr.

Stolte den Titel „Fachtierarzt für Hundekrankheiten“ zu erteilen, wenn der Wirkungs-kreis belegt werden konnte. Im August 1925 befand sich die Angelegenheit des Herrn Dr. Stolte wieder auf einer Tagesordnung, diesmal auf der Vorstandssitzung der Tierärztekammer Sachsen. Obwohl ihm bereits am 20. November 1924 die Führ-ung des Fachtierarzttitels zugesagt worden war, wollte man seinem Wunsch nach-kommen und ihm bescheinigen, dass die nachgereichten Unterlagen

„in wissenschaftlicher und praktischer Beziehung als hinreichend für die Bezeich-nung ’Fachtierarzt’ befunden worden sind“.221

Außerdem machte der Vorstand deutlich, dass er den Vorwurf des Verstoßes gegen die Standesordnung nicht mehr aufrecht halte.

Am 17. Dezember 1924 wurde durch die Tierärztekammer für die Provinz Schleswig-Holstein dem Tierarzt Dr. O. Martens das Führen der Bezeichnung „Fachtierarzt für Sterilitätsbekämpfung“ gestattet, nachdem er versichert hatte, dass seine Haupttätig-keit in diesem Spezialfache liege und auch in Zukunft liegen werde. Er konnte eine mehrjährige Tätigkeit auf dem Gebiet der Sterilitätsbekämpfung vorweisen (Tab. 1, lfd. Nr. 9).222

Auf der 1926 tagenden Versammlung der Tierärztekammer für die Provinz Hessen-Nassau und den Freistaat Schaumburg-Lippe wurde der Antrag auf Führung der Be-zeichnung als „Hunde-Spezialist“ abgelehnt, da die eingereichten Unterlagen nicht ausreichten (Tab. 1, lfd. Nr.10).223

In Halle tagte die sächsische Tierärztekammer am 27. September 1927 und hatte den in Tabelle 1 an zwölfter Position aufgeführten Fall zu beraten. Dieser Kollege wollte sich die Bezeichnung „Fachtierarzt für Sterilitätsbekämpfung“ zulegen. Es

219 Dtsch. Tierärztl. Wschr. 32 (3), 34 (1924).

220 Dtsch. tierärztl. Wschr. 33 (4), 62 (1925a).

221 Dtsch. tierärztl. Wschr. 33 (39), 660 (1925b).

222 Dtsch. tierärztl. Wschr. 33 (3), 43 (1925).

223 Dtsch. tierärztl. Wschr. 34 (31), 568 (1926).

wurde länger debattiert und schließlich einstimmig abgelehnt. Aus dieser Diskussion ergab sich für die Kammer,

„daß mit der Verleihung im allgemeinen vorsichtig zu verfahren sei, insbesondere, da die Grenzen in der Veterinärmedizin nicht so sicher zu ziehen seien wie in der humanen“.224

Den Antrag des Dr. O. M. aus G., den Titel „Fachtierarzt für innere Krankheiten“ füh-ren zu dürfen, lehnte die Tierärztekammer für die Provinz Pommern auf ihrer Ver-sammlung im Januar 1929 ab (Tab. 1, lfd. Nr.14). Die Forderungen der allgemeinen Richtlinien wurden vom Antragsteller nicht erfüllt.225

Das Bestreben, den Titel „Fachtierarzt für Milchhygiene und Euterkrankheiten“ zu führen, hatte, soweit ersichtlich, das erste Mal 1929 der Tierarzt Dr. Willi Lott aus Königsberg. Seinem Antrag wurde durch die Tierärztekammer Ostpreußens stattge-geben, da er die Vorbedingungen erfüllte (Tab. 1, lfd. Nr. 15).226 1931 beantragte Dr.

Lott die Weiterführung des Fachtierarzttitels. Bei der erneuten Bewertung des Falles kam die Tierärztekammer für die Provinz Ostpreußen jedoch zu dem Ergebnis, die-ses Gesuch abzulehnen, da es

„einen Durchbruch der Grundsätze bedeuten würde, nach denen dieser Titel ver-liehen wird“.227

Die Tierärztekammer war darüber hinaus nicht der Meinung, dass eine Verlängerung der Genehmigung der spezialistischen Bezeichnung für Dr. Lott „unbedingt eine Le-bensnotwendigkeit“ bedeutete.228 Leider wird aus den Unterlagen nicht ersichtlich, warum Dr. Lott überhaupt einen Antrag auf Weiterführung seines Fachtierarzttitels eingereicht hatte, denn schließlich wurde, laut veröffentlichtem Bericht über die ent-sprechende Vollversammlung, die Genehmigung zur Führung des Titels weder be-fristet noch an Auflagen geknüpft. Interessant ist auch, warum die Erlaubnis der Weiterführung der spezialistischen Bezeichnung nicht einmal anderthalb Jahre nach dem ersten, positiven Entscheid mit den Grundsätzen brechen würde. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass in der Zwischenzeit (Januar 1930) eine neue Standesord-nung für die preußischen Tierärzte in Kraft getreten war. Zwar hatten die Richtlinien von 1922 über die vom Antragsteller zu erfüllenden Voraussetzungen nach wie vor Gültigkeit, aber jetzt war in der neuen Standesordnung Preußens von 1930 eindeutig bestimmt worden, dass ein Fachtierarzt allgemeine Praxis nicht ausüben sollte. Aus-nahmen konnten von der Tierärztekammer zugelassen werden. Möglicherweise zielte der Verweis auf die mangelnde „Lebensnotwendigkeit“ der Führung des Titels für Dr. Lott auf diese Neuerung in der Standesordnung von 1930 ab.

224 Dtsch. tierärztl. Wschr. 35 (50), 824 (1927b).

225 ABl. d. Preuß. TKA 2 (2), 14 (1929).

226 ABl. d. Preuß. TKA 2 (12), 162 (1929).

227 ABl. d. Preuß. TKA 4 (5), 48 (1931).

228 ABl. d. Preuß. TKA 4 (5), 48 (1931).

Abb. 7: Von 1920 bis 1933 in den preußischen Provinzen durch die Tierärztekammern bewilligte und abgelehnte Fachtierarzttitel.

Da der Antragsteller unter der laufenden Nummer 16 der Tab. 1 nicht Willens war, auf allgemeine Praxistätigkeit zu verzichten, konnte die Tierärztekammer für die Pro-vinz Hannover dem betreffenden Tierarzt keine Erlaubnis zur Führung des Titels

“Fachtierarzt für Aufzuchtkrankheiten“ erteilen.229

Stellt man die ausgewerteten, von 1920 bis 1933 bewilligten und abgelehnten An-träge auf Führung eines Spezialistentitels in den jeweiligen Gebieten grafisch dar, lässt sich deutlich erkennen, welche Disziplinen bei der tierärztlichen Spezialisierung tendenziell präferiert wurden (Abb. 7).

Von den 20 ausgewerteten Anträgen wurden zwölf positiv bewertet, acht Anträge wurden abgelehnt.

Auf die Bereiche Sterilitätsbekämpfung (das Gebiet der Aufzuchtkrankheiten wurde zum Gebiet der Sterilitätsbekämpfung hinzugezählt) sowie Hundeerkrankungen entfielen mit acht bzw. fünf Anträgen die meisten Spezialisierungswünsche. Dabei wurde der Titel „Fachtierarzt für Sterilitätsbekämpfung“ fünfmal, der des „Spezialisten für Hunde“ in drei Fällen vergeben.

Zwei Tierärzte wollten sich spezialistisch auf dem Gebiet der kleinen Haustiere betä-tigen, einem wurde dies gestattet.

Jeweils ein Antrag wurde für die Bereiche Chirurgie, Pferde, Innere Krankheiten, Milchhygiene/Euterkrankheiten und Infektionskrankheiten gestellt. Die Führung des Spezialistentitels wurde lediglich auf den Gebieten Chirurgie, Milchhygiene/Euterge-sundheit und Infektionskrankheiten bewilligt.