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Quantitative Entwicklung des Fachtierarztwesens bis 1990

8 Das Fachtierarztwesen in Deutschland nach 1945

8.1 Die Entwicklung des Fachtierarztwesens in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990

8.1.2 Quantitative Entwicklung des Fachtierarztwesens bis 1990

In Abb. 11 sind die Entwicklung der Anzahl der Fachtierärzte in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Beziehung zur zeitgleichen Entwicklung der Anzahl der Tier-ärzte insgesamt für den Zeitraum von 1963 bis 1990 dargestellt. Die Daten, auf der diese und die nachfolgenden Abbildungen basieren, sowie die dazugehörigen Quel-lenangaben sind tabellarisch im Anhang aufgeführt (Tab. 6 und 7).

In der graphischen Auswertung wurden die von dem Fachtierarzt für Bakteriologie und Serologie Dr. Heinz Seiler 1959 veröffentlichten Angaben auf dem Stand von 1958 nicht berücksichtigt.405 Dieser ermittelte anhand des westdeutschen Tierärzte-Adressbuches für die Bundesrepublik Deutschland 8140 Tierärzte, von denen 45 Fachtierärzte waren, was einem Anteil von 0,6 % entspricht. Diese Zahlen verdienen allerdings auch insofern Beachtung, als dass hier das erste Mal in einer quantitativen Übersicht über die deutsche Tierärzteschaft die Fachtierärzte explizit aufgeführt wur-den.

1963 war der Anteil der Fachtierärzte auf 1,4 % angestiegen, das heißt, von 8863 Tierärzten waren 126 Fachtierärzte. Dieser Zuwachs setzte sich relativ kontinuierlich bis zum Beginn der 1970er Jahre fort, so dass 1970 die Fachtierärzte 2,8 % der Tierärzteschaft ausmachten.

Einen steilen Anstieg nahm die Anzahl der Fachtierärzte in den ersten fünf Jahren der 1970er Jahre. In der Kurve fällt besonders die sprunghafte Zunahme von 1973 bis 1974 auf: Die Anzahl der Fachtierärzte erhöhte sich von 787 auf 1325, was einen Anstieg ihres relativen Anteils um 4,8 Prozentpunkte auf 12,5 % bedeutet. Diese Werte relativieren sich, wenn man berücksichtigt, dass die Daten von 1973 am 1. Ja-nuar erhoben wurden, die von 1974 jedoch am 31. Dezember, so dass sich der An-stieg auf annähernd zwei Jahre bezieht.

1976 machten die Fachtierärzte einen Anteil von 15,6 % an der Tierärzteschaft aus.

Die Anzahl der Tierärzte mit Gebietsbezeichnung nahm in den folgenden Jahren wei-

404 Rupprecht u. Scheunemann 1981, 180.

405 Seiler 1959, 3.

Abb. 11: Die quantitative Entwicklung der Tierärzte insgesamt und der Fachtierärzte in der Bundesrepublik Deutschland von 1963 bis 1990 einschließlich der Darstellung des relativen Anteils der Fachtierärzte an der gesamten Tierärzteschaft (Herter 1964-1973; Schöne 1973-1974; Schöne u. Ulrich 1975-1991).

ter kontinuierlich zu, um 1982 ihr vorläufiges Maximum (in Relation zur Gesamtzahl der Tierärzte) zu erreichen. In diesem und dem folgenden Jahr lag ihr prozentualer Anteil an der Tierärzteschaft bei 17,8 %. Innerhalb von zwanzig Jahren hatte sich die Anzahl der Fachtierärzte annähernd auf das Zwanzigfache erhöht.

Im weiteren Verlauf der 1980er Jahre erhöhte sich die absolute Anzahl der Fachtier-ärzte bis 1988 auf 2706, allerdings wurde ihr relativer Anteil an der Gesamtzahl der Tierärzte geringer und betrug nur noch 16,4 %.

Für das Jahr 1989 gibt die Abb. 11 einen Einbruch der Anzahl der Tierärzte insge-samt sowie der Fachtierärzte wieder. Das ist damit zu erklären, dass Dr. Roland Schöne und Henning Ulrich ab 1989 die Anzahl der Tierärzte und Fachtierärzte im Ruhestand bei ihren Angaben herausgerechnet haben.

Bei den Angaben für 1990 wurden bereits die Tierärzte Ostberlins berücksichtigt. Die Anzahl der Tierärzte lag im Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands bei 15619, wovon 2543 Fachtierärzte waren. Die Fachtierärzte machten somit 16,3 % aller Tier-ärzte aus.

1973 hat Dr. Roland Schöne begonnen, die Anzahl der Fachtierarztanerkennungen nach Fachgebieten aufzuschlüsseln. Die sich aus diesem Zahlenmaterial ergebende quantitative Entwicklung der einzelnen Fachgebiete ist anhand der Abb. 12 bis Abb.

16 nachzuvollziehen. Die den graphischen Darstellungen zugrunde gelegten Daten befinden sich in der Tab. 7 im Anhang. Es sei an dieser Stelle noch einmal daran er-innert, dass das Ziel dieser Arbeit ist, einen Überblick über die Entwicklung des Fachtierarztwesens in Deutschland zu vermitteln. Es kann daher nicht im Detail auf die Entwicklung jedes einzelnen Fachgebietes eingegangen werden.

Den größten Anteil an den Fachtierarztanerkennungen, die zu Beginn der nach Fachgebieten aufschlüsselnden Aufzeichnungen 1973 erteilt worden waren, hatten die Fachtierärzte für Lebensmittelhygiene (13,83 %), Kleintiere (13,59 %), Zuchthy-giene und Besamung (12,97 %) sowie Mikrobiologie (12,36 %). Auch 1990 waren diese Fachgebiete noch unter denen, die die meisten Fachtierarztanerkennungen zu verzeichnen hatten, jedoch auf insgesamt niedrigerem Niveau: Jetzt führte der Fach-tierarzt für Kleintiere mit 10,08 % aller FachFach-tierarztanerkennungen die Gruppe an, gefolgt von dem erst 1976 eingeführten Fachtierarzt für Öffentliches Veterinärwesen (8,88 %). Die Fachtierärzte für Mikrobiologie hatten einen Anteil von 8,71 %, diejeni-gen für Lebensmittelhygiene ladiejeni-gen bei 8,64 %. Der Fachtierarzt für Zuchthygiene und Besamung beanspruchte nur noch 6,83 % der Fachtierarztanerkennungen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass diese, wie auch die nachfolgenden Zahlen unter Berück-sichtigung zweier Aspekte gesehen werden müssen. Zum einen hat sich die Anzahl der Fachgebiete von 1973 bis 1990 von 26 auf 33 erhöht, das Fachgebiet Bakterio-logie und MykoBakterio-logie, das 1990 nur in Niedersachsen eingeführt wurde, nicht mitge-zählt. Zum anderen wurden, wie schon erwähnt, 1989 und 1990 die Fachtierärzte im Ruhestand nicht mehr einbezogen.

Abb. 12: Die quantitative Entwicklung der Fachgebiete Chirurgie, Innere Medizin, Klinische Veterinärmedizin und Pathologie anhand der Anzahl der Facharztanerkennungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1990 (Schöne 1973 u. 1974; Schöne u. Ulrich 1975-1991).

Abb. 13: Die quantitative Entwicklung der Fachgebiete Fische, Geflügel, Kleintiere, Pelztiere, Pferde, Rinder, Schafkrankheiten und Schweine anhand der Anzahl der Facharztanerkennungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1990. Das Fachgebiet Zoo- und Wildtiere gab es erst ab 1977, das Fachgebiet Bienen wurde erst 1985 eingeführt (Schöne 1973 u. 1974; Schöne u. Ulrich 1975- 1991).

Abb. 14: Die quantitative Entwicklung der Fachgebiete Fleisch-, Lebensmittel- und Milchhygiene anhand der Anzahl der Fach- tierarztanerkennungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1990. Das Fachgebiet Öffentliches Veterinärwesen wurde erst 1976 eingeführt (Schöne 1973 u. 1974; Schöne u. Ulrich 1975-1991).

Abb. 15: Die quantitative Entwicklung der Fachgebiete Mikrobiologie, Parasitologie, Pharmakologie und Toxikologie, Radiologie sowie Virologie anhand der Anzahl der Fachtierarztanerkennungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1990. Die Fachgebiete Anatomie und Virologie wurden erst 1980 eingeführt, das Fachgebiet Physiologie 1981 (Schöne 1973 u. 1974; Schöne u. Ulrich 1975- 1991991).

Abb. 16: Die quantitative Entwicklung der Fachgebiete Information und Dokumentation, Tierernährung und Diätetik, Tierhygiene, Tropenveterinärmedizin, Verhaltenskunde, Versuchstierkunde sowie Zuchthygiene und Besamung anhand der Anzahl der Fachtierarzt- anerkennungen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis 1990 (Schöne 1973 u. 1974; Schöne u. Ulrich 1975-1991).

Eine interessante Entwicklung zeigt auch der Fachtierarzt für Rinder. In diesem Fachgebiet waren 1973 nur acht Fachtierarztanerkennungen ausgesprochen wor-den, so dass diese einen Anteil von 0,98 % an der Gesamtzahl der Fachtierarztaner-kennungen hatten. 1990 lag dieser Anteil bei 5,76 %. Damit nahm der Fachtierarzt für Rinder 1990 einen größeren Anteil ein als die Fachtierärzte für Pferde oder für Schweine, die jeweils 5,29 % aller Fachtierarztanerkennungen ausmachten. Dabei waren 1973 zwanzig der insgesamt 817 Fachtierarztanerkennungen für das Gebiet Pferde und sogar 36 für das Gebiet Schweine ausgesprochen worden, einem jeweili-gen relativen Anteil von 2,45 % und 4,41 % entsprechend.

Einen deutlichen Anstieg zeigt auch das Fachgebiet Chirurgie (Abb. 12), das 1973 einen Anteil von 1,84 % und 1990 von 3,55 % an der Gesamtheit der Fachtierarztan-erkennungen hatte, und seinen Anteil damit annähernd verdoppeln konnte.

Auf konstant besonders niedrigem Niveau bewegten sich das alte Fachgebiet Pelz-tiere und das erst 1985 eingeführte Fachgebiet Bienen (Abb. 13).

Anteile von unter 1 % an der Gesamtzahl der Fachtierarztanerkennungen hielten in-nerhalb des betrachteten Zeitraums die Fachgebiete Fische, Schafkrankheiten, Zoo- und Wildtiere (ab 1977), Radiologie, Virologie (ab 1980), Physiologie (ab 1981), Ver-haltenskunde sowie Information und Dokumentation (ab 1977).

8.1.3 Diskussion

Für die Zeit von 1945 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands stellt sich die Frage, welche Umstände dazu führten, dass sich das Thema der tierärztlichen Spezialisier-ung mit dem System der berufsständisch organisierten WeiterbildSpezialisier-ung zum Fachtier-arzt schon bald zum Gegenstand berufspolitischer Diskussionen etablierte und wa-rum gerade Anfang bis Mitte der 1970er Jahre ein deutlicher quantitativer Auf-schwung des Fachtierarztwesens festzustellen ist. Darüber hinaus wurden die 1970er Jahre hinsichtlich des Fachtierarztwesens durch den „Facharztbeschluss“

geprägt. Wie wirkte sich dieser Beschluss auf die Entwicklung der tierärztlichen Weiterbildung in Deutschland aus? Schließlich soll erörtert werden, welche Gründe zur Schaffung bestimmter Fachgebiete führten.

Die ersten Vorschriften zur Erteilung von Fachtierarztbezeichnungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Niedersachsen erlassen. Die „Verordnung über die An-erkennung als Fachtierarzt“ wurde im Veterinär-Kalender 1949 veröffentlicht. Dabei fällt in diesem Regelwerk, neben den Ähnlichkeiten zu § 30 der Berufsordnung von 1937, besonders die für die Fachtierärzte für Sterilitätsbekämpfung getroffene Son-derregelung ins Auge, nach der alle Tierärzte als solche anerkannt wurden, die hauptamtlich bei den Tiergesundheitsämtern angestellt waren. Eine Bestätigung durch die Tierärztekammer war nicht erforderlich. Diese Sonderregelung macht die Wichtigkeit dieses Fachgebiets deutlich, für das in der vorliegenden Arbeit auch schon für die Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches eine besondere Bedeutung herausgearbeitet werden konnte. Und wieder muss als Grund für die

För-derung dieses Fachgebiets in Form dieser Sonderregelung der Bedarf aufgrund der wirtschaftlichen Zwänge angenommen werden. So wurde auf der ersten Interzonalen Veterinärkonferenz in Berlin vom 14. bis 16. Oktober zum Punkt 5 der Tagesord-nung, „Organisation und einheitliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Sterilität“, fol-gende Entschließung gefasst:

„In zunehmendem Maße wird das Auftreten von Fruchtbarkeitsstörungen bei den landwirtschaftlichen Haustieren beobachtet. Hierdurch wird die Nachzucht und die menschliche Ernährung ernstlich gefährdet. Unter den vielen mittelbaren und un-mittelbaren Ursachen (…) spielen die tierärztlicherseits beeinflußbaren Veränder-ungen eine erhebliche Rolle. Zur Abstellung werden folgende Maßnahmen emp-fohlen: eingehende und systematische Belehrung der Tierhalter über die Haltung der Tiere und ihre Fortpflanzung; gründliche Ausbildung der Tierärzte auf diesem Spezialgebiet, Vermehrung der Fachtierärzte; Leitung von Bekämpfungsmaßnah-men durch die Fachtierärzte bei den Untersuchungsanstalten; Fruchtbarkeits-überwachung der Haustiere durch die beamteten Tierärzte im Zusammenwirken mit den einschlägigen Tierzuchtämtern, Untersuchungsanstalten, Fachtierärzten und Tierärzten auf Grund der gegebenen gesetzlichen Bestimmungen und weiter zu erlassender Vorschriften; Förderung der künstlichen Besamung. Ein erfolgrei-cher Aufbau der Sterilitätsbekämpfung hat zur Voraussetzung, daß die Lehrstühle für Geburtshilfe und Sterilitätsbekämpfung an den deutschen tierärztlichen Lehr-anstalten so schnell wie möglich wieder mit anerkannten Fachkräften besetzt wer-den.“ 406

Auch Prof. Dr. Richard Götze konstatierte 1953 in seiner Abhandlung „Über die künf-tigen Aufgaben der veterinärmedizinischen Forschung und Lehre“407, dass der „Fach-tierarzt für Unfruchtbarkeitsbekämpfung und Samenübertragung“ an den Tierge-sundheitstämtern, dem Rindergesundheitsdienst und an Rinderbesamungsstellen schon „Boden unter den Füßen“ gefunden hätte, neben dem „Fachtierarzt für Klein-tierkrankheiten“ in den Großstädten. Dies sei jedoch nicht der Fall bei den Fachtier-ärzten für Chirurgie, Innere Medizin, Geburtshilfe und anderen. Daher betonte er:

„Wir können die Spezialisierung an den tierärztlichen Bildungsstätten nicht immer weiter treiben, ohne nicht gleichzeitig die Spezialisierung der Tierärzte im amtli-chen und praktisamtli-chen Dienst in Betracht zu ziehen.“408

Dass die Spezialisierung an den Universitäten und Hochschulen der Spezialisierung in der Praxis vorausgeht, wurde in dieser Arbeit bereits deutlich. Aber welche Beson-derheiten der Nachkriegszeit in Gesellschaft und Berufsstand förderten die von Ri-chard Götze geforderte Spezialisierung der Tierärzte in Amt und Praxis und damit die Etablierung eines Fachtierarztwesens in der Bundesrepublik Deutschland?

406 Anon. 1948, 26.

407 Götze 1953, 215-219.

408 Götze 1953, 218.

Wie bereits ausgeführt, befand sich der tierärztliche Berufsstand zu Beginn der 1950er Jahre in existentieller Not. In der ersten Nachkriegsausgabe des Deutschen Tierärzteblattes veranschaulichte Dr. Heinrich Geddert die schwierige Situation, ins-besondere der Freiberufstierärzte, anhand von eindrücklichen Zahlen. So hatte sich die Zahl der Freiberufstierärzte bezogen auf das Bundesgebiet von 2416 Tierärzten im Jahr 1938 auf 4969 Tierärzte im Jahr 1953 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig hatte sich die Anzahl der Tiere (Pferde, Rinder, Schweine), die 1952 auf einen Tierarzt kam, im Vergleich zur Vorkriegszeit mehr als halbiert.409 Auch wenn diese düsteren Zahlen es zunächst nicht vermuten lassen, war es doch die Landwirtschaft, die dem tierärztlichen Berufsstand neue Chancen eröffnete, denn

„Die deutsche Landwirtschaft ist noch das einzige, älteste und wichtigste Schwungrad im deutschen Wirtschaftsgetriebe, das nach dem Zusammenbruch und dem anschließenden Chaos am ehesten wieder auf Touren lief (…). Ausnut-zung alles dessen, was der Landwirtschaft an produktiven Kräften innewohnt – Verfeinerung, Ausbeutung und Rationalisierung ihrer Produktion –, bis zum Höchsten für die heimische Volkswirtschaft, ist heute die unabdingbare Forde-rung“.410

Und somit hätten nach Meinung des langjährigen Vizepräsidenten des RPT, Dr.

Hermann Kopf, die Verhältnisse nach 1945 den Aufgaben- und Pflichtenkreis des tierärztlichen Berufes stark erweitert.411

Der 15. Internationale Tierärztekongress in Stockholm zeigte 1953 deutlich den Strukturwandel des tierärztlichen Berufes hin zur präventiven Veterinärmedizin auf.

Gerade in den hoch entwickelten Ländern sei die allgemeine und öffentliche Wertung des Tierarztes nicht mehr die des Therapeuten, sondern die des „Prophylaktikers“, wobei es auch nicht mehr um das Individuum gehe, sondern um den Bestand zum Zweck der menschlichen Ernährung. So erklärte Otto-Karl Eggert den sich vollzie-henden Strukturwandel, Sir Thomas Dolling von der FAO (Food and Agricultural Or-ganisation) zitierend.412 Die künftigen Arbeitsgebiete seien demnach die Tierzucht, die Tierernährung, die Tierhaltung und die Aufsicht über die Tierprodukte.413 Otto-Karl Eggert sah auch eine

„gewisse Tragik darin, daß zu einer Zeit, in der wir mit großen Möglichkeiten in Therapie und Chirurgie durch hochqualifizierte Technik und Methodik kurativ ar-beiten können, gerade diese Gebiete langsam aber sicher aus unserem Gesichts-kreis schwinden. (…) Gewiß läßt die Kleintierpraxis viel Spielraum für moderne Pharmakotherapie, für Chirurgie und physikalische Diagnostik und Therapie, aber

409 Geddert 1953, 4.

410 Kopf 1951b, 3.

411 Kopf 1951b, 4.

412 Eggert 1953, 211.

413 Eggert 1953, 211-212.

der Umfang, an der Gesamtheit der Tierärzte gemessen, ist zu gering, um Ge-wicht zu haben“.414

Dieser Wandel des tierärztlichen Berufsbildes aufgrund der sich ändernden landwirt-schaftlichen Verhältnisse, der zu Beginn der 50er Jahre noch in den Anfängen war, spiegelt sich letztlich auch in § 1 der BTO wider. Er war eine Ursache dafür, dass Tierärzte sich auf zusätzliche Fachgebiete spezialisieren konnten, weil sich weiterer Bedarf entwickelte.

Gleichzeitig war aber auch die wirtschaftliche Not der Tierärzteschaft Motor für die Entwicklung eines Fachtierarztwesens, denn mit Hilfe der Spezialisierung galt es, die so dringend benötigten neuen Arbeitsgebiete für den tierärztlichen Berufsstand zu si-chern, bevor angrenzende Berufszweige diese für sich in Anspruch nehmen konnten.

Die Spezialisierung im tierärztlichen Beruf kristallisierte sich also zunehmend auch als berufspolitisches Instrument heraus, das dazu dient, dem Berufsstand Arbeitsge-biete zu sichern.

Mitte der 60er Jahre gab es keinen Zweifel mehr daran, dass eine nichtspezialisierte Tierheilkunde nicht überleben würde, und dass die unaufhörliche wissenschaftliche Fortentwicklung der Experten in Wissenschaft und Praxis auf den immer umfassen-der und zahlreicher werdenden Teilgebieten umfassen-der Veterinärmedizin bedürfe.415 Diese Überzeugung sollte nun auch nach außen demonstriert werden, wie der damalige Präsident der DT Dr. Hellmuth Schulz in seinem Situationsbericht anlässlich der Be-rufspolitischen Tagung im Juni 1966 erläuterte:

„Der Entwicklung der Spezialisierung im Beruf sollten wir durch eine möglichst einheitliche Fachtierarztordnung Rechnung tragen, um auch nach außen hin das erweiterte Berufsbild zu dokumentieren und zu zeigen, daß wir gewillt und in der Lage sind, der modernen Industriegesellschaft und der Landwirtschaft auch auf allen unseren Spezialgebieten gut ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung zu stel-len. Es muß klar gestellt werden, dass theoretisch in jedem an unseren Fakultäten gelehrten Fach eine Spezialisierung möglich ist und anerkannt werden kann.“416 Nicht zu vergessen ist auch, dass das „Wirtschaftswunder“ mittlerweile den Wohl-stand nach Deutschland gebracht hatte, den Otto-Karl Eggert, als er 1953 die tragi-sche Seite des Strukturwandels beschrieb, noch nicht erahnen konnte. Jetzt waren auch die so genannten Luxustiere mit in den Strukturwandel einbezogen und ihre Behandlung erforderte ebenfalls immer mehr Spezialkenntnisse.

Dr. Bernhard Huskamp verbreitete in seinem Vortrag anlässlich der Hauptversamm-lung der deutschen Tierärzte im Rahmen des 9. Deutschen Tierärztetages eine Auf-bruchstimmung, indem er die zurückliegenden Jahre als „Periode der

414 Eggert 1953, 211.

415 Schulz 1967, 38.

416 Schulz 1967, 38.

nahme“ verabschiedete und nun „den Tierarzt der nächsten 30 Jahre“ begrüßte.417 Dieser würde kein Allgemeinpraktiker mehr sein:

„Es kann in Zukunft keine Allgemeinpraxen mehr geben, in denen der einzelne Tierarzt Herr ist über Pferde, Rinder, Schweine und Geflügel, sondern es wird Rinderpraxen, Schweinepraxen, Geflügel- und Kleintierpraxen geben, oder aber Gemeinschafts- und Gruppenpraxen, die mit je einem Spezialisten für Pferde, Rinder, Schweine und Geflügel besetzt sind.“418

Diese Entwicklung oder die „Periode der Bestandsaufnahme“ der vorangegangenen gut zwanzig Jahre, mündend in der Erkenntnis, dass der klassische Allgemeinprakti-ker zunehmend in den Hintergrund treten wird, spiegelt sich in dem zunehmenden Umfang der Vorschriften zur Weiterbildung der Länder wider, wie es am Beispiel Niedersachsens dargestellt wurde, und letztlich auch in dem Kanon der Fachgebiete, der in die erste Weiterbildungsordnung der DT aufgenommen wurde. Dieser ent-sprach dem weit gefächerten Aufgabenkatalog der Veterinärmedizin, wie er vom Deutschen Veterinärmedizinischen Fakultätentag in seinem im Juli 1969 verfassten Memorandum beschrieben wurde, bestehend aus sieben Haustierarten und mehre-ren Labortierspezies, der Technologie der Lebensmittel tierischer Herkunft sowie zahlreichen Aufgabengebieten im Bereich der Labortätigkeit, der staatlichen Veteri-närverwaltung und der Industrie.419

Schließlich zeigt sich die zunehmende berufspolitische Bedeutung auch in der Tat-sache, dass seit Anfang der 1960er Jahre die Fachtierärzte regelmäßig statistisch erfasst wurden. Damit konnte die stetig wachsende Bedeutung dieser Gruppe wei-tergebildeter Tierärzte auch quantitativ nachgewiesen werden.

Einen vergleichsweise rasanten Zuwachs der Anzahl der Fachtierärzte konnten die Statistiker in ihren Erhebungen für die erste Hälfte der 1970er Jahre ermitteln und seit 1973 wurde die Anzahl der Fachtierärzte, ihrer zunehmenden Bedeutung ent-sprechend, nach Fachgebieten aufgeschlüsselt ermittelt. Vermutlich ist dieser rasche Anstieg auch Ausdruck der von Huskamp eingeläuteten neuen Ära des tierärztlichen Berufes. Auch in dem berufspolitischen Sieben-Punkte-Programm, mit dem Dr. Hell-muth Schulz seinen Berufsstand für die 70er Jahre rüsten wollte, nahm die Weiterbil-dung als Mittel zur Spezialisierung einen breiten Raum ein.420 Zunächst stellte der Präsident jedoch klar, dass der „approbierte Tierarzt“ das einheitliche und einzige Berufsziel sein müsse, um den Tierärzten für die Dauer ihres Berufslebens Flexibilität und Mobilität in der Berufsausübung zu erhalten. Für die nach der Approbation, ne-ben der Berufstätigkeit anstehende Spezialisierung wollte er alle tierärztlichen Be-rufsfelder berücksichtigt wissen.

417 Huskamp 1969, 277.

418 Huskamp 1969, 278.

419 Schulz, L.-Cl. 1969, 446.

420 Schulz 1971, 1-3.

Das Anfang der 1970er Jahre in der Standespolitik als etabliert zu bezeichnende Bewusstsein für die Notwendigkeit der Spezialisierung kann jedoch nicht alleiniger Grund für diese starke Zunahme der Fachtierarztanerkennungen gewesen sein. Zu bedenken ist aber auch, dass durch die geschaffene Muster-Berufsordnung der DT vom November 1970, die auch von den Kammern der Bundesländer für ihre Regel-werke weitgehend übernommen wurde, den Tierärzten im Vergleich zu früheren Zeiten eine Fülle von Fachgebieten zur Spezialisierung angeboten wurde, die eben das gesamte Spektrum tierärztlicher Tätigkeit umfasste. Es gab also seit Anfang der 70er Jahre mehr Möglichkeiten der Weiterbildung zum Fachtierarzt.

Auch dieses üppige Angebot an verschiedenen Fachgebieten würde sich allein noch nicht dazu eignen, bei einer Mindestweiterbildungszeit von drei Jahren den in Abb.

11 festzustellenden steilen Anstieg des Anteils der Fachtierärzte an der deutschen Tierärzteschaft zu erklären, allerdings wohl, wenn man die in den Weiterbildungsord-nungen getroffenen Übergangsbestimmungen in die Betrachtung einbezieht. In der Anlage 1 zur Muster-Berufsordnung vom 20. November 1970 war für die meisten Fachgebiete vorgesehen, die Fachtierarztbezeichnung innerhalb einer Zeit von drei Jahren nach Inkrafttreten der Berufsordnung auf Antrag ohne die für den Weiterbil-dungsgang festgelegten Voraussetzungen zuzuerkennen, wenn der Antragsteller

11 festzustellenden steilen Anstieg des Anteils der Fachtierärzte an der deutschen Tierärzteschaft zu erklären, allerdings wohl, wenn man die in den Weiterbildungsord-nungen getroffenen Übergangsbestimmungen in die Betrachtung einbezieht. In der Anlage 1 zur Muster-Berufsordnung vom 20. November 1970 war für die meisten Fachgebiete vorgesehen, die Fachtierarztbezeichnung innerhalb einer Zeit von drei Jahren nach Inkrafttreten der Berufsordnung auf Antrag ohne die für den Weiterbil-dungsgang festgelegten Voraussetzungen zuzuerkennen, wenn der Antragsteller