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Vereinheitlichung des Fachtierarztwesens im Dritten Reich

7 Die tierärztliche Spezialisierung bis 1945

7.4 Vereinheitlichung des Fachtierarztwesens im Dritten Reich

Die Berufsordnung der deutschen Tierärzte230 vom 17.3.1937 widmete zum ersten Mal einen gesamten Abschnitt der Fachtierarztfrage, in dem auch ausschließlich der Begriff “Fachtierarzt“ verwendet wurde. Formulierungen wie „spezialistische Be-zeichnung“ oder „Spezialist“ waren nicht mehr zu finden. Die Berufsordnung, gültig für die Tierärzte des gesamten Deutschen Reiches, enthielt im VII. Abschnitt „Fach-tierärzte“ Regelungen zur Berechtigung des Führens der Bezeichnung „Fachtier-arzt“. Dieser Abschnitt bestand aus nur einem Paragraphen, § 30, der sich in acht Absätze untergliederte (siehe Abb. 8).

Der Absatz 1 legte fest, dass zur Führung der Bezeichnung „Fachtierarzt“ die Er-laubnis der Reichstierärztekammer notwendig war. Diese durfte nur „auf Grund einer

229 ABl. d. Preuß. TKA 3 (4), 56 (1930).

230 Dtsch. Tierärztebl. 4 (7, Sonderbeilage), 1-4 (1937).

besonderen Ausbildung in dem betreffenden Sondergebiet“ erteilt werden (Absatz 2).

Abb. 8: Der Abschnitt VII der Berufsordnung der deutschen Tierärzte von 1937 regelte die Berechtigung zur Führung der Bezeichnung Fachtierarzt [Dtsch. Tierärztebl. 4 (7, Sonderbei-lage), 4 (1937)].

Im dritten und vierten Absatz wurde bestimmt, dass die Reichstierärztekammer fest-zulegen hatte, für welche „tierärztlichen Arbeitsgebiete“ Fachtierärzte zugelassen würden und welche Anforderungen an die spezialistische Ausbildung zu knüpfen wären. Die Anträge waren an die Reichstierärztekammer zu stellen.

Fachtierärzte, denen die Genehmigung zur Führung dieser Bezeichnung schon vor Inkrafttreten der RTO erteilt worden war, konnten laut Absatz 5 auf Antrag weiter als Fachtierärzte zugelassen sein.

Allerdings konnte die Reichstierärztekammer „aus triftigen Gründen die Anerkenn-ung als Fachtierarzt“ wieder zurücknehmen (Absatz 6).

Im Absatz 7 wurde festgelegt, dass Fachtierärzte sich in der Ausübung ihres Berufes

„im wesentlichen“ auf ihr Sondergebiet zu beschränken hatten und sie „in der Regel“

nicht allgemein tierärztlich tätig werden sollten. Eine Ausnahme hiervon bildeten Sonntags-, Nacht- und Bereitschaftsdienste, andere Ausnahmen mussten geneh-migt werden.

Der achte Absatz bestimmte, dass Fachtierärzte die notwendige Ausrüstung für ihre fachtierärztliche Tätigkeit vorweisen können mussten.

Genauso wie die Standesordnung Preußens machte auch diese Berufsordnung das Führen der Bezeichnung Fachtierarzt von einer Genehmigung abhängig, allerdings diesmal durch die Reichstierärztekammer und nicht durch die einzelnen untergeord-neten Tierärztekammern. Damit war es nicht mehr möglich, dass in verschiedenen Ländern unterschiedliche Zulassungskriterien angewandt wurden.

Auch in Preußen musste bereits die besondere Ausbildung für das entsprechende Sondergebiet nachgewiesen werden, und die Richtlinien, die der Preußische Tier-ärztekammerausschuß 1922 verabschiedet hatte, enthielten die Kriterien, nach de-nen die geforderte Ausbildung zu beurteilen war. Diese Richtlinien dienten aber le-diglich als Empfehlung für die zuständigen Tierärztekammern der preußischen Pro-vinzen und waren allgemein gehalten, in gleichem Maße anwendbar auf jedes Son-dergebiet. In der Berufsordnung von 1937 war vorgesehen, dass die Reichstierärz-tekammer zunächst einmal Sondergebiete bestimmte, für die überhaupt Fachtier-arztbezeichnungen zugelassen werden konnten, und gleichzeitig auch speziell für jedes dieser Sondergebiete die an die zugehörige Ausbildung zu stellenden Anfor-derungen festlegte. Ministerialdirigent Prof. Dr. Müssemeier, der die Berufsordnung der deutschen Tierärzte im Deutschen Tierärzteblatt kommentierte231, sah durch diese in den Absätzen drei und vier getroffenen Regelungen sowie durch die Bear-beitung der Anträge auf Anerkennung als Fachtierarzt durch die Reichstierärzte-kammer

231 Müssemeier 1937, 146-149.

„die erforderliche Sachlichkeit und die notwendige Einheitlichkeit bei der Bear-beitung und Entscheidung dieser Frage“232

gewährleistet.

Die Übergangsregelungen, die in Absatz 5 getroffen wurden, schätzte Müssemeier als „unbedenklich und vertretbar“233 ein, da aufgrund des sechsten Absatzes eine Zulassung als Fachtierarzt aus triftigen Gründen jederzeit zurückgenommen werden konnte.

Bereits in der preußischen Standesordnung wurde verfügt, dass ein Fachtierarzt keine allgemeine tierärztliche Praxis ausüben sollte. Diese Bestimmung wurde in der Berufsordnung für die deutschen Tierärzte durch das Einfügen von „im wesentli-chen“ und „in der Regel“ etwas abgemildert. Außerdem wurden Bereitschaftsdienste ausdrücklich von dieser Regelung ausgenommen. Nach beiden Regelwerken war es möglich, Ausnahmen von dieser Vorgabe zu beantragen, was Müssemeier sich nur unter der Voraussetzung vorstellen konnte, „dass sie zur ausreichenden tierärztli-chen Versorgung notwendig ist“.234 Der Nachweis hierfür müsste ohne Zweifel ge-führt werden und die zuständige Tierärztekammer hätte entsprechende Verhältnisse zu bestätigen.

Neu war auch die in Absatz 8 aufgestellte Forderung nach der entsprechenden Aus-stattung zur Ausübung fachtierärztlicher Tätigkeit, die Müssemeier für „eine er-sprießliche Tätigkeit auf ihrem Sondergebiet“235 als notwendig ansah.

Stellt man den Vergleich der Regelungen bezüglich der Fachtierärzte in der Berufs-ordnung der deutschen Tierärzte mit denen der Fachärzte in der entsprechenden ärztlichen Berufsordnung an, so fällt als erstes auf, dass es sich bei den Humanme-dizinern bereits um eine sechs Paragraphen umfassende „Facharztordnung“ han-delte, die in die Berufsordnung integriert war.236 Dies lässt deutliche Unterschiede vermuten, allerdings waren sich beide Regelwerke in grundsätzlichen Anforderun-gen an den Spezialisten relativ ähnlich.

Bei beiden Berufsständen wurde die Anerkennung als Fach(tier)arzt von der Ertei-lung einer Genehmigung abhängig gemacht, wobei sich der Tierarzt an die Reichs-tierärztekammer zu wenden hatte, der Arzt hingegen an seine zuständige Ärzte-kammer.

Auch die Pflichten der Fachtierärzte und Fachärzte glichen sich. Beide Gruppen hatten sich grundsätzlich auf das betreffende Sondergebiet zu beschränken und für dieses die notwendige Ausstattung bereitzuhalten. Sie sollten nicht

232 Müssemeier 1937, 149.

233 Müssemeier 1937, 149.

234 Müssemeier 1937, 149.

235 Müssemeier 1937, 149.

236 Dtsch. Ärztebl. 67 (46), 1035-1036 (1937).

zinisch tätig werden, wovon die Bereitschaftsdienste und ehrenamtlichen Tätigkeiten ausgenommen waren. In einem anonymen Kommentar zur Berufsordnung für die deutschen Ärzte heißt es zu dieser Ausnahmeregelung, dass dem Facharzt so die Möglichkeit eingeräumt werde, „mit der allgemeinen Medizin praktisch in Berührung zu bleiben“.237 Vielleicht führte aber auch schlicht die Notwendigkeit der Gewähr-leistung der ärztlichen Versorgung zu dieser Sonderregelung. Der Humanmediziner wurde zusätzlich noch verpflichtet, sich nur durch einen Kollegen mit gleicher Spezi-alisierung vertreten zu lassen. Dieser Passus wurde nicht in die tierärztliche Berufs-ordnung aufgenommen, was aufgrund der geringen Dichte an Fachtierärzten auch unmöglich umzusetzen gewesen sein dürfte.

Der Paragraph 29 der Facharztordnung enthielt die vierzehn zugelassenen Fach-arztbezeichnungen, die Paragraphen 30 und 31 regelten die Zeit und die Art der Facharztausbildung. Je nach Gebiet war eine Ausbildungszeit von drei oder vier Jahren vorgesehen. Zusätzlich musste eine einjährige allgemeinärztliche oder inter-nistische Tätigkeit nachgewiesen werden. Der Internist hatte stattdessen ein Jahr auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin, Chirurgie oder Gynäkologie zu absolvieren.

Als Ausbildungsstätten waren reichsdeutsche Universitätskliniken oder Krankenan-stalten bzw. deren Abteilungen vorgesehen, die von ausreichender Größe sein und alle erforderlichen wissenschaftlichen Einrichtungen besitzen mussten. Die Ausbil-dung hatte alle Gebiete eines Faches abzudecken und musste durch einen Facharzt geleitet werden. Außerdem waren Abweichungen von diesen Regelungen über An-rechenbarkeiten von Ausbildungszeiten geregelt.

Der Inhalt der Paragraphen 29 bis 31 der Facharztordnung war in der tierärztlichen Entsprechung in die Zukunft verlegt worden, was die relative Kürze des Abschnittes über Fachtierärzte in der Berufsordnung der deutschen Tierärzte erklärt. Die RTK hatte erst noch festzulegen, für welche tierärztlichen Sonderfächer Fachtierärzte zu-gelassen werden sollten, und welche Anforderungen an die entsprechende Ausbil-dung zu stellen waren.

Erst 1941 machte die Reichstierärztekammer bekannt, unter welchen Vorausset-zungen der Titel „Fachtierarzt für Zuchtkrankheiten“ vergeben werden konnte (siehe Abb. 9).238

Verglichen mit den Richtlinien des preußischen Tierärztekammerausschusses von 1922 waren die Anforderungen an die Bewerber um diesen Fachtierarzttitel sehr viel umfangreicher. Es wurde nicht mehr nur entsprechende praktische Erfahrung, son-dern wissenschaftliche Qualifikation von den Antragstellern verlangt. Insgesamt musste der Tierarzt mindestens 5 Jahre nach seiner Approbation tierärztlich gear-beitet haben sowie zum Dr. med. vet. promoviert sein. Bezüglich des Sondergebiets der Bekämpfung der Zuchtkrankheiten wurde eine dreijährige Tätigkeit auf diesem Gebiet verlangt, die an einem Fachinstitut einer Hochschule oder Universität, eines

237 Anon. 1937, 1040.

238 Reichstierärztekammer 1941a, 85.

staatlichen Veterinäruntersuchungsamtes oder Tiergesundheitsamtes zu absolvie-ren war. Ausnahmsweise konnte die Spezialausbildung auch bei einem auf dem Gebiet der Sterilitätsbekämpfung tätigen Fachtierarzt ganz oder teilweise erfolgen.

Außerdem musste die Eignung als „Fachtierarzt für Zuchtkrankheiten“ durch drei wissenschaftliche Publikationen auf dem Gebiet der Sterilitätsbekämpfung nachge-wiesen werden. Der Antragsteller musste zusagen, keine allgemeine tierärztliche Praxis auszuüben, und sich von der zuständigen Tierärztekammer bescheinigen lassen,

„daß sonstige, insbesondere charakterliche Bedenken gegen die Anerkennung als Fachtierarzt für Zuchtkrankheiten nicht vorliegen“.

Abb. 9: Die 1941 von der RTK veröffentlichten Voraussetzungen zur Anerkennung als

„Fachtierarzt für Zuchtkrankheiten“ [Dtsch. Tierärztebl. 8 (9), 85 (1941)].

Im Oktober 1941 wurden im Deutschen Tierärzteblatt das erste Mal seit Erlass der Berufsordnung von 1937 die Tierärzte veröffentlicht, die die Genehmigung zur

Füh-rung des Fachtierarzttitels von der Reichtierärztekammer erhalten hatten.239 Dabei handelte es sich um fünf Tierärzte, die sich „Fachtierarzt für Kleintierkrankheiten“

nennen durften. Im Deutschen Tierärzteblatt konnten allerdings keine Vorausset-zungen zur Vergabe dieses Titels gefunden werden. Die im April von der Reichstier-ärztekammer festgelegten Kriterien zur Anerkennung als „Fachtierarzt für Zucht-krankheiten“ konnten sechs Tierärzte erfüllen.

Die Durchsicht der in Kap. 2 bezeichneten Fachpresse ergab keine weiteren Veröf-fentlichungen zu dem Thema „Fachtierarztwesen“ bis zum Ende des Dritten Rei-ches, was mit den Kriegsgeschehnissen zu erklären sein dürfte.

7.5 Diskussion

Die frühen, sehr zaghaften Vorläufer der Spezialisierung in der tierärztlichen Praxis lassen sich auf den Anfang des 20. Jahrhunderts datieren. Dabei ist allerdings da-von auszugehen, dass Spezialisten in der tierärztlichen Praxis in den ersten zwei Dekaden die seltene Ausnahme waren und berufspolitisch so gut wie keine Rele-vanz hatten. In der zeitgenössischen tiermedizinischen Fachpresse fand keine Dis-kussion dieses Themas statt, und das, obwohl zeitgleich in der Humanmedizin be-reits eine große Anzahl von ärztlichen Spezialisten praktizierte, was zu einer hefti-gen standespolitischen Debatte bei den Ärzten führte.

Weshalb war zu dieser Zeit noch nichts von einem tierärztlichen Spezialistentum re-ellen Ausmaßes festzustre-ellen, obwohl doch, wie in Kap. 6.1 dargelegt, auch in der Tiermedizin ein erheblicher wissenschaftlicher Fortschritt Einzug gehalten hatte, der als treibende Kraft der Spezialisierung angesehen wird?

Dabei bezieht sich diese Fragestellung auf das Spezialistentum in der tierärztlichen Praxis, denn innerhalb des gesamten Berufsstandes waren durchaus Spezialisie-rungstendenzen festzustellen, die zu seiner Aufspaltung in die drei großen Berufs-gruppen der Schlachthof- und Gemeindetierärzte, der beamteten Tierärzte und der praktischen Tierärzte führten.

Der tierärztliche Berufsstand hatte zu dieser Zeit noch andere, elementare Probleme zu bewältigen. Es ging um seine Etablierung. Er musste sich erst als geschlossener, akademischer Berufsstand behaupten und Anerkennung verschaffen. Erst die Zeit der letzen zwei Jahrzehnte des 19. und des ersten Jahrzehntes des 20. Jahrhun-derts

„brachte den hochschulmäßigen Ausbau der tierärztlichen Lehranstalten, sie brachte den ‚Hochschulen’ die selbständigen Ordinariate, sie brachte die

239 Reichstierärztekammer 1941b, 164.

Maturitas als Vorbedingung für das Studium und sie brachte – als Krönung – das Promotionsrecht“.240

Tiermedizin als akademisches Studium und nicht als handwerkliche Ausbildung hatte also noch keine lange Tradition, was, davon ausgehend, dass sich ein Fach zunächst an der Hochschule instituiert haben muss, damit es sich als Spezialdiszip-lin in der tierärztlichen Praxis etablieren kann, spezialistische Tendenzen in großem Umfange Anfang des 20. Jahrhunderts oder gar noch eher sicherlich nicht aufkom-men ließ.

Erst der Ausbau der Tiermedizin zu einem akademischen naturwissenschaftlichen Studium bewirkte eine vertiefte Durchbildung in allen Disziplinen und eine Hebung der experimentellen Forschung. Naturgemäß profitierten von der Förderung der For-schung und der Ausbildung vorrangig die Disziplinen, für die ein besonderes öffent-liches Interesse bestand, wie vor allem der Tierseuchenbekämpfung dienende Fä-cher, aber auch die Fleischbeschau sowie andere Bereiche der animalischen Nah-rungsmittelkunde.241 Das ging sogar so weit,

„daß auf der anderen Seite ein Rückgang der veterinär-medizinisch-klinischen Forschung ernstlich zu befürchten war und in gewissem Maße in Erscheinung trat“.242

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Spezialisierung in der tierärztlichen Praxis zu dieser Zeit praktisch keine Rolle spielte.

Dennoch fanden sich in den ersten tierärztlichen Standesordnungen Deutschlands, nämlich in den Standesordnungen Sachsens (Entwurf), Badens und Braunschweigs auch zu dieser frühen Zeit Regelungen zum Thema Spezialist. Es ist aber anzuneh-men, dass diese der innerhalb des ärztlichen Berufsstandes geführten Debatte um das Thema des Spezialisten in der ärztlichen Praxis geschuldet waren, wie das Bei-spiel des Heckerschen Entwurfes einer Standesordnung für die Tierärzte des König-reichs Sachsen von 1908 zeigt.

Es waren vor allem zwei Gründe, die den ärztlichen Stand dazu bewegten, das Spezialistentum in Standesordnungen zu regeln. Zum einen wollte man sich durch Vorschriften über Werbung und Anpreisung, wozu eben auch die werbewirksame Bezeichnung als Spezialist zählte, vom Gewerbe abgrenzen, um die Standesehre und -würde zu wahren. Dies schien notwendig, da die Standesüberfüllung mit da-raus resultierender Unkollegialität und Unehrenhaftigkeit zu einem Ansehensverlust in der Öffentlichkeit geführt hatten.243 Und so erachtete, wie bereits in Kap. 7.1 ausgeführt, auch Reinhold Schmaltz die Bestimmungen gegen einen Missbrauch

240 Wille 1922, 20.

241 Wille 1922, 20.

242 Wille 1922, 21.

243 Taupitz 1991, 270-272.

der spezialistischen Bezeichnung zur Verhinderung unwürdiger Reklame als wichtig und notwendig.

Die Konkurrenzvermeidung für die Allgemeinmediziner war der andere Zweck der Bestimmungen, die das Spezialistentum regelten, wie die Aufforderung in der Stan-desordnung für die Ärzte des Königreiches Sachsen, der Spezialist habe sich über-wiegend mit dem Spezialfache zu beschäftigen, zeigt. Dieses war zu der Zeit jedoch ein spezielles Problem der Humanmediziner, das einer Regelung bedurfte, da der Spezialarzt eindeutig bessere Chancen hatte als sein nicht spezialisierter Kollege.244 Diese Situation war für den tierärztlichen Stand Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gegeben. Aufgrund der geringen Anzahl spezialisierter Tierärzte in der Praxis ging von diesen keine ernsthafte Konkurrenz für den Allgemeinpraktiker aus.

Das zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stand zusätzlich unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, was die berufspolitische Arbeit erschwerte und aufgrund der Vielzahl an Tierärzten, die im Krieg dienten, den Gedanken an spezialistische Ar-beitsteilung gar nicht aufkommen ließ.

Nach dem Ersten Weltkrieg schafften es auch die Tierärzte Preußens, sich eine Standesordnung zu geben. Bezüglich der Regelung der Spezialistenfrage gingen diese einen wesentlichen Schritt weiter als ihre Kollegen in Sachsen, Braunschweig oder Baden. In Preußen machte man die spezialistische Bezeichnung von einer Ge-nehmigung durch die Tierärztekammer abhängig.

Schon bald stellte sich die Frage, nach welchen Kriterien der Spezialarzttitel zu ver-geben sei. Bereits 1922 erließ der Preußische Tierärztekammerausschuss Richtli-nien hierzu. Diese fielen im Vergleich zu den Bremer RichtliRichtli-nien zwar sehr beschei-den aus, aber im Verbund mit der Standesordnung waren sie ein erster Schritt auf dem Weg der detaillierten Regelung des Fachtierarztwesens in Deutschland, zumal jetzt auch der Begriff „Fachtierarzt“ verwendet wurde. In den Richtlinien wurde au-ßerdem darauf verwiesen, dass der Fachtierarzt keiner allgemeinen tierärztlichen Praxis nachgehen sollte.

Auch in der 1930 erlassenen neuen tierärztlichen Standesordnung Preußens führte man die Bezeichnung Fachtierarzt ein, sich Spezialist zu nennen, war aber nach wie vor möglich. Diese Standesordnung hatte gesetzlich bindende Kraft, da sie ministe-riell genehmigt wurde. Die Richtlinien von 1922 behielten in unveränderter Weise ihre Gültigkeit, allerdings wurde der Passus, der grundsätzlich die allgemeine Praxis untersagte, in die Standesordnung übernommen.

Was veranlasste die Tierärzte Preußens dazu, relativ strenge Regeln bezüglich des Fachtierarztwesens aufzustellen? Orientierte man sich wieder nur an den Human-medizinern oder hatten auch veränderte Verhältnisse innerhalb des Berufsstandes dazu geführt?

244 Huerkamp 1985, 190.

Die tierärztlichen Standespolitiker Preußens nahmen bei der Entwicklung ihrer Standesordnung, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen hatte, auch hu-manmedizinisches Regelwerk zur Hilfe. Letztlich hatten aber eigene Erfahrungen des Berufsstandes mit der Anwendung dieser Regelungen von 1920 zu deren Konkretisierung und Verschärfung in Form der 1922 erlassenen Richtlinien geführt.

Es mussten sich also auch die Verhältnisse geändert haben und es musste vor allem eine nennenswerte Nachfrage nach spezialistischen Bezeichnungen unter praktisch tätigen Tierärzten bestanden haben. Führten dabei nur die Nachkriegsver-hältnisse zu einer vermehrten Nachfrage nach Fachtierarzttiteln und war eine strengere Reglementierung nur eine Konsequenz daraus oder führte zu diesem Schritt auch die veränderte Berufssituation der Praktiker selbst?

Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich die Arbeitsverhältnisse der praktischen Tier-ärzte dramatisch verschlechtert. Auch sie hatten mit den Folgen der Inflation zu kämpfen, gleichzeitig hatte sich aufgrund der Reparationszahlungen der Tierbestand dezimiert. Die tierärztliche Praxis wurde den beamteten Tierärzten in Preußen bei-spielsweise erst 1933 entzogen.245 Dies führte zu einer verschärften Konkurrenz-situation unter den praktisch tätigen Tiermedizinern und förderte sicherlich auch den unlauteren Wettbewerb. Möglicherweise war es die Angst vor unlauterem Wettbe-werb gewesen, die Preußen dazu brachte, das Führen des Spezialistentitels von ei-ner Genehmigung abhängig zu machen.

Die verschärfte Konkurrenzsituation veranlasste aber auch Tierärzte, sich ernsthaft eine Nische innerhalb des Betätigungsfeldes des Praktikers zu suchen, um ihre Existenz zu sichern. Damit diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein konnten, musste natürlich auch ein Bedarf an bestimmten Fachtierärzten existieren. Definitiv nachweisen lässt sich ein Bedarf an Tierärzten, die sich auf dem Gebiet der Sterili-tätsbekämpfung besonders gut auskannten: Durch den Ersten Weltkrieg und die damit verbundenen Reparationszahlungen kam es zu einem allgemeinen Mangel an Zucht- und Schlachttieren, wodurch sich der sterilitätsbedingte Ausfall in der Nach-zucht der Nutztiere besonders empfindlich bemerkbar machte. Diesen Zusammen-hang machte auch der Rektor der Tierärztlichen Hochschule zu Berlin, Prof. Eber-lein, deutlich, als er eine mehrtägige Fortbildungsveranstaltung über die Sterilität der Zuchttiere 1920 in der Berliner Tierärztlichen Wochenschrift ankündigte. Er konsta-tierte:

„ (…) in landwirtschaftlichen Kreisen ist das Verlangen nach wirksamer Bekämp-fung der Sterilität immer stärker hervorgetreten. Den Tierärzten erwächst hier ein neues Feld der Betätigung.“246

Dass die erfolgreiche Bekämpfung der Aufzuchtkrankheiten der Landwirtschaft ein großes Anliegen war, verdeutlichte ebenfalls der Artikel des hannoverschen Prof.

245 Schmaltz 1936, 337.

246 Eberlein 1920, 231-232.

Mießner in der Tierärztlichen Rundschau vom März des Jahres 1923.247 Darin be-richtete er zunächst über die Sitzung des Unterausschusses der Deutschen Land-wirtschaftlichen Gesellschaft (D. L. G.) zur Bekämpfung der Aufzuchtkrankheiten (dabei offenbart schon die Existenz dieses Unterausschusses die Dringlichkeit die-ses Themas). Es wurde eine Organisation zur Bündelung aller beteiligten Kräfte gefordert, wobei eine Hauptgeschäftsstelle (Hygienisches Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover) Sachverständigenberichte über getroffene Maßnahmen empfangen sollte, die Grundlage der geforderten Forschungen sein sollten. Mießner stellte die Ziele und Zwecke der Organisation vor und sah als Aufgabe der Veteri-närmedizin, mit Hilfe geeigneter Vorbeugungs- und Bekämpfungsmaßnahmen den Verlusten der Muttertiere und Säuglinge entgegenzuwirken. Dabei stellte er klar, dass sich einzelne Tierärzte des In- und Auslandes schon seit Jahrzehnten mit den Aufzuchtkrankheiten befasst hätten. Die Forschungsergebnisse seien aber aufgrund des relativ geringen Wertes der Tiere nicht in ausreichendem Maße Allgemeingut

Mießner in der Tierärztlichen Rundschau vom März des Jahres 1923.247 Darin be-richtete er zunächst über die Sitzung des Unterausschusses der Deutschen Land-wirtschaftlichen Gesellschaft (D. L. G.) zur Bekämpfung der Aufzuchtkrankheiten (dabei offenbart schon die Existenz dieses Unterausschusses die Dringlichkeit die-ses Themas). Es wurde eine Organisation zur Bündelung aller beteiligten Kräfte gefordert, wobei eine Hauptgeschäftsstelle (Hygienisches Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover) Sachverständigenberichte über getroffene Maßnahmen empfangen sollte, die Grundlage der geforderten Forschungen sein sollten. Mießner stellte die Ziele und Zwecke der Organisation vor und sah als Aufgabe der Veteri-närmedizin, mit Hilfe geeigneter Vorbeugungs- und Bekämpfungsmaßnahmen den Verlusten der Muttertiere und Säuglinge entgegenzuwirken. Dabei stellte er klar, dass sich einzelne Tierärzte des In- und Auslandes schon seit Jahrzehnten mit den Aufzuchtkrankheiten befasst hätten. Die Forschungsergebnisse seien aber aufgrund des relativ geringen Wertes der Tiere nicht in ausreichendem Maße Allgemeingut