• Keine Ergebnisse gefunden

Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne

KAPITEL 4: ALLGEMEINE AUSFÜHRUNGEN ZUR

E. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs

II. Schranken-Schranken

2. Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne

Die wichtigste Schranken-Schranke ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (auch Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne genannt).554 Diesen Grundsatz leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus den Freiheitsrechten ab und spricht ihm Verfassungsrang zu.555 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist für die

548 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 285.

549 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 332; Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 53.

550 BVerfGE 28, 243 (261).

551 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 313; Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 53 f..

552 Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 54; Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 314.

553 Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 54.

554 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 289.

555 BVerfGE 61, 126 (134); BVerfGE 90, 145 (173).

interessengerechte Lösung einer Grundrechtskollision entscheidend.556 Gerade die Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundrechte der Lizenzspieler und anderer Sportler hängt maßgeblich von der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ab.557 Abstrakt gesprochen geht es beim Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darum, die Rechtmäßigkeit des Einsatzes eines bestimmten Mittels zur Verfolgung eines bestimmten Ziels bzw. Zwecks – also die Zweck-Mittel-Relation – zu bewerten.558 Geprüft wird, ob die jeweilige Grundrechtsbeeinträchtigung einen legitimen Zweck verfolgt und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist.559 Diese vier Kriterien werden im Anschluss detaillierter dargestellt.

Ein legitimer Zweck in diesem Sinne liegt dann vor, wenn er als solcher verfolgt werden darf und die Förderung eines hinreichend gewichtigen Ziels oder Interesses zum Gegenstand hat.560

Um verhältnismäßig zu sein, muss das eingesetzte Mittel (die Grundrechtsbeeinträchtigung) zur Zweckerreichung geeignet sein. Das ist der Fall, wenn das Mittel das angestrebte Ziel kausal herbeiführen kann oder den Erfolgseintritt wenigstens fördert.561

Des Weiteren muss das Mittel auch zur Zweckerreichung erforderlich sein.

Erforderlich ist das Mittel, wenn es sowohl für den Betroffenen als auch für die Allgemeinheit das am wenigsten belastende, aber gleich wirksame Mittel unter mehreren zur Verfügung stehenden Mitteln darstellt.562

Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (auch Proportionalität, Angemessenheit oder Zumutbarkeit genannt) zu prüfen, wonach die Grundrechtsbeeinträchtigung zu dem damit verfolgten Zweck in einem richtig gewichteten und ausgewogenen Verhältnis stehen muss.563 Alle berührten öffentlichen und privaten Rechtsgüter und Interessen sind dabei eigenständig zu gewichten und in die Abwägung einzustellen.564 Betrachtet werden können etwa das Gewicht und die

556 Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 56.

557 Manssen, in: WFV, Das Persönlichkeitsrecht des Fußballspielers, S. 83 (90); Petri, Die Dopingsanktion, S. 158.

558 Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 55.

559 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 47; Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 55.

560 Fritzweiler/von Coelln, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, Rn. 19.

561 BVerfGE 30, 292 (316); BVerfGE 92, 262 (273); Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 293.

562 BVerfGE 67, 157 (176); BVerfGE 90, 145 (182); Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 295;

Fritzweiler/von Coelln, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, Rn. 19.

563 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 299.

564 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 301.

Bedeutung einzelner berührter Rechtsgüter, die Notwendigkeit des Freiheitsgebrauchs im konkreten Fall sowie die auftretenden Vorteile für den Eingreifenden im Vergleich zu den Nachteilen des Betroffenen.565 Letztlich können für diese Angemessenheitsprüfung keine abstrakten Abwägungskriterien aufgestellt werden, da der Einzelfallbezug auch eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte Abwägung erfordert.566 Nur auf diese Weise können auf den konkreten Fall abgestimmte, praktikable und interessensgerechte Lösungen gefunden werden. Für die Meinungsfreiheit können dennoch die oben bereits geschilderten Maßstäbe für scharfe und überspitzte Formulierungen, öffentliche Auseinandersetzungen sowie zur Schmähkritik mit herangezogen werden.567 Weiter kann bei der Angemessenheitsprüfung danach unterschieden werden, ob die Grundrechtsausübung ganz oder zum Teil beschränkt, oder ob lediglich die Art und Weise der Grundrechtsausübung beeinflusst werden soll.568 Bei einer Beschränkung des „Ob“ der Grundrechtsausübung kann die Eingriffsintensität wiederum differieren, je nachdem, inwieweit die Grundrechtsbeschränkung durch den Adressaten beeinflussbar ist.569 Selbstverständlich ist stets das Wertverhältnis zwischen dem mit der Einschränkung verfolgten Zweck und dem Grundrechtsschutz – hier der Meinungsfreiheit – im Hinblick auf die Abwägung von entscheidender Bedeutung.570 Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses müssen stets die betrieblichen Belange des Arbeitgebers sowie die in dessen Interesse bestehenden Rücksichtnahme- und Treuepflichten des Arbeitnehmers mit dem Interesse des Arbeitnehmers an der Ausübung seiner Meinungsfreiheit abgewogen werden.571 Zu berücksichtigen sind außerdem auch die bei der praktischen Konkordanz näher erläuterten Grundrechte, sofern sie ebenfalls im konkreten Einzelfall eine Rolle spielen. Gerade was verbandsrechtliche Grundrechtsbeschränkungen angeht, ist regelmäßig die aus Art. 9 Abs. 1 GG abgeleitete Verbandsautonomie in die Abwägung einzustellen.572 Trotz der Autonomie gilt allerdings, dass sich verbandsrechtliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte

565 Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 55; Bieder, Verhältnismäßigkeitsprinzip, S. 3.

566 Bethge, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 5 GG Rn. 32; Fritzweiler/von Coelln, in:

Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, Rn. 19.

567 Vgl. diesbezüglich Bethge, in: Sachs, GG-Kommentar, Art. 5 GG Rn. 32 f..

568 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 307.

569 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 6 Rn. 307.

570 Hoffmann-Riem, JZ 1986, 494 (494).

571 Eisemann, in: Küttner, Personalbuch 2012, 303 Rn. 2 f.; Walker, in: Festschrift für Volker Röhricht, S. 1277 (1286).

572 Manssen, in: WFV, Das Persönlichkeitsrecht des Fußballspielers, S. 83 (90 f.).

Interessen der Spieler mit zunehmender Intensität auch stärker an der grundrechtlichen Wertordnung zu orientieren haben.573

Zu beachten ist, dass die Grundrechte im Privatrechtsverkehr nur über die Ausstrahlungswirkung Anwendung finden und deshalb der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur eingeschränkt anwendbar ist.574 Dies ist damit zu begründen, dass im Privatrechtsverkehr der Grundsatz der Privatautonomie gilt, wonach Privatpersonen die Rechtsverhältnisse untereinander grundsätzlich frei gestalten können.575 Im Privatrechtsverkehr wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung daher im Ergebnis zu einer eher weit zu fassenden Angemessenheitskontrolle, für die die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Mittels in der Regel nur als Indizien für die Entscheidung herangezogen werden können.576 Im Einzelfall kann dieser indiziellen Wirkung aber wiederum eine große Bedeutung zukommen.577

Im Ergebnis ist die Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit in der „Umsetzung“ in eine Angemessenheitskontrolle also unproblematisch auch auf Privatrechtsverhältnisse anwendbar und liefert wichtige Kriterien, die eine transparentere und nachvollziehbarere Entscheidung ermöglichen.578