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Art der Ausstrahlungswirkung

KAPITEL 3: DIE AUSSTRAHLUNGSWIRKUNG DER

A. Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte in das Privatrecht im

III. Art der Ausstrahlungswirkung

Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist jedoch in dogmatischer Hinsicht, auf welche Art die Ausstrahlungswirkung Einfluss auf das Privatrecht nimmt. Die verschiedenen Ansätze werden im Folgenden kurz dargestellt.

1. Unmittelbare Drittwirkung

Einige Stimmen folgen der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte.

Nach dieser Lehre haben die Grundrechte absolute Wirkung, d.h. der einzelne Bürger kann sich sowohl gegen Maßnahmen des Staates als auch gegen Maßnahmen von Privatpersonen unmittelbar auf die Grundrechte berufen.246 Die Grundrechte binden also nicht nur die öffentliche Gewalt, sondern auch Privatpersonen. Diese Lehre geht maßgeblich zurück auf Hans Carl Nipperdey, nach dessen Auffassung die Grundrechte im Privatrecht nicht nur Leitsätze oder Auslegungsregeln sind, sondern vielmehr ihre Rechtswirkung eine „unmittelbar normative“ ist.247 Seine These, wonach die Grundrechte auch einzelne Privatpersonen binden, begründete Nipperdey letztlich mit dem Sinn und Zweck der Grundrechte, wonach einige Grundrechte der Verfassung Ordnungssätze für das soziale Leben seien, die in einem sich aus dem jeweiligen Grundrecht ergebenden Umfang unmittelbare Bedeutung auch für den Rechtsverkehr zwischen Privatpersonen hätten.248 Um eine möglichst effektive Freiheitssicherung zu gewährleisten, verkörpern die Grundrechte nach dieser Ansicht Höchstwerte, die für die gesamte Gemeinschaft bedeutsam seien.249 Die Grundrechte müssten als Recht allerhöchsten Ranges sämtliche Rechtsverhältnisse im Staat – ob öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur – gleichermaßen erfassen.250 Sie sind nach dieser Auffassung auf der Ebene des Zivilrechts gesetzliche Verbote i. S. d. § 134 BGB bzw.

absolute Rechte i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB.251

246 Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1153); Nipperdey, RdA 1950, 121 (124); Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 35; Krüger, RdA 1954, 365 (368); Müller, RdA 1964, 121 (121 ff.); Hager, JZ 1994, 373 (383).

247 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 17; Schneider, Meinungsfreiheit, S. 46.

248 BAGE 1, 185 (193); Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 5 Rn. 190; Schneider, Meinungsfreiheit, S. 47 f..

249 Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1153); Nipperdey, RdA 1950, 121 (124 f.); Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 35.

250 BGH, NJW 1957, 1146 (1147).

251 Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 36; Canaris, AcP 184 (1984), 201 (226).

Für die absolute Drittwirkung der Grundrechte werden einige Argumente ins Feld geführt.252 Eines der zentralsten Argumente besagt, dass dem Privaten nicht erlaubt sein kann, was dem Staat gem. Art. 1 Abs. 3 GG verboten ist.253 Heutzutage ist es gerade im Privatrechtsverkehr aufgrund diverser sozialer oder finanzieller Machtgefälle möglich, dass Privatpersonen in grundrechtrechtlich geschützte Rechtsgüter anderer Privatpersonen vergleichbar dem Staat eingreifen können.254 Der überlegene Vertragspartner kann immer häufiger die aus Art. 1, 2 GG abgeleiteten Grundsätze der Vertragsfreiheit und der Selbstbestimmung zu seinen Gunsten umgehen und dem unterlegenen Vertragspartner seine Bedingungen einseitig aufzwingen.255 Aus diesem Umstand leiten die Vertreter dieser Ansicht die Notwendigkeit ab, dass die Grundrechte auch zwischen Privatpersonen absolut gelten.

Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung ist jedoch mit den besseren Argumenten abzulehnen.256 Das Hauptargument gegen die unmittelbare Drittwirkung fußt auf dem Zweck der Grundrechte als Abwehrrechte, die gerade die Freiheit des Einzelnen gewährleisten sollen.257 Würden die Grundrechte unmittelbar zwischen allen Privatrechtssubjekten Anwendung finden, so würden plötzlich Pflichten zwischen ihnen begründet, die eine umfassende Freiheitsbeschränkung zur Folge hätten.258 Die grundrechtlich geschützte Privatrechtsautonomie würde dieser Freiheitsbeschränkung zum Opfer fallen, da auch beim Abschluss eines Vertrags zwischen zwei Privatrechtssubjekten stets die Grundrechte unmittelbar zu berücksichtigen wären.259 Beispielsweise würde der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG eine Ungleichbehandlung zweier Vertragspartner beeinträchtigen oder sogar unmöglich machen.260 In diesem Zusammenhang sprach etwa Merklinghaus bereits 1969 von der Gefahr der „Knebelung des Privatrechts“ bei unmittelbarer Drittwirkung der

252 Vgl. hierzu etwa: Merklinghaus, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit, S. 59 f.; Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (406); Nipperdey, RdA 1950, 121 (125); Müller, RdA 1964, 121 (125); Kempff, AiB 1990, 455 (455); Von Köller, Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung, S. 220 f.;

Gläser, Der Einfluss der Meinungsfreiheit auf das Arbeitsverhältnis, S. 47 ff..

253 Gamillscheg, AcP 164 (1964), 385 (406); Nipperdey, RdA 1950, 121 (125).

254 Müller, RdA 1964, 121 (125).

255 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 5 Rn. 198; Kempff, AiB 90, 455 (455).

256 Vgl. hierzu umfassend: Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1153); Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 5 Rn. 198; Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 36; Von Köller, Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung, S. 221 ff.; Merklinghaus, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit, S. 59.

257 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 5 Rn. 191.

258 Pieroth/Schlink, Grundrechte, § 5 Rn. 191; Plath, Individualrechtsbeschränkungen im Berufsfußball, S. 52.

259 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Art. 3 GG Abs. 1 Rn. 505 f.; Hanau/Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 80; Hager, JZ 1994, 373 (374); Medicus, AcP 192 (1992), 35 (43).

260 Guckelberger, JuS 2003, 1151 (1153); Erichsen, Jura 1996, 527 (530).

Grundrechte.261 Die Privatautonomie, die durch die unmittelbare Anwendung von Grundrechten vor den Folgen sozialer Machtungleichgewichte geschützt werden soll, würde durch eben diese Grundrechtsdrittwirkung im Ergebnis also gänzlich leer laufen.

2. Mittelbare Drittwirkung (sog. Ausstrahlungswirkung)

Die mittlerweile in der Literatur und Rechtsprechung herrschende Ansicht folgt der Theorie der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte.262

Diese Theorie geht zurück auf Günther Dürig, nach dessen Ansatz die zivilrechtlichen Vorschriften maßgeblich die Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtssubjekten bestimmen.263 Allerdings sollen im Rahmen der Auslegung der vom Zivilrecht verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln die Grundrechte mit berücksichtigt werden.264 Dem ist das Bundesverfassungsgericht in der oben angesprochenen Lüth-Entscheidung265 gefolgt und hat diese Rechtsprechung auch in anschließenden Urteilen immer wieder bestätigt.266 In der Lüth-Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht gerade für die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG eine „Ausstrahlungswirkung“ in das Zivilrecht angenommen.267 Darüber hinaus stellt das Bundesverfassungsgericht in der Lüth-Entscheidung die mittelbare Anwendung der Grundrechte im Privatrechtsbereich über die unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln des Privatrechts klar:

„Der Rechtsgehalt der Grundrechte als objektiver Normen entfaltet sich im Privatrecht durch das Medium der dieses Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften.“268

Im Rahmen der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung werden die privatrechtlichen Bestimmungen und insbesondere die „wertungsausfüllungsfähigen und wertungsausfüllungsbedürftigen Generalklauseln“ also verfassungskonform ausgelegt

261 Merklinghaus, Das Grundrecht der Meinungsfreiheit, S. 62.

262 BVerfGE 73, 261 (269 f.); Hager, JZ 1994, 373 (374); Kissel, NZA 1988, 145 (145).

263 Dürig, in: Festschrift für Nawiasky, S. 157 (176 ff.).

264 Dürig, in: Festschrift für Nawiasky, S. 157 (176 ff.); Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 65; Gläser, Der Einfluss der Meinungsfreiheit auf das Arbeitsverhältnis, S. 46 f..

265 Vgl. etwa BVerfGE 7, 198 (198): „Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln.“

266 BVerfGE 35, 79 (114); BVerfG, NJW 1994, 36 (38); BVerfGE 73, 261 (269).

267 BVerfGE 7, 198 (207).

268 BVerfGE 7, 198 (205).

und interpretiert.269 Grundsätzlich wirken die Grundrechte also nur durch das Medium des einfachen Zivilrechtes, welches sich bei Auslegung und Anwendung von den Grundrechten durchdringen lassen muss.270 Aufgrund dieser Funktion wurden die Generalklauseln vom Bundesverfassungsgericht im Einklang mit Günther Dürig als

„Einbruchstellen der Grundrechte in das bürgerliche Recht“ bezeichnet.271 Solche Einbruchstellen sind etwa die §§ 138, 242, 307, 315, 626 oder 823 Abs. 1 BGB.272 Gerade für die Kommunikationsrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG kann demgemäß seit der Lüth-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgehalten werden, dass sämtliche Generalklauseln sowie auslegungsbedürftige und unbestimmte Rechtsbegriffe des Privatrechts unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 1 GG auszulegen sind.273 Speziell für die hier in Rede stehende Meinungsfreiheit zeigt die Lüth-Entscheidung, dass das private Rechtsgut immer mehr in den Hintergrund tritt, je mehr das Grundrecht der Meinungsfreiheit betroffen ist.274 Nicht selten kommt es nach dieser Ansicht also zu einer einzelfallabhängigen Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem durch die privatrechtliche Norm geschützten Rechtsgut.275 Diese Ansicht ist zutreffend. Die Grundrechte verpflichten ausweislich Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG die staatliche Gewalt und binden gem. Art. 1 Abs. 3 GG nur die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung unmittelbar. Im Umkehrschluss gelten die Grundrechte für den privatrechtlichen Bereich nicht unmittelbar, sondern allenfalls mittelbar.276 Die mittelbare Drittwirkung bzw.

Ausstrahlungswirkung der Grundrechte trägt auch dem aus Art. 2 Abs. 1 GG resultierenden Grundsatz der Privatautonomie ausreichend Rechnung.277 Er zählt zu den obersten Konstitutionsprinzipien der Rechtsordnung.278 Bei der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten bleiben die Parteien – wie bereits dargestellt – weitgehend frei in ihren Entscheidungen und Handlungen auf privatrechtlicher Ebene.

269 Dürig, in: Festschrift für Nawiasky, S. 175 (176 ff.); Dürig, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte Band 2, S. 507 (525); Schulz, Grundrechtskollisionen im Berufssport, S. 38; Gläser, Der Einfluss der Meinungsfreiheit auf das Arbeitsverhältnis, S. 53.

270 BVerfGE 7, 198 (205 f.); BVerfGE 42, 143 (148); Nolte, in: Nolte/Horst, Handbuch des Sportrechts, S. 21.

271 BVerfGE 7, 198 (206); Dürig, in:Neumann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte Band 2, S. 507 (525);

Plath, Individualrechtsbeschränkungen im Berufsfußball, S. 51.

272 Fritzweiler/von Coelln, in: Fritzweiler/Pfister/Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, Rn. 11;

Schneider, Meinungsfreiheit, S. 50 ; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 BGB Rn. 8.

273 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 5 GG Rn. 277.

274 BVerfGE 7, 198 (212); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG-Kommentar, Art. 5 GG Rn. 277.

275 Bethge, in: Sachs, Grundgesetzkommentar, Art. 5 GG Rn. 32.

276 Canaris, AcP 184 (1984), 201 (203 f.); Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 242 BGB Rn. 8.

277 Herdgen, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 1 Abs. 3 GG Rn. 65.

278 Dürig, in: Festschrift für Nawiasky, S. 157 (162 ff.).

Die Wertungen der Grundrechte beeinflussen das Zivilrecht maßgeblich bei der Abgrenzung der Freiheitssphären der einzelnen Privatpersonen durch den Gesetzgeber im Rahmen der Gesetzgebung. Konnte oder wollte der Gesetzgeber diese Wertungen nicht abschließend treffen, sind die Grundrechte über Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe auch im Privatrechtsbereich zu berücksichtigen. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte gewährleistet mithin entsprechend der Forderung des Bundesverfassungsgerichts ein Mindestmaß an Selbstbestimmung des Einzelnen,279 auch wenn dieser überlegenen Machtinhabern gegenüber steht, indem er sich auf grundrechtlichen Schutz berufen kann.280 Durch die Ausstrahlungswirkung wird auch dem Grundsatz des Vorrangs der Verfassung vor dem einfachen Recht ausreichend Rechnung getragen.