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Auslegung der AGB-Klauseln und § 305c Abs. 2 BGB

KAPITEL 5: ÜBERPRÜFUNG DER RECHTSWIRKSAMKEIT

A. Arbeitsvertragliche Regelungen im Musterarbeitsvertrag

II. Rechtmäßigkeitsprüfung der §§ 2, 6 MAV

4. Auslegung der AGB-Klauseln und § 305c Abs. 2 BGB

Vor der eigentlichen Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB bedarf es darüber hinaus der Ermittlung des Sinngehalts der zu kontrollierenden arbeitsvertraglichen Klauseln im Wege der Auslegung.

Für die Auslegung von AGB gelten – obwohl es sich insoweit unstreitig um Vertragsbedingungen handelt – nicht die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, sondern der Grundsatz der objektiven Auslegung.645. Hierbei ist der objektive Inhalt und der typische Sinn einheitlich so zu ermitteln, wie er von einem verständigen und redlichen Vertragspartner unter Berücksichtigung der regelmäßig involvierten Kreise verstanden wird.646 Maßgeblich ist stets die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders – hier also eines durchschnittlichen Lizenzspielers.647 Die Auslegung erfolgt lediglich unter Berücksichtigung von Vertragswortlaut, dem von den Parteien verfolgten Regelungszweck sowie der

644 Schütz, Vertragspflichtverletzungen durch Lizenzfußballer, S. 25; Henssler/Moll, AGB-Kontrolle vorformulierter Arbeitsbedingungen, S. 8.

645 BGH, NJW-RR 2011, 1350 (1351); Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 305c BGB Rn. 16.

646 BAG, NZA 2011, 1338 Rn. 46; BGH, NJW 2006, 1056 Rn. 9; Henssler/Moll, AGB-Kontrolle vorformulierter Arbeitsbedingungen, S. 8; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 305c BGB Rn. 16.

647 BAG, NZA 2011, 1338 Rn. 46.

beiderseitige Interessenlage; auf konkrete Einzelfallgestaltungen und individuelle Vorstellungen einer Partei kommt es dagegen nicht an.648

Bleibt nach Auslegung der Klausel nach dem Grundsatz der objektiven Auslegung ein nicht behebbarer Zweifel und sind mindestens zwei Auslegungsalternativen vertretbar, so findet die sog. Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB Anwendung.649 Dieser Regelung wohnt der Gedanke inne, dass es im Verantwortungsbereich des AGB-Verwenders liegt, klare und unmissverständliche Regelungen in seinen AGB zu treffen.650 Die Regelung des § 305c Abs. 2 BGB ist dabei in zwei Stufen anzuwenden:

• Stufe 1: Liegen mehrere Auslegungsalternativen vor, von denen wenigstens eine zur Unwirksamkeit der Klausel führt, so ist grundsätzlich diese Variante zugrunde zu legen und die Klausel als unwirksam zu verwerfen (Grundsatz der „kundenfeindlichen Auslegung“).651

• Stufe 2: Erweist sich die AGB-Klausel im Anschluss an die Inhaltskontrolle als wirksam, so ist § 305c Abs. 2 BGB „direkt“

anzuwenden und bestehende Zweifel gehen zu Lasten des Verwenders (Grundsatz der „kundenfreundlichen Auslegung“).652

Dagegen findet § 305c Abs. 2 BGB keine Anwendung, wenn die Klausel einen einheitlichen Inhalt aufweist oder die Vertragsparteien sie in einem übereinstimmenden Sinn verstanden haben.653

Vor diesem rechtlichen Hintergrund und insbesondere vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit sind im Folgenden die einzelnen relevanten Regelungsinhalte aus § 2 MAV auszulegen.

a) § 2 Abs. 1 S. 1 MAV

Zunächst soll kurz § 2 Abs. 1 S. 1 MAV behandelt werden. Dieser lautet:

648 BAG, NZA 2008, 757 Rn. 23 f.; BGH, NJW 1999, 1105 (1106); Henssler/Moll, AGB-Kontrolle vorformulierter Arbeitsbedingungen, S. 9.

649 BAG, NZA 2010, 445 Rn. 17; BGH, NJW 2011, 2122 Rn. 11; Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 305c BGB Rn. 15.

650 BGHZ 84, 109 (116 f.); BGH, NJW 1983, 159 (162); Henssler/Moll, AGB-Kontrolle vorformulierter Arbeitsbedingungen, S. 9; Wüterich/Breucker, in: Adolphsen/Nolte/Lehner/Gerlinger, Sportrecht in der Praxis, Rn. 532; Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis, S. 50.

651 BGH, NJW 2009, 2051 (2051); Grüneberg, in: Palandt, BGB, § 305c BGB Rn. 18; Henssler/Moll, AGB-Kontrolle vorformulierter Arbeitsbedingungen, S. 9.

652 BGH, NJW 2008, 2172 Rn. 19.

653 BGH, NJW-RR 2003, 1247 (1247); BGH, ZIP 2002, 1534 (1535).

„Der Spieler verpflichtet sich, seine ganze Kraft und seine sportliche Leistungsfähigkeit uneingeschränkt für den Club einzusetzen, alles zu tun, um sie zu erhalten und zu steigern und alles zu unterlassen, was ihr vor und bei Veranstaltungen des Clubs abträglich sein könnte.“654

Analysiert man den Wortlaut dieser Regelung, so erschließt sich, dass es hier primär um die Hauptleistungspflicht der fußballerischen Tätigkeit geht. Der Lizenzspieler soll all seine Kraft und seine Leistungsfähigkeit für die Erfüllung dieser Verpflichtung einsetzen. Der Wortlaut „verpflichtet“ deutet auf den Willen der Parteien hin, eine vertragliche Pflicht zu begründen.655 Vereinzelt wird aus der weit gefassten Formulierung des § 2 Abs. 1 S. 1 MAV gefolgert, es handele sich hierbei um eine umfassende Verpflichtung des Lizenzspielers, seine Interessen den Vereinsinteressen stets unterzuordnen.656 Andere ordnen diese Regelung als „allgemeine Wohlverhaltensklausel“ ein, der ein verpflichtender Charakter innewohnt.657 Tatsächlich handelt es sich bei dieser Formulierung nach dem Verständnis aller Beteiligten – namentlich Spieler, Clubs sowie deren Berater – lediglich um ein einleitendes und konkretisierungsbedürftiges Versprechen bzw. „Gelöbnis“ des Spielers.658 Insofern wird hier keine eigene Pflicht des Spielers begründet. Dafür spricht auch der Wortlaut des § 2 Abs. 1 S. 2 MAV, der die konkreten Pflichten des Spielers dann im Einzelnen aufführt.

Für eine Beschränkung der Meinungsfreiheit wäre § 2 Abs. 1 S. 1 MAV ohnehin keine taugliche vertragliche Grundlage, da hier primär der Erhalt und die Förderung der sportlichen Leistungsfähigkeit an sich in Rede stehen. Für eine so weite Auslegung, dass der Spieler auf dieser Basis verpflichtet ist oder angehalten werden kann, bestimmte Meinungsäußerungen zu unterlassen, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Ein verständiger und redlicher Durchschnittsvertragspartner könnte diese Regelung nicht in einem solchem Sinne verstehen. § 2 Abs. 1 S. 1 MAV hält den Lizenzspieler lediglich dazu an, seine körperliche und geistige Fitness zu erhalten, zu fördern und diese im Rahmen der geschuldeten Leistung des Fußballspielens vollumfänglich in den Dienst des Clubs zu stellen.

654 § 2 des Musterarbeitsvertrages im Anhang VI.

655 Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis, S. 63.

656 Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis, S. 63; Rybak, Rechtsverhältnis Lizenzfußballspieler-Verein, S. 94.

657 Wüterich/Breucker, in: Adolphsen/Nolte/Lehner/Gerlinger, Sportrecht in der Praxis, Rn. 612 f..

658 Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis, S. 63.

An dieser Stelle bleibt also festzuhalten, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 S. 1 MAV nach Auslegung zunächst in den Vertrag einbezogen wurde und dementsprechend einer Inhaltskontrolle unterliegen würde. Sie ist jedoch ganz offensichtlich nicht geeignet, Beschränkungen der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen und wird grundsätzlich von Lizenzspielern und Clubs lediglich als ein die Vertragspflichten einleitendes Gelöbnis angesehen. Die folgenden in § 2 Abs. 1 S. 2 MAV geregelten Spielerpflichten sind also vor dem Hintergrund dieses umfassenden Versprechens zu betrachten.

b) § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) MAV

Nunmehr ist die Vertragsklausel aus § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) MAV zu betrachten, die ganz konkrete Regelungen für das Verhalten der Spieler in der Öffentlichkeit, insbesondere für Interviews und Äußerungen über innere Clubangelegenheiten, aufstellt. Im Zusammenhang mit den Sanktionsmöglichkeiten aus § 6 MAV ergibt sich, dass der Musterarbeitsvertrag in § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) MAV letztlich durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckte Verhaltensweisen sanktioniert, obwohl dies weder ein spezifisch sportlicher Bezug (Fairplay, Spielregeln etc.) noch staatliches Recht (z. B.

Strafrecht) rechtfertigen oder notwendig machen.659

Vor diesem Hintergrund ist § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) MAV in seine einzelnen Bestandteile aufzulösen und jeweils auszulegen. Dieser lautet:

„Gemäß diesen Grundsätzen ist der Spieler insbesondere verpflichtet (…)

i) sich in der Öffentlichkeit und privat so zu verhalten, dass das Ansehen des Clubs, der Verbände und des Fußballsports allgemein nicht beeinträchtigt wird. Stellungnahmen in der Öffentlichkeit, insbesondere Interviews für Fernsehen, Hörfunk und Presse, bedürfen, soweit sie im Zusammenhang mit dem Spielbetrieb, dem Club oder dem Arbeitsverhältnis stehen, der vorherigen Zustimmung des Clubs jedenfalls dann, wenn der Spieler Gelegenheit hatte, diese zuvor einzuholen. Gegenüber außenstehenden Personen ist jegliche Äußerung über innere Clubangelegenheiten, insbesondere über den Spiel- und Trainingsbetrieb, zu unterlassen; dies gilt auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses;“660

659 Stern, in: Schroeder/Kauffmann, Sport und Recht, S. 142 (150).

660 § 2 des Musterarbeitsvertrages im Anhang VI.

Aus Wortlaut und Regelungszweck des § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) S. 1 BGB ergibt sich, dass es sich bei dieser Regelung um eine umfassende Generalklausel handelt,661 die dem Spieler sämtliche beeinträchtigende Verhaltensweisen im Hinblick auf das Ansehen von Club, Verbänden und des Fußballs per se untersagt. Diese Regelung soll sowohl öffentliches als auch privates Verhalten erfassen und betrifft insofern auch alle Arten von Meinungsäußerungen. Eine einschränkende Auslegung dahingehend, die Klausel erfasse nur ganz bestimmte Verhaltensweisen oder greife erst ab einer gewissen Beeinträchtigungsintensität, ist nicht möglich. Ein redlicher und verständiger Spieler muss diese Regelung so interpretieren, dass jedwedes Verhalten, welches Club, Verbände oder Fußballsport in irgendeiner Art und Weise negativ beeinträchtigt, von der Vertragsstrafe aus § 6 MAV erfasst wird und mithin verboten ist. Das ist auch Ziel der Clubs sowie des Ligaverbandes, die eine umfassende Bindung und Kontrolle der Spieler erreichen möchten. Diese Auslegung ist zwar sehr weit und steht offensichtlich im Konflikt mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit der Spieler. Dennoch ist eine engere Auslegung gerade vor dem Hintergrund der sog. kundenfeindlichen Auslegung gem. § 305c Abs. 2 BGB nicht möglich. Folglich ist § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) S. 1 MAV nicht unklar i. S. d. § 305c Abs. 2 BGB, da es nur eine Auslegungsmöglichkeit gibt.662 Erhebliche Zweifel an dieser Auslegung bestehen nicht.

Diese Regelung ist im Anschluss der Inhaltskontrolle nach den §§ 307 ff. BGB zu unterziehen.

Bei § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) S. 2 MAV liegt die Sache nicht anders. Auch diese Regelung lässt keine unterschiedlichen Auslegungen zu. Sie begründet im Kern für sämtliche Äußerungen der Spieler in der Öffentlichkeit einen Zustimmungsvorbehalt, der nur im Einzelfall keine Anwendung findet. Bereits der Wortlaut lässt eine andere Auslegung nicht zu. Die Clubs bezwecken mit dieser Regelung wiederum die umfassende Bindung und Kontrolle ihrer Spieler im Hinblick auf deren Äußerungen in der Öffentlichkeit.

Insofern greift auch hier § 305c Abs. 2 BGB nicht.

§ 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) S. 3 MAV ist ebenfalls nicht unklar i. S. d. § 305c Abs. 2 BGB.

Der Wortlaut reicht hier bereits vollständig aus, um einem verständigen und redlichen, durchschnittlichen Lizenzspieler klarzumachen, welche Arten von Äußerungsinhalten („innere Clubangelegenheiten, insbesondere Spiel- und Trainingsbetrieb“) Dritten

661 Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis, S. 156.

662 Ittmann, Pflichten des Sportlers im Arbeitsverhältnis, S. 157.

gegenüber zu unterlassen sind. Der Zweck der Regelung, nämlich Interna geheim zu halten, ist nachvollziehbar und lässt unterschiedliche Auslegungen nicht zu.

Folglich sind sämtliche Regelungen des § 2 Abs. 1 S. 2 lit. i) MAV Bestandteil des Musterarbeitsvertrages geworden und mithin der Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB zugänglich.